Oliver Kalkofe: Nie war Früher schöner als Jetzt. Ein Boomer blickt zurück nach vorn, München 2025, Droemer Knaur, ISBN 978-3-426-56882-8, Hardcover, 254 Seiten, farbige Abbildungen, Format: 13,2 x 2,47 x 20,9 cm, Buch: EUR 22,00, Kindle: EUR 18,99, auch als Hörbuch lieferbar.
Hm … wie ist der Buchtitel eigentlich genau gemeint?
So: „Noch niemals in der Geschichte der Menschheit war die Vergangenheit schöner als die Gegenwart! Das bilden wir uns nur ein!“? Oder so „Nur weil wir die Vergangenheit rückblickend verklären, kommt sie uns schöner vor als sie war“? Und müsste man das „Jetzt“ nicht klein schreiben?
War früher alles besser - oder nicht?
So oder so: Der Satiriker Oliver Kalkofe, Jahrgang 1965, geht hier in seinem typischen Stil der Frage nach, ob früher wirklich alles besser war, wie einige unserer Mit-Boomer gern behaupten, und er nimmt uns mit auf eine vergnügliche Zeitreise zurück in die 60er-, 70er- und 80er-Jahre. Dabei betont er ausdrücklich, dass er nur für diejenigen sprechen kann, die in der BRD groß geworden sind. DDR-Erfahrungen hat er nicht. Als er sein Buch in einer TV-Show vorgestellt hat, war die Reaktion einer aus Thüringen stammenden Künstlerin seines Jahrgangs auch eindeutig: Nein, ihre Kindheit und Jugend wird hier nicht repräsentiert. - Ich sag’s nur!
Kalkofes Altersgenossen aus „den alten Bundesländern“ (wie ich!) werden schmunzeln und kichern über Altbekanntes und fast Vergessenes. Manchmal denken sie sicher auch: „Na, zum Glück war’s bei uns daheim nicht ganz so …!“ Und wenn der Autor sich explizit an junge Leserinnen und Leser wendet und versucht, ihnen mit Hilfe von Analogien zur heutigen digitalen Welt zu erklären, wie es in unserer Jugend war, kommt man sich vor wie ein Fossil.
Ich habe den Eindruck, dass Oliver Kalkofe hier nicht ganz so gehässig ist wie sonst. Vermutlich kann man nicht durchgängig eine professionelle Distanz wahren, wenn es um die eigenen Jugenderinnerungen geht. Aber das ist okay.
„Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“
Als erstes beamt uns der Autor zurück an die Esstische der 60er und 70er-Jahre. Vegetarier? Veganer? Das kannte man damals noch nicht. Da war Fleisch noch „ein Stück Lebenskraft“. Das gab’s aber nur sonntags. Freitags Fisch und den Rest der Woche Nudelgerichte, Eintöpfe, Pfann- oder Reibekuchen oder Instant-Kartoffelbrei plus Eier in Senfsauce. Auch Suppen und Eintöpfe aus der Dose waren beliebt. Der Autor erinnert uns an Mett- und Käseigel, Toast Hawaii und Ragout fin.
(Hier muss ich passen - ich komme aus einer anderen (Ess-)Kultur. Maggi? Dosenravioli? TRI-TOP-Sirup? Probiert: bäh!)
Ja, also das Essen war schon mal nicht besser als heute!
Auch das Einkaufen war früher nicht schöner. Wenn Kalkofe uns die Ladenöffnungszeiten aus unseren Jugendtagen in Erinnerung ruft, an lange Samstage und Donnerstage, fällt einem erst auf, wie stressig das „Shoppen“ manchmal war. Da hat sich in Sachen Verfügbarkeit und Bequemlichkeit für die Kunden vieles zum Positiven verändert.
Zwei Fernsehsender und kein Internet
Hochinteressant fand ich das Kapitel über Freizeitgestaltung und Unterhaltung: Zwei Fernsehprogramme, noch keine Möglichkeit zum Aufzeichnen einer Sendung oder zum zeitversetzten Gucken, kein Handy, kein Internet … Man musste sich schon selbst etwas einfallen lassen und aktiv werden, um sich nicht zu langweilen.
Der heute selbstverständliche unbegrenzte Zugriff auf Informationen und Unterhaltung wäre für mich als Kind – genau wie für den Autor – der Traum schlechthin gewesen. Aber das hätte wahrscheinlich jede Aktivität und Kreativität gekillt. So gesehen war die mangelnde Gelegenheit zum passiven Konsum zwar nicht so schön für uns, aber auf Dauer bekömmlicher.
War wenigstens das Fernsehen damals besser als heute?
Okay … mit Einführung des Privatfernsehens sank das Niveau schon. Aber TV-Skandale hat’s schon immer gegeben. An die der 70er- und 80er, die der Autor hier beschreibt, erinnere ich mich noch. Was damals nationale Empörung auslöste, wirkt aus heutiger Sicht geradezu putzig.
Von Schallplatten und Urlaubsreisen
Ach ja, und die Musik! Plattenläden, Schallplatten, Kassettenrecorder, Radio und das mühsame Unterfangen, Mixtapes zusammenzustellen und an Informationen über Songtexte und Interpreten zu kommen! Wie umständlich das alles war, können sich Leute von heute kaum vorstellen.
Mit den Urlaubsreisen von damals könnte man heutzutage auch keinen Hund mehr hinterm Ofen vorlocken. Und Sonnencreme war seinerzeit noch gar kein Thema, was sich inzwischen bitter rächt. Auch das ist nichts, was man sich unbedingt zurückwünscht.
Die Zukunft war damals besser!
War früher überhaupt irgendwas besser als heute? Ach ja: die Zukunft! Zumindest die, die wir Science-Fiction-Fans uns erträumt haben:
„Star Trek zeigte uns auf spielerische Weise, dass die Menschheit eines Tages sehr wohl verstanden haben könnte, dass ausufernder Kapitalismus und Egoismus einem glücklichen Leben ebenso wenig dienlich sind wie Krieg und Rassismus“ (Seite 205)
In den 90er-Jahren sah es kurz so aus, als gäbe es tatsächlich Hoffnung: der Fall der Berliner Mauer, der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Bemühungen um eine respektvolle Annäherung zwischen Ost und West … Man hätte glauben können, dass sich die globalen Spannungen zwischen den unterschiedlichen Kulturen vielleicht langfristig auflösen könnten. Aber nix war’s!
„In welche Richtung wir aktuell auch blicken, überall beobachten wir zunehmend negative Entwicklungen, die wir Boomer uns in unserer Kindheits-/ Jugend-/Young-Adult-Phase so nicht hätten alpträumen lassen.“ (Seite 211/212)
Die Gnade des eingeschränkten Wissens
Kurz und gut:
Manches war früher besser, anderes nicht. Wir hatten weniger Möglichkeiten als heute, wussten aber nicht, was wir verpassen und waren deshalb mit dem zufrieden, was es gab. Oliver Kalkofe nennt es „die Gnade des eingeschränkten Wissens“ (Seite 226). Ich denke, das trifft es gut.
Es wär‘ noch vieles zu erzählen!
Ich fand diese Reise in die Vergangenheit amüsant und erhellend. Es ging mir ein wenig wie dem Autor, der auf Seite 217 erschreckt feststellt, dass es noch so viel mehr zu erzählen gäbe als in diesem Buch Platz hat. Sollte er sich entschließen, eine Fortsetzung zu schreiben, wäre ich gern wieder dabei.
Der Autor
Oliver Kalkofe startete seine Karriere in der legendären Radio-Comedy-Show FRÜHSTYXRADIO, bevor er Mitte der Neunziger ins Fernsehen wechselte. Seine messerscharfe Medien-Satire KALKOFES MATTSCHEIBE machte ihn zu einem der bekanntesten Comedians Deutschlands und wurde unter anderem mit dem Grimme-Preis sowie dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet. 2024 erhielt er den DONNEPP MEDIA AWARD des Grimme-Instituts und veröffentlichte sein Buch Sieg der Blödigkeit, das insgesamt acht Wochen auf der SPIEGEL Bestsellerliste stand.
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ASIN/ISBN: 3426568829 |
