Birgit Ebbert: Ein Geschenk fürs Leben. Roman über Eglantyne Jebb, die Mutter der Kinderrechte und Gründerin von Save the Children, Köln 2025, Bastei Lübbe AG, ISBN 978-3-7577-0104-8, Klappenbroschur, 396 Seiten, Format: 13,5 x 3,25 x 21,5 cm, Buch: EUR 17,00, Kindle: EUR 12,99.
- 1. Das Kind muss die für seine normale materielle und geistige Entwicklung erforderlichen Mittel bekommen;
- 2. Das hungrige Kind muss gefüttert werden; das kranke Kind muss gepflegt werden […]; und Waisenkinder müssen beschützt und unterstützt werden;
- 3. Das Kind muss in Zeiten der Not zuerst Hilfe bekommen;
- 4. Das Kind muss in die Lage versetzt werden, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, und es muss vor jeder Form der Ausbeutung geschützt werden;
- 5. Das Kind muss in dem Bewusstsein erzogen werden, dass es seine Talente zugunsten seiner Mitmenschen und der Menschheit einzusetzen hat.
(Seite 331)
1924: Kinderrechte. Wie kam Frau
Jebb auf die Idee?
1992 wurde in Deutschland eine Erklärung über die Rechte der Kinder ratifiziert. Das habe ich am Rande mitbekommen. Dass schon 1924 eine Charta der Kinderrechte bei der Generalversammlung des Völkerbundes verabschiedet worden ist, war mir neu, genau wie die Tatsache, dass Eglantyne Jebb, eine wohlhabende Britin, diese Charta damals initiiert hat. Eine Privatperson, unverheiratet und kinderlos! Was hat sie nur auf diese Idee gebracht? Und wie ist es ihr überhaupt gelungen, bei den Mächtigen der Welt Gehör zu finden … als Frau, damals? – Genau davon erzählt dieses Buch.
Eglantyne Jebb gab’s wirklich, auch ihr soziales Engagement ist verbürgt. Trotzdem ist das Buch keine Biographie, sondern eine romanhafte Aufbereitung ihrer Lebensgeschichte. Geboren 1876, wächst sie mit 5 Geschwistern in privilegierten Verhältnissen auf. Die Eltern ermutigen sie zum Lesen, egal was, und freuen sich, dass das Kind gerne schreibt und zeichnet. Ihre Spleens tolerieren sie. Soll die Kleine doch Krieg spielen und davon träumen, Soldat zu werden. Das schadet keinem und wächst sich aus.
Lehrerin? Nicht ihr Ding!
Die „große“ Eglantyne studiert dann brav Literatur und Geschichte und wird Lehrerin an einer Grundschule in Marlborough.
Dort ereilt sie ein Kultur- und Praxisschock. Natürlich hat sie gewusst, dass es arme Leute gibt, doch noch nie ist sie mit ihnen so in Kontakt gekommen wie mit ihren 60 erschöpften, ungewaschenen und unwilligen Schülerinnen.
Als Lehrerin bekommt sie keinen Fuß auf den Boden und schmeißt den Job nach ein paar Monaten entnervt hin.
Und jetzt? Zwar müsste sie aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht arbeiten, doch sie braucht eine Aufgabe. Durch ihren künftigen Schwager Charles Buxton, einem Politiker, und das Engagement ihrer Schwester Dorothy wird Eglantyne klar, dass Armut nicht gottgegeben ist, sondern dass man etwas dagegen tun kann, ja sogar muss. Konkret: dass sie etwas dagegen tun will. Nicht lokal als Grundschullehrerin, sondern übergreifend, aufklärend und organisierend.
Im Dienst wohltätiger Organisationen
In den folgenden Jahren arbeitet und reist sie für verschiedene wohltätige Organisationen. Was sie da zu sehen bekommt, ist ungleich schlimmer als ihre schmuddelig-feindseligen Grundschülerinnen. Schnell erkennt sie: mit punktueller Hilfe durch Sach- und Geldspenden allein ist es nicht getan. Man muss das Bewusstsein der Menschen verändern und damit aufhören, andere Nationen zu diffamieren.
„Der Feind“ ist kein Ungeziefer, das es auszurotten gilt, sondern ein Mensch! Und es kann schon mal gar nicht angehen, dass die Erwachsenen einander bekriegen und unschuldige Kinder darunter leiden müssen.
Es müsste doch zur Völkerverständigung beitragen, wenn man auch den Kindern seiner Feinde hilft!
Man muss das Bewusstsein verändern
„Wir müssen dafür sorgen, dass Hass und Bitterkeit in unseren Herzen gegenüber jedem Menschen verschwinden. Ich bitte Sie: Lassen Sie uns diese Botschaft in die Tat umsetzen, indem wir die Kinder Europas retten, ganz gleich, welcher Nation sie angehören.“ (Seite 200)
Aus dieser Idee entsteht nicht nur der „Artikeldienst“, in dem Eglantyne zusammen mit ihrer Schwester Zeitungsartikel aus ganz Europa ins Englische übersetzen und verbreiten lässt, damit die Leser die Welt nicht nur aus britischer Perspektive wahrnehmen, sondern auch die Organisation „Save the Children“, die Sach- und Geldspenden sammelt und verteilt, Schulspeisungen organisiert und auf verschiedene Weise Hilfe zur Selbsthilfe gibt.
Dieses Konzept findet dank überzeugender (Öffentlichkeits-)Arbeit, guter Kontakte und hochkarätiger Fürsprecher:innen bald internationale Verbreitung. Doch in Eglantynes Augen ist das noch nicht genug. Kinder sollten nicht auf Wohltätigkeit angewiesen sein, sondern Anspruch auf eine gedeihliche Umgebung haben. 1923 formuliert sie erstmals die 5 Kinderrechte. Aber ist die Welt schon reif für diese Idee …?
In Eglantyne Jebbs Fußstapfen
Von all diesen Ereignissen erfahren wir in Rückblenden und aus dem, was Eglantyne Jebbs 1926 einem jungen Gast erzählt, der anlässlich ihres fünfzigsten Geburtstags aus dem Ruhrgebiet zu ihr nach Genf gekommen ist: Die Krankenschwester Anni Schlinkert, 21, überbringt Grüße, Glückwünsche, Geschenke und den innigsten Dank ihres Arbeitgebers, eines Säuglingsheims in Gelsenkirchen-Buer. Ohne Frau Jebbs Organisation und Hilfe gäbe es dieses Heim nicht, und Bergmannstochter Anni hätte keine Ausbildung machen können.
In ihrer Welt arbeiten Mädchen nach dem Schulabschluss in fremden Haushalten, bis sie heiraten und dann ihrem Mann den Haushalt führen.
Durch Eglantyne Jebbs lernt Anni eine ganz neue Welt kennen: In so gebildeten, wohlhabenden und vornehmen Kreisen hat sie sich noch nie bewegt! Eglantyne erkennt, dass die junge Besucherin ein ganz heller Kopf ist und sorgt dafür, dass sie ihren Aufenthalt in der Schweiz verlängern kann. Als Annie schließlich wieder nach Hause kommt, hat sie den Kopf voller neuer Erkenntnisse und Ideen – und die Position einer „Botschafterin für Save the Children“ an der Backe. Einen neuen Verehrer hat sie auch.
Anni muss ihren eigenen Weg finden
Mit Feuereifer und vielen kreativen Einfällen versucht Anni, der Aufgabe gerecht zu werden und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Aber sie ist nicht Eglantyne Jebbs.
Sie hat andere Erfahrungen gemacht im Leben und sie ist keine reiche Erbin, die das soziale Engagement in Vollzeit ausüben kann. Sie muss ihr anspruchsvolles Ehrenamt neben ihrer Tätigkeit als Krankenschwester stemmen- ohne Personal, das sie unterstützt. Das alles hat Eglantyne nicht bedacht, als sie der jungen Frau den Botschafterposten aufgebürdet hat. Sie hat Annis Leben durcheinandergebracht und sie dann sich selbst überlassen.
Anni muss einen eigenen Weg finden, ehe sie an ihre Belastungsgrenzen stößt und ausbrennt …
Ich mag, wie schon wiederholt gesagt, Geschichten über die kleinen Anfänge großer Ideen. Und ich fand es interessant, mitzuerleben, wie die hochintelligente Eglantyne und ihre quirlige Schwester die Organisation „Save the Children“ und die Kinderrechte ersinnen und zum Laufen bringen. Mag der gedankliche Ansatz „wenn wir uns um die Kinder aller Länder kümmern, werden sie uns nicht mehr als Feinde wahrnehmen können“ auch etwas naiv erscheinen: Mit viel Mut, Beharrlichkeit, frischen Ideen und einem großen Netzwerk haben die zwei Schwestern und ihre Unterstützer eine Menge bewirkt.
Respekt!
Sie wurden belächelt, angefeindet, ausgebremst und sogar eingesperrt, aber sie haben niemals klein beigegeben. Und wenn der Umgang mit Wichtigtuern und Trittbrettfahrern den Einsatz einer kleinen Intrige erfordert hat, dann haben sie sich eben einer solchen bedient. Da hat der Zweck schon mal die Mittel geheiligt. Auf jeden Fall haben sie für ihre Leistung meinen vollen Respekt! Und ich freue mich, etwas über die Arbeit engagierter Menschen gelernt zu haben, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte.
Die Autorin
Birgit Ebbert ist freie Autorin und lebt im Ruhrgebiet. Als Diplom-Pädagogin schreibt sie Ratgeber und Lernhilfen sowie Kinderbücher und Erinnerungsgeschichten für die Arbeit mit Seniorinnen und Senioren. Seit ihrer Dissertation über Erich Kästner ist sie fasziniert von der deutschen Geschichte, was sich in ihrer Literatur widerspiegelt. In Kurzgeschichten und Romanen zeigt sie, dass hinter Geschichte immer auch Leben und Geschichten stecken.
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ASIN/ISBN: 3757701046 |