Schreibwettbewerb Oktober 2006 - Thema: "Zwielicht"

  • Thema Oktober 2006:


    "Zwielicht"


    Vom 01. bis 20. Oktober 2006 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb Oktober 2006 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!


    Nur für registrierte Mitglieder mit mindestens 50 Beiträgen!


    Eine Bitte: Schickt uns Eure Beiträge als .doc oder .rtf und sendet sie uns als Anhang in einer Mail. Damit kommen dann auch Zeilenumbrüche, etc. richtig bei uns an. In Word könnt ihr dann auch die Rechtschreibhilfe nutzen und unter „Extras“ habt ihr die Möglichkeit „Wörter zählen“.


    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von Wilma Wattwurm


    Gestatten, ich bin der Untermieter.


    Seit Anfang Oktober wohne ich bei ihr. Zwar darf ich nur einen kleinen dunklen Winkel mein Reich nennen, aber im Prinzip habe ich Zugang zu allen Zimmern, sogar ihr Schlafgemach ist nicht tabu.
    Meine Lieblingszeit ist der Spätnachmittag. Wenn es anfängt zu dämmern, fühle ich mich stets mehr in meinem Element, dann ist sie besonders empfänglich für meine Verführungstricks.
    Ich gestehe: ich bin ein gewissenloser Charmeur.


    Ich beginne mit einem Lächeln, oder mit einem Augenzwinkern, den Umständen entsprechend; und zwar so, daß sie meine Avancen gar nicht als Annäherungsversuche interpretiert; auf eine besänftigende Weise. Wenn sie sich dann sicher glaubt, fahre ich fort, noch immer ganz subtil; ein paar schmeichelnde Worte, eine flüchtige Berührung, eine Liebkosung mit meinem warmen Atem.
    Die ersten Zeichen von Unruhe; sie seufzt, sie schluckt, sie atmet schneller. Ich werde dreister. Schamlos und zielbewußt fange ich an, mit ihr zu flirten, prickle ihre Nerven mit meiner Flüsterstimme. Sie hält sich die Ohren zu, läuft aufgeregt hin und her. "Nein", ruft sie. Aber das kenne ich; wenn Frauen nein sagen...
    Ich kann jetzt nicht mehr aufhören; der Countdown läuft. Meinen doppelzüngigen Beschwörungen wird sie letztendlich erliegen. Ich verrate es schon mal im voraus: ich bin ein wahrer Meister der Verführungskunst.


    Ich lasse ihr Herz schneller klopfen, ab und zu einen Schlag aussetzen. Ihre Unruhe wächst, ihre Bewegungen werden hastiger. Nun kann ich gröberes Geschütz auffahren. Mein Spezialelixier wirkt immer, gleich ist sie unzurechnungsfähig. Sie fleht mich an, sie doch bitte nicht verrückt zu machen.
    Oh, wie ich das genieße, dieses Spiel mit meinem Opfer.
    Ich gebe es zu: ich bin ein gemeiner Sadist.


    Wie eine Klette hänge ich an ihr. Sie wehrt sich kaum noch. Das wild hämmernde Herz und der stöhnende Atem verraten mir genug.
    Sie greift zur Pillenschachtel.
    „Winterdepression“, hat der Arzt gemeint, als sie ihm von mir erzählt hat.
    Ich umarme sie noch fester.
    Sie wimmert leise. Darauf habe ich gewartet, nun ist sie mir vollkommen ausgeliefert.
    Ich bespringe sie.
    Ja, ich weiß es: ich bin ein elender Schuft.


    Still, was ist das?
    Schritte im Treppenhaus. Sie hat es auch gehört und lauscht mit verhaltenem Atem.
    Ein rasselnder Schlüsselbund, ein bekanntes Hüsteln, es wird wieder nichts mit unserem Schäferstündchen.
    "Mach daß du wegkommst!" zischt sie. Und als ich nicht gleich reagiere, da ein Schwindelanfall mich lähmt, gibt sie mir einen Stoß mit einer Kraft, die ich nicht von ihr erwartet hätte. Ich lande in der Ecke zwischen Fenster und Buffet und verletzte mir dabei häßlich die linke Schulter am Heizungsradiator. Miststück!
    "Hallo, was kommst du spät", ist das letzte was ich höre, ehe mir schwarz vor den Augen wird.


    Eines Tages wird es mir gelingen, eines Tages werde ich ihren Widerstand brechen.
    Ich gebe nicht auf, Verführer ist mein Beruf, ein solides Fach habe ich nicht gelernt. In meinem Metier bin ich jedoch eine Kapazität.
    Ich bin ein Charmeur, ich bin ein Sadist, ich bin ein Schuft.
    Ich bin ihr Untermieter, der Wintergast.

  • von Sinela


    Mit kalten Augen musterte Mr. Brown die beiden vor ihm stehenden Männer.
    „Bist du sicher, dass du diesen Auftrag ausführen kannst, Mike? In der letzten Zeit waren deine Unternehmungen nicht gerade von Erfolg gekrönt.“
    „Ich schaffe das ganz bestimmt. Ich bringe das Geld zu Snapfish Jones und er gibt mir dafür die Unterlagen, mit denen sie Chief Richards vom Polizeirevier erpressen können.“
    „Das ist deine letzte Chance. Wenn du auch diese Sache in den Sand setzt, vermittle ich dir einen Platz in der Hölle!“
    „Es wird alles zu ihrer Zufriedenheit ausgeführt werden“, antwortete Mike mit leicht zittender Stimme.
    „Und was habe ich mit der ganzen Sache zu tun?“ fragte Ben. „Ich habe mir doch nichts zu Schulden kommen lassen.“
    „Tja, das ist nun mal so unter Partnern. Mitgefangen – mitgehangen. Und nun befreit mich von euer Gegenwart!“


    Blauer Himmel und Sonnenschein hatte Tausende auf die Rennbahn gelockt. Die Luft flirrte von den Stimmen der begeisterten Zuschauer. Pferde wieherten, scharrten mit den Hufen, randalierten in den Startboxen, bevor sie endlich im gestrecktem Galopp die Bahn hinunterflogen. Jubelrufe der Gewinner stiegen in die Lüfte, während die meisten Menschen zornentbrannt und mit enttäuschten Gesichtern ihre Wettscheine wegwarfen.
    „Bitte, Mike, mach keinen Blödsinn. Lass uns von hier verschwinden, aber schnell.“ „Nun sei doch keine solcher Angsthase! Snapfish erwartet das Geld erst heute Abend. Was spricht dagegen, es vorher noch etwas für uns arbeiten zu lassen? Holy Twilight ist ein todsicherer Tipp und kaum einer wird auf die kleine weisse Stute setzen. Das gibt eine Traumquote.“
    Benny resignierte. Wenn Mike dieses Glitzern in den Augen hatte, hielt ihn nichts auf. Er konnte nur hoffen, dass dieser blöde Gaul gewinnen würde, sonst.....


    Massige Pferdeleiber rasten über die Rennbahn. Braune und Füchse wetteiferten miteinander, jeder wollte gewinnen. Dreckbrocken flogen den Jockeys um die Ohren, Peitschen klatschten auf dampfende Körper, Schweife flogen im Wind – bis ein großer Hengst über die Ziellinie flog und das Derby für sich entschied. Weit abgeschlagen überquerte ein kleiner weisser Fleck die Ziellinie, von niemanden mehr beachtet – außer zwei schreckensbleichen Männern.


    „Und du Ben? Dich hätte ich eigentlich für schlauer gehalten.“
    „Du weißt doch, wie er ist“ – nach einem Seitenblick auf seinen toten Partner verbesserte er sich – „äh, ich meine, wie er war. Hatte ihn einmal das Rennfieber gepackt, war er nicht mehr zu bremsen.“
    „Pech für dich, mein Lieber. Wie heisst es so schön: Mitgefangen – mitgehangen.“ Ben erschauderte. Wenn noch einmal jemand diesen Spruch zu ihm sagen würde, würde er ausrasten. Doch er hatte Glück in dieser Hinsicht, denn eine Kugel ins Herz beendete sein Leben schnell und schmerzlos. Und so bekamen die Beiden auf einer grünen Wiese am Waldrand ein kühles Grab. War es eine Ironie des Schicksals oder Zufall, dass einige Jahre später genau an dieser Stelle ein großes Vollblut-Gestüt gegründet wurde und die edelsten Rennpferde über ihnen das saftige Blaugras abweideten, das Kentucky so berühmt machte? Ich denke, es hätte ihnen bestimmt gefallen – zumindest Mike. Bei Ben bin ich mir da nicht so sicher.....

  • von Polli


    Michael und Helga bewohnten seit April ein schmuckes, efeubewachsenes Haus am Waldrand. Nach der anstrengenden Renovierung kehrten im Herbst endlich ruhige Tage ein.
    Die Sonne versank hinter den Wipfeln der majestätischen Tannen, Dunkelheit legte sich über den verwunschenen Garten und feiner Dunst schwebte über dem Seerosenteich.
    Helga stand am Fenster und beobachtete die stille Abendszene. Gedankenverloren löste sie ihren Zopf, das lange graue Haar fiel ihr über die Schultern, und achtlos streifte sie die Schuhe ab. Dann öffnete sie die Terassentür, breitete die Arme aus und atmete tief ein.
    „Helga, lass den Scheiß, es wird kalt!“
    Helga überhörte Michaels strenge Stimme. Barfuß setzte sie einen Schritt vor den anderen, schritt über die Wiese und verschwand im Halbdunkel des Gartens.
    Michael schüttelte den Kopf. „Wechseljahre“, murmelte er, dann gähnte er und griff zur Fernbedienung. Feierabend.
    „Lass mich dich umarmen, mein väterlicher, weiser Freund, erzähl mir von deinen Gartengeheimnissen!“, rief Helga beschwörend und umfasste den Stamm des knorrigen Apfelbaums. Der Baum schwieg. Was sonst.
    Michael hatte neulich einen Gärtner beauftragt, das Gestrüpp in dem verwahrlosten Garten zu entfernen und eine Neubepflanzung vorzunehmen. Gestern rief der Mann zurück und erklärte, die Frau habe ihn daran gehindert, den Garten zu betreten. Er käme gern wieder, aber erst, nachdem Einigkeit über die Art der Gartengestaltung bestehe.
    Um Himmelswillen, kein Gärtner! Alles muss bleiben, wie es ist. Das waren Helgas Worte und Michael beschloss, ihr den Willen zu lassen.Vielleicht würde sie in ein paar Tagen Vernunft annehmen.
    Helga tanzte. Zuerst im Kreis, linksherum, dann eine Kehrtwendung. Es war wichtig, Kontakt zum Boden aufzunehmen, ihn zu spüren und zuzulassen, dass die Erde Besitz von ihr ergriff. Bisher war es ihr nicht gelungen, eine Verbindung zu den übrigen Elfen aufzunehmen, die im Garten wohnten. Sie mussten hier in der Nähe leben, sie fühlte ihre Anwesenheit. Ob sie hinter dem Kirschlorbeer warteten?
    Als es völlig dunkel wurde, kehrte Helga ins Haus zurück.
    "Na, genug frische Luft geschnappt? Setz dich. Da läuft gerade was über Elektrosmog. Interessiert dich sicher."
    Helga hatte ihr Handy und die Heizdecke abgegeben und das Kabel der Mikrowelle durchtrennt. Aber sie schlief immer noch schlecht. Es waren einfach zu viele Geräte im Haus. Ja, genau, auch der Fernseher strahlte schädliche Wellen aus. Und der Kühlschrank, der Anrufbeantworter und – du meine Güte, wenn all die Geräte mit ihren Sendern und Motoren Helgas Schlaf störten, wie grauenhaft musste der Elektrosmog erst für die Elfen sein!
    "Ich geh noch mal kurz in den Garten", rief sie und kehrte zum Apfelbaum zurück. "Weiser Baum und ihr, meine Elfen, ich habe herausgefunden, was uns an der Entfaltung unseres magischen Lebens hindert: Es sind die schädlichen Strahlen, die von den Geräten im Haus ausgehen. Ich verspreche euch, etwas zu unternehmen: Morgen werde ich dafür sorgen, dass nie wieder Strom ins Haus kommt! So wahr ich eine Elfe bin!"


    "Alles in Ordnung, Schatz?", fragte Michael später. "In schönster Ordnung", antwortete sie und lächelte sanft.

  • von Roxane


    Aus dem Dämmerlicht erheben sich Silhouetten, trennen sich klar von ihrer im zwielichtigen Nebel verschwimmenden Umgebung ab, bis aus den Umrissen der bisher latenten, im Nebel versteckten Gestalten erschreckend lebhafte Wesen
    werden und aus dem trüben Dunst heraustreten.
    Sie tun das nicht hektisch oder ruckartig, sondern treten langsam, regelrecht
    bedrohlich in Erscheinung, und das macht mir Angst, mehr Angst als rasante
    Geschwindigkeit.
    Mit jedem ihrer drohend ruhigen, unheilschwangeren Schritte, den sie mir näher
    kommen, zappelt mein rasendes Herz hektischer in mir umher, wie ein panisches
    Tier, das sich aus meinem Brustkorb befreien will.
    Und da erkenne ich sie.
    Die Vampire.
    Drei. Vier, fünf, sechs. Sieben Blut saugende Bestien, nein, zehn, elf, zwölf … Und
    es werden immer mehr! Es werden Hunderte!
    Langsam schreiten sie aus, die seidenmatten Umhänge anmutig hinter sich herwehend.
    Zuerst ist nichts zu hören als der wispernde Wind, der das Geräusch ihrer Schritte melodisch begleitet, dann dringt plötzlich ein leiser, stetig anschwellender Summton an mein Ohr, eine kleine Melodie, und die frappierende Erkenntnis trifft mich mit einem Schlag: Die Vampire singen.
    Ihre Stimmen, überirdisch schön und nicht von diesem Planeten, schaffen es, die
    Luft vibrieren zu lassen und mir kribbelnde Gänsehaut zu bereiten. Eine atemberaubende Harmonie erfüllt den Platz, erfüllt meinen ganzen Körper, so tragisch und mitteilsam wie eine unendlich traurige Geschichte.
    Sie klagen. Singen mir weinend ihr Leid.
    Doch meine Furcht vermindert sich nicht. Die nun immer zügiger ausschreitenden Kreaturen, die Umhänge flatternd im Nachtwind, sind rigoros.
    Kein Auge ohne Tränen lassen sie zu an diesem Platz, doch auch kein Herz ohne
    Furcht.
    Weine ich, weil ich Angst um mein Leben habe, oder vor Mitleid mit dem tragischen Schicksal dieser ewig zu Nachtwandlern verdammten Geschöpfe?
    Ewig. Das ist es, was sie singen. Sie erzählen von der Ewigkeit, von der trostlosen
    Wüste der Trauer in der nie enden wollenden Nacht.
    Kein Jubel, kein Entsetzen,
    Nur die öde, blöde Ewigkeit.

    Plötzlich kommt etwas aus dem Zwielicht auf mich zu. Mit beängstigender Geschwindigkeit schnellt es zuckend aus dem Nebel hervor - eine bleiche, knochige Hand streckt sich mir entgegen und lässt ihre nadelspitzen Fingernägel im grünlichen Licht aufblitzen. Die Glieder zappeln vor Gier.
    Wimmernd presse ich mich dichter an meinen Stuhl. Mein Tod ist gekommen. Schweiß perlt von meiner Stirn.
    Auf einmal verklingt die Musik und lässt nichts zurück als hallende Stille. Ich atme nicht. Die weißen Finger schweben dicht vor meinem Gesicht.
    Ich schließe die Augen.
    Als ich sie wieder öffne, ist die Hand verschwunden. Aus dem trüben Zwielicht erklingt ein leises Lachen. Als ich aufsehe, zwinkert er mir zu - der Graf.
    Sein Lächeln holt mich in die Wirklichkeit zurück und ich registriere:
    Stille. Marmorne Stille.
    Lärm. Tosender Lärm.
    Beigeisterung schwingt in meinem Klatschen mit, als ich mich, auf meinem Stuhl in der ersten Reihe wippend, dem enthusiastischen Jubel des Publikums anschließe und zu den fantastischen »Tanz der Vampire« -Darstellern hinaufstrahle.
    Verschmitzt grinst Graf von Krolock mich an. »Und, Schatz, wie waren wir?«
    Ich erwidere nichts. Die Tränen in meinen Augen dürften wohl genügen.

  • von Tom


    (Komplette Überschrift, die nicht in die Themazeile paßt):
    Dämmerung über Blafurz oder Die blödeste Geschichte, die je für den Eulenwettbewerb geschrieben wurde



    Oligarch Penastik Schmalz IV. lümmelte seitwärts auf dem Audienzdiwan. Seine vier Penisse waren bereits für die Konferenz geschmückt; drei von ihnen hingen über die Diwankante, einer jedoch reckte sich der Entspannungssklavin entgegen, die mit den neun Fingern ihrer rechten Hand kunstfertig die Massage der Sonnenaufgangsglücksseligkeit praktizierte. Schmalz grunzte rhythmisch, während er den Ausführungen seines Ministers für Besonders Komplizierte Scheiße lauschte.
    „Eure Vielgliedrigkeit, die Pimper drohen mit dem Abbruch der Gespräche“, sagte der Minister, ohne den Blick von der Sklavin abzuwenden.
    „Scheiße“, sagte der Oligarch. Der Minister nickte. Beide sahen zum Panoramafenster. Am trüben Himmel hing seit nunmehr vier Monaten der Planet der Pimper, den sie genau zwischen die rotgelbe Sonne und Blafurz bugsiert hatten. Seitdem herrschte auf Blafurz Dämmerung, und die Proteste hatten fast den vergoldeten Herrscherpalast erreicht. Eine Massenpenektomie hatte allerdings vorerst für Ruhe gesorgt.
    „Ah“, ließ Schmalz verlauten, aber es klang unfroh; die Sklavin spuckte das Oligarchenejakulat in ein diamantenes Schälchen, verneigte sich und verschwand.
    „Wenn wir ihnen kein Angebot machen, werden sie die Position ihres Planeten nicht verändern.“
    „Mir geht dieses trübe Licht auf die Eier“, sagte der Oligarch, wobei er seinen mächtigen Hodensack mit beiden Händen umfaßte und die Geste des Besonderen Ärgers vollführte. Der Minister zuckte. Er wäre nicht der erste, der durch Penektomie in die Kaste der Zwei- oder sogar, Same-Nergus behüte, Einschwänze versetzt worden wäre.
    „Was wollen diese Wichser?“ fragte Schmalz ernst; die Bezeichnung verdeutlichte den Respekt, den er den Pimpern zollte. Ihm war es schwerlich möglich, Blafurz einfach so durch die bemannte Welt zu schubsen.
    Der Minister sah auf die Rangabzeichen, die er am mittleren seiner drei Penisse trug. Er seufzte, und dann sagte er: „Sie wollen Lustiana, nicht mehr und nicht weniger. Wenn wir sie ausliefern, werden sie ihren Planeten in einen anderen Orbit bringen, so daß Blafurz wieder Sonne abbekommt. Eure Vielgliedrigkeit, die Dämmerungsimpotenz hat erste Dreischwänze ereilt.“
    „Scheiße“, wiederholte der Oligarch, hob seinen Hintern und ließ einen mächtigen Furz erklingen. Die Wächter am Eingang des Konferenzraumes warfen sich auf den Boden und schnupperten ehrerbietig.
    „Nunwohl, lassen wir sie herein.“ Die Wächter sprangen auf, einer hob den penisförmigen Konferenzpleuel und schlug damit einen mächtigen Gong. Die Tür schwang auf, und eine Delegation der Pimper betrat den Saal. Penastik Schmalz ließ seinen Begrüßungspup ertönen, setzte sich auf und strich zeremoniell über seine geschmückten Schwänze. Ein Wächter hob an, um die Preisung der oligarchischen Potenz herauszuschreien, aber Schmalz winkte ab.
    „Keine Scheiße jetzt“, befahl er.


    Die Pimper waren kleine, würfelförmige Wesen mit sieben Beinen und ohne erkennbare Geschlechtsteile, aber mit enormem Haarwuchs. Der Minister staunte zum wiederholten Mal darüber, welche seltsamen Lebensformen die bemannte Welt beherbergte.
    Nach einigem Hin und Her fragte Penastik Schmalz den Delegationsführer: „Was bei Same-Nergus wollt Ihr eigentlich mit Lustiana? Ihr habt nicht einmal einen Schwanz!“
    Der Angesprochene klopfte mit fünf Beinen auf den Konferenztisch, schüttelte die Haare und antwortete mit seiner hohen Stimme:
    „Herr, wir sind einfach nur geil.“
    Penastik Schmalz nickte langsam.
    „Das wiederum“, sagte der Oligarch, „kann ich gut verstehen.“

  • von Cläschen


    Ich starrte in das bleiche Gesicht, das nur wenige Meter vor mir aufgetaucht war.
    Die Augen waren pechschwarz,
    doch mir war als würde ich tief in ihnen ein Licht glimmen sehen.
    Ich sah die Furcht in ihnen.
    Ihr Blick durchbohrte mich.
    Dann fuhr sie herum und verschwand in der Dunkelheit.


    Mein Vater rannte auf mich zu. „WARUM???“ Er brüllte so laut das meine Ohren schmerzten. Doch ich war es gewohnt. Sein Geschrei ließ mich kalt, seit 14 Jahren hatte ich es jeden Tag mitanhören müssen. Es wirkte völlig fehl am Platz. Dies war eigentlich ein sehr stiller Ort. „Warum?!“, brüllte er weiter. „Warum hast du sie nicht aufgehalten?“
    „Ich wusste nicht wie..“
    Das war die halbe Wahrheit.
    Die andere Hälfte war das ich auch nicht gewollt hatte. Mein ganzes Leben lang hatte mein Vater mir eingeschärft, dass sie gefährlich waren, dass sie Menschen töteten, indem sie ihr Blut saugten. Obwohl mein Vater mir Tote mit zwei winzigen Löchern im Hals zeigte, mir schon als kleines Kind Schauergeschichten über die kalten Wesen mit den spitzen Zähnen erzählte und obwohl dieses Mädchen genau den Vorstellungen entsprach die wir von Vampiren hatten, trotz allem konnte ich kaum daran glauben das sie existierten.
    Außerdem wusste ich das mein Vater schreckliche Dinge mit ihr anstellen würde, ihr einen Pfahl ins Herz schlagen oder sie verbrennen. Er redete oft genug davon.
    Aber ich wollte so etwas niemandem antun,
    ihm war es gleichgültig, ob sein Opfer wirklich ein Vampir war, ihm war ALLES gleichgültig,
    doch mir war es nicht gleichgültig,
    ich würde es nicht zulassen!


    „Was hast du überhaupt da getrieben, Alice?“ fragte ihre Tante scharf.
    Alice, Alice, Alice... hallte es in der Gruft wieder. „Ich habe nur einen Spaziergang gemacht!“ erwiderte das Mädchen. „Einen SPAZIERGANG?!“
    Spaziergang, Spaziergang, Spaziergang...
    „Ja, genau“ sagte Alice und setzte ihre berüchtigte Unschuldsmiene auf.
    „Wir gehen nicht spazieren!“ wetterte ihre Tante. Dann kehrte sie Alice den Rücken zu und verließ die Gruft. „Beim nächsten Mal wird das Folgen haben!“, rief sie noch über die Schulter, dann kletterte sie ins Freie.
    „IHR geht nicht spazieren,“
    zischte Alice in die Stille,
    „Aber ich gehöre nicht zu euch,
    noch nicht...“

  • von churchill


    Achtzehnhundertvierzig. Stille
    dort im Komponistenzimmer.
    Robert Schumann grübelt immer
    neu über des Freiherrn Wille.


    Eichendorff hat einst gedichtet.
    Schumann schmückt den Text mit Tönen,
    hier mit dunklen, dort mit schönen
    Harmonien wohl gewichtet.


    Vor ihm liegen düstre Zeilen.
    Sie in Einklang nun zu bringen
    mit sich selbst, will kaum gelingen.
    Er beginnt, sich mitzuteilen.


    Dämmrung will die Flügel spreiten,
    schaurig rühren sich die Bäume,
    Wolken ziehn wie schwere Träume –
    was will dieses Graun bedeuten?


    Claras Herz hat er gewonnen,
    und die Hochzeit ist erstritten.
    Nach dem jahrelangen Bitten
    kann er im Triumph sich sonnen.


    Jahr des Glückes, Jahr der Lieder,
    Träumen Melodie zu geben,
    aus dem Vollen schöpfen. Leben.
    Doch da kehrt die Schwermut wieder.


    Hast ein Reh du lieb vor andern,
    lass es nicht alleine grasen,
    Jäger ziehn im Wald und blasen,
    Stimmen hin und wider wandern.


    Friedrich Wieck, du bist geschlagen,
    Clara wird von mir behütet,
    wenn da auch der Vater wütet,
    und nicht aufhört, laut zu klagen.


    Meine Schwächen willst du sehen:
    Faul sei ich und uneinsichtig
    und ein Träumer. Das ist richtig.
    Wieck, du wirst mich nie verstehen.


    Wer nicht träumt, kann nicht begreifen.
    Technik ist wohl grundzulegen,
    doch im Traum liegt wahrer Segen,
    wenn die Bilder Wahrheit streifen.


    Hast du einen Freund hienieden,
    trau ihm nicht zu dieser Stunde,
    freundlich wohl mit Aug und Munde,
    sinnt er Krieg im tückschen Frieden.


    Auch die Frau wird mich einst hassen,
    keine Liebe kann sie halten.
    Bald schon werde ich erkalten,
    und sie hat mich längst verlassen.


    Spielt Piano seicht und heiter.
    Lobt mich, wenn ich komponiere,
    während ich den Sinn verliere.
    Ich bin tot. Und sie spielt weiter.


    Halt. Genug der bösen Finten,
    lasse mich nicht dreist betrügen.
    Jedes Lächeln ist ein Lügen.
    So verminder ich die Quinten ...


    Was heut müde gehet unter,
    hebt sich morgen neugeboren.
    Manches bleibt in Nacht verloren –
    hüte dich, bleib wach und munter.


    Tempo langsam und getragen.
    Harmonie e- Moll. So wichtig
    scheint das Glück und ist so nichtig.
    Ich geb auf. Ich bin geschlagen.


    Schein ist Trug. Und Trug ist Leben.
    Scheint das Leben dir zu glücken,
    wird der Tod den Degen zücken
    und dir seine Ehre geben.


    Bleibe wachsam. Zweifle immer,
    traue keinerlei Versprechen.
    Jeder wird Vertrauen brechen.
    Und bei Frauen ist’s noch schlimmer.


    Eichendorff, du großer Dichter,
    der in Versen schon erkannte,
    was ich hier in Noten bannte.
    Sei mein Zeuge. Sei mein Richter.



    .....................................................
    kursiv: Joseph von Eichendorff, „Zwielicht“ aus: „Ahnung und Gegenwart“ (1815)
    vertont: Robert Schumann in „Liederkreis Op. 39“ (1840)

  • von Oryx


    Als ich erwachte, spürte ich wieder die Schmerzen in meinem Bein und meiner Schulter. Der glatte Stein war immer noch kalt und im Hintergrund hörte ich leistes Tropfen. Ich versuchte mich zu erinnern wo ich mich befand. Ja, ich lag irgendwo in einer Höhle. Nur mit meiner Lampe auf meinem Helm war ich unterwegs gewesen. Toll, und nun lag ich mit einer ausgerenkten Schulter und wohlmöglich gebrochenem Knöchel auf dem Rücken wie ein wehrloser Käfer. Ich versuchte meine Lampe einzuschalten. Die Funzel ging noch, aber viel Licht spendete sie nicht. Langsam richtete ich mich auf und versuchte meine Schulter an ihren Platz zu befördern. Au, tat das weh! Aber nun war sie wohl dort, wo sie hingehörte, auch wenn der Schmerz noch immer in den Oberkörper ausstrahlte. Dann befühlte ich meinen linken Fuss. Doch, da hatte der Sturz mehr Schaden angerichtet und ich würde wirklich nicht aufstehen können. Grossartig! Ich zog mich ein Stück nach vorne, um mich besser orientieren zu können. Eine grosse Halle lag vor mir – oder sollte ich sagen hinter mir? Ich hatte sie vor dem Sturz passiert und die Stalaktiten und Stalagmiten glänzten majestätisch im Zwielicht. Erinnerte mich an lange Winternächte, bei denen der Vollmond den Schnee zum Funkeln bringt. Nun, der Weg nach draussen war zu Fuss wohl eine halbe Stunde weg, aber in dem Zustand würde es länger dauern. Hmm. Meine Handschuhe waren intakt, meine Schulter tat weniger weh. Ich musste es zum Ausgang schaffen, bevor mein Licht versiegte.
    Ich zog mich weiter nach vorne. Es ging langsam voran, aber immerhin. Als meine Arme müde wurden, setzte ich mich auf und schaltete die Lampe aus. Mein Knöchel pochte und ich schwitzte am ganzen Körper, aber daran konnte man nichts ändern. In der Dunkelheit versuchte ich mich zu orientieren. Tatsächlich schien es auf der rechten Seite ein wenig heller geworden zu sein. Ich konnte schemenartig die Wände der Tropfsteinhöhle erkennen, die wie von Wachs überzogen schienen. Ich hörte den Höhlenbewohnern zu, dem Flattern der wenigen Fledermäuse und dem plötzlichen Plantschen der augen- und farblosen Fische. Wenigstens war ich in diesem Zwielicht nicht allein. Ich atmete tief ein und aus und lauschte. Ganz weit entfernt hörte ich nun jemanden auf einer Flöte spielen. Zum Schreien hatte ich keine Kraft, aber die Musik spornte mich an, mich weiter anzustrengen. Ich schaltete meine Lampe wieder ein und bewegte mich weiter in Richtung Ausgang.
    Nach einer Weile brauchte ich meine Lampe nicht mehr. Ein wärmender Lichtstrahl fiel auf mein Gesicht und ich rutsche dankbar in den Sonnenkreis in er Nähe des Ausgangs.
    Ich erblickte eine kleine Schafsherde, ein paar spielende Kinder und zwei Männer, die sich unterhielten. Ich konnte sie aber nicht verstehen.


    „Der Idiot hat sich bestimmt schon an seinem Seil aufgehängt. Amateur! Wenn der nicht mehr rauskommt, dann hole ich mir sein Auto!”, erwiderte George und ging in Richtung Abendsonne.

  • von blaustrumpf


    Es stimmt nicht, denkt sie. Es ist einfach nicht wahr. Die Dämmerung fällt nicht. Es ist genau andersrum. Dämmerung steigt hoch, kriecht unter den Blättern hervor, aus dem Gebüsch, hält kurz inne am Waldrand, ehe sie sich über die Wiese legt. Das Zwielicht, dann wenn man nicht sagen kann, ist es noch Abend oder schon Morgen, das währt eine Zeit. Und dann geht es plötzlich sehr schnell. Sehr schnell. Und immer zu schnell.


    Sie sieht hinaus in den Garten, bis sich ihr Blick im Unterholz verliert, dort, am Waldrand. Hier hat sie wohnen wollen, leben genau hier, wo die Grenzen verschwimmen, wo eines beides sein kann und so etwas ganz anderes. Dichterin, hat er gelacht. Meine kleine Dichterin. Verträumt und nie um Worte verlegen. Nie hätte er geahnt. Wie auch sie nicht.


    Vielleicht wäre es besser fortzugehen, dorthin, wo alles eindeutig ist, wo die Dunkelheit und der Tag nicht Wange an Wange liegen, wo das Licht klar und hell ist und aus den Fenstern strahlt, bis die Sterne nur matt noch leuchten. Vielleicht. Vielleicht hätten sie gehen sollen. Als es noch ging. Und vielleicht wäre das Zwielicht ihnen nicht gefolgt. Vielleicht.


    Aber ihr, ihr fällt gar nichts mehr leicht. Selbst das Atmen macht Mühe, und den Blick zu wenden, zurück ins Haus, ins wohl geordnete Leben, braucht Kraft, die sie nicht hat. Nicht mehr. Nun wartet sie und sieht, wie die Dämmerung steigt. Erst wenn das Zwielicht der Dunkelheit weicht, wenn der Garten in der Nacht versunken ist, kann sie sich lösen.


    Noch sieht sie die Wiese, ahnt Dahlien und Astern, Löwenzahn und Klee. Noch wandert ihr Blick zum Sandkasten, dorthin, wo ein gelbes Sieb liegt, eine rote Plastikschaufel daneben. Aus dem Augenwinkel folgt sie den Herbstblättern, die eine Böe über das Gras treibt. Vor der Einfassung des Pools ballen sie sich, da, wo der Igelsteg den Kleintieren einen Ausweg gönnt.


    Lange hält sie dem Anblick nicht stand. Lieber schaut sie zum Waldrand, wo das Unterholz schon in Dunkelheit liegt. Lieber blickt sie zum Himmel, der seit Tagen Regen verspricht und doch nicht aufreißt. Lieber schaut sie und sieht nichts, lieber vertraut sie darauf, dass das Zwielicht vorbeigeht, dass die Dämmerung das Gelb und das Rot mitnimmt, wenn sie der Dunkelheit weicht.


    Lieber schaut sie und sieht nichts. Und wendet sich auch nicht um, als sie hinter sich eine Nähe spürt und ein Arm sich um ihre Schultern legt. Sie blickt hinaus und sieht nichts und will auch nichts hören, will nur stehen und schauen. Aber er spricht und zerreißt das Schweigen, macht sie sehen, wo nichts mehr ist, das sie lieber sähe als Dämmerung, Zwielicht und Dunkelheit.


    Willst du nicht das Licht anmachen, fragt er, so im Dunkeln, du siehst ja gar nichts. Mach doch die Lampe an, setz dich zu mir, lass uns reden, wie früher. Wie früher. Und sie atmet und lächelt sanft, streichelt die Hand auf ihrer Schulter und setzt sich und lächelt und atmet. Bis er fragt: Gehen wir morgen zum Friedhof?