Der kluge Regenbaum – Kenzaburo Oe


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    Verlag: Fischer, 1994
     
    Kurzbeschreibung:
    Soweit das Werk des Autors in deutscher Sprache nachzulesen ist, findet man bei ihm häufig diese Themenkomplexe wieder: die kleine überschaubare, durch die Zivilisation zutiefst verstörte Dorfwelt seiner Heimatinsel Shikoku; geistig behinderte Menschen (zumal Kinder); Angst vor Identitätsverlust (oder tatsächlich eingetretener Identitätsverlust); unüberbrückbare Gegensätze zwischen traditionell japanischen und amerikanischen Denk- und Verhaltensweisen. Diese Aspekte finden sich auch in diesen Erzählungen. Der Sündenbock handelt von einem japanischen Mediziner, dessen Diplome in Mexiko nicht anerkannt werden und der sich nur im sozialen Abseits durchschlagen kann.
     
    Über den Autor:
    Kenzaburô Ôe, geboren 1935 auf der Insel Shikoku, Romanistik-Studium an der Tokyo University mit einer Abschlussarbeit über Sartre. Er schrieb Essays, Geschichten und Romane. Mit 23 Jahren erhielt Ôe den renommierten Akutagawa-Preis, es folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen – darunter 1994 der Nobelpreis für Literatur. Ôe lebt in Tokio. Zuletzt ist von ihm der Roman »Licht scheint auf mein Dach« erschienen.
     
    Mein Eindruck:
    Dieser Erzählungsband von Kenzaburo Oe enthält neben 3 Kurzgeschichten einen ca. 120seitigen Kurzroman, den ich ziemlich beeindruckend finde.
    Der Titel lautet Der Sündenbock.
    Der japanische Literaturnobelpreisträgergeht sehr weit, wenn es gilt den emotionalen Zustand seines Protagonisten zu zeigen. Verblüffend ist die gewählte Erzählform. Den kompletten Kurzroman hindurch spricht der Erzähler in New Mexico zu einem Professor.
    Eine regelrechte Litanei. Er spät erfährt man, dass der Professor narkosiert auf dem Behandlungstisch liegt, während der Erzähler, ein japanischer Mediziner, ihm zwei Backenzähne zieht. Dabei gibt es für den Leser die ganze Lebensgeschichte zu erfahren. Es beginnt in der Kindheit des Erzählers, als er ungewollt Schuld auf sich lädt. Diese Schuldgefühle beherrschen ihn sein ganzes Leben lang und selbst in Mexiko fühlt er sich verfolgt.
    Es ist imposant, wie der Autor nie Locker lässt, die Intensität immer mehr steigert und noch einen Dreh und noch einen Dreh an der Schraube tätigt. Dadurch wird es ein nicht einfach zu verdauender Text über einen Menschen mit gequälter Seele.
     
    Dieser Kurzroman ist für mich der Höhepunkt des Buches, während die Kurzgeschichten leicht essayistisch geprägt wirken.
     
    Am Ende des Buches folgt mit dem Titel „Erinnerung und Imagination“ noch ein Text über Kenzaburo und sein Werk. Erinnerung und Imagination wäre auch ein guter und treffender Titel für den Kurzroman gewesen.


    ASIN/ISBN: 3596132355