Wir von der anderen Seite - Anika Decker

  • Wir von der anderen Seite

    Anika Decker

    Ullstein Hardcover

    ISBN: 978-3550200373

    384 Seiten, 20 Euro


    Über die Autorin: Anika Decker, geboren 1975 in Marburg, lebt und arbeitet als Drehbuchautorin und Regisseurin in Berlin. 2007 gelang ihr mit ihrem Drehbuchdebüt Keinohrhasen der Durchbruch, der Film zählt zu den 15 erfolgreichsten deutschen Filmen aller Zeiten. Danach folgte das Drehbuch zu RubbeldieKatz, was auch ein großer Publikumserfolg war. 2015 debütierte Anika Decker als Regisseurin, der Film Traumfrauen nach eigener Vorlage war eine der erfolgreichsten Kinoproduktionen des Jahres. Darauf folgte ihre zweite Regiearbeit High Society, die auf Anhieb auf Platz eins der Kinocharts landete. Wir von der anderen Seite ist Anika Deckers erster Roman.


    Rahel Wald erwacht und muss mitansehen, wie ein abgemagerter und knochiger Körper gewaschen wird. Als sie sich angeekelt wegdrehen will, begreift sie, dass es ihr Körper ist, der gerade von einer Pflegekraft mit einem Waschlappen bearbeitet wird. Extrem langsam reihen sich Bruchstücke der letzten Zeit aneinander; Rahel hatte aufgrund eines Ärztefehlers ein Multiorganversagen, lag im Koma und gehört zu den wenigen Patienten, die so etwas gut überstanden haben. „Gut“ – das ist allerdings nur die Meinung ihrer liebenswert chaotischen Familie, denn Rahel fühlt sich alles andere als gut; sie bekommt in ihrem Krankenzimmer regelmäßig Besuch von einem winkenden und tanzenden Eichhörnchen, ihr Lebensgefährte ist irgendwie komisch drauf und ihr Körper ist auch nicht mehr das, was er einmal war…


    Rahel erkämpft sich den Weg zurück ins Leben und in ihre Unabhängigkeit. Über das Thema ließe sich ein weiterer langweiliger Roman über eine „starke Frau“ auf einem Selbstfindungstrip schreiben, doch Anika Decker hat diesen Stoff so humorvoll umgesetzt, dass man trotz des eigentlich traurigen Themas das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekommt. Der Stoff wird so realistisch erzählt, dass man beim Lesen alle Figuren vor sich sehen kann und schnell ahnt, dass die Autorin eigene Erfahrungen mit Koma, Klinik und Ärzten eingebracht hat. 2010 ist ihr genau das passiert, was nun Rahel im Roman zustößt. Zufälligerweise hat Rahel auch denselben Beruf wie Anika und so bekommt man nebenbei noch einen kleinen Einblick, wie es bei einer Drehbuchautorin so zugeht.

    Selten habe ich mich bei einem Roman so amüsiert, wie bei „Wir von der anderen Seite“. Anika Decker trifft genau meinen Humor und ich hoffe, dass dieses Buch nur das erste von vielen weiteren Büchern sein wird. Danke für dieses intensive, traurige, urkomische und absolut unterhaltsame Leseabenteuer.


    »Pass auf, ich habe einen mexikanischen Schamanen für dich aufgetrieben, der hat aber nur heute Zeit! Ich schick dir gleich die Adresse, wo du ihn abholen musst.« »Ist der diplomierter Hexer, oder wie? Auf gar keinen Fall mach’ ich das!« »Klar machst du das! Du brauchst noch neunzigprozentigen Alkohol, destilliertes Wasser, eine weiße Blume und ein Ei. Habe ich dir alles besorgt, bring’ ich vorbei.« Dann legt er auf, um eine Minute später noch mal anzurufen. »Bist du noch nicht weg? Beeil dich, du kannst einen Schamanen nicht warten lassen!« Ich sehe ein, dass ich keine Wahl habe, und kämpfe mich vom Sofa hoch. An der Bushaltestelle steht ein hübscher, schmaler Mann mit Zöpfen und einer bestickten Jacke mit einem Hirsch drauf, die aus mindestens zwanzig verschiedenen Farben besteht. Ich tippe mal, dass das mein Mann ist. Er folgt mir hinunter in den U-Bahn-Schacht und stellt sich auf Englisch als Jesus vor. Wie auch sonst."

  • Der Roman hat einige sehr genaue und glaubwürdige Beschreibungen darüber, wie es einem bei einer schweren Erkrankung geht. Krankenhaus, Pfleger und gute wie schlechte Ärzte, Versicherung und Therapie.

    Der Roman wäre, glaube ich, schwer zu ertragen, hätte nicht die Erzählerin so viel Humor.

    Ich war auch froh, dass ihre Familie, z.B. auch ihr Bruder, sie so gut unterstützen. Trotzdem ist die Genesung ein langer Weg. So ein Buch macht einen jedoch Mut!

  • Als Rahel Wald in einem Krankenhaus wach wird, versteht sie erst mal gar nichts: Wo ist sie? Warum ist es so laut? Und was sollen die Schläuche? Sie ist fiebrig, wirr im Kopf, kann nicht normal essen und reden – und sie hat Schmerzen. Erst nach und nach begreift die junge Drehbuchautorin: Sie lag nach einer schweren Blutvergiftung im Koma. Unter dem Einfluss von Medikamenten hat sie Albträume und Halluzinationen. Sie glaubt unter anderem, winkende und tanzende Eichhörnchen zu sehen. Schafft sie es von der anderen Seite zurück ins Leben? Unterstützung bekommt sie von ihrer etwas verrückten Familie. Rahel wird immer klarer: Ihr Leben ist viel zu kostbar, um es nach fremden Erwartungen auszurichten. Sie will es von jetzt an selbst in die Hand nehmen.


    „Wir von der anderen Seite“ ist der Debütroman von Anika Decker.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus 19 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Die Geschichte wird im Präsens und in chronologischer Reihenfolge erzählt – und zwar in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Rahel. Zwischendurch gibt es kurze Rückblenden. Dieser Aufbau funktioniert gut.


    Der Schreibstil ist locker und anschaulich. Trotz der ernsten Thematik trifft die Autorin einen humorvollen und selbstironischen, aber nicht zu übertrieben flapsigen Ton. Obwohl der Leser sehr unmittelbar in die Geschichte geworfen wird, fällt der Einstieg nicht schwer.


    Mit Rahel steht eine sympathische und selbstbewusste Protagonistin im Vordergrund, deren Gedanken- und Gefühlswelt ich gut nachvollziehen kann. Auch die übrigen Charaktere wirken authentisch.


    Angesprochen hat mich der Roman vor allem wegen seiner Thematik. Die Frage, wie es einem Menschen ergeht, der einen solchen Schicksalsschlag erleidet und sich wieder zurückkämpfen muss, stellt sich vielen von uns an dem einen oder anderen Punkt im Leben. Dass die Autorin selbst bereits ähnliche Erfahrungen machen musste und autobiografische Elemente eingearbeitet hat, wird an einigen Stellen deutlich, denn die Schilderungen kommen sehr realitätsnah rüber. Das hat dazu beigetragen, dass mich das Buch immer wieder nachdenklich gemacht hat. Doch zugleich ist das Buch mehr als nur eine Krankheitsgeschichte, denn es erzählt von der Entwicklung einer jungen Frau, die durch ihr Schicksal lernt, ihren eigenen Weg zu gehen.


    Eine Stärke des Romans ist es, dass er auf mehrfache Weise berühren und unterhalten kann. Traurige, betroffen machende Passagen wechseln sich ab mit witzigen Momenten. Das verhindert, dass die Stimmung zu düster wird, und lässt die Geschichte trotz der fast 400 Seiten nicht langatmig werden.


    Das Cover der gebundenen Ausgabe gefällt mir sehr. Darüber hinaus passt das winkende Eichhörnchen gut zum Inhalt. Der Titel macht neugierig und ist ebenfalls treffend gewählt.


    Mein Fazit:

    „Wir von der anderen Seite“ von Anika Decker ist ein außergewöhnlicher Roman, der mich sowohl gut unterhalten als auch emotional berühren konnte. Eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich nicht nur mit seichten Wohlfühlgeschichten beschäftigen wollen.


    Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen.