Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht

  • finsbury ich bleibe dabei, egal wie lange es dauert :grin

    Es ist sicher auch gelegentlich die Gelegenheit, eine bestimmt Passage noch einmal zu lesen.



    heute noch ist es ja auch so, dass Frauen nicht unbedingt offen über Themen in diesem Zusammenhang reden und sich sehr diskret zurückziehen, um sich zu säubern und zu versorgen, wenn sie ihre Tage haben.

    Heute ist es häufiger, dass sich Frauen untereinander unterhalten und die meisten Mädchen immerhin vorher wissen, was da auf sie zukommt.

    Bis weit in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts ist das noch anders gewesen. Ich habe in meiner Schulzeit keinerlei Aufklärung erlebt und die Information durch meine Mutter war auch nicht besonders hilfreich.

    Da waren Dr. Sommer und die Bravo schon sehr viel informativer.

  • Ja, das stimmt erfreulicherweise schon, dass heute die Menstruation nicht mehr überraschend kommt und kein Tabu-Thema ist, aber auch keins, das besonders offen behandelt wird. Ich kann mich auch nicht recht erinnern, dass ich Sexualkundeunterricht in der Schule hatte, aber das hat das Elternhaus hat sich darum gekümmert


    Inzwischen bin ich ungefähr in der Mitte des Kapitels "Jugend". Hier fällt mir wieder besonders auf, dass das meiste, was Beauvoir schreibt, sich auf das Leben der bürgerlichen Frau in gehobener Schicht bezieht, auch die vielen Launen und Zustände, die sie hier auf die Unausgefülltsein und das entfremdete Objektsein der jungen Frau bezieht, käme bei einer Angestellten oder Arbeiterin oder Bauersfrau gar nicht erst zum Tragen, weil die gar keine Zeit dafür hatte.
    Dennoch betrübt es einen, zu lesen, wie der oft ungestüme Geist des Mädchens immer mehr eingefangen und in in Konventionen geschnürt wurde, auch ihre Neigung zur Bequemlichkeit, die wohl viele Menschen in sich fühlen, instrumentalisiert wurde, um sie dem Mann erfolgreich unterzuordnen.

    Das nimmt man heute oft noch wahr, indem viele Frauen, die während die Kinder klein waren, ganz zu Hause blieben und später auf eine halbe Stelle gingen, das oft bis zum beruflichen Ende beibehalten und dadurch finanziell immer von ihrem Mann abhängig bleiben.

  • Das nimmt man heute oft noch wahr, indem viele Frauen, die während die Kinder klein waren, ganz zu Hause blieben und später auf eine halbe Stelle gingen, das oft bis zum beruflichen Ende beibehalten und dadurch finanziell immer von ihrem Mann abhängig bleiben.


    Das ist auch für viele Männer recht praktisch (nach meinen bestimmt nicht repräsentativen Beobachtungen), da brauchen sie sich nicht um Haushalt und Kinderkram zu kümmern.

    Das allein ist schlimm genug, aber viele Frauen bedenken die finanziellen Folgen noch heute nicht. Das böse Erwachen kommt dann im Fall der Scheidung.



    r fällt mir wieder besonders auf, dass das meiste, was Beauvoir schreibt, sich auf das Leben der bürgerlichen Frau in gehobener Schicht bezieht,

    In diesem Kapitel ist mir das auch besonders aufgefallen - es war nun auch die Klasse, in der sie selbst aufgewachsen ist und in der sie sich bewegt hat. Auch in der Literatur der Zeit sind Arbeiter und Bauern nicht so häufig vorgekommen und ihre Frauen und Töchter auch nicht.

  • Nun habe ich endlich das Kapitel "Jugend" beendet. Eigentlich hätte ich letzte Woche Zeit für viel mehr Beauvoir gehabt, aber im Moment muss ich mich wirklich überwinden, das Buch weiterzulesen. Gerade im Kapitel "Jugend" werden so viele Verhaltensweisen aufgezählt, die nach Beauvoirs Ansatz der Objektivierung des Weiblichen zu schulden ist, dass es einerseits mich runterzieht, mir andererseits schon fast übertrieben vorkommt. Selbst Kleptomanie wird als Frustrationsausgleich im oben geschilderten Bezug dargestellt und alle Unverschämtlheiten junger Mädchen auch. Ich denke, hier gibt es auch noch andere Gründe, außerdem ist Unverschämtheit wohl auch eine Begleiterscheinung der Pubertät und des allgemeinen Protestes gegen die Erwachsenenwelt, egal welches Geschlecht die Jugendlichen haben.
    Ich hoffe, die nächsten Unterkapitel sind nicht so quälend für mich.

  • Naja, viel ansprechender waren die nächsten Kapitel auch nicht. "Erste Erfahrungen" insistiert nochmal sehr nachdrücklich auf den Folgen der Passivität weiblicher Sexualtität, was mir dann schon aus meinen Lesesynapsen herauskam. Einige Anspielungen auf die Leidenschaftlichkeit der Spanierinnen oder auch Frigidität der sportlichen Skandinavierinnen fand ich auch latent rassistisch, da hätte ich Beauvoir für reflektierter gehalten. Vielleicht muss man das der Entstehungszeit schulden, aber eigentlich geht das nicht.

    Auch das Kapitel über die lesbische Liebe betont meiner Meinung zu sehr, dass weibliche Homosexualität eine Folge der Abwehr der Objektivierung durch den Mann sei. Dass hier auch ein Gerüttelmaß von biologisch völlig normaler Veranlagung hinzukommt, war damals wohl noch nicht bekannt.
    Interessant ihre Anmerkungen über die damalige lesbische Szene mit Hinweis auf besondere Exaltiertheiten.


    Jetzt beginnt das über hundertseitige Kapitel über die Ehe. *Seufz*

  • Bewundernswert, dass Du Dich immer noch da durchquälst. Mir sind diese Ansichten einfach zu verstaubt und die Behauptungen ohne wissenschaftliche Grundlage.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Mir sind diese Ansichten einfach zu verstaubt und die Behauptungen ohne wissenschaftliche Grundlage.

    Das Buch hat eben auch ein paar Jährchen auf dem Buckel und wenn ich so manche Neuigkeiten aus der Mitte des 20.Jhs anschaue, ist es immerhin erstaunlich, dass Beauvoirs Buch überhaupt gedruckt wurde,


    Es ist mir allerdings auch schwer gefallen, am Ball zu bleiben - je nach Thema.

    Manches liest man dann eher aus Interesse an eigenartigen Informationen.

  • Ich finde, dass der erste Buchteil eigentlich durchaus schlüssig und auch in den Anmerkungen recht gut belegt ist.

    Aber sobald sich Beauvoir nur noch auf die Literatur, psychoanalytische Fallbeispiele und eigene Beobachtungen in den Grenzen ihrer sozialen Schicht bezieht, sind die Ausführungen eben oft auch subjektiv und zeitgebunden.

  • Ich habe mal den Thread- Titel geändert, weil wir hier fröhlich zum zweiten Buch weitergeschrieben hatten (er hatte als Zusatz "Erstes Buch ...").

    Das Ehe-Kapitel habe ich nun geschafft und kann dazu auch nichts Wichtiges beitragen, es walzt nur aus und beschreibt detailliert, was Beauvoir schon vorher dargestellt hat. Auch hier wird wieder deutlichst klar, dass es fast nur um die Frau aus dem Mittelstand und gehobenen Kreisen geht, die ihr Leben bis in die Achtziger des vorigen Jahrhunderts als Hausfrau und Mutter verbrachte.

    Die normale arbeitende Bevölkerung, die ganzen Arbeiterinnen, Angestellten, Bäuerinnen usw. kommen nur am Rande vor, und es wird aufgezeigt, dass sie noch zusätzlich die Hausarbeit zu tragen hatten (und oft noch haben).

    Interessant ist das Ende des Kapitels, die Darstellung der Deutungshoheit der Welt durch den Ehemann. Der Mann trägt seine Meinung vor, doziert über Politik, Gesellschaft und Sport, die Frau hört zu, ob sie dem Mann nun zustimmt oder anderes denkt. Dieses Verhalten kann man auch heute oft noch bemerken, z.B. bei Interviews auf der Straße. Wenn ein Paar interviewt wird, interessanterweise auch ein junges, redet deutlich häufiger der Mann als die Frau, sie lächelt und nickt nur.

    Nun komme ich zu dem Kapitel über die Mutter, das mich noch weniger anturnt. Aber danach wird es vielleicht wieder interessanter.

  • Es ist mir allerdings auch schwer gefallen, am Ball zu bleiben - je nach Thema.

    Manches liest man dann eher aus Interesse an eigenartigen Informationen.

    Das kann ich nur bestätigen, z.B. was man über Tolstois Frau Sophia erfährt. Ein durch Ohnmachtsgefühle erzeugter Drachen, den Tolstoi wohl verantwortlich mit erschaffen hat und dem er später möglichst oft entflieht.
    Was muss das früher oft für eine Ehehölle für beide Teile gewesen sein, die sich auch gesellschaftlichen Gepflogenheiten und wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht voneinander trennen konnten!

  • Inzwischen habe ich die Kapitel "Mutter", "Dirnen und Hetären" sowie "Von der Reife zum Alter" hinter mir. In Einzelbeobachtungen sicherlich interessant, aber mir geht die Verallgemeinerung etwas auf die Nerven. Man erhält den Eindruck, dass Frauen seit fünftausend Jahren, aber besonders in der bourgeoisen Zivilisation des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überhaupt gar keine Chance hatten, ein, ich nenne es mal geistig gesundes Leben zu führen. Durch ihre Abhängigkeit vom Mann und die damit einhergehende Demütigung ihrere Persönlichkeit, die sich nicht frei entwickeln konnte, sind sie alle gestört, von Psychosen verfolgt bzw. werden für ihre Umgebung durch falsche Selbstübersteigerung und Zwangsvorstellungen zur ständigen Prüfung.

    Eine besonders negative Entwicklung will Beauvoir in den USA sehen. Die dortige befreite und selbstbewusste Frau ist das nur scheinbar und nur noch stärker gehemmt, weil sie die Emanzipation angeboten bekommt (College-Studium) und dann zurückgepfiffen wird. Auch Hollywood wird aufs Korn genommen, und die damaligen weiblichen Stars vergleicht Beauvoir mit den europäischen Hetären: Sie lebten nicht durch ihre Leistung, sondern durch ihre vom Regisseur gesteuerte Schönheit und Eleganz in den Filmen, waren also keine echten Schauspielerinnen, sondern gestylte Kostümpuppen, die von ihrem Begleiter und Gönner, einem wesentlich älteren Produzenten oder anderen mächtigen Mann, abhängig waren.

    Mit der alternden Frau geht die Autorin auch nicht viel besser um: Ihre Kinder, die sie fast immer falsch erzieht, wie das Kapitel "Mutter" darlegt, benutzt sie als Projektionsfläche ihrer Wünsche und ist eifersüchtig, sobald diese ihre eigenen Wege gehen.

    Angesichts all dieser Dramen wundert man sich tatsächlich, dass die Menschheit immer noch besteht und nicht von Milliarden weiblicher Psychopaten in die Degeneration getrieben wurde.

    Das ist ein Buch, das sich mit der Frauenrolle auseinandersetzt, das ist schon klar, aber man erhält wirklich den Eindruck, dass der Mann,der sich nach der Gesellschaft und seiner Arbeit hin transzendieren kann und daher geistig gesund bleibt und sich in seinenm Privatleben mit einem Haufen hysterischer Frauen herumschlagen muss, die er gar nicht ernst nehmen kann. Dass aber bisher fast ausschließlich die männlichen Psychopaten für die größten von Menschen angerichteten Katastrophen zuständig waren, verschwindet dabei im Hintergrund.

    Ich nehme aber an und hoffe, dass Beauvoir jetzt am Ende im Schlussfolgerungsteil die Kurve kriegt und herausarbeitet, welchen Anteil Männer und Frauen an der Situation in der Mitte des letzten Jahrhunderts und in vielen Bereichen heute noch haben und was für eine normale gleichberechtigte Beziehung der Geschlechter an gesellschaftlichen Forderungen, aber auch an Forderungen an jede Frau und jeden Mann selbst zu stellen ist.

  • Ich habe das Werk nun zu Ende gelesen und gehe, mit einigen Abstrichen, doch von einem großen geistigen Gewinn aus. Hier meine abschließende Stellungnahme:


    Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht


    Beauvoirs grundlegendes Werk des Feminismus erschien 1949 und umfasst in meiner Ausgabe 1130 Seiten ohne Anmerkungen.

    Das Werk ist als Sozialgeschichte der Frau zu betrachten und gleichzeitig als philosophisches Werk existenzialistischer Prägung.

    Im ersten Teil „Fakten und Mythen“ stellt die Autorin zunächst mal die biologischen Unterschiede zwischen Frau und Mann fest und auch die Unterschiede der Sexualität der Frau gegenüber anderen Säugetieren höherer Ordnung. Während von diesen die Weibchen meist eine Brunftzeit haben und den Rest des Jahres nicht trächtig werden können, daher gleichen Tätigkeiten wie die Männchen nachgehen, können Frauen bis auf wenige Tage im Zyklus fast immer schwanger werden und müssen sich monatlich der Menstruation unterziehen, die sie einschränkt und oft auch körperlich schwächt und schmerzt. Diese biologische Konstellation engt die Frau ein und führte neben der deutlich größeren körperlichen Stärke des Mannes während der Evolution des Menschen und der Steinzeit dazu, dass die Männer die Arbeiten verrichteten, die die Außenorientierung und Momente heftiger körperlicher Anstrengung zur Grundlage hatten wie die Jagd oder den Kampf gegen rivalisierende Familienverbände, während der Frau die Nahrungszubereitung und die Sorge um die Familie oblag. In der Zeit der Sesshaftigkeit setzte sich das so fort, dass die Frau zusätzlich die Arbeiten nah am Haus verrichtete, Gemüsegarten und Stall, während dem Mann die Feldarbeit und handwerkliche Tätigkeiten, die mit widerstandsfähigen Werkstoffen zu tun hatten, oblagen. Dadurch wurde der Mann zum Entwickler der Technologien und bildete durch seine Außentätigkeiten ein Netzwerk mit anderen Männern, während die Frau zu Hause blieb und in ihren Kontakten im Wesentlichen auf ihren Mann und ihre Familie beschränkt blieb.

    Diese Konstellation blieb so im Wesentlichen bis weit ins Ende des 20. Jahrhunderts in den europäischen Staaten und Nordamerika erhalten, diese Regionen, insbesondere Frankreich, legt die Autorin ihren Untersuchungen zugrunde. Beauvoir verfolgt die Entwicklung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts und sieht bis dahin nur kleine Veränderungen, die der Frau keine wesentlichen Vorteile bieten, sondern sie eher noch mehr versklaven in den Traditionen der Vergangenheit und den Ansprüchen der modernen Welt.


    Neben diese biologische und sozialgeschichtliche Erörterung tritt nun auch das philosophische Element. Beauvoir als Existenzphilosophin stellt - einfach ausgedrückt - dar, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier den in seiner Natur liegenden Wunsch hat, sich zu transzendieren, d.h. ein Ziel außerhalb seiner selbst zu suchen und zu verfolgen. Nur so findet er seine innere Freiheit und wird zum Subjekt. Dies gelingt nun dem Mann aufgrund seiner Außenorientierung in der Regel mehr oder weniger, je nachdem, welche Ansprüche er an sich selbst stellt und welche gesellschaftlichen Möglichkeiten er in seiner sozialen Gruppe hat. Die Frau dagegen wird auf sich selbst zurückgeworfen, weil sie vom Mann als das Andere (deshalb der deutsche Titel „Das andere Geschlecht“) gesehen wird, in das er sich transzendieren kann, weil er sich die Frau unterwirft, die ihm dient und ihn zu bewundern hat. Sie dagegen sieht sich nur in ihm, weil sie über die Jahrtausende hinweg nur in seltenen Fällen die Möglichkeit hatte, für ihren eigenen Unterhalt zu sorgen und dadurch wirtschaftlich unabhängig zu werden. Ihr Schicksal ist daher die Immanenz im Gegensatz zur Transzendenz des Mannes. So wird sie zur Drohne des Mannes, und in den wohlhabenden Schichten erkauft er sich ihre Abhängigkeit, indem er ihre Lage mit Bequemlichkeit und Konsumgütern ausstattet. Sie wird dadurch antriebslos, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, bildet sich nur ungenügend und entwickelt ihren Intellekt nicht genug, um selbst zu großen geistigen Leistungen zu kommen.

    So sind nach Beauvoirs Meinung auch die besten künstlerischen Leistungen der Frauen nur vergleichbar mit den Anfangsversuchen der besten männlichen Künstler. Und in den Wissenschaften strengt sie sich nicht genügend an, weil sie von Kindheit an nicht dazu angehalten wird, sich ihre Umwelt zu erobern.

    Diese Ungleichheit der Geschlechter wird insbesondere durch das System des Kapitalismus unterstützt, da hier die Produzenten immer auch genügend Konsumenten brauchen und in der Konstellation der Geschlechter diese Aufteilung unterstützt wird, dem Mann als Produzenten und Erfinder außerdem der Rücken freigehalten wird und die Ehe und Familie als Rückzugsort und Entspannungsressort dient. Nur der Sozialismus kann nach Beauvoirs Meinung die Gleichstellung der Geschlechter herstellen.


    Meine Meinung:


    Beauvoir hat für ihre Darstellung ein immenses Wissen angesammelt und ihre Meinungen immer sehr gut belegt und mit Zitaten aus Werken der Psychoanalyse, Philosophie und europäisch/amerikanischen Literatur untermauert. Gerade im letzteren Falle ist sie aber der Stofffülle etwas aufgesessen. Man könnte dieses Werk gut um die Hälfte und mehr kürzen, ohne dass dabei Wesentliches ungesagt bliebe. Die Autorin verliert sich im zweiten Teil häufig in bizarren Zitaten aus psychopathologischen Falldarstellungen und frauenfeindlichen Werken ihrer männlichen Zeitgenossen bzw. der nur wenige Jahrzehnte zurückliegenden Veröffentlichungen.

    Das zieht einen eher runter, als dass es einen weiterbringt. Gut finde ich, dass Beauvoir nicht ein Geschlecht verteufelt, den Mann ausschließlich als Unterdrücker ansieht, sondern auch darstellt, dass die Frau an ihrem Schicksal auch selbst mit Schuld trägt, wenn sie sich aus Bequemlichkeit nicht um ihre materielle und geistige Unabhängigkeit kümmert.

    Als Nachteil dagegen ist herauszustellen, dass dieses Buch sich hauptsächlich mit der Rolle der Frau in den wohlhabenden Schichten der westlichen Kulturen auseinandersetzt, die viel größere Anzahl der Frauen, die dazu gezwungen waren und sind, selbst zu arbeiten, erwähnt sie nur am Rande. Die Frauen anderer Kulturen berücksichtigt sie fast gar nicht, weil diesen ihrer Darstellung nach z.B. in der islamischen Kultur noch nicht einmal eine Seele zugesprochen werde.

    Grundsätzlich ist es legitim, eine solche Untersuchung und daraus folgendes Plädoyer auf einen Kulturkreis, in dem man selber lebt, zu beschränken, aber da sie immer von der Frau an sich spricht, kommt es einem doch komisch vor, dass 90 % der Frauen von den Ausführungen im zweiten, deutlich umfangreicheren Teil des Werkes gar nicht erfasst werden.


    Ich fand das Buch nicht schwierig zu verstehen, aber den zweiten Teil nur schwer zu ertragen. Dennoch hat er mich sehr viel weiter gebracht in dem Verständnis der Rolle von Frau und Mann und welche Voraussetzungen es gesellschaftlich und auch von seiten der Geschlechter selbst braucht, um zu einer echten Gleichberechtigung zu kommen, von der wir ja auch heute noch und auch in den westlichen Gesellschaften sehr weit entfernt sind, wenn auch lange nicht so weit wie die Frauen in Simone de Beauvoirs Zeiten.

  • Vielen Dank finsbury für Deine ausführliche Zusammenfassung und persönlicher Wertschätzung dieses Buches.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • finsbury, das ist eine sehr gelungene Zusammenfassung.

    Ich habe durch das Buch viele Denkanstöße bekommen und auch viele Dinge, die ich oft einfach hingenommen habe, neu überdacht. Das war die Mühe durchaus wert.

    Ich denke, zu Beauvoirs Zeit war es kaum möglich, viel weiter über den Tellerrand der eigenen Kultur hinauszublicken, wenn man nicht gerade Anthropologin war. Und die haben oft auch eine bestimmte Kultur im Blick gehabt.

  • Ich denke, zu Beauvoirs Zeit war es kaum möglich, viel weiter über den Tellerrand der eigenen Kultur hinauszublicken, wenn man nicht gerade Anthropologin war. Und die haben oft auch eine bestimmte Kultur im Blick gehabt.

    Danke zunächst euch beiden für die Rückmeldung.

    Zum Obigen möchte ich noch ausführen, dass ich das Nicht-Eingehen auf andere Kulturen auch nicht so problematisch finde, aber es gilt hierfür wie insbesondere für die hauptsächliche Beschränkung auf die Frauen der wohlhabenden Schichten: Sauberer wäre es gewesen, wenn sie nicht immer die Frau an sich für diese geringe Teilmenge genommen hätte, sondern vielleicht im Vorwort auf diese Einschränkung hingewiesen hätte und definiert hätte, wer für sie mit "die Frau" gemeint ist. So würde man jedenfalls heute sauber wissenschaftlich arbeiten. Aber damals waren wohl auch in dieser Hinsicht die Maßstäbe anders.

    Dies gilt aber hauptsächlich für den zweiten Teil. Der Großteil der Aussagen des ersten Teils ist ja auch allgemein anwendbar.