'Der Apfelbaum' - Seiten 246 - 328

  • Jetzt sehe ich, dass Christian Berkel (auch) die Geschichte seines Vaters schreiben wollte, wie ihr im vorigen Abschnitt sagtet. Hier spielt Otto eine größere Rolle.

    Ich habe lange gedacht, dass Otto in der Kriegsgefangenschaft gestorben ist, weil ich im Anfangskapitel so von den Zeitangaben der Mutter mit verwirrt wurde, dass ich zu diesem Schluss kam. Nun passt es ja doch.

    Das ist nicht nur ein Buch der starken, um sich und ihre Kinder und aller Leben kämpfenden Frauen, sondern auch ein Roman der verwundeten Männer, die der Krieg äußerlich und auch innerlich versehrt hat.

    Ottos Vater zum Beispiel hat seine Kriegserlebnisse nie verwunden. Ich will ihn hier gar nicht verteidigen, so wie er Frau und Kinder behandelt und geschlagen hat, aber wie er da in der Küche still und unbeachtet stirbt, während sein heldenhafter Schwiegersohn mit seinen Freunden säuft...Da tat er mir Leid.

    Salas und Ottos Leben nach dem Krieg spielt sich in so verschiedenen Welten ab.

    Otto kämpft, immer, erst um sein Leben, dann um seine Arbeit und Anerkennung, aber innerlich ist er leer. Und er hat seinen Fixpunkt verloren, Sala, oder er meint es wenigstens, weil er sie bei seinem Nebenbuhler vermutet.

    Und Sala? Sie kämpft um ihr Leben, um Nahrung für sich und ihre Tochter, um den Funken Erinnerung, die sie an Otto hat und aus dem sie sich eine buntere Zukunft malt. Und sie ist überfordert.


    Ich kann hier irgendwie gar nicht so viel schreiben. Es ist viel passiert und das Buch liest sich nach wie vor sehr gut und kurzweilig, aber mir fehlt hier gerade die Blende zum Autor.

    Was empfindet er bei all dem, was er erfährt?

  • Ich leide gerade mit Otto in seinem Kriegsgefangenenlager.

    Zitat von Seite 316 mit Bezug auf Deutschland: " Daraus konnte nichts Neues wachsen. Der Boden war für immer verseucht. Am besten wäre es, man würde alles auslöschen, das ganze Deutsche Reich von der Landkarte streichen. Für immer."

    Was bleibt ihm auch? Zutiefst desillusioniert, ohne irgendeinen Anhaltspunkt, wie lange er noch in dem elenden Kriegsgefangenenlager ausharren muss.


    Ich muss gerade immer an die Lesung von Primo Levi denken und immer wieder die Frage: Ist das ein Mensch?

  • Ich habe dauernd die Gedanken, dass Sala an jedem ihrer Aufenthaltsorte immer tausendfach Glück hatte, überleben zu können. Mehrfach ist sie gerade mal soeben noch davongekommen.


    Nach den anfänglichen Problemen in den ersten beiden Abschnitten gefällt mir nun das Buch recht gut.

  • Ich habe dauernd die Gedanken, dass Sala an jedem ihrer Aufenthaltsorte immer tausendfach Glück hatte, überleben zu können. Mehrfach ist sie gerade mal soeben noch davongekommen.

    Auf der einen Seite Glück, auf der anderen Seite wundere ich mich immer, nicht nur in dieser Geschichte, wie lange Menschen gewartet haben. Anstatt rechtzeitig zu fliehen, warten sie ab.

  • Dieses Thema wird in Ulrike Renks Seidenstadt-Trilogie behandelt. Die Leute wollten fliehen und kamen irgendwann nicht mehr raus und niemand wollte sie haben. Und vorher war es unvorstellbar, dass alles so grauenhaft und tödlich werden würde. Die Leute hatten in Deutschland aber auch ihre Heimat und wirtschaftliche Existenz und teilweise zuvor im ersten Weltkrieg für Deutschland - ihr Vaterland - ihr Leben riskiert.

  • xexos, da hast du ja völlig recht. Wir haben es da leicht, da wir wissen, wie es ausgegangen ist. Viele Menschen hatten auch gar nicht die Mittel, zu fliehen.

    Zumal keiner sie haben wollte.

    Mich beschäftigt das Thema immer mal wieder, weil es ja nicht nur die Menschen in Deutschland betroffen hat, sondern auch französische Juden, die ebenfalls blieben, in der Hoffnung, es werde ihnen nichts geschehen und oft genug mit ihrem Leben dafür bezahlt haben.

  • Auf der einen Seite Glück, auf der anderen Seite wundere ich mich immer, nicht nur in dieser Geschichte, wie lange Menschen gewartet haben. Anstatt rechtzeitig zu fliehen, warten sie ab.

    Sie wollte ja fliehen und hatte schon die Tickets für das Schiff nach Amerika. In Frankreich hatte sie einmal kein Glück und wurde verraten. Klar, wahrscheinlich war das zu spät.

    Ich finde sehr gut, wie der Autor es schafft, die unterschiedlichen Gemütszustände zu beschreiben. Sala verzweifelt ja unter anderem daran, dass sie als Jüdin eingestuft wird, obwohl sie diese Religion gar nicht praktiziert. Ihr wird ihre Daseinsberechtigung genommen aufgrund ihrer Geburt, für die sie nichts kann. Der Irrsinn und Wahnsinn des braunen Gedankenguts wird in diesem Buch sehr deutlich.

    Ottos Überlebenskampf im Gefangenenlager geht mir nah. Berkel schildert auch dies ohne Effekthascherei.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Sala verzweifelt ja unter anderem daran, dass sie als Jüdin eingestuft wird, obwohl sie diese Religion gar nicht praktiziert. Ihr wird ihre Daseinsberechtigung genommen aufgrund ihrer Geburt, für die sie nichts kann. Der Irrsinn und Wahnsinn des braunen Gedankenguts wird in diesem Buch sehr deutlich.


    Es muss für junge Menschen wie Sala schlimm gewesen sein, nicht mehr dazuzugehören. Vor der Machtübernahme der Nazis haben sie ein ganz normales Leben geführt, sind auf die Schule gegangen und das war alles nicht mehr möglich.

    Diese Ausgrenzung aus der Gemeinschaft ist und war der Beginn allen Übels, auch heute noch.