L.P Hartley - Ein Sommer in Brandham Hall / The Go Between

  • Kurzbeschreibung (Quelle: amazon)

    […] Die Vergangenheit ist ein fremdes Land.

    Leo Colston ist ein Mann fortgeschrittenen Alters, als er in einem alten roten Karton auf sein Jugendtagebuch stößt. »Tagebuch für das Jahr 1900« steht darauf, und dieser Fund lässt Leo Colston in Gedanken zurückgehen in jenen Sommer 1900, als er dreizehn war:

    Während der Ferien auf dem Landgut der Eltern seines Schulfreundes wird Leo zum Überbringer heimlicher Liebesbotschaften zwischen Ted, dem Pächter, und Marian, der schönen Tochter des Schlossherrn, deren Verlobung mit Lord Trimingham kurz bevorsteht. Gegen seinen Willen zieht es Leo immer tiefer in den Strudel des gefährlichen Spiels von Verlangen und Verrat, von versprochener und verbotener Liebe, und schließlich steht er vor der ersten großen Gewissensentscheidung seines jungen Lebens.

    Ein Sommer in Brandham Hall ist ein raffiniert konstruierter Roman über die Strapazen des Erwachsenwerdens und die Gefühlswirren der Jugend, eine fein beobachtete Gesellschaftsanalyse und eine wunderbare Liebesgeschichte. […]


    Autor (Quelle: amazon)

    Leslie Poles Hartley, 1895 in Whittlesey in England geboren, studierte neuere Geschichte in Oxford und machte sich einen Namen als Literaturkritiker, bevor er sein preisgekröntes Debüt Das Goldregenhaus schrieb. Der eigentliche Durchbruch gelang ihm jedoch erst 1953 mit Ein Sommer in Brandham Hall, einer der schönsten englischen Romane des 20. Jahrhunderts. 1972 starb Hartley im Alter von 76 Jahren in London.


    Allgemeines

    Titel der Originalausgabe: „The Go-Between“ (Erstveröffentlichung 1953), aktuelle Übersetzung von Wibke Kuhn

    Erscheinungstermin: 2. Mai 2019 im Eisele Verlag als HC mit 400 Seiten
    Gliederung: Prolog – 23 Kapitel – Epilog

    Ich-Erzählung von Leo Colston

    Handlungsort und -zeit: Brandham Hall, England, im Sommer 1900


    Inhalt

    Als Mann von 65 Jahren stößt Leo Colston auf ein Tagebuch, das er als zwölfjähriger Junge geführt hat, als er von seinem Internatsfreund Marcus Maudsley eingeladen wurde, im Sommer 1900 ein paar Wochen bei dessen Familie in Brandham Hall zu verbringen.

    Leo ist ein argloser, naiver Junge, der die Ferien bei der wohlhabenden Familie genießt, er schwärmt auf seine kindliche Weise für Marian, die ältere Schwester seines Freundes und idealisiert sie. Er ist auch von Lord Trimingham, einem Grafen, den Marian auf Wunsch ihrer Mutter heiraten soll, beeindruckt. Und er mag den Bauern und Pächter der Maudsleys, Ted Burgess, in dessen Scheune er gern spielt. Die Fassade eines perfekten Sommers bekommt erste Risse, als Marian und Ted Leo damit beauftragen, Briefe hin und her zu transportieren. Zunächst glaubt er trotz der Heimlichkeiten, es handle sich um „geschäftliche“ Briefe, doch als er einmal - eher zufällig – einen Blick auf die ersten Zeilen eines Briefes erhascht, wird ihm klar, dass zwischen Ted und Marian eine Beziehung besteht, die das Tageslicht scheuen muss. So bekommt er einen ersten Einblick in die Welt der Erwachsenen und gerät in einen Gewissenskonflikt, da er sowohl Marian und Ted als auch Lord Trimingham mag und sich den Gastgebern, Marians Eltern, verpflichtet fühlt. Außerdem schockiert ihn die Erkenntnis, dass die von ihm idealisierte Marian durchaus berechnend ist und sich nicht nur um seiner selbst willen mit ihm beschäftigt.


    Beurteilung

    Der Prolog gibt einen Einblick in das Leben eines Internatsschülers im England des Jahres 1900, er schildert den noch kindlichen Charakter des Ich-Erzählers Leo Colston und erklärt, wie es zu dessen Besuch in Brandham Hall kommt. Der Hauptteil, der sich mit Leos Besuch bei der Familie seines Schulfreundes befasst, lässt den Leser anschaulich und eindrücklich zum Zeugen einer Entwicklung werden, während der Leo vom naiven Kind zum Jugendlichen wird, der erstmals einen Blick in die Welt der Erwachsenen werfen kann und den das – bis dahin uninteressante – Thema des „Herumpoussierens“ beschäftigt. Was in einem in der Gegenwart spielenden Roman unglaubwürdig wirken würde, erscheint vor dem Hintergrund der geschilderten Zeit, dem letzten Jahr der Regentschaft von Queen Victoria, absolut realistisch: Leo ist nicht nur kindlich, sondern offenbar über die Beziehungen zwischen Mann und Frau völlig unaufgeklärt. Trotzdem entwickelt er instinktiv ein feines Gespür für Recht und Unrecht, sein Gewissenskonflikt wird großartig verdeutlicht.

    Als es in Brandham Hall zum Eklat kommt, ist der Junge psychisch überfordert. Erst in der Retrospektive als reifer Mann kann er die Vorfälle des Sommers 1900 zuordnen und er reist im Jahr 1952 noch einmal nach Brandham Hall, um zu erfahren, wie es den am damaligen Drama Beteiligten seither ergangen ist. Dieser Epilog gibt auch dem Leser einen Abschluss und beantwortet Fragen, über deren Antworten er vorher nur spekulieren konnte.


    Fazit

    Ein sehr lesenswerter Roman der leisen Töne, der einen einfühlsamen Einblick in die Gefühlswelt und Reifung eines zwölfjährigen Jungen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gibt!

    9 Punkte

  • „Die Vergangenheit ist ein fremdes Land, man macht die Dinge anders dort“.

    Leo Colston findet beim Aufräumen eine alte Schachtel mit Erinnerungsstücken. Leo ist Anfang 60 und die Schachtel weckt Erinnerungen in ihm an seine Kindheit. Als er 12 war verlebte er einen Sommer bei einem Freund aus seinem Internat und dessen Familie in Brandham Hall, einem Landhaus in Norfolk. Leo kommt aus mittelständischen Verhältnissen und ist nicht gewohnt an den vornehmen Lebensstil der Maudsleys. Da er der großen Schwester seines Freundes gefallen will, übernimmt er willig Botendienste für sie. Dabei handelt es sich um Briefe, die Marian, so der Name der jungen Frau, mit einem Bauern, der auf dem Land der Mausleys lebt und arbeitet, tauscht. Man schreibt das Jahr 1900 und so handelt es sich hier um eine verbotene Liebe. Marian soll einen Lord heiraten. Leo gerät ahnungslos in die Verwicklungen und das Drama, das sich daraus entwickelt. Instinktiv errät der naive Junge, das diese Beziehung nicht richtig ist und als er sich zurückziehen will, löst er eine Kette von Ereignissen aus.


    Wenn man das Buch zur Hand nimmt, sollte man sich bewusst sein, das es breites 1956 erschienen ist und im Jahre 1900 spielt. Die Sprache ist auf eine wunderschöne Art altmodisch und wunderbar zu lesen. Leo erzählt uns als Erwachsener rückblickend auf jenen Sommer und was er dort erlebte. Leo kommt aus nicht ganz so gehobenen Verhältnissen. Dessen ist er sich bewusst und er versucht schon als Kind, den Schein zu erwecken, er wäre etwas besser gestellt. Marcus, sein Freund, ist sich seiner Stellung schon sehr bewusst. Der Autor zeichnet ein sehr genau beobachtetes Bild der englischen Gesellschaft und ihrer Standesdünkel zu jener Zeit. Ein Cricketspiel zwischen den Brandham Hall und den örtlichen Dorfbewohnern zeigt uns einen Einblick in die feinen Unterschiede der beiden Schichten.


    „Ein Sommer in Brandham Hall“ erzählt uns die wehmütige Erinnerung von Leo an einen Ferienaufenthalt, der seine Kindheit beendete und sein Leben als Erwachsener beeinflusste. Man kann eintauchen in eine untergegangene Zeit mit all ihren komplizierten Verhaltensmechanismen und Kleiderordnungen und auch Dramen. Ich als England-Liebhaber habe dieses Buch genossen.