Aus)gewandert nach Georgien. Wie ich vom Bodensee ans Schwarze Meer ging (...) - Ruth Wili

  • Ruth Wili: (Aus)gewandert nach Georgien. Wie ich vom Bodensee ans Schwarze Meer ging und beinahe nicht mehr zurückfand, München 2020, Knesebeck Verlag, ISBN 978-3-95728-452-5, Klappenbroschur, 256 Seiten mit 90 Abbildungen, Format: 13,9 x 2,5 x 21,1 cm, EUR 18,00.


    „Das Haus liegt westwärts ausgerichtet am in sanften Wellen abfallenden Hang. Büsche bilden die Vegetation. (...) Die Landschaft ist hügelig, auslaufend gegen den Horizont hin an dem – irgendwo – dann das Meer kommt. (...) Der Traum kommt mehrmals. Ich weiß nichts von dem Land, außer: Es ist Georgien. Und wir, Homer und ich, sind zu Fuß hergekommen. Ans Schwarze Meer gewandert, übergesetzt per Schiff und dann, irgendwo im Landesinnern, hier angekommen.“ (Seite 7)



    Die Autorin ist geübt darin, allein durch fremde Länder zu wandern. Sie weiß genau, welche Vorbereitungen sie treffen muss, was sie unterwegs an Ausrüstung braucht und dass sie trainieren muss, wenn sie fit genug sein will. Auch ihr Reisebegleiter, Hund Homer, braucht ein bisschen Übung: Er muss sich daran gewöhnen, unterwegs leichte Satteltaschen zu tragen.


    Zu Fuß nach Bulgarien

    Von St. Gallen am Bodensee will sie zu Fuß nach Bulgarien gehen und dann mit dem Schiff nach Georgien. Ihr „Leitstern“ bei diesem Vorhaben ist ein Holzhaus, das ihr mehrfach im Traum erschienen ist. In so einem Haus würde sie gerne wohnen und schreiben ... wenigstens eine Weile. Sie will ja zunächst nur ein Jahr weg bleiben.


    Sie kündigt ihren Job und ihre Wohnung und macht sich im Februar 2017 auf den Weg: Österreich, Italien, Slowenien, Kroatien, Bosnien, Serbien, Bulgarien. Einen Zeitplan hat sie schon, einen genauen Routenplan nicht. Da folgt sie ihrer Intuition. Wo sie übernachtet – im Zelt, im Freien, in einer Pension, in einem Rohbau oder bei Menschen, denen sie unterwegs begegnet, überlässt sie dem Zufall und ihrem Gefühl. Dazu braucht man Mut, Nerven und den festen Glauben daran, dass sich schon alles irgendwie regeln wird. Gottvertrauen hätte man das früher genannt, aber Ruth Wili hat’s nicht mit der Religion. Sie glaubt ans Leben und an die Ratschläge ihrer Coachin, mit der sie online in Verbindung steht.


    Das Leben wird’s schon richten

    Das Leben hat aber oft Besseres zu tun, als sich um Ruths Bedürfnisse zu kümmern, und so gibt’s die eine oder andere haarige Situation. Ruth wurstelt sich tapfer durch, auch wenn sie die Landessprache nicht spricht, die Schilderführung durch vermintes Gelände gefährlichen Spielraum für Interpretationen lässt, man sie als Landstreicherin betrachtet und sie respektlos und übergriffig behandelt. Sie entdeckt atemberaubende Landschaften und knüpft interessante Kontakte.


    Immer wieder hält sie inne und fragt sich, ob das, was sie gerade tut, für sie noch „stimmt“. Soll sie an einem Ort länger verweilen oder weiterziehen? Soll sie langsamer und achtsamer unterwegs sein oder sich streng an ihren Zeitplan halten? Soll sie ihre Route ändern? Soll sie noch mehr Ballast abwerfen, mit noch leichterem Gepäck reisen? Sie ist niemandem Rechenschaft schuldig und hat keine Verpflichtungen. Solange ihr Reisebudget es hergibt, kann sie ihre Pläne jederzeit ändern und tut es auch.


    Ein bisschen esoterisch wirkt das schon. Ich war mir bis zum Schluss nicht sicher, ob Ruth das georgische Haus aus ihren Träumen für eine Idealvorstellung hält oder ob sie glaubt, dass es tatsächlich genau so existiert und auf sie wartet.


    Ein Fundhund als Dritter im Bund

    Im Norden von Bulgarien liest sie auf einer Müllkippe einen abgemagerten Windhund auf, nennt ihn Pluto und nimmt ihn auf ihre weitere Reise mit. Dass sie jetzt zwei große Hunde dabei hat, macht das Reisen ein wenig sicherer aber sicher nicht einfacher.


    Als sie im Dezember 2017 in Warna ankommt, fahren dort bis auf weiteres keine Schiff nach Georgien. Sie strandet also erst einmal für ein paar Monate in dieser bulgarischen Hafenstadt. Ihr ursprünglicher Zeitplan ist sowieso bereits Makulatur. Sie muss schon allein ein Jahr im Ausland verbringen, um Fundhund Pluto legal mit heim in die Schweiz nehmen zu dürfen. Also wird sie deutlich länger als geplant unterwegs sein.


    Tierschutzarbeit in Keda

    Erst sechzehn Monate nach ihrem Aufbruch trifft sie in ihrem Sehnsuchtsland ein. Sie landet in Keda, einem 1.500-Seelen-Ort in Autonomen Republik Adscharien, mietet sich eine Wohnung und bleibt erst einmal. Von „der Frau mit den Hunden“ - inzwischen sind es drei – wird sie bald zu „Ruthi“, einer Nachbarin und Freundin, die ganz selbstverständlich ins Gemeindeleben integriert wird, auch wenn ihr das nicht immer so recht ist.


    Auch wenn Ruth sich nach und nach akklimatisiert – den Georgiern bleibt rätselhaft, wieso die Schweizerin sich so für den Tierschutz engagiert. In ihren Augen wäre es sinnvoller, ihre (finanzielle) Unterstützung ihnen, den Menschen, zukommen zu lassen. Das will Ruth aber selbst entscheiden. Sie ihrerseits ist irritiert von der traditionellen Rollenverteilung, die offenbar auch von auch von jungen, modernen, gut ausgebildeten Frauen nicht hinterfragt werden. Und ein bisschen verklemmt und homophob ist man hier auch unterwegs. Das stört sie besonders. Denn es gibt etwas, das ihre georgischen Freund*innen noch nicht von ihr wissen ...


    Findet Sie ihr „Traumhaus“?

    Und was ist nun mit dem Traumhaus? Die Suche danach tritt in dem Maße in den Hintergrund, in dem Ruths Engagement für die Straßenhunde in den Fokus rückt. Herrlich zu lesen – aber sicher zum Haareraufen, wenn man es erlebt – ist Ruths Kampf mit der Bürokratie, um bei einem befreundeten Tierarzt als Aushilfe arbeiten zu dürfen. Und dann bekommt sie auch noch die Anfrage, aus dem Reisebericht, den sie etappenweise online stellt, das vorliegende Buch zu machen. Jetzt ist das Tagebuchschreiben keine freiwillige Angelegenheit mehr, sondern ein Job.



    Zentrale Frage: „Was macht das mit mir?“

    Was man als Leser*in aus einem Reisebericht lernt und mitnimmt, hängt stark davon ab, mit welcher Intention der/die Reisende loszieht. Will er/sie Naturwunder entdecken? Will er/sie wissen, wie man anderswo lebt, wie die Gesellschaft dort funktioniert? Will er/sie für Mensch, Tier, Umwelt etwas bewirken und verbessern – oder einfach nur darüber, staunen, was es alles gibt auf der Welt?


    Ruth Wilis Bericht ist sehr introspektiv. Die zentrale Frage ist „was macht es mit mir, wenn ich jetzt dies und das tu oder lasse?“ Was das für andere Menschen bedeutet, scheint oft sekundär zu sein. So verstehe ich zwar, dass es ihr ein Bedürfnis war, sich vor ihren georgischen Freund*innen zu outen. Aber in einer Gemeinschaft, in der man über Sexualität nicht spricht, ist das schon heftig. Drängt man da den Menschen nicht eine Information auf, die sie nicht haben wollen und die sie überfordert? Ich weiß es nicht. Mir erschien dies – und so manches andere - ein bisschen egozentrisch. Vielleicht liegt das aber auch an der psychoschwurbeligen Sprache, dass ich den Eindruck hatte, das sei mehr ein Egotrip als ein Reisebericht. Aber gut – jetzt habe ich einen weiteren Einblick erhalten in das, was in einem Menschen vorgeht, der eine solche Reise wagt.


    Die Autorin

    Ruth Rahel Wili, geboren 1981, hat nach dem Studium der Germanistik, Hispanistik und des Öffentlichen Rechts sowie einer Ausbildung zum Modedesign mehrere Jahre an Schweizer Theatern gearbeitet, unter anderem als Inspizientin. Doch schon immer war das Reisen ihre große Leidenschaft, am liebsten zu Fuß. Und alsbald noch lieber ohne Karte oder Plan, um so direkt wie möglich den der Natur wie den Menschen zu begegnen, die ihr oft von den schönsten Wegen, den besten Plätzen und die interessantesten Geschichten erzählten. Nach Wanderungen in Südfrankreich und Rumänien kündigte sie ihre Stelle wie ihre Wohnung und brach, zusammen mit ihrem Hund Homer, auf, um vom Bodensee ans Schwarze Meer zu wandern.


    ASIN/ISBN: 395728452X

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Irgendwie wollen die Schriften hier nicht so, wie ich. Wenn der Text bei euch auf dem Endgerät irgendwie strubbelig ausschaut - sorry! Ich hab's nicht besser reparieren können.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner