Ratten - Irene Weinberger

  • Irene Weinberger: Ratten. Clevere Wildtiere in unserer Nähe, Bern 2025, Haupt Verlag AG, ISBN 978-3-258-08315-5, Hardcover, 231 Seiten mit 155 Farbfotos, rund 20 Grafiken und Illustrationen, Format: 22,5 x 15,5 x 2,4 cm, Buch: EUR 38,00.


    „Hausratte und Wanderratte stammen aus dem asiatischen Raum. Zuerst brach die Hausratte auf und folgte dem Menschen auf seiner Handelsroute nach Westen, später wanderte ihr die Wanderratte nach. Heute gibt es Haus- und Wanderratten auf der ganzen Welt […].“ (Seite 46)


    Ich habe keine besondere Beziehung zu Ratten, ich interessiere mich generell für Tiere und habe das Buch aus purer Neugier gelesen. Um einfach mal zu gucken, was bei „Rattens“ so los ist, geht das Werk vielleicht zu sehr ins Detail. Wie gründlich die Autorin - eine Biologin - vorgeht, sieht man schon allein daran, dass es über 20 Seiten mit Referenzen/Quellenangaben gibt. Dieses Sachbuch richtet sich eher an Rattenfans.


    Etwa 40% aller Säugetiere sind Nagetiere. Davon gibt es rund 2.600 Arten. Unsere einheimischen Ratten – die Hausratte (Rattus rattus) und Wanderratte (Rattus norvegicus) – sind nur zwei von vielen.


    Ratten, so habe ich hier gelernt, gehören zu den Langschwanzmäusen. Und ich dachte immer, Ratten und Mäuse seien komplett zweierlei!


    Die ersten Angehörigen der Mäuseartigen tauchten vor 20 Millionen Jahren auf – in Südasien. Von dort aus erreichten sie bald Südostasien, Australien, Neuguinea, die Philippinen und fanden dort überall ihre ökologischen Nischen.


    Die Hausratte


    Wenig überraschend hat sich die Hausratte dem Menschen „angeschlossen“, als dieser begann, sesshaft zu werden und Vorratshaltung zu betreiben. Wo der Mensch hinzog, kam die Ratte mit, gern auch als Schiffsratte auf dem Wasserweg. Um das Jahr 0 war sie im gesamten Mittelmeerraum vertreten und zwischen dem 1. und 5. Jahrhundert folgte sie den Römern auf Schritt und Tritt. 1492 segelte sie mit Kolumbus über den Atlantik und ging in der Karibik von Bord. Mitte des 19. Jahrhunderts kam sie in Neuseeland und Australien an, da war die Wanderratte schon längst da.


    Die Wanderratte


    Über die Wanderrouten der Wanderratten weiß man nicht viel. Vermutlich ist sie vor 173.000 Jahren aus Südostasien nach Nordchina und in die Mongolei gewandert und hat sich von da aus auf dem Land- und Seeweg weltweit verbreitet. Mitte des 18. Jahrhunderts wird sie in Dänemark, England und Deutschland erstmals erwähnt, Ende des 18. Jahrhunderts ist sie die vorherrschende Rattenart in Europa.


    Wanderratte verdrängt Hausratte


    Die Wanderratte ist größer und kräftiger als die Hausratte, sie verträgt niedrigere Temperaturen und ist, im Gegensatz zur Hausratte, die nicht gut schwimmen kann, sehr wasseraffin („Kanalratte“.) Während die Hausratte in Bäumen oder in den oberen Stockwerken von Gebäuden herumturnt, lebt die Wanderratte auf dem Boden oder unterirdisch und kann dem städtischen Leben mehr abgewinnen als die Hausratte.


    Beide Arten sind nachtaktive Allesfresser. Sie unterscheiden sich optisch voneinander und ich habe mir einen Spaß daraus gemacht, zu erraten, welche Art jeweils auf einem Foto abgebildet ist. Auf Bildern geht das, aber in freier Wildbahn, wenn so ein Tier schnell an einem vorbeihuscht, hat man als Laie keine Chance.


    Oben: Wanderratte, unten: Hausratte. Abb.: © Haupt Verlag, Foto: E. Nebel


    Aufschlussreiches über das Leben der Ratten


    Wir erfahren viel Interessantes über die Sinne der Ratte (Supernase mit schwachen Augen) und über ihr Sozialverhalten: Ratten helfen ihren Artgenossen! Es sind sehr reinliche Tiere, die bis zu 50% ihrer wachen Zeit mit Fellpflege verbringen. Wir entdecken, warum die Rattenpopulation nicht ins Unermessliche steigt, selbst wenn die Lebensbedingungen ideal sind, und warum Ratten-Dezimierungsaktionen keine nachhaltige Wirkung haben.


    Etwas unappetitlich und gruselig wird’s in den Kapiteln über Krankheiten und Tod, über die „Nutzung“ der Tiere als Laborratten und wenn es um die brutalen Methoden der Schädlingsbekämpfung geht. Da bekommt man Mitleid mit den Tieren, auch wenn man kein ausgewiesener Rattenfreund ist.


    Manches ist ein bisschen unappetitlich


    Dieses Mitleid vergeht einem wieder ein bisschen, wenn man liest, welche Schäden Ratten anrichten: Sie fressen und verschmutzen Getreide und Tierfutter, sie übertragen Krankheiten, schädigen die Biodiversität, indem sie Pflanzensamen und Kleintiere fressen, sie nagen an Kabeln und Isoliermaterial herum und verursachen dadurch Brände und Stromausfälle. Das hier fand ich besonders ekelig:


    „Die US Food and Drug Administration deklariert offen, dass es ökonomisch unmöglich ist, Lebensmittel ohne ungewollte tierische Partikel zu produzieren. 30 Rattenhaare pro 100 Gramm Erdnussbutter und bis zu 9 Kotbällchen von Nagetieren pro Kilo Weizen sind für sie daher passabel.“ (Seite 143)


    Bäh! Und vegan ist das dann auch nicht mehr! Oder?


    Machen Ratten nix als Dreck und Ärger?


    Machen Ratten denn nichts als Dreck und Ärger? Tun sie aus Sicht des Menschen nicht auch mal was Positives? – Ja, doch! Doch das merkt man oft erst, nachdem man sie in bestimmten Regionen radikal dezimiert hat. Ratten tragen unter Umständen zur Verbreitung von Pflanzensamen bei. Die Pflanze Banksia ericifolia ist sogar auf die Bestäubung durch die australische Buschratte angewiesen. Mancherorts fressen Ratten auch Schädlinge, die dann in ihrer Abwesenheit überhandnehmen. Es hat eben unvorhersehbare Folgen, wenn der Mensch in ein Ökosystem eingreift, sei es durch Verbreitung der Ratten oder durch den Versuch, das wieder rückgängig zu machen.


    Ich kann hier gar nicht alles anreißen, was es in diesem Buch Spannendes über Ratten zu entdecken gibt! Auf welch verschlungenen Wegen sie es von der Gosse bis zum Haustier geschafft haben, ist zum Beispiel auch hochinteressant. Ebenfalls faszinierend: wie andere Kulturen die Ratte sehen. Sie ist nicht immer und überall das Ekeltier, sondern gilt mancherorts auch als Begleiterin von Göttern und Heiligen. Wobei ich mir aber ziemlich sicher bin, dass die Menschen dort ähnlich reagieren wie wir, sobald die Tiere ihnen an die Vorräte gehen! 😉


    Wieder was gelernt!


    Auch wenn mein neu erworbenes Rattenwissen für mich wahrscheinlich keinerlei praktischen Nutzen haben wird: Ich habe durch dieses Buch mit Vergnügen eine Menge gelernt. Sogar ein neues Wort: foutieren = sich um etwas nicht kümmern, sich über etwas hinwegsetzen. Das muss was spezifisch Schweizerisches sein, ich hab’s jedenfalls noch in keinem deutschen Text gehört oder gelesen.


    Die Autorin


    Irene Weinberger promovierte an der Universität Zürich über den Fischotter. Sie ist freischaffende Biologin im Natur- und Artenschutz mit Fokus auf kleine bis mittelgroße Säugetiere. Seit 2016 leitet sie zudem die Geschäftsstelle der Stiftung Pro Lutra.


    ASIN/ISBN: 3258083150

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner