Verwandter geht’s nicht Zuhause empfing mich Hermine mit einem Freudengebell, als wäre ich ein ganzes Jahr weggewesen. Das macht sie immer so. Hunde haben halt keinen Zeitbegriff. Sie reagieren nur auf Körpersignale wie Hunger oder Blasendruck oder Hormonausschüttungen. Hermine hat keine Hormonausschüttungen mehr. Sie bringt 50 Kilogramm Lebendgewicht auf Omas Kartoffelwaage und ist das imposante Ergebnis von mindestens drei großen Hunderassen. Es können auch einige mehr sein, aber mit Sicherheit war ihre Urgroßmutter eine Deutsche Dogge, die einem Leonberger begegnete, und ihre Groß-mutter muss es mit irgendeinem Riesenterrier getrieben haben. Welchen Geschmack ihre Mutter hatte lässt sich nur vermuten. Von Bernhardiner bis Rottweiler ist alles drin. Wenn ich weg bin, passt sie auf meine Hühner auf, denn ich wohne direkt am Wald, und in dem hausen jede Menge vierbeinige Räuber, die es auf mein Federvieh abgesehen haben. Meine Oma hat mir das Anwesen vermacht. Sie war eine gescheite Frau und auf ihre Weise emanzipiert. Eine Frau muss nicht wie ein Mann handeln, aber sie muss ihren Mann stehen können, war ihre Lebensphilosophie, die sie auch mir mit leider nur mäßigem Erfolg beizubringen versuchte. Nach Opas frühem Tod hat sie den Hof noch zwanzig Jahre allein bewirtschaftet. Dann hat sie die Land-wirtschaft aufgegeben und ihre Felder und Wiesen verpachtet. Damit meine Hennen richtig glücklich sind habe ich auch einen Hahn mit Namen Casanova, einen prächtigen bunten Italiener, einen Latin Lover, wie man sie immer in Heimatfilmen auf dem Misthaufen sieht (den Hahn). Die Hennen heißen Appolonia, Philomena und Genoveva und tragen unterschiedliche Federkleider. Damit du sie auseinander halten kannst, meinte meine Tochter Juliane, die sie mir geschenkt hat. Juliane lebt mit Ferdinand in der Eifel. Ferdinand baut teure Holzmöbel aus Mondphasenholz für betuchte Ökofreaks; Juliane züchtet Alpakas und spinnt die edle Alpakawolle für die Frauen der betuchten Ökofreaks, die glauben, sie könnten die Welt durch das Tragen von Selbstgesponnenem und Selbstgestricktem vor dem Untergang retten. Karola denkt ähnlich pragmatisch. Sie will Restauratorin werden oder Antiquitätenhändlerin, oder am Besten beides. Kirche und Geldadel, das sind die Fettaugen, die immer oben schwimmen, wenn die Suppe auch noch so dünn ist, sagt meine kluge Tochter. Ich glaube, dieses pragmatische Denken haben beide von Oma. Bei mir überwiegt mehr die Sorglosigkeit, die auch Paps an den Tag legte. Jeden Mittwochabend ging ich mit Maritta und Gabi zur Hausfrauengymnastik. Gabi ist meine zweite beste Freundin. Sie ist von den Zehenspitzen bis in die letzte tizianrote Haarlocke positiv geladen, und das ist einiges, denn sie wiegt bei eins fünfundsechzig Körpergröße achtzig Kilo. Ihre graublauen Augen strahlen immer, auch wenn sie mal nicht so gut drauf ist, ihre Mundwinkel kennen nur eine Richtung: nach oben. Sie ist ziemlich zufrieden verheiratet mit Franz, der ihre quirlige Art mit seinen gutmütigen, ebenfalls reichlich vorhandenen Pfunden abfedert und ihr als selbständiger Steuerberater eine krisensichere Lebensgrundlage bietet. Einziger Wermutstropfen in ihrer Beziehung: Nach elf Jahren Ehe hatte es mit dem Kinderkriegen noch immer nicht geklappt. Die Spermien von Franz sind zu faul, meinte Gabi. Zwei Jahre gibt sie ihm noch. Wenn er dann nicht liefert sucht sie sich einen Leihvater. Immerhin ist sie siebenunddreißig, und ihre biologische Uhr tickt immer schneller. Nun lagen wir auf unseren Matten, strampelten mit den Füßen in der Luft herum, machten die Kerze, grätschten die Beine und kniffen zum Befehl „AZ!“ unserer Vorturnerin, Frau Trapp, die A- bzw. Pobacken zusammen. Grade hatte ich mit Elan meine Beine über den Kopf nach hinten geschwungen - bei dieser Übung sollten wir uns vorstellen, wir würden auf unserem gen Himmel gestreckten Aller-wertesten ein Tablett mit einem Glas Wasser balancieren, natürlich mit „AZ!“ -, als mich eine Fata Morgana heimsuchte. Hinter der ca. drei Meter über dem Boden verlaufenden Fensterfront schwebten ein Imam mit finsterzornigem Blick und rabenschwarzem Bart, ein orthodoxer Rabbi mit schwarzem Hut und Schläfenlocken und dem ungläubigen Staunen eines Kindes im Gesicht und ein Priester im schwarzen Jesuitenhabit, mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich die Qual Generationen zölibatärer Priester kumuliert hatte. Ich sah neben mir die ausladende pink-farbene Wölbung von Gabis Hintern, rechts Marittas schwarze Pobacken und die anderen Gesäße im Kreis angeordnet, und überlegte, was sich wohl für Gedanken in den Köpfen der drei heiligen Männer bewegen mochten. Das Ergebnis war nicht sehr frauenfreundlich. „Stellt euch vor, ich habe drei Gespenster am Fenster unserer Turnhalle gesehen. Und ratet mal, welche“, begann ich bedeu-tungsvoll, als wir bei Giovanni unter einem Originalgemälde von Venezia mit Gondola saßen. „Keine Ahnung, was du für Gespenster siehst“, meinte Gabi und bestellte sich das Nudelgericht 127. „Einen Rabbi, einen Imam und einen Jesuiten, grade als wir alle die Beine über den Kopf nach hinten und unsere Hinterteile nach oben gestreckt hatten. Die Übung mit dem imaginären Tablett auf dem Po. Deiner war besonders attraktiv. Wie ein pinkfarbener Kullerpfirsich.“ „Danke für den Kullerpfirsich“, kicherte Gabi und bestellte sich noch einen Fruchtbecher zum Nachtisch. „Deiner war echt der schönste. Ich glaube, in den hätten alle drei sofort reingebissen.“ Gabi blies die Backen auf und prustete los. „Du hast vielleicht eine verdorbene Fantasie.“ Alles an ihr bebte. Ihre zahlreichen Armreifen und ihre Ohrge-hänge aus bunten Glasblumen klimperten wie die Türglöckchen eines Tante Emma Ladens. Wir lachten und lachten, bis mein Glas mit einem ekligen Splittergeräusch auf dem Boden zerplatzte. Frau Giovanni eilte mit Schaufel und Besen herbei, Herr Giovanni mit einem Putzlappen, und gefühlte hundert Köpfe drehten sich in unsere Richtung. „Machte nixe, machte nixe, kannte vorkommen“, beteuerte Giovanni. Ich wusste natürlich was das eigentlich hieß: blöde Weiber. Beschämend. Immer passieren mir solche Missgeschicke. Das liegt an meinem Temperament, das mir zwar niemand zutraut, das ich aber durchaus habe. „Es wäre doch wirklich spannend zu erfahren, was in den Köpfen solcher Machos tatsächlich vorgeht. Für die ist das Weib doch die Wurzel allen Übels.“ Ich merkte, wie am Nebentisch das Gespräch verstummte. Ein vierblättriges Männerkleeblatt saß dort, mit Ohrmuscheln so groß wie Satellitenschüsseln. „Eines ist klar“, flüsterte Gabi hinter vorgehaltener Hand, „bei den dreien haben sich bestimmt nicht nur die Haare aufgestellt.“ „Wer hat jetzt die verdorbene Fantasie“, gab ich ebenso leise zurück. „Wieso verdorben? Realistisch“, meldete sich Maritta in voller Zimmerlautstärke. Ich stellte mein neues Glas, aus dem ich grade einen ausgiebigen Schluck nehmen wollte, so konzentriert und vorsichtig wie möglich auf den Tisch zurück, Gabi biss geistesgegenwärtig Nudel Nummer 127, die sie gerade in ihre Mundhöhle schlürfte, in der Mitte ab und ließ das Reststück auf ihren Teller zurückflutschen. Dann saßen wir da, die Arme aufgestützt, die Hände vor dem Gesicht, und versuchten unser Zwerchfell in den Griff zu kriegen. „Ich glaube, der Rechtgläubige würde uns am liebsten sofort steinigen. Der Rabbi wäre nicht so brutal, er würde sicher nur jammern über die verkommenen Sitten, und dem Jesuiten käme sicher der blasphemische Gedanke, dass der Christengott doch eigentlich ein Sadist ist. Aber es ist besser, wir wechseln jetzt das Thema“, schlug ich vor, als ich wieder normal atmen konnte. „Ich komme schon wieder in meine Tod-allen-Machos-Stimmung.“ „Übrigens, in drei Wochen sind Franz und ich auf die Sommerparty unseres dicksten Kunden und größten Steuerhinter-ziehers eingeladen“, lenkte Gabi in weltlicheres Fahrwasser. „Ihr kennt doch sicher den Holzhändler Schmöckinger.“ Synchron-Kopfschütteln. „Ist auch egal. Jedenfalls stinkt er vor Geld. Seine Frau ist eine von Eichblatt, angeblich eine ehemalige Primaballerina. Verarmter Adel. Viel Grundbesitz, aber keine Ahnung vom Geschäft. Der alte Graf hat ihn adoptiert, und er nennt sich jetzt Schmöckinger von Eichblatt. Auf seinen Partys trifft sich der Bauern- und Geldadel der weiteren Umgebung und alles, was sich bestechen lässt. Ihr kommt beide mit. Keine Widerrede. Man darf jede Menge Bekannte mitbringen.“ Ich hatte nicht die Absicht, zu widersprechen. In mir machte sich ein Gefühl breit, das ich bisher nicht gekannt hatte. Obwohl ich neben meinen Freundinnen im voll besetzten Lokal saß, kam ich mir vor wie auf einer einsamen Insel in einem riesigen Ozean. Ich schüttelte das Unbehagen ab und konzentrierte mich auf unser Gespräch. „Wenn der alte Eichblatt den Schmöckinger adoptiert hat, und der seine Tochter geheiratet hat, dann ist doch der gleichzeitig sein Sohn und Schwiegersohn, der Bruder seiner Tochter und zugleich ihr Mann. Rein rechtlich gesehen, ein ziemlich inzestuöses Verhältnis“, überlegte ich laut. „Super. Endlich mal ein handfester Skandal in dieser Ödnis. Wenn auch nur ein formaler“, jubelte Gabi und verschluckte sich fast an der letzten Nudel von Nummer 127. Das Männerkleeblatt bekam Ohren wie Weltraumteleskope, aber das störte uns wenig. Wir spannen das Thema Inzest weiter bis zu Adam und Eva. Als wir zum Allmächtigen und seinem Sohn kamen, der, genau betrachtet, durch geistigen Inzest gezeugt wurde, denn Vater, Sohn und Heiliger Geist sind eins (verwandter geht’s wirklich nicht mehr), wurde es derart verworren, dass wir das Thema wechselten. Das war schon ein harter Brocken. Selbst die christlichen Kirchen kauen seit zweitausend Jahren auf ihm herum, ohne ihn in etwas Genießbares verwandeln zu können. Sie empfehlen daher ihren Gläubigen, den Brocken ungekaut als Mysterium zu schlucken, und mit Treu und Glauben hinunterzuspülen. Das sind Schicksale Pünktlich am Dienstag um 8.00 Uhr erschien ich in der ehemaligen Irrenanstalt von Wallbruck, in der Arbeitsamt und VHS ihre Kurse abhielten. Die Leiterin der Maßnahme war Frau Dr. Schratznstaller-Rehkötter, eine arbeitslose Dipl.-Psychologin. Ihr Körper war ohne nennenswerte Vorsprünge, sie trug eine Zehn-Dioptrien-Brille, ein Pferdegebiss mit schlecht überkronten Vorderzähnen und eine mahagonifarbene Prinz-Eisenherz-Frisur. Außerdem eins von den Kleidern, die man bei Versandhäusern in der Abteilung Hauskleider und Kittelschürzen bestellen kann. „Haben Sie eine Entschuldigung?“, fragte sie mich. „Der Kurs begann gestern.“ „Bei mir nicht.“ Ich hielt ihr meinen Einberufungsbescheid unter die Nase. Sie sah ihn an, sah auf ihre Uhr, sah noch mal auf das Schreiben, und sagte: „ Da ist etwas schief gelaufen. Ich muss mich erkundigen.“ Dann stellte sie sich hinter ein Pult, verknotete ihre Hände ineinander und klappte ihr Pferdegebiss auseinander. „Mein Name ist Dr. Lieselotte Schratznstaller-Rehkötter. Meine Vorfahren waren keine Waldschratze oder Jagdhunde, ha, ha, ha. Ich bin Diplom-Psychologin und ich weiß, dass Sie nicht freiwillig hier sind. Aber sehen Sie es mal positiv: Wenn Sie nicht hier wären hätte ich keine Arbeit.“ Diese Erkenntnis schlug ein wie eine Bombe. „Das heißt also, das Arbeitsamt hält diese Kurse, damit arbeitslose Diplom-Psychologen beschäftigt sind“, bemerkte der Jüngste in der Runde. „Aber nein“, rief Frau Dr. Lieselotte Schratznstaller-Rehkötter. „Ich will Ihnen zu einem lebenswerten Leben verhelfen. Man muss immer das Positive sehen. Nur wenn man eine Situation positiv betrachtet, bekommt man auch positive Ergebnisse. Ich habe zum Beispiel meine Praktikumstelle im Kindergarten nur bekommen, weil ich in Mathematik eine Vier hatte. Die Schwester Oberin meinte, wenn ich in diesem Fach auch noch eine Eins gehabt hätte, dann hätte sie mich nicht genommen. So was Vollkommenes sei ja direkt unheimlich. Dann wäre ich vielleicht heute nicht hier.“ In mir keimte Mitleid für diese gescheiterte menschliche Existenz auf. Niemand nahm von ihrer Beinahevollkommenheit Notiz; nur ein paar arbeitslose unterste Chargen erfuhren davon. Die akademische Elite kam ohne Frau Dr. Schratznstaller-Rehkötter aus. „Das wär’ aber schlimm“, meldete sich wieder der Störenfried, ein gut im Futter stehender junger Mann mit Namen Thomas, bei dem ich mich fragte, wie er wohl in diesen Kurs kam. Er hieß Thomas und spielte ganz offensichtlich hier den Klassenclown. „Außerdem ist die Definition Ihres Namens falsch. Es gibt keinen Waldschratz, sondern nur einen Waldschrat. Ein Schratz ist ein ekliges Kleinkind. Ihr Name kann also höchstens etwas mit einem nervigen Kind zu tun haben. Und Köter schreibt man nur mit einem t. „Sind Sie sich da sicher? Die Leute hier reden alle von Wald-schratzn. Und im übrigen habe ich das ganze satirisch gemeint. Müss-te doch eigentlich klar sein.“ „Das heißt nicht satirisch, das nennt man Angriffsverteidigung. Es kann ja sein, dass Ihr Name von Rehköttel kommt. Das sind die Bohnen, die die Rehe scheißen. Vielleicht hat einer Ihrer Vorfahren das l durch ein r ersetzt. Vielleicht hatte er einen Stall voller Kinder, bzw. Schratzn.“ Frau Dr. Schr.-R. hielt sichtbar die Luft an. Ihr Brustkorb schwoll. „Aber es gibt schlimmeres“, fuhr Thomas ungerührt fort. „Ich kann-te mal einen, der hieß Schweißfuß. Er hatte sich ein w in seinen Namen montieren lassen. Vorher hieß er anders. Das sind Schicksale. Oder Sie würden Nase heißen, und einen Zinken im Gesicht haben wie Cyrano de Bergerac.“ Er grinste, während alle auf Frau Dr. Schr.-R.s Nase starrten, die dem literarischen Vorbild ziemlich nahe kam. Frau Dr. Schr.-R. flehmte. So sagt man, wenn ein Pferd die Oberlippe hochzieht und sein Gebiss entblößt. Das kann bedeuten a) eine rossige Stute riecht einen Hengst und überlegt, ob sie ihn nehmen soll, b) ein Hengst riecht eine rossige Stute, aber er überlegt nicht, er nimmt jede, c) das Pferd hat Schmerzen oder Angst und geht in Angriffsstellung. Bei Frau Dr. Schr.-R. konnte man a) und b) sicher vergessen, ob c) infrage kam, ist auch nicht sicher. Ich kann es mir allerdings gut vorstellen. „Kommen wir zur Sache. Meine Aufgabe ist es nicht, hier mit Ihnen Namensforschung zu betreiben.“ Sie warf sich in ihre wieder abgeschwollene Brust. „Wenn Sie positiv denken, werden Sie auch positive Ergebnisse erhalten. 60 Prozent unserer Teilnehmer erhalten in der Regel einen Job.“ „Ja, solange das Amt die Lohnkosten zahlt“, ließ sich Thomas wieder vernehmen. Frau Dr. Schr.-R. überhörte den Einwurf. Sie gab noch einiges über ihre Kompetenz zum Besten und erteilte uns Lebensratschläge, die sie wahrscheinlich in der Zeitschrift „Der kleine Hobby-Psycho-loge“ gefunden hatte. Am Ende des ersten Trainingstages wusste ich: Das konnte nicht gut gehen. Zumindest nicht mit mir. Ich schaute noch bei Frau Huntzinger vorbei. Sie erkannte mich tatsächlich wieder und strahlte übers ganze Gesicht. „Ja, wer sind jetzt sie?“, fragte sie dann Maritta, die neben ihr saß. Sie hatte bereits wieder vergessen, dass Maritta schon den ganzen Tag bei ihr war. Um fünf Uhr nachmittags brachten wir sie ins Bett. Maritta ging heim, um ihrem Alten das Abendessen zu kochen, ich legte mich auf eine Sonnenbank im Solarium „Sonn dich glücklich“ und verließ den Bräunungsschuppen mit einem äußerst gereizten Hintern. Er war noch nie in entblößtem Zustand der Sonne oder einer starken künstlichen Lichtquelle ausgesetzt worden. Ich biete meine unaus-sprechlichen Körperteile nicht im öffentlichen Raum dar, wie es sich für einen rechten Christenmenschen gehört. Aber auch für einen rechten Christenmenschen gibt es Situationen, in denen Kleidung eher hinderlich ist. Und dann steigert ein Anflug von goldener Bräune der Haut das Selbstbewusstsein sicher besser, als ein Anflug von Leichenblässe. Zuhause legte ich mich mit einer kühlenden Cremeschicht auf meinem Gesäß und Beethoven im Ohr auf den Bauch, um mein schweres Los zu beweinen. Musik, mit wenigen Ausnahmen, ist meine große Liebe. Sie gehört zu mir wie der Schimmel zum Käse. Ich verwende Musik ent-sprechend meinen häuslichen Tätigkeiten und Stimmungen: Elvis oder Vivaldi zum Frühstück, Bach oder Hubert von Goisern zur Hausarbeit, zum Bügeln eignet sich Mozart oder Joe Cocker sehr gut, und Schubert oder Joan Baez lassen mich auf einer Woge diffuser seliger Wehmut schwimmen. Beethoven hat eine Sonderstellung in meiner Musikarena. Ihn gibt’s nur zu besonderen Gelegenheiten, vor allem wenn ich Trost brauche, weil mich die schnöde Welt ungerecht behandelt, oder wenn mich ein umfassender Weltschmerz ergreift. Dann verbrüdert sich seine Musik mit meinem Leid, bis es sich in ein unbeschreiblich bittersüßes Glücksgefühl verwandelt und ich in einem Parallel-universum aus Klängen schwebe, unerreichbar von Erdenschwere und ungespültem Geschirr. Beethoven macht glücklich. Beethoven befreit. Er stellt keine doofen therapeutischen Fragen: Wie fühlst du dich dabei? Was empfindest du dabei? Es ist ihm wurscht, wie du dich dabei fühlst. Er trifft mit der Wucht seiner Musik direkt in deinen Hypothalamus und setzt sämtliche verfügbaren Glückshormone in Marsch. Aber du musst dich ihm hingeben. Kein Bügelbrett, kein Staubtuch, kein Strickzeug, kein Kochlöffel. Beethoven duldet keine fremden Götter neben sich. Er will dich ganz oder gar nicht. Und er macht süchtig. Aber er hat noch ganz andere Qualitäten.