Natascha Wodin "Nastjas Tränen"

  • Natascha Wodin "Nastjas Tränen"


    Über die Schriftstellerin:

    Natascha Wodin, 1945 als Kind sowjetischer Zwangsarbeiter in Fürth/Bayern geboren,

    wuchs erst in deutschen DP-Lagern, dann, nach dem frühen Tod der Mutter, in einem katholischen Mädchenheim auf.

    Auf ihr Romandebüt "Die gläserne Stadt", das 1983 erschien, folgten etliche Veröffentlichungen,

    darunter die Romane "Nachtgeschwister" und "Irgendwo in diesem Dunkel". Ihr Werk wurde unter anderem mit dem Hermann-Hesse-Preis,dem Brüder-Grimm-Preis und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet, für "Sie kam aus Mariupol" bekam sie den Alfred-Döblin-Preis,

    den Preis der Leipziger Buchmesse und den Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil 2019 verliehen. Natascha Wodin lebt in Berlin und Mecklenburg.


    Inhaltsangabe:

    Als Natascha Wodin 1992 nach Berlin kommt, sucht sie jemanden, der ihr beim Putzen hilft.

    Sie gibt eine Annonce auf, und am Ende fällt die Wahl auf eine Frau aus der Ukraine, dem Herkunftsland ihrer Mutter, die im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt wurde. Nastja, eine Tiefbauingenieurin, konnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im wirtschaftlichen Chaos ihrer Heimat nicht mehr überleben - ihr letztes Gehalt bekam sie in Form eines Säckchens Reis ausgezahlt.

    Da sie ihren kleinen Enkelsohn und sich selbst nicht länger ernähren kann, steigt sie, auf etwas Einkommen hoffend, in einen Zug von Kiew nach Berlin. Dort gelingt es ihr, mehrere Putzjobs zu finden, nach getaner Arbeit schläft sie auf dem Sofa ihrer Schwester.

    Zu spät bemerkt sie, dass ihr Touristenvisum abgelaufen ist. Unversehens schlittert sie in das Leben einer Illegalen, wird Teil der riesigen Dunkelziffer an Untergetauchten im Dickicht der neuen, noch wildwüchsigen deutschen Hauptstadt.

    Für Natascha Wodin ist es, als würde sie von ihrem Schicksal erneut eingeholt. Im Heimweh dieser Ukrainerin, mit der sie mehr und mehr eine Freundschaft verbindet, erkennt sie das Heimweh ihrer Mutter wieder, die daran früh zerbrochen ist.

    Jetzt, Jahre später, zeichnet sie mit verhaltener, tief anrührender Poesie das Porträt von Nastja, einer kämpferischen Frau.


    Sehnsucht nach Heimat

    Bereits in ihrem preisgekrönten Buch "Sie kam aus Mariupol" beschäftigt sich Natascha Wodin mit dem Thema Herkunft und Identität.

    Als Tochter russischer Zwangsarbeiter in Deutschland erfährt sie selbst, was es bedeutet, entwurzelt zu sein.

    Während es in "Sie kam aus Mariupol" um Natascha Wodins Mutter ging, die sich das Leben nahm und ihre Kinder zurücklässt,wird in diesem Buch die Perspektive geweechselt.

    Nastja, eine ukrainische geschiedene Bauingenieurin ohne Perspektive in ihrem Heimatland, kommt illegal nach Deutschland und nimmt verschiedene Putzstellen an, um ihren zurückgebliebenen Enkel zu versorgen.

    Eine schicksalhafte Begegnung lässt die Erzählerin, die wenig Zweifel daran lässt die Autorin zu sein, und Nastja aufeinandertreffen. Was anfänglich als Arbeitsverhältnis einer Frau mit ukrainischen Wurzeln und einer illegalen Arbeitssuchenden beginnt, entwickelt sich zu einer tiefverbundenen Freundschaft.

    Natascha Wodin erzählt nicht nur die Geschichte einer Frau, die sich unerlaubt in Deutschland aufhält und sich durchs Leben schlägt,

    sie erzählt von Sehnsucht nach Heimat und Behördenangst, von der Hilfsbereitschaft Dritter, unerschrockenem Mut und der immerwährenden Hoffnung, nach Hause zurückzukehren.

    Die Putzfrau Nastja steht allerdings nur stellvertretend für viele, die in das Berlin der Nachwende kommen und ihr Glück versuchen.

    Was diesen Roman jedoch um so bemerkenswerter und überaus lesenswert macht, ist das Verdienst der Autorin, Einblicke in die ukrainische Seele ihrer Figur Nastja zu geben und dabei ihre eigene Suche nach Heimat zu spiegeln.

    Was nach anfänglichen Schwierigkeiten wie Visumsbeschaffung und Scheinehe beinahe mühelos überwunden wird, gestaltet sich weitaus schwieriger, als sich die Frauen näher kennenlernen.

    Die Freundschaft wird brüchig, als Brücke erweiset sich die gemeinsame Liebe zur Musik und Literatur.

    Nicht unerwähnt soll die Leseleistung von Martina Gedeck bleiben, die dem Auf und Ab dieser Geschichte mit ihrer ausgeglichenen Lesestimme eine besondere Note verleiht.
    "Nastjas Tränen" stellt die Frage, wo wir zu Hause sind, was Heimat und Familie bedeuten und ist

    das menschliche Plädoyer einer großartigen Schriftstellerin für Freundschaft, die Grenzen überwindet.



    ASIN/ISBN: B099SCZN36