Gustave Flaubert - Madame Bovary

  • Ein Klassiker, erschienen 1857 und zunächst umstritten wegen einiger anstößiger Szenen.


    Die Handlung, salopp zusammengefasst: Romantisch-schwärmerisch-naive Bauerntochter heiratet den erstbesten, der vorbeikommt, nämlich den Landarzt Bovary. Das Eheleben ist schnell ernüchternd, die Sehnsüchte nach wahrer Liebe, Reichtum und einem Dasein als Frau von Welt bleiben. Madame Bovary fühlt sich zu Leon hingezogen, der ähnlich wie sie schöngeistige Gedanken hegt. Es bleibt beim Schwärmen. Als Rodolphe, ein erfahrener Schürzenjäger, auftaucht, schafft er es mit Leichtigkeit, Emma Bovary zu erobern. Später taucht Leon wieder auf und diesmal bleibt es nicht beim schwärmerischen Entsagen. Emma, überfordert und schwankend zwischen Schwärmereien, der Suche nach Glück und der Flucht vor der kleinstädtischen Enge, verstrickt sich heillos und gibt mehr Geld aus als vorhanden. Das führt zur Katastrophe ...


    Die Nebenfiguren (der Händler Lheureux, der Apotheker als Freund und Konkurrent, der Pfarrer) sind treffend gezeichnet und liefern ein überzogenes Abbild des ländlichen Lebens und der Versuche nach Höherem zu streben.


    Warum hat dieser Roman soviel Aufsehen erregt?
    Ich denke, eine Frau auf dem Weg ins Verderben zu zeigen, war 1857 ein Riesenskandal. Auch dürften die Nebenfiguren eine Reihe von Leuten geärgert haben, denen Flaubert einen Spiegel vorhält: Der Apotheker, dem mit seinem kindischen Streben nach Ruhm und schnellem wissenschaftlichem Erfolg jedes Mittel recht ist, der Pfarrer, der kein Ohr für echte Nöte und Gewissenskonflikte seiner Gemeindemitglieder hat, die Vertreter der Landwirtschaft, die einen Kongress abhalten, der Slapstickelemente enthält, die Reichen, die zwar über Besitz, nicht aber über Verstand verfügen. Die Hauptpersonen Emma und ihr Gatte sind übrigens auch keine Leute mit Verstand und Vorbildcharakter, Flaubert lässt sie re-agieren und überlässt sie zufälligen Begegnungen und Schicksalsschlägen.


    Ich hatte zunächst einige Schwierigkeiten, das Buch zu lesen, weil von Anfang an klar war, dass Madame Bovary zielstrebig, entschuldigt den Ausdruck, in die Scheiße reitet und ich öfter das Bedürfnis hatte, das Mädel wachzurütteln. Mit etwas Abstand – schließlich handelt es sich nur um ein Buch – verging dieses Gefühl und der Lesegenuss überwog. Flaubert ist ein ausgezeichneter „Maler“, er beschreibt Gegenden, die Atmosphäre eines Hauses, den Charakter der einzelnen Figuren mit Liebe zum Detail.


    Madame Bovary ist mehrfach verfilmt worden – ich weiß noch nicht, ob ich den Leseeindruck mit einem Film verwässere oder bereichere. Wenn jemand von euch mit einem Film Erfahrung gemacht hat, sagt bitte Bescheid, mich interessiert eure Meinung.


    Ein Makel: Ich nörgle gern über schludrige Übersetzungen. Madame Bovary ist häufig neu übersetzt worden, meine Ausgabe (übersetzt von Ilse Perker und Ernst Sander) ist weder schlecht noch gut, sie ist eine von vielen. Das Ärgerliche an der französischen Sprache ist für mich die unzureichende Übertragbarkeit. Ein Beispiel: Der Satz „On parle“ ist wörtlich mit „Man redet“ idiotisch übersetzt, erfordert interpretierendes Übersetzen: Sie reden – Alle reden – Es wird geredet.


    Aus diesem Grund habe ich eine gekürzte Ausgabe in der Originalsprache parallel gelesen und bin im Nachhinein zufrieden.


    Reclam Universal-Bibliothek: Madame Bovary, Èdition abrégée, ISBN 3-15-009142-X


    In einer alten Ausgabe der Fischer-Bücherei des Wissens (TB von 1969, Interpretationen VI, Französische Literatur von Beaumarchais bis Camus, keine ISBN) habe ich noch einen Beitrag zu Madame Bovary gefunden, der Hintergrundinformationen liefert.


    polli

    Die Zeit schreitet voran. Und du, Mensch?

    S. J. Lec

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  • Liebe polli,


    meinen heißen Dank für diesen Beitrag über ein Buch, das seit langer Zeit mein absolutes Lieblingsbuch ist. Ich lese es ungefähr alle zwei Jahre wieder, manchmal öfter.


    Beim ersten Lesen (das muss ungefähr 1991 oder 92 gewesen sein) habe ich - daran erinnere ich mich genau - zu einer Bekannten gesagt, die Hauptperson sei "extrem dumm". Wie Du selbst sagst, man spürt von Anfang an, dass ein so beharrliches Festhalten an einem völlig schiefen Weltbild nur im Unglück enden kann.


    Jetzt, nach x-mal Wiederlesen, bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Mich beeindruckt die Beharrlichkeit, mit der Emma Bovary ihre Traumwelt verteidigt.


    "Madame Bovary" gilt, soweit ich weiß, literaturgeschichtlich als der erste "moderne Roman". Ich glaube, das ist eben wegen dieser verschiedenen Lesemöglichkeiten so. Man kann das Buch als Verteidigung der Heldin wie auch als Anklageschrift gegen sie lesen. Der Autor hat einen - wie soll ich es nennen - changierenden Stil. Man spürt seine innere Beteiligung zwar sehr stark, aber es gibt keine verbindliche Lesart, wie er selbst über seine Heldin denkt. Interessanterweise hat gerade dieser Umstand nachfolgende Schriftstellergenerationen beflügelt. Jean Améry schrieb ein Buch mit dem Titel "Charles Bovary, Landarzt", in dem er darlegt, Flaubert habe Emmas Ehemann keine Gerechtigkeit widerfahren lassen; er sei gar nicht so stupide und langweilig, wie Flaubert ihn darstelle, sondern einfühlsam und liebevoll. Dabei dreht sich Améry natürlich im Kreis, denn Charles' gute Eigenschaften kann er auch nur anhand des Buchs nachweisen, also mit Flauberts Hilfe. Von Dacia Mariani gibt es ein Buch mit dem Titel "Die Wahrheit über Emma B.", in dem die Autorin zu beweisen versucht, dass Flaubert seine Emma gehasst hat und ihr jede nur denkbare Gemeinheit angedichtet hat, um seine eigenen Schwächen als Liebhaber zu bemänteln.


    Bei Mario Vargas Llosa ("Flaubert und Madame Bovary" - man merkt, ich bin eine Besessene) kann man nachlesen, dass Flaubert viereinhalb Jahre an diesem Buch gearbeitet hat, und zwar ununterbrochen. Dass man auf jeder Seite auf stilistische Kabinettstückchen stößt, ist kaum verwunderlich bei dieser Sorgfalt. Meine Tochter bereitet gerade für den Französischunterricht ein Referat über den Roman vor. Anhand unserer französischen Ausgabe (ich kann leider nicht genug Französisch, sie komplett zu lesen) konnte sie mir beweisen, dass Teile der Ballszene im Walzertakt geschrieben sind. Sie hat mir eine halbe Seite vorgelesen. Es ist unglaublich, wozu die Sprache in den Händen eines Meisters fähig ist.


    "Die einzige Art, das Dasein zu ertragen, besteht darin, sich an der Literatur wie in einer ewigen Orgie zu berauschen."
    (Flaubert in einem Brief vom 4.9.1858 )


    Mit Grüßen
    Zefira, die in Heldenanbetung verfällt, sobald der Floh-Bär ins Spiel kommt :anbet

  • Was bin ich froh, eine Gleichgesinnte zu treffen, Zefira!


    Ich lese dieses Buch, weil ich in einer kleinen Literaturgruppe bin, deren Mitglieder sich einmal im Monat zum Lesen und Besprechen treffen, und unser Lesethema ist für die nächsten Monate "Frauen in der Literatur - was ist weiblich?"
    Dazu fällt mir noch die überlieferte Aussage vom Mann Flaubert: "Madame Bovary, das bin ich."
    Ich denke, wenn man diese Besessenheit und die pedantische Arbeitsweise vor Augen hat, dann wird dieser Satz verständlich. Wieweit sein eigenes Gefühlsleben Parallelen aufweist, das weiß ich nicht, allerdings hatte Flaubert eine langjährige Geliebte und die Beziehung der beiden war nicht einfach.


    Ich denke, es ist noch wichtig zu wissen, dass Madame Bovary keine Erfindung ist: 1848 wurde der Fall einer Frau bekannt, die nach einer Affäre Selbstmord beging. Damit wird Flauberts Buch auch zu einem realistischen Buch, er greift ein aktuelles Thema auf, verzichtet auf den erhobenen Zeigefinger, redet und schreibt sich die Welt nicht "schön". Das alles sind für mich Merkmale eines modernen Romans, die sein Werk von dem anderer Verfasser abgrenzen.


    Sollte deine Tochter das Referat zufällig im PC haben und auf die Reise in mein Postfach schicken wollen, ich würde mich freuen und der Rest unserer kleinen Lesegruppe auch. :-)


    Literarische Grüße


    polli

  • Liebe polli, das Referat ist noch in Vorbereitung. Meine Tochter hat aber mit ihrer Gruppe schon schöne Ideen entwickelt: Zu Beginn der Stunde wollen sie an die Mitschülerinnen kleine bunte Zettel austeilen, auf die alle kurz notieren sollen, wie sie sich ihr Eheleben vorstellen. Emmas Realität soll dann auf einer Demowand aus grauer (!) Pappe dargestellt werden. Außerdem wollen sie eine Szene mit verteilten Rollen lesen.


    Für mich ist "Madame Bovary" ein hochaktuelles Buch. Natürlich geht heute niemand mehr so unaufgeklärt in die Ehe, überhaupt wird ja nicht mehr so unbedarft drauslos geheiratet. Unabhängig von dem Thema Ehe geht es aber in diesem Roman auch wieder um das ewige Thema, wie ein belesener, an Kunst und Literatur interessierter Mensch am Zwiespalt zwischen erträumter Kunstwelt und Wirklichkeit leidet. So gesehen ist Emma Bovary eine Schwester Don Quijotes, denn sie erwartet von Leben das, was ihr ihre Romane als "wirkliches Leben" vorspiegeln. Eine ähnliche Erfahrung dürften heutige Teenager machen, wenn sie meinen, ihr Leben müsste so aussehen wie in "Gute Zeiten - schlechte Zeiten", einschließlich ihres eigenen Aussehens und dem ihrer Boyfriends. :-]


    Zum realen Hintergrund von "Madame Bovary" noch eine Anekdote: Flauberts Erstling war ein Roman über eine Heiligenlegende. Nach Niederschrift lud er einige Freunde ein, um ihnen das Werk vorzulesen. Sie fanden das Machwerk allesamt scheußlich, überladen und langweilig. "Schreib doch über etwas Alltägliches!", rieten sie ihm, "zum Beispiel eine Geschichte wie die in der Zeitung da!" Mit der Geschichte in der Zeitung meinten sie eben jene Ehebruchsaffäre, die Du genannt hast.


    lG
    Zefira

  • Da bringst du mich auf gute Ideen, Zefira: Vielleicht sollten wir in unserer Leserunde auf grauer bis farbenfroher Pappe Notizen zu unserem damals erträumten bzw. aktuellen Eheleben ankleben. Im Ernst, ich denke, dieses Buch ist tatsächlich aktuell, es verkörpert für mich die Gegensätze Sehnsucht - Wirklichkeit, Naivität - Abgeklärtheit und, wie du sagst, Kunst/Literatur - real life mit all seinen Enttäuschungen, Finanznöten, der Langeweile und der Hässlichkeit. Vielleicht ist es hauptsächlich der Gegensatz der illusorischen Schönheit und der wahrgenommenen Hässlichkeit des Daseins, der dieses Buch so zeitlos macht. Ich denke darüber nach.


    Lieben Gruß


    polli

  • Zitat

    Original von polli
    Im Ernst, ich denke, dieses Buch ist tatsächlich aktuell, es verkörpert für mich die Gegensätze Sehnsucht - Wirklichkeit, Naivität - Abgeklärtheit und, wie du sagst, Kunst/Literatur - real life mit all seinen Enttäuschungen, Finanznöten, der Langeweile und der Hässlichkeit.


    Flaubert ist heute noch genauso aktuell wie er es im 19. Jahrhundert gewesen ist. Sein Realismus wirkt bei heutiger Lektüre niemals antquiert. Das hat er seinem Kollegen Zola voraus. "Madame Bovary" ist eines der Meisterwerke der Literatur schlechthin. Ein Buch, welches auch nach dem fünften Lesen nicht langweilig wird - immer wieder gibt es etwas Neues zu entdecken.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Nachdem ich lange Hemmungen hatte, aus mir heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen, habe ich dieses Meisterwerk nun auch gelesen und bin hingerissen. Entgegen der trögen Erwartung, die ich noch als Schülerin den zu lesenden Klassikern im Unterricht entgegenbrachte, hat mich dieses Buch sehr gut unterhalten.


    Zum einen begeistern die malerischen Beschreibungen Flauberts, wie polli oben schon treffend anmerkt. Zum anderen ist das Thema, wie auch schon erwähnt, immer modern. Der Schreibstil ist weder verschachtelt noch mit unbekannten Fremdwörtern gespickt, die Dialoge sind teilweise schon ziemlich witzig, immer gut verständlich. Manchmal kommt mir der Erzähler richtig lapidar vor. Das gefällt mir. Eine Walzerszene konnte ich natürlich nicht erkennen, ich las eine Übersetzung. Aber ich bin auch so zufrieden. Auf jeden Fall macht es neugierig auf weitere Werke des Autors.


    Emma erinnert mich entfernt an das Bild, das ich von heutigen Teenagern habe, auch auf die Gefahr hin, alle über einen Kamm zu scheren. Sie ist eine Dame, die ich nur zu gerne an den Armen packen und schütteln möchte, so dämlich kommt sie mir in Geldesdingen vor. Ihre Leidenschaften für die verschiedenen Männer und entgegen ihren Mann kann ich dagegen sehr gut nachvollziehen. Ich denke fast, in der heutigen Zeit wäre sie sicher glücklicher geworden, zumindest in Bezug auf das Liebesleben. Oder auch nicht, ihr Hang zum sich treiben lassen und Verantwortlichkeit abgegen ist verhängnisvoll. Wer etwas erreichen will, muss etwas tun.


    Ihr Mann tut mir einfach nur leid, seine maßlose und vor allem kritiklose Anhänglichkeit, sein Drang, immer die Augen zu verschließen, ist mir suspekt. Zuneigung konnte ich hier nicht entwickeln. Dann schon eher zu Leo, der sich Emma zwar ebenso ergeben hat, dem aber ab und an durchaus klar war, welcher Furie er sich da hingegeben hat. Im Übrigen hat mich Emmas Fatalismus am Ende eben doch fasziniert, wenn ich auch nie in solch eine Lage kommen möchte. Dass sie sich freilich zum Tod entschließt war irgendwie klar, ob aus verlorener Liebe, Finanznot oder um einfach nochmal im Mittelpunkt zu stehen, dass habe ich für mich noch nicht entschieden. Ach, ich könnte ewig so weiter parlieren, aber nein.


    Fazit: unbedingt lesenswert, vor allem des Humores wegen und der augenzwinkernden Beschreibung der Nebencharaktere.


    Liesbett


    PS.: Die Behauptung, das Lesen hätte Emma in den Ruin getrieben kann ich nicht ganz nachvollziehen. Ihr Untergang scheint mir dann doch eher im Charakter zu liegen, weniger in der Wahl der Lektüre. Die "anstößigen" Szenen fand ich allerliebst, für die damalige Zeit sind sie aber sicher zu deutlich gewesen. :grin

  • Zitat

    Ihr Untergang scheint mir dann doch eher im Charakter zu liegen, weniger in der Wahl der Lektüre.


    Das ist ein interessanter Punkt. Flaubert hat leider nur wenig geschrieben, aber ich kenne eine ganze Reihe Romane von seinem Zeitgenossen Zola, der sich zur Aufgabe gesetzt hatte, ein wahrheitsgetreues Sittenbild seiner Zeit zu schaffen. Da kann man lesen, wie die bürgerliche Mädchenerziehung zu dieser Zeit aussah: Bücher wählten die Eltern aus, Zeitungen durften Mädchen überhaupt nicht lesen, auf die Straße durften sie nur in Begleitung Erwachsener und sollten sich so wenig wie möglich umsehen, am besten immer mit niedergeschlagenen Augen gehen (ich weiß nicht, inwieweit Zola hier übertreibt) ... Es gab für bürgerliche Mädchen keine andere "legale" Methode, sich über Liebe und Ehe zu informieren, als das Lesen von Romanen. Und natürlich waren ihnen nur Romane zugänglich, in denen wir Wirklichkeit so verbrämt wurde, wie Flaubert das beschreibt: Liebe und Ehe sind ein ewiges Werben und Lustwandeln.


    Von eigener Wahl der Lektüre kann übrigens keine Rede sein; junge Mädchen aus gutbürgerlichen Kreisen wurde genau kontrolliert, die Wahl der Lektüre traf der Vater.


    lG
    Zefira

  • Oh, das hab ich auch noch auf dem RUB. Und zwar schon ewig. Ich hab diese Ausgabe hier, Übersetzung von Wolfgang Techtmeier und ich sehe grad, dass da hinten noch ungefähr 80 Seiten Nachwort, eine Zeittafel, Anmerkungen und bibliographische Hinweise drin sind. :wow
    .

  • Das mit der Wahl der Lektüre finde ich neben der Wahl der Höhe der Rockabschlusskante und der Halskragenhöhe, der Wahl der Freunde und Ehemänner etc. als bedenklich an. Natürlich dreht es sich hier nur um gehobene Familien.


