Die Arbeit der Nacht - Thomas Glavinic

  • Kurzbeschreibung laut Amazon:
    Jonas ist allein. Zuerst ist es nur eine kleine Irritation, als die Zeitung nicht vor der Tür liegt und Fernseher und Radio nur Rauschen von sich geben. Dann jedoch wird Jonas klar, dass seine Stadt, Wien, menschenleer ist. Ist er der einzige Überlebende einer Katastrophe? Sind die Menschen geflüchtet? Wenn ja, wovor? Jonas beginnt zu suchen. Er durchstreift die Stadt, die Läden, die Wohnungen und bricht schließlich mit einem Truck auf, um nach Spuren der Menschen suchen. Mit wachsender Spannung erzählt Thomas Glavinic davon, was Menschsein heißt, wenn es keine Menschen mehr gibt.


    Über den Autor (Amazon):
    Thomas Glavinic, 1972 geboren, war Taxifahrer, Bergbauer und Werbetexter, seit 1991 ist er freier Schriftsteller. 1998 erschien bei Volk & Welt sein vielbeachteter Debütroman "Carl Haffners Liebe zum Unentschieden", der in mehrere Sprachen übersetzt und vom "Daily Telegraph" zum Buch des Jahres gewählt wurde. Thomas Glavinic lebt in Wien.


    Meine Meinung:
    "Die Arbeit der Nacht" von Thomas Glavinic ist ein sehr eigenwilliger Roman. Die Hauptperson, Jonas, wacht eines Morgens in seiner Heimatstadt Wien auf und stellt fest, dass er ganz alleine ist. Keine Menschen, keine Tiere, kein einziges Lebewesen weit und breit. Nachdem er einen bösen Scherz schnell ausschließen kann, macht er sich auf die Suche: zuerst nach den Menschen, dann nach möglichen Gründen für ihr Verschwinden. Dabei wird er immer paranoider und verweifelter.
    Der Roman, der von einer einzigen Person, nämlich Jonas, getragen wird, gestaltet sich außergewöhnlich vielseitig. Man durchlebt mit ihm einsame Tage und Nächte, seine Ängste, die, auch wenn sie unbegründet sind (wovor fürchten, wennman von nichts und niemandem bedroht wird?) sehr gut nachzuvollziehen sind, seine Hoffnungen. Glavinic hat viel in diesen Roman hineingepackt.
    Mir hat der Roman - auch sprachlich - sehr gut gefallen, seine außergewöhnliche Handlung, die Tatsache, dass es nur eine Person gibt, um die sich die Geschichte dreht, die fehlende Resonanz und Interaktion aufgrund der fehlenden Charaktere, das alles hat mich beeindruckt. Gegen Mitte/Schluß wurde es mir einmal ein wenig zu utopisch / zu weit hergeholt, aber durch das passende und auch logische Ende wurde dieses "Manko" für mich wieder wettgemacht. Ich habe das Buch jedenfalls mit großem Vergnügen gelesen (nicht zuletzt auch deshalb, weil er in meiner Heimatstadt spielt und ich Jonas Spaziergänge ganz genau vor meinen Augen mitverfolgen konnte) und würde ihn jederzeit weiterempfehlen.

  • Ich habe vor einigen Jahren den Kameramörder von ihm gelesen und fand es auch sehr ungewöhnlich.
    Dieses hier hat mich sehr neugierig gemacht... Kommt mal auf meine Wunschliste.

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Ich bin mit sehr großen Erwartungen an dieses Buch herangegangen, vielleicht mit zu großen. Thomas Glavinic wird momentan als großer österreichischer Nachwuchsschriftsteller gefeiert und dementsprechend befindet sich dieses Buch momentan in aller Munde bzw. auf den Bestsellerlisten.


    Meinen Erwartungen wurde nicht entsprochen.


    Würde ich in der Früh aufwachen und feststellen, dass niemand - absolut niemand, kein Mensch und kein Tier – anwesend wäre, ich vollkommen alleine wäre, würde ich diesen Zustand anfangs wohl einmal genießen. Wien für mich alleine, ganz Österreich für mich alleine zu haben, ohne Stau, ohne Verkehr, ohne Lärm, das wäre schon verlockend!
    Nicht aber der Protagonist dieses Buches. Ab dem Zeitpunkt geht er nur mehr bewaffnet aus der Wohnung, leidet unter Verfolgungswahn und hat das dringende Bedürfnis, Stätten seiner Kindheit aufzusuchen.
    Langsam aber sicher entwickelt er eine Paranoia, glaubt, Geräusche zu hören und Schatten zu sehen. Er beginnt, die leeren Straßen zu filmen, stellt überall in ganz Wien (und später in ganz Europa) Kameras auf und filmt sich selber im Schlaf.


    Leider wiederholen sich auf den 400 Seiten immer wieder dieses Handlungsstränge. Er filmt sich und die Welt, er fährt durch Österreich (später durch Europa), besucht fremde Wohnungen und Geschäfte. Die Spannung und das flaue Gefühl, das zu Beginn aufgebaut wir, können leider nicht gehalten werden, und so wird das Buch ab der Hälfte eigentlich nur mehr langweilig.
    Die in den Rezensionen bei Amazon erwähnte Unlogik mancher Dinge (von einem Moment auf den anderen verschwinden alle Menschen und Tiere ohne dass ein Chaos hinterlassen wird, manche Geschäfte sind geöffnet, manche geschlossen, Strom- und Elektrizität funktionieren einwandfrei, etc) hat mich eigentlich nicht so gestört.



    Die Szenen, die in den Straßen von Wien spielen (oder auch am Attersee, in Linz, etc) haben mir auch sehr gut gefallen, da ich die Örtlichkeiten kenne. Auch die Rückblicke in seine Kindheit fand ich recht nett erzählt.


    Wie schon erwähnt kann ich aber die Begeisterung, die um dieses Buch herrscht, nicht teilen.

  • Also ich fand den Schluß stimmig.
    Ich bin sicher, keiner kann ahnen oder voraussehen, wie er wohl in so einer Situation reagieren würde. Insofern kann ich nicht beurteilen, wie realistisch oder abwegig Jonas Reaktionen sind. Aber irgendwie liegt es nahe, daß er irgendwann durchdreht - früher oder später.
    Und der Schluß: na ja, was soll Mensch alleine auf dieser Welt. Lange Zeit hoffen, aber dann?
    Mir hat das Buch gut gefallen, gerade aus dem Rückblick. Auch zu sehen, wo seine Gedanken hinlaufen, was ihm (noch) wichtig ist oder wird.
    Da gibts ja noch einige andere Bücher, mit ähnlicher Thematik, zuletzt denke ich Th. Lehrs "42", das ich leider nicht kenne. Kann da jemand Vergleiche ziehen?

  • Mir hat das Buch sehr gut gefallen.
    Ich fand es in sich stimmig und bin der Meinung, dass es am Ende gar nicht mehr wichtig ist, warum Jonas der Einzige ist der noch lebt.
    Im Grunde geht es doch darum, was mit einem Menschen geschieht, wenn er auf sich alleine zurück geworfen wird.
    Das finde ich interessant gelöst, wenn es auch sicher eine Vielzahl anderer Möglichkeiten gäbe.


    LG
    Nauticat

  • Zitat

    Original von Nauticat
    Ich fand es in sich stimmig und bin der Meinung, dass es am Ende gar nicht mehr wichtig ist, warum Jonas der Einzige ist der noch lebt.
    Im Grunde geht es doch darum, was mit einem Menschen geschieht, wenn er auf sich alleine zurück geworfen wird.


    Ja, das finde ich auch.

  • ich habe das buch erst vor kurzem gelesen, weil es mir von einem freund empfohlen wurde. das beste am buch sind die letzten zehn seiten und zwei sprüche, die ich mir rausgeschrieben habe und die ich jetzt nicht wortwörtlich aber sinngemäß wiedergeben will:


    1. Ein Buch. Ein Leben im Regal. Leben in sich bergen!


    2. Sein größter Wunsche war es immer den Südpol zu sehen. Fernstweh. Er wird ihn niemals sehen!


    die letzten zehn seiten finde ich wirklich genial!


    die sprache des buches gefällt mir, leider ist die handlung nicht immer stimmig und auch die gedankengänge von jonas sind nicht immer nachzuvollziehen.


    man könnte definitiv mehr aus dem thema machen und rausholen!


    aber, man sollte es gelesen haben!

    „Die Welt ist ein einziger unaufhörlicher Querverweis.“


    ...who wants to live forever...

  • Ich bin immer noch hin- und hergerissen... In der neuen bücher ist ein Artikel dazu drin, der macht mich doch wieder neugierig, aber ich glaube, ich warte aufs TB...

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Ich habe "Die Arbeit der Nacht" abgebrochen. Auf der Buchhändlerschule hatten wir eine Lesung mit Thomas Glavinic, die wirklich super war und absolut neugierig gemacht hat. Vielleicht waren die Erwartungen bei mir dann einfach zu hoch. Anfangs fand ich die Geschichte noch super, die Sprache war neu und ungewohnt, die Thematik einfallsreich. Ab der Hälfte war bei mir die Luft raus. Ich hatte überhaupt keine Lust mehr, weiterzulesen und das Ende zu erfahren, weil die Handlung irgendwie auf der Stelle getreten ist. Schade eigentlich, aber es war definitiv kein Roman für mich.

  • Erst einmal das Positive, auch wenn es nicht viel ist: Thomas Glavinic ist ein wirklich geschmeidig schreibender Autor, die 400 Seiten lesen sich flüssig wie Weniges.


    Aber was soll das für ein Buch sein? Jonas wacht auf und ist allein, fährt durch die Welt und ist nach und nach mit sehr eigenartigen Vorkommnissen konfrontiert. Als er beginnt sich nachts zu filmen, stellt er fest, dass er nicht schläft, sondern in der Nacht rätselhafte Dinge vollbringt, an die er sich im Wachzustand nicht erinnern kann. Alles scheint auf etwas hinzuweisen und Jonas scheint die Hinweise zu sammeln, und vielleicht erfährt er ja so, warum er plötzlich ganz allein auf der Welt ist?



    Um existenzphilosophisch zu sein, ist das Buch zu platt, die paar aufgeblasenen kleinen Überlegungen à la "Passiert etwas wirklich, wenn keiner es sieht?" sind so alte philosophische Hüte, dass man sie schon ein bisschen origineller anpacken muss, um mit seinem Text in die philosophische Ecke zu rutschen.


    Wie ein Mensch auf komplette Einsamkeit reagiert, zeigt dieses Buch sicherlich nicht. Die Situation ist außerordentlich speziell und die Handlung wird sehr schnell auf das Handeln des "Schläfers" ausgerichtet.


    Was für eine schönschreiberische Hochstapelei! Ich habe mich lang nicht mehr so über ein Buch geärgert. Bisher der größte Flop dieses Jahres.

  • Gestern habe ich in diese Buch reingelesen, weil ich den Klappentext äußert interessant fand, aber schon der Anfang schreckte mich ab. Mit dem Stil kann ich mich vielleicht sogar anfreunden, aber die Geschichte erscheint mir zu unlogisch. Warum funktioniert ganz offensichtlich die Elektritzität und auch das Telefonnetz, aber das Internet nicht mehr? Das Internet besteht ja nicht aus einem einzigen riesigen Server, der jeden Abend ausgeschaltet wird. Auch sonst scheint einiges nicht zu passen. Deshalb habe ich lieber gar nicht erst weitergelesen, wahrscheinlich würde ich mich dann nur ärgern.


    Die Idee finde ich allerdings gut. Ich mochte schon "Die Wand" von Marleen Haushofer und finde es interessant, die Handlung in die Stadt zu verlegen. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass das Buch zu sehr abgekupfert ist. Der etwas unprofessionell wirkende Stil, der andeuten soll, dass der Ich-Erzähler kein Profi-Schreiber ist, den hat Marleen Haushofer wesentlich besser hinbekommen. Ihr nimmt man es ab, dass die Protagonistin wirklich die Aufzeichnungen geschrieben hat. Bei "Die Arbeit der Nacht" wirkt es zu gewollt.

  • Ich muss gestehen,dass ich es noch nicht gelesen habe, aber auf einer Lesung sehr ausführlich gehört und wenn man den Autor bei seiner Lesung live erlebt bzw. auch danach, ist das sicher etwas anderes, als selbst zu lesen.
    Die Lesung hat mich fasziniert, nach euren Rezis werde ich das Buch dann aber doch auf dem SuB weiterruhen lassen, denke ich.

  • Zitat

    Die Rezensionen hier schrecken mich dann aber doch ein wenig ab


    Zitat

    werde ich das Buch dann aber doch auf dem SuB weiterruhen lassen


    Mal ehrlich: es ist schon recht lange her, daß ich das Buch gelesen habe, trotzdem fand ich es ganz gut.
    Deshalb jedem, der zögern mag: probiert es einfach, ist doch ein faszinierender Gedanke, daß man der Einzige ist, der übrig bleibt auf dieser Welt. Unlogisch fand ich an der Geschichte nichts und selbst wenn ihr was findet, was ihr euch nihct erklären könnt: das größte Rätsel ist doch zweifellos, wo die anderen geblieben sind. Oder wer sagt, daß die anderen weg sind, vielleicht sind es nicht die anderen, sondern ihr selbst, im eigenen Kopf bloß sind die Menschen weg...
    Ich würd mich nicht von irgendwelchen rezis abhalten lassen vom buch, nicht so viel denken, einfach lesen...
    LG

  • Mich hat wie gesagt die Lesung fasziniert und auch im persönlichen Gespräch danach konnte ich mich gut mit dem Autor austauschen, allerdings war es von Anfang an eher nicht mein Genre, wohl der Hauptgrund, weswegen es noch ruht:-) Von *irgendwelchen* Rezis lasse ich mich nicht abhalten, aber sie unterstützen z.T. schon eine Meinungsbildung. Für mich jene, dass ich das Buch derzeit (auch aus absoluten RuB-grund) eben noch ein wenig ruhen lasse und mir dann in Ruhe, wenn ich länger frei habe, dieses Buch *geben* werde.