Herausgeber: Eigenverlag (13. Juli 2021)
Print: 452
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ASIN/ISBN: B099BP9QJH |
Kurzbeschreibung
Liu wächst in den Slums einer chinesischen Großstadt auf, Hoffnung auf ein besseres Leben hat sie keine.
Enyo fürchtet um sein Leben. Der Transporter-Pilot, der Asteroiden schürft, hat sich mit den Falschen angelegt und kann seine Finger weder vom Spielen noch von den Frauen lassen und beides bringt ihn in Lebensgefahr.
Klimawandel und Pandemien haben nicht nur die Menschheit, sondern auch die Erde ausgezehrt. Die alleinige Hoffnung der Menschen auf ein besseres Leben ruhen auf der Arcadia, einem interstellaren Raumschiff, das zu einem entfernten Planeten aufbrechen soll, damit die Menschheit dort den Neuanfang schafft. Doch die Zugänge sind begrenzt und in den Plänen der Erbauer sind weder Liu noch Enyo vorgesehen.
Autor
Steven Lee Anderson ist ein deutschsprachiger Autor für Science-Fiction Romane. Die Juno-Trilogie ist sein erster Science-Fiction-Epos.
Schon in jungen Jahren mit der Alien-Filmreihe konfrontiert, wuchs die Liebe zur Science Fiction und nach ersten Versuchen etwas ähnliches wie Alien zu kreieren, entstand nach vielen vollgeschriebenen und weggeworfenen Seiten schließlich die Juno-Trilogie.
Steven hat umfassende Erfahrung auf den Gebieten der Informatik, Machine Learning und Web Development.
http://www.steven-lee-anderson.de
Rezension
Die Erde hat ihre besten Tage hinter sich. Klimawandel, Pandemien und Ressourcenknappheit haben den Planeten an den Rand des Kollapses gebracht. Vieles funktioniert nur noch notdürftig, Hoffnung ist für die meisten Menschen zu einem Luxus geworden. Der große Traum vom Weiterleben der Menschheit trägt einen Namen: Arcadia. Ein gigantisches Raumschiff, das 360.000 Menschen zu einem fernen Planeten namens Juno bringen soll. Flugzeit: 108 Jahre. Ziel: ein Neuanfang. Doch schon früh ist klar, dass dieser Neuanfang nicht für alle gedacht ist. Die Plätze sind streng limitiert, die Auswahl einer KI gnadenlos. Und für Menschen wie Liu oder Enyo sind eigentlich überhaupt keine Plätze an Bord vorgesehen.
Liu wächst in den Slums einer chinesischen Megastadt auf. Perspektiven hat sie keine, Träume hat sie sich längst abgewöhnt. Ihr Alltag besteht aus Überleben, aus Enge, aus dem Gefühl, austauschbar zu sein. Enyo dagegen lebt im All, arbeitet als Transporter-Pilot im Asteroidenbergbau. Ein Job, der gut bezahlt sein könnte, wäre da nicht seine Vorliebe fürs Glücksspiel, für Frauen und für falsche Entscheidungen. Er arbeitet für eine Mafiaorganisation, steckt bis zum Hals in Schulden und reitet sich immer tiefer in Schwierigkeiten hinein. Parallel lernen wir weitere Figuren kennen: Nisha, eine junge Perserin, die auf Ganymed stationiert ist und in territoriale Konflikte verwickelt wird. Und Hago, ein Arzt, der in Sierra Leone mitten in einem Bürgerkrieg versucht, Verletzte zu versorgen, während politische Interessen seine Arbeit zunehmend unmöglich machen. Was all diese Menschen verbindet, ist zunächst nichts, außer eine Welt, die sie langsam zerreibt. Doch ihre Wege führen, früher oder später, zur Arcadia.
„Juno: Aufbruch in eine neue Welt“ ist der erste Band der Juno Trilogie, Steven Lee Anderson legt hier keinen abgeschlossenen Roman vor, sondern ein großes Fundament. Das sollte man wissen, bevor man einsteigt. Die Geschichte nimmt sich Zeit, stellt Figuren vor, springt zwischen Schauplätzen und Perspektiven, baut Atmosphäre auf. Wer einen klassischen Spannungsbogen oder eine klare Hauptfigur erwartet, könnte sich zwischendurch fragen, wohin das alles führt. Mich hat dieser Ansatz jedoch überzeugt, weil er genau zu dem passt, was erzählt wird: eine Welt im Umbruch, voller Unsicherheiten, aber auch der Hoffnung auf einen Neuanfang.
Besonders stark fand ich die Art, wie der Autor seine Figuren einführt: Enyo ist ein gutes Beispiel dafür. Er ist der Typ, der viele seiner Probleme selbst verursacht hat. Und trotzdem, oder gerade deshalb, bleibt man bei ihm. Er ist sympathisch und überzeugt sofort. Man merkt schnell, dass seine Flucht nach vorne nicht gut enden kann, liest aber trotzdem weiter, weil man hofft, dass er vielleicht doch noch die Kurve kriegt. Liu ist das komplette Gegenstück. Ihre Geschichte ist bedrückender. Sie steht für all jene Menschen, die in dieser Zukunft keine Rolle spielen sollen. Ein Alltag, der jede Hoffnung langsam zermalmt.
Am meisten mitgenommen hat mich allerdings Hago. Seine Geschichte ist für mich eine der besten Storylines des Romans. Als Arzt in einem Krisengebiet kämpft er nicht nur gegen Verletzungen und Krankheiten, sondern gegen Gleichgültigkeit, politische Kalküle und die schlichte Müdigkeit einer Welt, die längst beschlossen hat, manche Regionen aufzugeben. Als die WHO plant, das Lager zu verlassen, steht Hago vor einer Entscheidung, bei der es kein richtiges Ergebnis gibt. Entweder er geht mit und lässt die Menschen zurück, oder er bleibt und macht sich mit Verbrechern gemein, um wenigstens noch irgendetwas zu bewirken. Diese Passagen sind hart und unbequem und haben mich am meisten überzeugt. Ich habe hier wirklich mitgelitten, und Hagos Schicksal hat mich noch lange beschäftigt.
Was mir insgesamt sehr gefallen hat, ist der Ton des Romans. Die Welt der Figuren ist kaputt und überfordert. Anderson setzt weniger auf Technikdetails und mehr auf Menschen, auf ihre Entscheidungen, ihre Fehler, ihre moralischen Dilemmata. Das macht das Buch auch für Leserinnen und Leser interessant, die sonst vielleicht wenig mit Science-Fiction anfangen können.
Der Schreibstil ist dabei angenehm direkt. Die Sprache bleibt klar, oft nüchtern, manchmal fast dokumentarisch. Das passt gut zur Thematik und trägt dazu bei, dass man sich schnell in den verschiedenen Schauplätzen zurechtfindet. Gleichzeitig schafft es der Autor, Atmosphäre aufzubauen, sei es auf der Erde, im kalten Vakuum des Alls oder in den chaotischen Krisengebieten.
Durch die Vielzahl an Figuren und Perspektiven fühlt sich manches eher wie Vorbereitung als wie eine eigenständige Handlung an. Die Arcadia selbst bleibt lange mehr Idee als konkreter Ort. Aber genau das sehe ich weniger als Schwäche, sondern als bewusste Entscheidung. Die Arcadia ist hier vor allem ein Versprechen, ein Hoffnungsträger, ein Symbol. Die Frage, wer an Bord darf und zu welchem Preis, schwebt ständig über der Geschichte und macht neugierig auf das, was noch kommt.
Unterm Strich ist „Juno: Aufbruch in eine neue Welt“ für mich ein sehr gelungener Auftakt. Ein Buch, das man weniger wegen seiner Action liest, sondern eines, das man wegen seiner Figuren und seiner tollen Atmosphäre liest. Besonders die Geschichten von Enyo und Hago haben bei mir Eindruck hinterlassen. Steven Lee Anderson zeigt hier, dass er ein gutes Händchen für Figurenzeichnung hat und keine Angst davor, unbequeme Themen anzupacken.