    Aber zurück zu Emma. Ich denke, nicht die Lektüre allein war der Schlüssel zu ihren Träumen, zumal ich durchaus den Eindruck habe, mit ein wenig Charme hätte sie ihren Vater durchaus zu anderen Büchern überreden können, wenn sie denn gewollt hätte. Und es sind auch andere Mädchen in Klöstern erzogen worden, mit möglicherweise der selben Literatur und wenige von denen sind so leidenschaftlich durchgegangen. Nun ist Emma ja eine literarische Figur und die Realität ist immer ein wenig anders, ich finde nur die Herleitung ihres Unterganges aus ihrer Lektüre als junges Mädchen gewagt. Es schlägt allzusehr in die Kerbe, dass alle Mädchen wenig Verstand haben und vor möglichen Gefahren bewahrt werde müssen, indem man ihnen gefährliche Dinge vorenthält. Nicht, dass solche Dinge aus dem Buch zu erlesen wären, aber Flaubert wird eben in dieser Hinsicht gerne herangezogen, wenn es heisst, Lesen ist gefährlich. Das finde ich persönlich ungerechtfertigt.


    Liesbett


    PS.: Die Kontrolle der Lektüre macht darüberhinaus wenig Sinn, wenn man nichteinmal den Liebesbriefverkehr der Töchter beeinflussen kann. Ich denke, Geheimfächer haben hier wie bei Büchern eine ausführliche Nutzung genossen. :grin

  • Ich habe zwar das Buch gerade erst angefangen, aber ich denke jetzt schon, dass Emma das Problem hat, ihre eigenen Leidenschaften und BEdürfnisse nicht zu begreifen, weil sie sich ein literarisches Bild erzeugt hat. Das soll nicht heißen, dass sie wegen ihrer Literatur zugrunde ging, aber die Problematik der Zeit spiegelt Flaubert doch darin, dass eine Diskrepanz zwischen den tatsächlichen und den sich vorgestellten GEfühlen besteht. Es gab einen normierten Rahmen für präsentierte GEfühle, weil die Philosophen den Leidenschaften immer unterstellten, den Menschen über seine Vernunft beherrschen zu können.


    Deshalb hat Flauberts Roman solch ein Aufsehen erzeugt, weil die Vernunft nie triumphiert, dabei ist sie gesellschaftliche Voraussetzung.



    Emma glaubt etwas zu fühlen, Emma will etwas fühlen, Emma ist auf der Suche nach Gefühlen und nicht in der Lage, ihre erlebten Bedürfnisse richtig einzuordnen. Ihr schreibt, ihr wollt sie schütteln und ihr helfen - das liegt daran, dass wir in einer relativ authentischen Welt leben. Heute gilt es nicht mehr, ein festgelegtes Spektrum von Gefühlen zu zeigen und der Skandal damals lag darin, dass Emma nicht befähigt war, ein literarisches Vorbild zu leben.


    Zur Zeit Flauberts suchte man philosophisch nach der natürlichen Leidenschaft der Gefühle beim Menschen und glaubt u.a. dass er kaum noch natürliche GEfühle hatte, weil die gesellschaftliche Prägung zu sehr eingewirkt hat.


    Emma ist nicht dumm oder naiv, sie ist ein Opfer ihrer fehlgeleiteten Leidenschaften :-]


    das gerade in der Materie steckende eyre

  • Nun gut, nach den vielen guten Kritiken hier werde ich mich dann doch demnächst ranmachen an das Werk. :gruebel
    Was mich abschreckt, ist, dass ich so ne verstaubte Uralt-Lavendel-Ausgabe aus den 70ern oder 60ern habe, vergilbte Seiten etc. Aber vielleicht macht das bei so einem Klassiker gerade das "klassische" aus... ;-)

  • Habe es schon vor einiger Zeit zu Ende gelesen und fand es ausnehmen gut - das Ende passt. Ich kann verstehen, dass es zu seiner Zeit für Aufregung sorgte.


    das ein wenig müde eyre

  • Meine Meinung


    Seit etwa zwei Jahren greife ich hin und wieder zu klassischer Literatur und so lag vor kurzem „Madame Bovary“ auf meinem Nachttisch. Leider war entweder nicht der richtige Zeitpunkt für das Buch oder aber, ich kann eher mit den Romantikern etwas anfangen als mit den Realisten. Denn nach etwa einem Drittel des Romans, hab ich ihn frustriert zur Seite gelegt.


    Inhaltlich gefiel mir das Buch eigentlich recht gut und es interessierte mich sehr wie es zu dem Ende kommt, das der Klappentext verrät, aber leider konnte mich Flauberts Stil kaum fesseln.
    Die Figuren bleiben recht blass und werden in meinen Augen recht stiefmütterlich behandelt. Dafür widmet sich der Autor ausgiebig den Detailbeschreibungen von Gegenständen, Landschaften, Einrichtungen etc., was mich auf Dauer unheimlich langweilte. Ich fühlte mich eingeengt, hatte das Gefühl, keinerlei Raum für meine eigene Phantasie zu haben und somit wurde das Lesen immer anstrengender.
    Endgültig zum Aufgeben brachte mich die kaum vorhandene wörtliche Rede. Ich hatte zwar den Eindruck, dass sie im Laufe der Handlung zunahm, nur leider reichte mir das für den Lesefluss überhaupt nicht.


    Vielleicht versuche ich mein Glück mit „Madame Bovary“ irgendwann erneut, aber wohl nicht in absehbarer Zeit…


    Bewertung


    Da ich das Buch nicht beendet habe, gibt es auch keine Bewertung.

  • Madame Bovary hat mich sehr fasziniert! Flaubert hat meiner Meinung nach sehr gut aufgezeigt, wie die damalige Gesellschaft "getickt" hat! Madame Bovary war mit einem Arzt in einer kleinen Provinzstadt verheiratet, der sie unheimlich geliebt hatte. Er hat und hätte alles für sie getan, aber das hat ihr nicht gereicht. Sie hatte sich sprichwörtlich mit ihrem Leben, das sie geführt hatte, gelangweilt. Und das nur, weil sie ihn eben nicht geliebt hatte und nur aus dem Grund heraus, ein unbeschwertes Leben führen zu können, geheiratet hat. Um ein bisschen Abwechslung ins Leben zu bringen, ist sie fremdgegangen. Ich fand die Szenen, wie z. B. in der Kutsche wunderbar beschrieben, wobei Flaubert nicht auf die Sexszenen eingegangen ist, aber es hat meiner Meinung nach schon ganz schön geknistert und mit viel Phantasie konnte man zwischen den Zeilen lesen, was Flaubert geschrieben hätte, hätte er den Mut dazu gehabt. Ich hatte das Gefühl, dass es ihn schon sehr gedrängt hatte, auf dieses Thema einzugehen, aber er ist nur so weit gegangen, wie man eben zu jener Zeit gehen konnte und kein Stückchen weiter. Aber meines Erachtens hatte er seine Grenzen ziemlich ausgeschöpft. Zur damaligen Zeit galt man wohl eben nur als anerkannter, seriöser Schriftsteller, wenn man den Sex, den zwar jeder praktiziert hatte, nicht in seinen Büchern eingebaut hat. Man sieht ja, dass es sogar in der heutigen Zeit nicht sehr einfach ist, als Autor ernst genommen zu werden, wenn man erotische Bücher schreibt. Nicht umsonst verwenden diese Autoren grundsätzlich Pseudonyme, um unerkannt zu bleiben. Zumindest empfinde ich das so. Ob's stimmt, sei mal dahingestellt. Aber jetzt weiter zum Thema: Madame Bovary ist ein großartiges Buch und ich denke, es wäre mit der Erotik, hätte sie Flaubert ausgebaut, noch um einiges besser geworden. Was Flaubert aber hervorragend geschafft hat, war seine Leser in den Bann zu ziehen. Das ist das Größte, was ein Autor erreichen kann und ich hoffe, dies mit Mariposa und Diagnose: Schizophasie eines Tages auch zu schaffen. Flaubert hat es geschafft und das macht einen guten Roman aus. Nur wenn man mit seinen Figuren mitfühlen kann, ist man mitten im Geschehen. Und das hat er mit seinem Werk auch erreicht. Leider hat die Geschichte kein Happy End, aber ich denke, das liegt nur daran, weil es zur damaligen Zeit ein Skandal gewesen wäre, hätte er Madame Bovary ein "glückliches Leben am Ende mit ihrem Mann und ihren Lovern" leben lassen. Sozusagen war er gezwungen, der "unehrbaren" Frau auch ein schmerzhaftes Ende zu setzen. Ich wäre wirklich neugierig gewesen, wie sich Flauberts Geschichte entwickelt hätte und wie sie geendet hätte, hätte er sie in der heutigen Zeit geschrieben. Wer weiß, vielleicht ja anders. Nichtsdestotrotz, ein großer Klassiker. Flaubert ist in meinen Augen ein großartiger, französischer Schriftsteller und es hat mich begeistert, seine Madame Bovary kennengelernt zu haben, die er aus meiner Sicht leider ein bisschen "an den Zügeln" halten musste. X-Sterne für dieses großartige Werk.


    Darja Behnsch
    Autorin
    :lesend

    Mein Name ist Darja Behnsch. Ich bin Autorin von "Diagnose: Schizophasie", "Mariposa" und "Obsession, Sinnenrausch & Bella Donna". Das Search Inside und Leseproben sind im Amazon eingerichtet.

  • Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Roman so aufgefasst habe, wie er angelegt war, denn es wurde immer wieder beschrieben, dass es um eine Frau geht, die der Langeweile und Enge ihrer Ehe zu entkommen sucht. Die ihr Glück und ihre Leidenschaft an anderer Stelle auslebt, und am Ende daran zugrunde geht.
    Das trifft unbestreitbar zu, aber ich konnte bis zum Schluss keinerlei Sympathien für Emma Bovary aufbringen. Die Enge ihrer Ehe ist die Enge, in ihr selbst herrscht. In meinen Augen ist sie vollkommen unfähig das, was sie hat, anzuerkennen. Sie lebt in einer Traumwelt, der sie alles unterordnet. Sie hat einen Mann, der sie anbetet - aber der interessiert sie nicht. Sie will scheinbar immer gerade das haben, was sie nicht haben kann, ist ständig unzufrieden. Ich hatte am Ende nicht das Gefühl, dass Madame Bovary überhaupt fähig ist zu lieben. Weder ihren Mann, noch ihre Tochter oder einen ihrer Liebhaber - nicht einmal sich selbst. Bei ihr dreht sich alles um ihre Person, denn sie ist weder zu Mitgefühl noch zu Empathie fähig. Um sie herum gibt es Menschen, die sie wirklich lieben, doch das berührt sie in keiner Weise.
    Selbst als sie ihre Affären eingeht, engt sie ihre Liebhaber irgendwann derart ein, dass sie an ihr zu ersticken drohen. Und so steigert sich der Roman in bedrückender Weise zu einem echten Tiefpunkt, einem zerstörerischem Höhepunkt, an dem Emma Bovary nicht nur ihr eigenes Leben zugrunde richtet, sondern auch das ihrer Familie.


    Beeindruckend waren in meinen Augen die akribischen Beschreibungen das Autors. So konnte man beispielsweise das geschnittene Gras riechen, das Rauschen der Röcke hören, weichen Seidenstoff fühlen, die Süße kandierter Früchte schmecken oder Emmas zunehmende Bitterkeit körperlich spüren. Gustave Flaubert lässt den Leser an Emmas Launen und hysterischen Anfällen teilhaben, sodass man ihre innere Leere und Enge förmlich fühlen kann.
    An die Sprache bzw. den Schreibstil habe ich mich schnell gewöhnt, denn er ist Teil seiner Zeit, und versetzt den Leser zurück in ein Frankreich des 19. Jahrhunderts.


    Insgesamt war dies für mich ein beeindruckend trauriger Roman, der von seinen liebevoll-detaillierten Beschreibungen lebt, und unkonventionell (besonders zu seiner Zeit) und ohne zu urteilen das Thema Ehebruch und individuelle Freiheit behandelt. Auch wenn man nicht mit der Protagonistin sympathisiert, ist dies ein absolut lesenswerter Roman, denn die Fragen die er aufwirft sind heute so aktuell wie damals: Wo beginnt meine Verantwortung und wo endet sie? Und: Wo beschneidet meine Selbstverwirklichung die Freiheit anderer? Brandaktuelle Fragen in einem hedonistisch geprägten 21. Jahrhundert, wie ich finde.

  • Ich lese den Roman auch regelmäßig wieder oder einzelne Passagen daraus.Würde man mich nach meinen Lieblingsbüchern fragen, so wäre dieses eines, das ich nennen würde. Ich finde das Buch einfach göttlich, umwerfend und genial.
    Bei mir steht noch im Klappentext:"Mit diesem Buch, an dem Flaubert fünf Jahre gearbeitet hatte, wurde der realistische Roman erst eigentlich geschaffen.Flaubert tritt als Autor ganz hinter das Dargestellte zurück und enthält sich aller psychologischen Kommentare zum Handeln der Personen des Romans. Aus ihrer Perspektive wird die Romanwelt gesehen.Das erfordert ein hohes Maß an stilistischer Durchdringung des Gegenstandes.Flauberts Briefe aus dieser Zeit der Niederschrift des Romans,vor allem die an Louise Colet berichten von den unendlichen Mühen um den treffenden Ausdruck.Bisweilen,so berichtet er,habe er mehrere Tage gebraucht,um eine einzige Wendung zu finden.Charles-Augustin Sainte-Beuve beschreibt die Romantechnik Flauberts mit folgenden Worten: 'M. Gustave Flaubert, der Sohn und Bruder ausgezeichneter Ärzte,führt die Feder wie andere das Skalpell.' "
    Vielleicht kann das noch helfen, sich für die Lektüre zu entscheiden.
    Ich finde das Buch schon aufgrund seines Stiles einzigartig. Ich hatte immer das Gefühl, direkt daneben zu stehen und alles zu beobachten.Es erschien mir nicht als eine Geschichte, die mir erzählt würde, sondern als wäre alles tatsächlich so geschehen.Das war für mich genauso beklemmend, wie es phantastisch und toll war.Es ist und bleibt für mich eines der genialsten Bücher, die je geschrieben wurden und die ich je lesen durfte.
    Ich glaube, man darf die Figur der Madame Bovary nicht eins zu eins auf heute übertragen.Damals sind Frauen anders aufgewachsen, sie sind anders geformt worden. Der spezielle Charakter dieser Frau zeigt nur ganz besonders deutlich, wie sehr man Frauen zu dieser Zeit verbogen und in ein Korsett - im wahrsten Wortsinn - geschnürt hat und zu welch zermürbenden und schrecklichen Folgen es dadurch kommen konnte. Wenn heute eine junge Frau solch romantische Vorstellungen von der Liebe, der Ehe und dem Leben im allgemeinen hat, dann steht es ihr frei, hinaus in die Welt zu gehen; sich zu erproben und zu experimentieren;ihr Weltbild zu bestätigen oder zu verändern. Das hätte Madame Bovary ohne zahlreiche persönliche Einbußen nicht gekonnt. Sie hätte sich nicht einfach legal aus einer unglücklichen Ehe hinausbegeben können, um ihr Glück an einem anderen Ort, mit einem anderen Mann zu suchen - das ist ihr Dilemma, das Flaubert aufgezeigt hat.
    Flaubert hatte übrigens auch eine Affäre mit George Sand.Ich denke, das die Begegnung mit ihr auch sein Frauen- und Weltbild geprägt hat und ihm die Augen für die schwierige Lage unglücklich verheirateter Frauen geöffnet hat.

  • Zitat

    Original von Susann
    Ich glaube, man darf die Figur der Madame Bovary nicht eins zu eins auf heute übertragen (...) Wenn heute eine junge Frau solch romantische Vorstellungen von der Liebe, der Ehe und dem Leben im allgemeinen hat, dann steht es ihr frei, hinaus in die Welt zu gehen; sich zu erproben und zu experimentieren;ihr Weltbild zu bestätigen oder zu verändern. Das hätte Madame Bovary ohne zahlreiche persönliche Einbußen nicht gekonnt. Sie hätte sich nicht einfach legal aus einer unglücklichen Ehe hinausbegeben können, um ihr Glück an einem anderen Ort, mit einem anderen Mann zu suchen - das ist ihr Dilemma, das Flaubert aufgezeigt hat.
    Flaubert hatte übrigens auch eine Affäre mit George Sand.Ich denke, das die Begegnung mit ihr auch sein Frauen- und Weltbild geprägt hat und ihm die Augen für die schwierige Lage unglücklich verheirateter Frauen geöffnet hat.


    Da stimme ich dir 100% zu. Anderseits war Emma Bovary weder mit ihrem Mann, noch mit ihren Liebhabern, mit ihrer Tochter - nicht mit sich selbst glücklich. Zumindest war das mein Eindruck. Wenn sich nicht alles um ihre Person drehte, war sie unzufrieden, und wenn sich ihr jemand zuwandte, erdrückte sie ihn mit ihrer Zuwendung. Sie konnte nicht anerkennen, wie sehr ihr Mann sie liebte - sie hat ihn dafür eher verachtet. Sie hat sich auch nie gefragt, warum sich ihre Liebhaber von ihr abwandten - das schien sie gar nicht zu interessieren. Auch konnte ich bei ihr keine Selbstreflektion feststellen, keine Frage, warum sie so und nicht anders handelt. Und sie hat sich überhaupt keine Gedanken über die Auswirkungen ihrer Handlungen gemacht - über die Zukunft ihrer Tochter beispielsweise. Sie hat ihre Familie rücksichtslos in einen Schuldenschlund gestürzt (und für was? Für Kleider & Tinnef) - ohne sich einen Moment die Frage zu stellen, wie das getilgt werden soll. Wer zahlt am Ende für ihr Leben? Wer bezahlt dafür? Nicht nur sie, sondern ihre ganze Familie. Und das hat mich so an ihrer Person abgestossen - ihr Narzissmus.