Tilman Röhrig las am 09. Juni 2020 in Düsseldorf

  • Wie schon bei der Lesung mit Jackie Thomae sah der große Saal im Gebäude des Literaturbüros auf den ersten Blick so aus, als ob dort eine Abiprüfung stattfinden würde. Rund 30 Tische mit Stühlen, großzügig verteilt, jeder mit dem Programm der Literaturtage und eine Blume geschmückt. Diesmal waren alle Plätze belegt und über die Hälfte von Männern. (Sonst ist die Männerquote bei Lesungen deutlich niedriger.)


    Tilman Röhrig betrat sichtlich gut gelaunt und in Plauderlaune die Bühne, um aus seinem neuen Roman „Und morgen eine neue Welt vorzulesen, in dessen Mittelpunkt Friedrich Engels steht. Als dessen Urgroßneffe hat Tilman Röhrig einen sehr persönlichen Bezug zu diesem Roman, der pünktlich zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels nächstes Jahr erscheint. Anlässlich der Lesung in Düsseldorf hatte er nachgeschaut, wie seine Figuren damals von Düsseldorf nach Brüssel gereist wären – wo der Roman beginnt. Überraschenderweise wäre es mit dem Raddampfer losgegangen.



    Den ersten vorgelesenen Abschnitt kann man auf Tilman Röhrigs Internetseite lesen. Bei diesem Abschnitt wollte ich fluchtartig den Raum verlassen, nicht schon wieder ein historischer Roman aus der Perspektive einer Bediensteten und nicht schon wieder ausführliche Beschreibungen der Aktivitäten übergriffiger Männer…



    Die Zuhörer lernten Helene Demuth kennen, die beste Magd der Baronin von Westphalen. Diese wurde von ihrer Dienstherrin in den desolaten Haushalt von deren Tochter nach Brüssel geschickt. Jenny von Westphalen lebt dort mit ihrem Ehemann Karl Marx. Im Exil in Brüssel lebten nicht wenige Deutsche, die sich der preußischen Herrschaft entziehen wollten und dort nicht arbeiten durften.



    Die Exilanten trafen sich oft in Hinterzimmern von Kneipen, wo hitzige Debatten geführt wurden. Karl Marx und Friedrich Engels waren auch oft dabei und planen auf dem Heimweg eines dieser Treffen eine Reise nach Manchester, wo sie in der Bücherei die englischen Bücher zur Ökonomie studieren wollen. Engels möchte auch eine junge Frau namens Mary Burns sehen und seinem Freund nicht nur die Theorie in den Büchern, sondern auch die Realität in der Spinnerei seines Vaters zeigen. Die Führung durch die Spinnerei erschüttert Marx, der lieber bei der Theorie bleiben möchte. Mary Burns entscheidet sich, mit Engels auf den Kontinent zu gehen, wo alle drei kein einfaches Jahr erwartet. (Es wurde noch deutlich mehr erzählt, über das Schicksal von Mary Burns und auch die Aktivitäten von Marx und Engels.)



    Später erhielten Marx und Engels den Auftrag für den Bund der Kommunisten dessen Glaubensbekenntnis (sic) zu verfassen, das heute als das „Kommunistische Manifest“ bekannt ist.



    Da die Lesung in Düsseldorf stattfand, las Tilman Röhrig einige Seiten aus der Mitte des Buchs vor, die in Paris spielen. Dort besuchte Friedrich Engels den bereits schwerkranken Heinrich Heine. Die Gesprächsthemen der beiden sind vielfältig, von Politik und Literatur über veilchenblaue Seidenkondome mit dreifacher Naht bis hin zu den Einkaufsgewohnheiten und Papageien von Heines Lebensgefährtin Augustine Crescence Mirat, die Heine Mathilde nannte. Die Papageien sind nach Pharaonen benannt und haben einen sehr farbigen Wortschatz. Auch die barbarischen Behandlungsmethoden der vermeintlichen Syphilis bleiben nicht unerwähnt, eine wahre Rosskur.



    Tilman Röhrig vermutet, dass es sich um Muskelschwund gehandelt haben könnte, weil Heines Verstand bis zum Ende funktionierte, während alles andere seines Körpers nach und nach seinen Dienst verweigerte.



    Die Papageiensammlung von Mathilde gab es tatsächlich und Heine habe sie gehasst, was immer wieder zu Streit geführt habe. Bei Heines Tod habe man 65 Papageien in der Wohnung gefunden.



    Marx habe bei Versammlungen immer kompromisslos versucht, seine Meinung durchzusetzen, was zu Aufspaltungen der Bewegung geführt habe. Letzten Endes seien Marx und Engels aus dem Londoner Arbeiterbildungsverein geworfen worden. Sie würden nur theoretisch denken, das Schicksal der Arbeiter sei ihnen egal. Bei diesem Vorwurf haben Engels innerlich genickt, davon ist Tilman Röhrig überzeugt. Für sie seien Mitglieder mit anderer Meinung die eigentlichen Feinde und sie wetterten mehr gegen Mitstreiter als gegen die Unternehmer.



    Zum Abschluss empfahl Michael Serrer, Leiter der Literaturtage, auch die Lektüre des Kommunistischen Manifests selbst. Es habe mehrere Verfasser gegeben, aber weil Marx sehr gut formuliert habe, sei ihm die Aufgabe zuteil geworden, den Text zu überarbeiten und seinen Namen als einzigen Verfasser zu nennen.

    Tilman Röhrig selbst merkte noch kurz an, dass im Friedrich Engels Haus in Wuppertal-Barmen viele seiner Briefe und anderen Schriften seien. Engels selbst habe keine Kinder gehabt, aber sein Bruder dafür umso mehr und es fänden regelmäßig Familientreffen statt.



    Damit endete die Veranstaltung nach einer guten Stunde, mehr war aufgrund der aktuellen Bestimmungen nicht erlaubt.



    ASIN/ISBN: 3866124309



    P.S. Auf die Frage nach seinem nächsten Roman leuchten die Augen von Tilman Röhrig und er verriet, dass es um Franz Marc gehen wird.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Saiya Ist es denn wenigstens größtenteils authentisch oder konntest Du das mangels Epilog nicht feststellen? Mich interessiert die Thematik des Buches ja sehr.

    Ich habe es nach 200 Seiten abgebrochen und ja, das fehlende Nachwort hat mich extrem gestört. Engels Werdegang scheint nah am echten Engels erzählt zu sein. Der Fokus liegt aber auch sehr auf der Liebesgeschichte mit seiner späteren Ehefrau. Ich hätte lieber ein Buch über Engels gelesen, dass den Schwerpunkt mehr auf seiner politischen Arbeit gelegt hätte. Weil mich vor allem das interessiert, wollte ich das Buch unbedingt lesen.

  • Um die politische Arbeit ging es in dem vorgestellten Abschnitten relativ wenig. Saiya Wundert mich nicht, dass Du es abgebrochen hast.


    "Der Kölner Schriftsteller Tilman Röhrig hat mit viel Fantasie auf historischer Grundlage eine große Liebesgeschichte geschrieben." heißt es beim WDR und der Westfälische Anzeiger macht

    mich eher neugierig auf die zweite Hälfte.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")