Die Verlobten (Die Brautleute) - Alessandro Manzoni

  • „(...) denn es war geradezu unvorstellbar, daß ein Mächtiger waffenlosen Bitten nachgeben und eine Gewalttat aus reiner Gefälligkeit unterlassen würde, ohne dazu gezwungen zu sein.“ (Seite 145)


    Meine gelesene Ausgabe:

    927 Seiten, 440 Illustrationen, kartoniert

    Originaltitel: I promessi sposi

    Aus dem Italienisch von Ernst Wiegand Junker

    Verlag: DTV, München 1977

    ISBN-10: 3-423-02021-0

    ISBN-13: 978-3-423-02021-3



    Zum Inhalt (eigene Angabe)


    Im Jahr 1628 wollen Renzo und Lucia im Herzogtum Mailand heiraten, doch der Feudalherr Don Rodrigo hat selbst ein Auge auf Lucia geworfen und verhindert durch eine Intrige die Hochzeit. So kommt eine Entwicklung in Gang, die Figuren wie Leser mitten in die turbulenten Ereignisse zur Zeit des 30-jährigen Krieges, die Wirren des Mantuanischen Erbfolgekrieges und nicht zuletzt die große Pestepidemie in Mailand 1630 führt. Oder wie es im Klappentext zu meiner Ausgabe kurz, aber treffend heißt: „Manzoni läßt ein ganzes Zeitalter mit seiner Gesellschaft und seinen politischen Ereignissen lebendig werden.“

    Ein Klassiker unter den Klassikern.



    Über den Autor


    Allesssandro Manzoni wurde am 7. März 1785 in Mailand geboren. Wegen der schlechten familiären Verhältnisse lebte er zunächst in England und Frankreich. Bereits 1806 veröffentlichte er erste Gedichte. 1808 heiratete er Henriette Blondel, mit der er bis zu ihrem Tod eine glückliche Ehe führte. Wegen der Machenschaften eines unehrlichen Maklers war er gezwungen, 1818 sein Erbe zu verkaufen. Seinen Bauern gegenüber war er sehr großzügig, erließ ihnen Schulden und ließ sie die anstehende Maisernte behalten.

    Im Jahr 1833 starb seine Frau, in der Folge sechs seiner neun Kinder und seine Mutter. 1837 heiratete er Teresa Borri, die Witwe des Grafen Stampa.

    Er setzte sich unermüdlich für die Einigung Italiens ein und wurde 1860 zum Senator des Königreiches ernannt.

    Er starb nach einem Sturz am 22. Mai 1873 in Mailand.

    Die erste Fassung von „I promessi sposi“ wurde 1823 veröffentlicht, die zweite 1827. In den folgenden Jahren überarbeitete er den Roman sprachlich, eliminierte Dialekt und faßte ihn in toskanischer Schriftsprache. In dieser endgültigen Form wurde er 1840 - 1842 in Fortsetzungen veröffentlicht. Die Bedeutung der „I promessi sposi“ für die italienische Sprache läßt sich mit derjenigen der Lutherübersetzung der Bibel für die deutsche Sprache vergleichen.


    Informationen im Internet:

    - Die Wikpedia-Seite zum Autor

    - Die Wikipedia-Seite zum Buch (mit komplettem Inhalt)



    Meine Meinung


    Alleine schon aus obigem Satz läßt sich die ungemeine Aktualität dieses Buches erkennen. Denn genau das, was der Autor da schreibt, erleben wir gerade: ein Mächtiger, der vielmals gebeten wurde, eine Gewalttat zu unterlassen, begeht die dennoch, weil niemand ihn zwingt, den Angriffskrieg zu unterlassen. Solche Parallelen zu unserer Zeit in einem Buch, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde und zwischen 1628 und 1630 in Italien angesiedelt ist, gibt es zuhauf. Das hat mir mehrfach quasi den Atem stocken lassen und immer wieder aufs Neue gezeigt, daß manches menschliche Verhalten anscheinend zeitunabhängig ist. Und: daß der Mensch offensichtlich (so gut wie) nichts aus der Geschichte lernt. Wer Macht, Geld oder gar beides hat, setzt es unerbittlich für eigene Interessen ein, ohne Rücksicht auf Verluste oder andere Menschen.


    Sicher gibt es da Ausnahmen, und auch in diesem Buch kommen solche als leuchtende Beispiele mustergültigen Verhaltens vor. Ich denke beispielsweise an Pater Christophorus, ein Kapuziner von echtem Schrot und Korn, der sich unermüdlich für die Menschen einsetzt. Freilich mußte auch er einen dornenhaften Weg gehen, bis er zu dem wurde, als den wir ihn im Roman kennenlernen.


    Was mich zu einem weiteren Aspekt des Buches, der mir sehr gut gefallen hat, bringt. Manzoni führt eine Figur nicht einfach ein, er erzählt aus ihrer Vergangenheit und verdeutlicht, wie sie zu dem geworden ist, als das wir sie an einer bestimmten Stelle erleben. In Verbindung mit seinem großartigen Schreibstil hat man so das Gefühl, die Figuren persönlich zu kennen und selbst mit mitten drin im Geschehen zu sein. Ob das immer so gut ist, mag jeder für sich entscheiden, denn etwa die Schilderungen von Ereignissen während der großen Pestepidemie 1630 sind herzzerreißend, wenn ich beispielsweise an diesen Satz denke:

    „Und was konnte sie anderes tun, als sich auf das Bett des einzigen zu legen, das ihr noch geblieben war, und es neben sich zu legen, um zusammen mit ihm zu sterben? So fällt die schon auf dem Stengel prangende Blüte zugleich mit der noch verschlossenen Knospe unter der Sichel, die alles Kraut der Wiese gleichmacht.“ (S. 812)


    Immer wieder wird die Handlung durch historische Einschübe unterbrochen, in welchen Manzoni auf die Zustände der Zeit eingeht. Man mag das für unnötig halten (Goethe war nicht sonderlich begeistert davon), mich selbst haben diese Abschnitte jedoch nicht gestört. Ganz im Gegenteil. Durch die anschauliche und ausgefeilte Sprache des Autors erhält man so nebenbei einen Geschichtsunterricht, wie er besser nicht sein könnte. Indem dann Hauptfiguren mitten in die Geschehnisse der Zeit geworfen werden, wird alles sehr plastisch und prägt sich ein. Vor dem inneren Auge läuft ein Film ab, in dem zusätzlich zur Handlung auch die Begleitumstände erklärt werden - ich würde mir so eine Erzählweise viel öfter wünschen.


    Überhaupt die Erzählweise - die ist absolut grandios. Bildhaft - so daß man sich alles gut vorstellen kann; fließend - so daß man kaum unterbrechen mag; bisweilen ironisch kommentierend - so daß man immer wieder grinsen muß und unwillkürlich denkt „genau so ist es“; eine liebevolle Figurenzeichnung - so daß man meint, die Figuren persönlich zu kennen. Manchmal werden sogar die Bösewichter zu einfachen Menschen, die man nur noch bemitleiden kann. Alles in allem: absolut grandios.


    Auf Empfehlung eines Lehrers habe ich das Buch in meiner Jugend das erste Mal gelesen und es in sehr guter Erinnerung behalten (wenngleich ich kaum noch etwas präsent hatte). Hätte ich das Buch, sagen wir, im Jahr 2019 wieder gelesen, wäre es für mich wohl nach wie vor ein sehr gutes Buch gewesen. Aber im Jahr 2022, in welchem wir in den dritten Pandemiewinter gehen, offenbart das Buch seine zeitlose Qualität als Klassiker. Was Manzoni in Bezug auf die Pest und ihre Leugner beschreibt, könnte man, mit ein paar veränderten Begriffen, auch zu Corona und seinen Leugnern schreiben. Die Parallelen sind geradezu erschreckend, auch im menschlichen Verhalten, das sich offensichtlich im Laufe der Jahrhunderte nur wenig verändert. Das läßt durchaus an der Lernfähigkeit des Menschen zweifeln.


    Es sind zwei harte Jahre, durch die man als Leser die beiden Hauptfiguren ab dem Tag, an dem sie eigentlich hatten heiraten wollen, begleitet. Man freut sich mit ihnen, aber noch öfter leidet man mit ihnen, wenn es das Schicksal - oder der Zufall? - einmal nicht gut mit ihnen meint. Wenn dann nach rund neunhundert Seiten schließlich der letzte Absatz erreicht ist, so kann man gewiß sein, ein großartiges Leseerlebnis gehabt zu haben. Und dieser letzte Absatz gehört überdies mit zu den schönsten, mit denen jemals ein Buch beschlossen worden ist.



    Mein Fazit


    Ein grandioser Klassiker von geradezu beängstigend zeitloser Aktualität. Sprachlich ein Hochgenuß. Unbedingt lesenswert.


    Diese Ausgabe habe ich gelesen:

    ASIN/ISBN: 3423020210


    Und diese Ausgabe der Übersetzung ist noch lieferbar:

    ASIN/ISBN: 3458350896

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Hier zwei weitere lieferbare Ausgaben des Romans:


    Die Verlobten - Alessandro Manzoni

    Übersetzung von Caesar Stephan Rymarowicz


    812 Seiten, kartoniert

    Originaltitel: I promessi sposi

    Aus dem Italienischen von Caesar Stephan Rymarowicz

    Verlag: Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2010

    ISBN-10: 3-7466-2569-6

    ISBN-13: 978-3-7466-2569-0


    ASIN/ISBN: 3746625696



    Die Brautleute - Alessandro Manzoni

    Übersetzung von Burkhart Kroeber


    920 Seiten, gebunden

    Originaltitel: I promessi sposi

    Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber

    Verlag: Carl Hanser Verlag, München 2011

    ISBN-10: 3-446-19874-1

    ISBN-13: 978-3-446-19874-6


    ASIN/ISBN: 3446198741

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • "Ausgegraben" könnte man fast wörtlich nehmen; das Buch habe ich 1977 oder 1978 gekauft und mußte nun im Regal gefunden werden.

    Ja, Goethe, der im Übrigen vom Buch begeistert war, meinte, die Passagen, die Manzoni "als Historiker" geschrieben hat, wären unnötig. Ich traue es mich hier kaum zu schreiben, aber in einem anderen Forum hatten wir gerade eine Klassiker-Leserunde dazu, und die meisten waren der selben Meinung. Ich allerdings fand diese Passagen durchaus nicht unnötig, im Gegenteil.


    Es hat mich auch etwas gewundert, daß es zu dem Buch noch keinen Thread hier gab. Die Bedeutung der "Verlobten" für die italienische Literatur wird oft mit der des "Faust" für die deutsche gleichgesetzt. Und allgemein findet man die Auffassung, daß Manzoni mit seinem Buch die Grundlage für das moderne Italienisch, das im ganzen Land verstanden werden kann, gelegt hat.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • SiCollier


    Ich habe eine Ausgabe im Regal stehen - allerdings noch nicht gelesen - die ich überhaupt nicht mehr verlinken kann. Sie ist aus der Manesse Bibliothek der Weltliteratur 7. Auflage 1993. Allerdings sind mittlerweile meine Augen nicht mehr gewillt, derart winzige Schrift lesen zu wollen. Ich müßte mit der Lupe ran :alter


    Aber deine Rezi macht neugierig :-]