Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht

  • Meine Eltern stammten beide aus der Landwirtschaft, allerdings von ziemlich großen Höfen und im Falle meiner Mutter auch großstadtnah. Aber du hast wohl Recht, Rumpelstilzchen , es liegt wohl eher daran, ob man auf dem Land oder in der Kleinstadt aufgewachsen ist und die katholische Kirche spielt ja beim Konservativismus sowieso eine große Rolle. Ich bin jetzt am Ende des Kapitels MIttelalter/ Neuzeit und finde sehr interessant, was Beauvoir über die Herkunft von Genies sagt. In Adelskreisen oder anderen gehobenen Ständen kommen Genies nicht oder nur sehr selten vor, da sie aus der Masse kommen müssen, so begründet die Autorin, das könnte man biologistisch sehen, weil dort genügend Genmaterial für die Entstehung eines Genies zu finden ist.


    Ich glaube dagegen eher, dass diejenigen Schichten der Gesellschaft, die schon seit mehreren Generationen nicht mehr für ihren Unterhalt arbeiten müssen, ein gerüttelt Maß an Anstrengungsbereitschaft verlieren, und erst damit kann aus einer mittelmäßgen Begabung ein Genie werden. Und das gilt natürlich in besonderem Maße für die adelige oder großbürgerliche Frau, die noch nicht mal in die Verwaltung des Besitzes, die Jagd usw. einbezogen wurde und selbst die Aufzucht der Kinder in die Hände von Ammen, Kindermädchen und Gouvernanten legen konnte. Außerdem spornt die gesellschaftliche Anerkennung guter Ansätze an, sich zu steigern, und das ist viel eher dem Mann beschieden gewesen als der Frau.

    Und in der "Masse" spielt natürlich die Hauptrolle, dass die Frau nicht im entferntesten den Zugang zu den Bildungsmöglichkeiten des bürgerlichen Mannes hatte.

  • Ich glaube dagegen eher, dass diejenigen Schichten der Gesellschaft, die schon seit mehreren Generationen nicht mehr für ihren Unterhalt arbeiten müssen, ein gerüttelt Maß an Anstrengungsbereitschaft verlieren, und erst damit kann aus einer mittelmäßgen Begabung ein Genie werden.

    Das sehe ich auch so. Es ist sicher kein Zufall, dass viele herausragende Wissenschaftler aus Einwandererfamilien kommen. Ohne die Bereitschaft, wirklich viel zu lernen und die Zeit nicht weitgehend mit angenehmen Vergnügen zu verbringen, wird es nix mit Wissenschaft und schon gar nichts mit Genie.

  • Die gleiche Biographie wie du, Rumpelstilzchen , habe ich mir auch als E-Book zugelegt. Scheint ja sehr interessant zu sein, muss aber warten.

    Inzwischen bin ich ungefähr bis in die Mitte des Kapitels über die Auswirkungen der Französischen Revolution gekommen.

    Diese geschichtlichen Kapitel sind viel leichter als der Anfang zu lesen und wirklich interessant. Beauvoir war ungeheuer fleißig und hat ein riesiges Quellenvolumen studiert, nun auch im aktuellen Kapitel Statistiken dazu genommen.

    Bei ihren Ausführungen im letzten Kapitel fiel mir wieder mal auf, wie weit Frankreich intellektuell - zumindest in der Breite der Veröffentlichungen und bedeutetender Schriftsteller - den Deutschen im 17. und 18. Jahrhundert voraus war. Vor allem hat der französische Adel - ungeachtet des oben Ausgeführten - doch eine Menge bedeutender, wenn auch nicht genialer Schriftsteller hervorgebracht - bei uns in Deutschland ist das ja eher marginal gewesen, war Literatur seit dem Humanismus überhaupt meist eine Sache des Bürgertums, und schon die Dichter des Mittelalters waren eher niedrigere Ministeriale gewesen.
    Im Kapitel zu den Auswirkungen der Revolution ist mir mal wieder aufgefallen, dass Beauvoir immer erwähnt, die biologische Versklavung der Frau sei besonders groß, da sie im Gegensatz zu den TIeren keinem jährlichen Empfängniszyklus unterliege, sondern monatlich empfängnisbereit sei. Dazu kommt meiner Ansicht nach noch, dass die menschlichen Kinder besonders starke Nesthocker sind, d.h. viel länger intensiver Betreuung bedürfen als die meisten Tierkinder. Da diese Aufgabe auch den Frauen zufiel und auch heute meist noch falst ausschließlich aufgebürdet wird, bedeutet das eine starke zusätzliche Fesselung.

  • Im Kapitel zu den Auswirkungen der Revolution ist mir mal wieder aufgefallen, dass Beauvoir immer erwähnt, die biologische Versklavung der Frau sei besonders groß, da sie im Gegensatz zu den TIeren keinem jährlichen Empfängniszyklus unterliege, sondern monatlich empfängnisbereit sei. Dazu kommt meiner Ansicht nach noch, dass die menschlichen Kinder besonders starke Nesthocker sind, d.h. viel länger intensiver Betreuung bedürfen als die meisten Tierkinder. Da diese Aufgabe auch den Frauen zufiel und auch heute meist noch falst ausschließlich aufgebürdet wird, bedeutet das eine starke zusätzliche Fesselung.


    Ich denke, sie hat mit ihrer Meinung auch durchaus recht. Allerdings ist es nicht nur für die Frauen ein Unglück, eigentlich für alle Menschen. Denn Familien, in denen nicht einmal genug zu essen für die Erwachsenen da ist, können auch keine gesunden Kinder großziehen.

    Persönlich bin ich der Meinung, dass es eins der großen Unglücke für die Menschheit ist, dass Frauen unter fast allen Umständen Kinder bekommen können, solange sie nicht gerade selber vor dem Hungertod stehen.

    Wieviel besser wäre es um die Menschheit bestellt, wenn es bei schlechten Bedingungen so eine Art Keimruhe gäbe, wie es bei manchen Tieren vorkommt.

    Die lange Abhängigkeit des Menschenkinds von Pflege und Erziehung kommt noch dazu.



    Diese geschichtlichen Kapitel sind viel leichter als der Anfang zu lesen und wirklich interessant. Beauvoir war ungeheuer fleißig und hat ein riesiges Quellenvolumen studiert, nun auch im aktuellen Kapitel Statistiken dazu genommen.

    Das finde ich auch. Beauvoir war ungeheuer belesen. In der Biographie erfährt man etwas darüber.

    Die läuft aber nicht weg - sie ist auch alleine für sich wert, gelesen zu werden.

  • Aber auf die Biografie freue ich mich jetzt schon, wenn ich mal dazu komme. Danke für deine kleinen Einblicke, Rumpelstilzchen .

    Das Geschichtskapitel habe ich jetzt abgeschlossen, wobei die letzten Seiten eigentlich nur noch einmal eine Zusammenfassung des Vorherigen waren und die Überleitung zum neuen Thema, dem Mythos, zu dem die Männer die Frauen gemacht haben.
    Dieses Kapitel lässt sich nun etwas schwieriger an, denn wieder steht die Begrifflichkeit des Existenzialismus im Vordergrund. Ich muss noch aufmerksamer lesen, obwohl man ja inzwischen die Begriffe kennt und versteht. Dennoch ist die Abstraktionsebene einfach höher.

    Beauvoir hat es schon in der Einleitung aufgestellt: Die Frau ist für den Mann eine Mittlerin zwischen sich und der Natur. Sie hat ein Bewusstsein, so dass er sich in ihr spiegeln kann, sie ist aber nicht anstrengend, denn er muss sich ihr nicht im Wettbewerb gegenüberstellen, wie es mit Individuen, die für den Mann nur andere Männer sein können, nötig ist, um sich zu transzendieren. Außerdem übt er über sie Macht aus, sowohl ganz primitiv sexuell-körperlich als auch gesellschaftlich, was wiederum sein Selbstbewusstsein oder wie die Existenzialisten sagen, seinen transzendentellen Entwurf von sich selbst, erhöht. So habe ich es verstanden.


    Tante Li , ich hoffe, wir sind dir nicht zu weit vorausgaloppiert. Ab der nächsten Woche muss ich wieder voll arbeiten, da habe ich weniger Zeit und Konzentrationskraft und werde deutlich langsamer mit dem Buch vorankommen.

  • Keine Sorge, ich werde jetzt sowieso erst mal mit diesem Buch pausieren, weil ich zur Zeit das Leserunden Buch von Tom lese und dort mitdiskutieren möchte.


    Historisch ist Beauvoir schon ganz interessant, aber mir fehlt der wissenschaftliche Bezug zur heutigen Genderforschung. Bin mir nicht sicher, ob ich wirklich dran bleibe. Im November ist ja schon die nächste Leserunde geplant, bei der ich mich angemeldet habe. Mal sehen, ob ich dann noch mal hierher zurück kehre. Sorry! :blume

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Tante Li - du kannst ja jederzeit wieder einsteigen.

    Ich werde mich mal erkundigen, ob es was lesbares über aktuelle Genderforschung und Beauvoir gibt.


    finsbury, ich bin sehr gut darin, Abschnitte, die ich nicht ganz verstehe, auch einmal zu überfliegen. Ich muss ja kein Referat drüber halten :lache

    Was mich immer wieder fasziniert, sind die anderen Gedankengänge und die Ideen, die ich noch nie gehabt habe. Als Beispiel: Welche Zurücksetzung, nicht als eigenständiges Wesen von Gott geschaffen worden zu sein, sondern als Gefährtin des Mannes! Und auch noch aus seiner Rippe!

    Die Geschichte habe ich tausendmal gehört und nie hinterfragt.

  • finsbury, ich bin sehr gut darin, Abschnitte, die ich nicht ganz verstehe, auch einmal zu überfliegen. Ich muss ja kein Referat drüber halten :lache

    Was mich immer wieder fasziniert, sind die anderen Gedankengänge und die Ideen, die ich noch nie gehabt habe. Als Beispiel: Welche Zurücksetzung, nicht als eigenständiges Wesen von Gott geschaffen worden zu sein, sondern als Gefährtin des Mannes! Und auch noch aus seiner Rippe!

    Die Geschichte habe ich tausendmal gehört und nie hinterfragt.

    Ich habe immer so einen Vollständigkeitsfimmel und will auch alles genau verstehen, was ich lese. Im Moment habe ich daher immer auch ein dickes Fremdwörterbuch neben mir, weil Beauvoir oft damit um sich schmeißt.
    Eigentlich ist es besser, wenn man so wie du, einfach Dinge überspringt. Dann wagt man sich wahrscheinlich eher an die dicken Brocken ran. Aber wenn ich mal dran bin, bleibe ich auch dabei und wenn es Jahre dauert.


    Die jüdisch-christliche Schöpfungslegende und die darin enthaltene Diffarmierung der Frau war mir schon bewusst, aber da ich nur als Kind religiös war, habe ich mir nie große Gedanken über die gesellschaftliche Auswirkungen gemacht. Ich habe mich dann eher über die Verwehrung des Priesteramtes in der katholischen Kirche und Paulus' Vorgaben dazu geärgert, weil das auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Diese Rippen-Geschichte ist ja, wie du selber schreibst, so selbstverständlich in unseren mythischen Traditionen, dass wir das gar nicht hinterfragen. Wie ich mir über ganz viele Dinge, die Beauvoir aufzählt, nie Gedanken gemacht habe, besonders über die biologischen Voraussetzungen und ihre Folgen.

  • Dann wagt man sich wahrscheinlich eher an die dicken Brocken ran. Aber wenn ich mal dran bin, bleibe ich auch dabei und wenn es Jahre dauert.

    Bei mir hat das oft zum Lese Abbruch geführt und mit der neuen Methode komme ich mit schwierigen Büchern doch weiter. Manchmal hilft schon das nächste oder übernächste Kapitel beim Verständnis von vorhergehenden.

  • Inzwischen habe ich ein gutes Drittel des Mythos-Kapitel gelesen. Zu Beginn habe ich mir noch Gedanken darüber gemacht, wozu es dieses Kapitels überhaupt bedarf, da doch die Gedankengänge und mythischen Überhöhungen der Männer auch schon in den Geschichtskapiteln, ausführlich Erwähnung fand. Aber Beauvoir fasst hier nochmal zusammen und analysiert die abwertenden und die überhöhenden, aber gerade deshalb als anders setzenden Mythen, die Männer angesichts des "anderen" Geschlechts entwickelt haben:

    - Die Frau ist eine Inkarnation der Erde, des Meeres, des Gebirges, alles dessen, was sich in der Natur dem Mann als wunderbar und latent feindlich, aber als Element entgegenstellt, das es zu beherrschen gilt.
    - Der Mann ist Teil der Natur, aber sieht sich eben auch als ihr Überwinder, und diese Spannung vermittelt sich ihm auch in seinem Verhältnis zur Frau.
    - Dass der Mensch von der Frau empfangen und geboren wird, macht ihn zum Teil der Natur und beängstigt ihn, weil durch seine eigene Fortpflanzung zwar seine Gattung erhalten wird, gleichzeitig aber gerade dadurch auch seine Endlichkeit, also sein Tod besiegelt wird, denn sonst müsste er sich ja nicht fortpflanzen. Insofern mythisiert er in der Frau auch den Tod, und gerade die alte Frau, aus dem Fortpflanzungsprozess enthoben, ängstigt ihn und stößt ihn ab. Frauen wird daher auch in vielen Kulturen der Totenkult zugeteilt.
    - Im Zusammenhang mit der Fortpflanzung macht der Mann aus der Menstruation eine Unreinheit, für die die Frau durch Absonderung und andere Riten büßen muss.

    - Weibliches Blut überhaupt ist ihm ein Schrecken - so ist in den Naturvölkern das Blut des Hymens etwas, womit sich der Gatte nicht konfrontiert sehen will, die Defloration muss anders geschehen, mit zum Teil für das Mädchen, die junge Frau sehr schmerzhaften Methoden.
    - Erst als das Privateigentum seinen Siegeszug antritt, wird auch das Hymen zum Symbol dieses Eigentums der Gattin, das Schloss, das nur der Gatte öffnen darf, und nun geht der Kult genau in die andere Richtung, das Jungfrauentum muss bis zur Ehe eifrig gehütet werden, und die Entjungferung wird mehr oder weniger öffentlich als Fest gefeiert (heute immer noch im Kult um die Hochzeitsnacht und den Honeymoon).

    - Im Sexualakt wird der Mann aber auch wieder Teil der Natur und das macht ihn traurig und stößt ihn ab, weil er dadurch - zumindest kurzfristig - seine Transzendenz verliert, weshalb dem Geschlechtsverkehr vom Mann - und auch der Frau aus gesehen - oft etwas Schmutziges, Verbotenes anhaftet. Die Frau darf sich zudem mit einem Schuldgefühl herumschlagen, da sie ja durch das Begehren, das sie auslöst, diese Gefühle verursacht.


    Ganz schön heftig, wenn einem so analysiert wird, was man (unterbewusst) oft mitbekommt, in den vielen Spielarten der Literatur, Kunst und Musik immer wieder dargeboten wird. Wie oben schon geschrieben, tut die Lektüre dieses Buches manchmal richtig weh, aber Augen öffnen ist immer hilfreich.

  • :wave  finsbury Ich lese wirklich lieber Deine guten Zusammenfassungen als das Buch selber. :thumbup:

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    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Vielen Dank und es freut mich, Tante Li , dass du dadurch Beauvoir und uns auch für die Diskussion erhalten bleibst.

    Aber wie ich oben schon schrieb: Ab nächster Woche wird es bei mir sehr viel langsamer gehen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ich im nächsten Jahr noch dransitze. Dann hast du auch noch genug Zeit, sofern du Lust dazu hast, Beauvoirs Text zu lesen.

  • :wave Danke! Mal sehen ob ich doch wieder Lust bekomme.

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    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Ganz schön heftig, wenn einem so analysiert wird, was man (unterbewusst) oft mitbekommt, in den vielen Spielarten der Literatur, Kunst und Musik immer wieder dargeboten wird. Wie oben schon geschrieben, tut die Lektüre dieses Buches manchmal richtig weh, aber Augen öffnen ist immer hilfreich.

    Stimmt, manche Ausprägung ist erschreckend. Gerade die ambivalente Haltung gegenüber der Frau als Mutter finde ich sehr befremdlich. Das im Anhang teilweise zitierte Gedicht eines mir unbekannten Leiris ist mehr als heftig.

    Auf der anderen Seite dann die Huldigungen an die vergeistigte, von ihrer Körperlichkeit "befreite" Frau. Ein Ideal, das nicht zu erreichen ist und deshalb nicht mehr so bedrohlich ist.

  • Etwas mehr als zwanzig Seiten bin ich weitergekommen. Hier beschäftigt sich Beauvoir, nachdem sie kurz die Stellung der Frau im Islam (dem Mann untergeordnet, Objekt der Freude, keine Mystifizierung) und die eher positive, für den Mann unkomplizierte Sicht auf das Besitztum Frau unter den Mittelmeervölkern vor dem Christentum umrissen hat, eben mit der Stellung der Frau im Christentum. Hier ist sie einerseits

    - die verworfene Eva, die den Mann verführte und aus dem Paradies verjagte, die ihn weiterhin mit ihrer Leiblichkeit von seiner Transzendenz fernhält und ganz allgemein eine Inkarnation des Schlechten, Sündigen ist,

    - die alles überstrahlende Jungfrau, die Muttergottes, die für Reinheit, Aufopferung und freiwillige Unterwerfung steht.
    Zwischen diesen Polen bewegen sich auch die literarischen Exzerpte, die Beauvoir einstreut oder hinten in den Anmerkungen ergänzt. Da wird einem ganz anders. Ich hatte allerdings immer schon Schwierigkeiten mit der französischen Literatur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und dem dort vorgetragenen Frauenbild. Ich empfand es - egal ob in den Romanen von Balzac, Zola, Stendhal, Proust, Musset, Flaubert, Mauriac usw. - oft so, als ob die Frau extra auf ein Piedestal gestellt wird, um sie abzusondern; Sie wird dort nicht als Mensch, sondern als etwas anderes, vielleicht Verehrenswertes, oft auch Verachtenswertes dargestellt. So empfinde ich es wenigstens, anders als in der englischen oder auch deutschen oder russischen Literatur, wo die Frau natürlich auch in den Fesseln ihres Geschlechts und ihrer sozialen Stellung unter dem Mann bleibt, aber auf gleichberechtigte Weise in ihren Gefühlen dargestellt wird oder wenn sie, wie besonders in der englischen Literatur, durch den Kakao gezogen wird, dann an der Seite von genauso vielen Männern, mit denen das auch passiert. Aber dort habe ich nicht so das Gefühl von Arroganz, dass mir bei französischen Autoren sehr häufig in der Darstellung von Frauen missfällt. Die Zitate bei Beauvoir bestätigen das, insbesondere aus der Lyrik, von der ich wenig französische kenne. Selbstverständlich sehe ich aber auch, dass Beauvoir auf den Literaturschatz der Kultur, aus der sie kommt, zurückgreift. Bei uns findet man genügend Philosophen wie Schopenhauer und Nietzsche, die die Frau äußerst verächtlich behandeln. Aber in der Literatur, die ich besser kenne, ist diese Arroganz nicht so auffällig.

  • Gerade Beauvoirs Zitate aus der französischen Literatur finde ich sehr interessant - und erschreckend.

    Es ist ein wenig, als seien an allem Negativen die Frauen schuld. Nur die wenigen "Heiligen" haben ein Existenzrecht.

    Vielleicht liegt es auch an der damals noch mächtigeren Stellung der katholischen Kirche in Frankreich. Obwohl auch die evangelischen Kirchen in Deutschland zu dieser Zeit nicht gerade eifrige Verfechter von Frauenrechten waren.

    Ich bin gerade auf S. 250 (rororo Ausgabe) wo sie über Spanien und die dort herrschenden besonders strengen Sitten schreibt.

  • Rumpelstilzchen , meine Ausgabe hat leider eine ganz andere Paginierung als deine und wie ich glaube, auch die von Tante Li . Die Passage über Spanien kommt bei mir erst auf S. 326, und das Buch hat insgesamt 1146 Seiten Text mit Anmerkungen. Da müssen bei euch die Buchstaben ja noch kleiner sein! Ich sitze schon bei meiner Ausgabe ca. anderthalb Stunden für 20 Seiten :huh:.

    Zu Spanien: Vor einigen Jahren las ich von Clarín "Die Präsidentin". Das ist ein interessanter Roman, der die Unterdrückung der Frau im Spanien des 19. Jahrhunderts und deren psychologische Folgen sehr gut analysiert.


    Das Kapitel über den Mythos der Frau an sich habe ich jetzt hinter mir. Im fehlenden Drittel, das ich heute Nacht gelesen habe, kommt nichts besonders Neues, sondern nur Variationen dessen, was wir schon kennen. Die Frau inspiriert den Mann als Muse, sie erweitert seine Träume von Freiheit und Lebensgier als Prostiuierte, sie kann ihm Richterin und Ratgeberin sein, solange sie nur anerkennt, dass sie ihm nicht das Wasser reichen kann und sich ihm unterwirft. Letzten Endes, wenn ich das mal mit meinen Worten zusammenfassen darf, ist sie ihm immer nur Spiegel seines Ego, wenn er aufgewühlt ist und sich gedemütigt fühlt, erscheint sie ihm als feindliches Element oder bestenfalls mütterliche Trösterin und Ego-Aufbauerin, wenn er zufrieden ist, schmückt er sie als sein Prestigeobjekt und stellt sie aus in ihrer Schönheit, ihrem Charme, ja und auch in ihrer Intelligenz, solange diese immer noch als sein Besitz erkennbar ist.


    Diese Mythos-Geschichte langweilt mich inzwischen ein bisschen, wir haben's ja inzwischen kapiert. Deswegen schrecke ich auch vor dem kommenden, ziemlich ausufernden Kapitel zurück, das anscheinend eine feministische Literaturkritik an Werken von Autoren ist, die ich sowieso entweder noch gar nicht gelesen habe, deren Lektüre mir nicht sonderlich viel gegeben hat (Stendhal bei all seinen Verdiensten) oder über die ich mich geärgert habe (D.H. Lawrence).

    Wie schon zweimal geschrieben, geht es jetzt bei mir aber deutlich langsamer voran. Ich versuche, pro Woche ca. 50 Seiten zu schaffen, also bezogen auf eure Ausgabe ca. 40 Seiten.

  • Ich bin auch bei der Abteilung Literatur angekommen und werde die überschlagen. Nur von Stendhal habe ich ein paar Texte wenigstens in Ausschnitten gelesen, die übrigen kenne ich nicht. (dabei gehe ich davon aus, dass es sich bei Claudel um Paul Claudel und nicht um Phiippe Claudel handelt)

    Das macht für mich nicht viel Sinn.


    Bis nächste Woche möchte ich unbedingt "Die Jakobsbücher" von Olga Tokarczuk lesen, einen dicken Schmöker, den ich bis zum 3.11. zurückgeben muss. Das muss ich am Stück lesen, sonst finde ich mich gar nicht zurecht.


    Deshalb mache ich eine kurze Pause, werde aber hier direkt danach mit dem zweiten Buch weitermachen.