Sven Stricker: Sörensen am Ende der Welt

  • Gut möglich, dass Sörensen Gott ist


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    Die Wahrscheinlichkeit, dass es wirklich Götter gibt, oder auch nur einen einzigen Gott, ist so klein, dass man ganz schön viele Nullen bräuchte, um sie aufzuschreiben. Aber gäbe es tatsächlich einen Gott, dann würde ich mir wünschen, er (oder sie oder es) wäre wie Sörensen.


    Im dritten Band der Reihe um den unter einer generalisierten Angststörung leidenden Hamburger Kriminalkommissar, der ins friesische Katenbüll geflüchtet ist, um seine Ruhe zu haben, und der dort alles bekommt, nur das nicht, fährt Sven Stricker das Arsenal auf, das er wie kaum ein anderer beherrscht: Liebenswürdige, nachgerade weise Lakonie, verbunden mit präzisen Betrachtungen, anschaulich gezeichnetem Personal, klugen Schlussfolgerungen und allerfeinstem Witz. Es wird deutlich spürbar, dass ihm seine Katenbüller Figurenschar inzwischen so sehr ans Herz gewachsen ist, dass man von einer zweiten Familie sprechen kann. Möglicherweise deshalb wurde Sven Stricker kürzlich in einem Presseartikel „Sven Sörensen“ genannt. Der Vorname seines Ermittlers ist übrigens nach wie vor ein Geheimnis.


    Sörensen - der richtige, nicht Sven - war noch einmal in Hamburg, um die Wohnung an die Nachmieterin zu übergeben, damit auch dieses Kapitel abgeschlossen werden kann. Als er wieder nach Katenbüll fährt, passiert das gleiche wie bei den letzten beiden Malen: Er wird sozusagen von einem Leichenfund begrüßt. Im Koog wurde ein Toter entdeckt, nämlich Erik Hansen, und offenbar ist es so, dass die letzte Person, die ihn vor seinem gewaltsamen Ende lebendig gesehen hat, der inzwischen flüchtige Ole Hellinghusen war, der schlaksige, freundliche junge Mann mit den Rastalocken, der so gerne Gitarrist wäre, und vom dem Lucy ein Kind erwartet. Lucy wiederum ist die Tochter der jüngsten zukünftigen Oma von Katenbüll, nämlich Jenni Holstenbeck, Sörensens Lieblingskollegin. Außerdem ist da noch Lotta, Sörensens Tochter, die bei der Ex wohnt, und die möglicherweise über Ostern nach Friesland kommt. Und Sörensens ruppiger, nicht immer freundlicher Vater, der sich eigenartigerweise für einen kurzfristigen Besuch angemeldet hat (und der von der Beschreibung her ein wenig an Liefers‘ Vater im leider immer banaler werdenden Münsteraner Tatort erinnert).

    Die Ermittlungen führen Sörensen und sein Team (zum Niederknien: die neue Praktikantin) in die Prepper-Szene, also zu Leuten, die mit relativ unmittelbar bevorstehender Anarchie rechnen, und die sich deshalb auf festungsähnlichen Anwesen verschanzen, wo sie sich notfalls monatelang autark ernähren und gegen Angreifer verteidigen könnten. In dieser Szene, die gerne etwas reflexartig mit Verschwörungshirnis und/oder Nazis gleichgesetzt wird, hat auch der durchaus sympathische Journalist ermittelt, der plötzlich in Katenbüll auftaucht und Sörensen sozusagen nachsteigt, was der aber eigentlich nicht nur schlecht findet.


    „Sörensen am Ende der Welt“ erzeugt einen noch stärkeren Sog als seine beiden Vorgänger, und das liegt daran, wie die Hauptfigur sozusagen in Sörensengeschwindigkeit allmählich in ihre Konturen hineinwächst, während sich der Autor mehr und mehr zu entspannen scheint, wodurch die Schreibe immer flockiger wirkt, aber alles andere als lapidar, ganz im Gegenteil. Dieser Sörensen, der es wirklich nicht leicht hat, ist jemand, der sich eine Menge kluger (und oft amüsanter) Gedanken macht, der keine schnellen Schlussfolgerungen mag, der differenziert und sich notfalls selbst infrage stellt (so, wie man es auch von einem guten Gott erwarten würde). Er ist, kurz gesagt, keiner, der schon beim Urteil ist, obwohl die Anklage noch nicht verlesen wurde - und damit der Gegenentwurf zum Verhalten, das viele in den so genannten sozialen Medien an den Tag legen. Aber nicht nur das macht den Reiz von „Sörensen am Ende der Welt“ aus, sondern vor allem dieses warmherzige, philanthrope, auch in der Krise die sprichwörtliche Chance erkennende Verhalten eigentlich all seiner wichtigen Figuren. Man hört ihnen gerne zu, man erlebt sie gerne mit, und dass da auch noch ein Mordfall zu klären ist, na ja, das muss wohl so sein, wenn irgendwo „Krimi“ draufsteht.


    Die Geschichte nimmt nur ein paar Tage ein, endet dann leider etwas sehr plötzlich, und die Auflösung der Mordsache hätte gerne noch ein paar Seiten mehr bekommen können. Dass sich das so anfühlt, liegt natürlich auch daran, wie unerfreulich es ist, dass wieder ein Sörensen vorbei ist und man Monate auf den nächsten warten muss. Also, mach hinne, lieber Sven!


    ASIN/ISBN: 3499001217