Im Tal des Goldregens - Felicity Whitmore

  • Felicity Whitmore: Im Tal des Goldregens. Roman, München 2025, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-22117-7, Klappenbroschur, 414 Seiten, davon rund 30 Seiten Leseprobe eines anderen Buchs, Format: 12,3 x 2,98 x 19,1 cm, Buch: EUR 13,00, Kindle: EUR 4,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Jennie hatte es die Sprache verschlagen. Für alles hatte sie diese Dame gehalten: für eine Plantagenbesitzerin, eine reiche Erbin, eine Gräfin oder sogar eine Prinzessin. Aber niemals hatte sie geglaubt, es mit einer Bordellmutter zu tun zu haben.“ (Seite 93)


    Na, das sind doch mal Romanheldinnen nach meinem Geschmack: keine hilflosen „Jungfern in Not“, sondern selbstbestimmt, zielstrebig und – die Geschichte spielt im Wilden Westen – ihrer Zeit weit voraus! Skrupellos und durchtrieben sind sie allerdings auch. Anders überlebt man in dieser Branche vermutlich nicht: Mattie Silks (1845 geb. als Martha A. Nimon) und Jennie Rogers (eigentlich Leah Fries), Jahrgang 1848, betreiben Bordelle.


    Mattie Silks und Jennie Rogers gab’s wirklich, nur das düstere Familiengeheimnis und die Rahmenhandlung hat die Autorin dazuerfunden.


    Melissa Thompson & Leo Rogers


    Keswick, Lake District/UK, in der Gegenwart: Der britische Journalist Leo Rogers (26) taucht überraschend bei seiner ehemaligen Kollegin Melissa Thompson (24) auf. Sie ist nicht gut auf ihn zu sprechen, doch sein Anliegen klingt interessant: Bei Recherchen ist er auf seine mysteriöse Familiengeschichte gestoßen, die auch mit Melissa zu tun hat. Anscheinend sind seine und ihre Urgroßmutter vor fast 100 Jahren zusammen aus den USA nach Großbritannien gekommen. Seltsam! Die jungen Leute haben noch nie von ihren amerikanischen Vorfahrinnen gehört! Sie hielten sich immer für lupenreine Briten.


    Noch interessanter wird’s, als in einem Brief von Leos Urahnin ein gefährliches Geheimnis erwähnt wird. Sie schreibt, der Schlüssel zu ihrer Vergangenheit läge bei ihrer Freundin Theresa Thompson, Melissas Urgroßmutter. Es muss also Unterlagen aus jener Zeit geben … Briefe, Tagebücher, Urkunden … und Leo vermutet, dass sie in Silk House, dem Familiensitz der Thompsons, versteckt sind.


    Trotz ihrer Differenzen stellen Leo und Melissa gemeinsam das Anwesen auf den Kopf und finden tatsächlich eine Kiste mit gelben Seidenkleidern und eine Handvoll Tagebücher. Nun gehen den beiden vernachlässigten Sprösslingen reicher Eltern die Augen über, denn sie erfahren, was ihre Urgroßmütter für Kaliber waren und woher das Vermögen ihrer Familien wirklich stammt. 😊


    Mattie Silks


    Springfield/Illinois, 1865: Mattie Silks, 19, ist vor ihrer Familie geflüchtet, als man sie verheiraten wollte und schlägt sich jetzt als Trickbetrügerin durch. Wie man das macht, hat sie von ihrem älteren Bruder gelernt. Doch ewig kann und will sie ihr Geld nicht auf diese Weise verdienen.


    Mattie spart auf ein eigenes Geschäft. Kühl und klug kalkuliert sie: Wenn ihre Familie sie ausfindig macht und sie wieder flüchten muss, wäre ein Laden mit viel Wareneinsatz ein Verlustgeschäft. Deutlich mobiler wäre sie mit einem Bordell.


    Jennie Rogers


    Auf dem Missouri, 1866: Auch Leah Fries aus Pittsburgh, 18, ist auf der Flucht. Viel zu jung hat sie einen engagierten Arzt geheiratet, der nie Zeit für sie hatte. So öde und einsam hat sie sich ihr Leben nicht vorgestellt und so macht sie sich klammheimlich davon. Einen Plan hat sie nicht.


    Flussschiffer Henry Rogers nimmt sie auf und bringt ihr sein Handwerk bei.


    Auf einer ihrer Fahrten lernt sie Mattie Silks kennen und ist schwer beeindruckt von der eleganten, selbstbewussten jungen Frau – und völlig von den Socken, als sie hört, was diese kultivierte Erscheinung beruflich macht.


    Mehrere Jahre bleibt Jennie bei ihrem Flussschiffer, dem einzigen anständigen Mann, den sie je haben wird. Irgendwann packt sie die Abenteuerlust und sie zieht weiter. Auf dubiose Weise kommt sie zu Geld und tritt beruflich in Mattie Silks Fußstapfen. Diesen Plan hatte sie immer im Hinterkopf.


    Wiedersehen in Denver


    Denver/Colorado, 1877: Die clevere Mattie Silks verlegt ihr Business jeweils dorthin, wo sich besonders viele Männer wie z.B. Eisenbahn-Arbeiter oder Goldsucher aufhalten. Jennie Rogers zieht mit ihren Etablissements weiter, wenn sie sich irgendwo langweilt oder ihr der Boden zu heiß wird. 1877 sehen sich die beiden Frauen als Kolleginnen und Konkurrentinnen in Denver/Colorado wieder.


    Die beiden sind viel zu schlau, um ihre Energien mit Konkurrenzneid und Zickenkrieg zu verschwenden. Kunden gibt’s im Überfluss, und wenn sie ihre Kräfte bündeln, kann das nur von Vorteil sein. Mattie, die berechnende Strategin und Jennie, die impulsive Abenteurerin freunden sich an.


    Mit Männern haben die beiden kein Glück.

    Die zwei Kerle leben zwar sehr gut vom Geld ihrer Partnerinnen, doch offenbar kratzt diese Situation an ihrem Ego. Ihre eigenen Geschäftsideen erweisen sich jedoch als hochriskant und haben dramatische Auswirkungen, nicht nur für sie selbst …


    Das Leben schreibt die verrücktesten Geschichten


    Wie gesagt: Über die beiden Bordellmütter findet sich etliches im Internet. An dem Spruch, dass das Leben selbst die verrücktesten Geschichten schreibt, ist offenbar was dran. Immer, wenn Mattie und Jennie in diesem Roman eine Entscheidung treffen, bei der man als Leserin denkt: „Oh nein, die wird doch jetzt nicht etwa …!“, dann beruht genau das höchstwahrscheinlich auf Tatsachen.


    Die Personen aus der frei erfundenen Rahmenhandlung haben mich nicht so begeistert. Ich habe schon verstanden, was die beiden jungen Journalisten umtreibt. Aber hat Melissa Thompson ernsthaft ihre Ansprüche an einen Lebenspartner heruntergeschraubt, weil sie gelesen hat, mit welch charakterlich defizitären Mistkerlen sich Mattie und Jennie zufriedengegeben haben? Das wäre allerdings ein zweifelhaftes Vermächtnis dieser beiden starken Frauen!


    Aber gut, das ist Melissas Problem. Die Zeitreise in den Wilden Westen fand ich hochinteressant, aufschlussreich und spannend.


    Die Autorin


    Felicity Whitmore, Jahrgang 1977, hat vier große Leidenschaften: England, ihre Hunde und Katzen, das Theater und das Schreiben. Sie reist regelmäßig nach England und schreibt, wann immer sie Zeit dafür findet. In ihren Bestsellerromanen beschäftigt sie sich am liebsten mit den Geheimnissen alter Häuser.


    ASIN/ISBN: 3423221178

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner