Der Büchereulen-Adventskalender 2006

  • 18. Dezember 2006 von Heike



    Heilige Nacht
    Jo atmete tief durch, als er endlich den Hörer in die Gabel gedrückt hatte, und bedachte das Telefon mit einem triumphierenden Blick. Er hatte es getan, er hatte es seiner Mutter mitgeteilt, kurz und bündig, mit klaren Worten, die sie für einen Augenblick hatten verstummen lassen, ehe sie mit kläglichem Ton nachgefragt hatte, ob an seinem Entschluss nicht mehr zu rütteln sei, es sei doch so schön, und Oma Hilde habe sich doch so auf sein Kommen gefreut. Er würde anrufen, hatte er gesagt, nach den Tagen, und seine Mutter hatte lange geschwiegen, ehe sie sich mit einem gemurmelten „Na dann“ verabschiedet hatte.
    Jo schob die Hände in die Hosentaschen und schlenderte pfeifend in sein Zimmer zurück, an dessen Tür ein überdimensionales Che Guevara-Poster prangte. Ein Geschenk von Lutz, das dieser ihm am Abschiedsabend vermacht hatte, ehe er nach Berlin gezogen war. In der Hauptstadt ging was ab, hatte Lutz gesagt, als sie vergangene Woche telefoniert hatten. Keine spießigen Weihnachtsfeier mit Konsumterror, Weihnachtsbaum und Gänsebraten, der jedes Jahr wieder nicht richtig durchgegart war, keine geheuchelte Harmonie, keine alberne Frömmigkeit, die pünktlich zur Christmette einsetzte und spätestens am ersten Weihnachtstag vergessen war. Weihnachten gehörte zu den widerwärtigsten Auswüchsen der Bourgeoisie, verhaftet in einer längst überholten Tradition, der man sich sklavisch unterwarf und deren konservativen Werte nicht in Frage gestellt wurden. Doch in diesem Jahr würden sie ein Zeichen gegen die Diktatur der Weihnachtsharmonie setzen.
    Immer noch pfeifend warf Jo den alten BW-Rucksack auf das Bett und stopfte wahllos einige Klamotten hinein, dazu die beiden Flaschen Rum, die er beisteuern wollte, zwei Computerzeitschriften, den MP3-Player für die Fahrt und ein Päckchen mit Gras und Blättchen. Ein kurzer Blick zur Uhr verriet, dass er noch Zeit hatte. Gemächlich schlenderte er in die Küche, jonglierte zwei Äpfel in der rechten Hand, ehe er sie einsteckte, und zündete sich eine Zigarette an. Auf dem Herd stand noch der Topf mit den Nudeln vom letzten Wochenende, und in der Spüle türmten sich die Gläser vom vorletzten Abend, als sie zusammen gesessen hatten, bevor Meli und Lukas am nächsten Morgen nach Hause gefahren waren. Mit einem spöttischen Grinsen betrachtete Jo den Porzellanengel, den Meli mit einigen Tannenzweigen auf dem Küchentisch drapiert hatte, „damit wenigstens etwas Weihnachtsstimmung aufkommt“. Es war eine kitschige Figur, mit Pausbacken und gefalteten Händen, und Jo hatte den ganzen Abend gewitzelt, bis Meli genervt die Küche verlassen hatte und vermutlich bis ins Neue Jahr hinein nicht mit ihm sprechen würde. Dabei war sie eigentlich klug genug einzusehen, dass dieser Porzellangötze vor allem eines war – hässlich und albern. Jo pflückte einige abgebrannte Zigarettenstummel aus dem Aschenbecher und drückte sie in die sternförmigen Öffnungen des Kleides. Dann holte er einen Edding aus seinem Zimmer und malte ein feistes Clownsgesicht auf die Puttenfratze. Meli würde toben, dachte er, während er sein Werk betrachtete und sich die zweite Zigarette ansteckte. Aber vielleicht brachte er sie so dazu, darüber nachzudenken, was sie eigentlich tat, anstatt sich willenlos den bourgeoisen Traditionen zu unterwerfen.


    Als er schließlich aufbrach, dämmerte es bereits. Schneefall hatte eingesetzt und setzte sich mit dicken, weichen Flocken auf Jacke und Mütze, während er auf den Weg zum Bahnhof machte.
    Sein Zug war pünktlich, und so warf er kurze Zeit später seinen Rucksack in die Gepäckablage, stöpselte den MP3-Player ein und ließ sich auf seinen Platz fallen. Ihm gegenüber hatte eine ältere Frau Platz genommen, die ihre Handtasche mit beiden Händen auf dem Schoß hielt, auf der anderen Seite saß ein Mann mit einem Kleinkind, das unaufhörlich quengelte. Der Schneefall, der inzwischen zugenommen hatte, ging mit steigender Geschwindigkeit in dem Dunkel auf, das sie umgab.
    Jo schloss die Augen und versuche sich auf die Musik zu konzentrieren. Neben ihm krähte das Kind freudig, und er wandte sich mit einem genervten Seufzer zum Fenster.
    „Fahren Sie auch nach Hause?“
    Jo blinzelte, erkannte dann, dass die alte Frau gesprochen hatte und offensichtlich ihn meinte.
    „Nein“, knurrte er und schlang die Arme fest um die Brust, als sei ihm kalt. Das hatte ihm noch gefehlt, eine geschwätzige Alte.
    „Nicht? Wie schade.“ Die Frau schaute mitleidig. „Da werden Ihre Eltern aber traurig sein.“
    „Möglich.“
    „Wo fahren Sie denn hin?“
    Jo stöhnte innerlich auf. Die Alte war wirklich anstrengend. „Zu einem Freund“, antwortete er und hoffte, dass sein schroffer Tonfall ihr deutlich machte, dass er keinen Bedarf an einem Gespräch hatte.
    Die Alte war entweder auf diesem Ohr taub oder es schien sie nicht zu stören. „Wissen Sie, ich besuche meine Tochter“, plauderte sie munter weiter und lächelte. „Sie und ihr Mann waren lange im Ausland, und das ist das erste Weihnachtsfest seit mehr als zehn Jahren, das wir gemeinsam feiern werden.“
    „Hmmm.“ Jo drehte die Lautstärke des MP3-Players lauter und starrte aus dem Fenster. Doch die Alte schien inzwischen in Fahrt gekommen zu sein.
    „Wissen Sie, ich werde heute Abend mein Enkelchen sehen. Meine Tochter und ihr Mann waren in Japan, und der Flug ist so teuer. Mit meiner Rente konnte ich das Ticket nicht bezahlen. Es ist ein Mädchen, ein niedliches Mädchen. Ich habe ihr ein Jäckchen gestrickt, aus guter Wolle, nicht dieses künstliche Zeug, das man sonst überall bekommt.“
    Der Schaffner bewahrte Jo davor, weitere Details aus dem Leben des Enkelchens zu erfahren. Nachdem er seine Karte vorgezeigt hatte, drehte er sich dankbar zum Fenster und bekam noch mit, dass sich der Mann von gegenüber erkundigte, ob sie pünktlich in Magdeburg sein würden, da seine Frau ihn und das Kind dort erwarten würde. Bestürzt mischte sich die Alte ein, warum er so spät am Heiligen Abend noch unterwegs sei, und kramte aus ihrer Handtasche eine Riegel Schokolade hervor, den sie dem kleinen Jungen gab, der freudig jauchzte.
    Jo versuchte nicht mehr hinzuhören, während Greenday durch seine Kopfhörer dröhnte und er in die Nacht hinausstarrte. Verwundert stellte er fest, dass die Dunkelheit heller geworden war, durchsetzt von dichtem Schneefall, stark genug, um die Schwärze in ein undefinierbares Grau zu verwandeln. Wenigstens gab es in Berlin Straßen- und U-Bahnen, so dass er nur ein kurzes Stück durch den Schnee würde laufen müssen. Lutz hatte sicher schon Pizza bestellt. Bei dem Gedanken gab sein Magen ein dumpfes Grollen von sich, und ihm fiel ein, dass er außer den Cornflakes heute Morgen noch nichts gegessen hatte. Aber in zwei Stunden würde er ohnehin in Berlin sein, und dort gab es zur Not genügend Dönerbuden, die den Weihnachtszirkus nicht mitmachten. Greenday in den Ohren dämmerte er weg.


    Der Zug ruckelte, dann stand er still. Verwundert schaute Jo auf. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass sie inzwischen längst in Magdeburg hätten ankommen sollen, doch statt des Bahnhofs lag alles ringsherum in Dunkelheit versunken, durchsetzt von Schneetreiben, das die wirbelnden Flocken gegen die Fenster drückte.
    Jo seufzte und wollte sich wieder in seine Musik vertiefen, als der Schaffner sichtlich aufgebracht an ihnen vorbeihastete.
    „Oh Gott, es wird doch wohl nichts passiert sein?“ Die alte Frau hatte eine Hand vor den Mund geschlagen und schaute bestürzt in die Richtung, in der der Mann verschwunden war.

  • „Vermutlich hat jemand ne Fahrkarte ins Jenseits gelöst“, gab Jo zurück und grinste, als er das Entsetzen auf dem Gesicht der Alten sah. Das Kind, das jetzt ruhig auf dem Schoß seines Vaters saß, blickte ihn mit großen Augen an.
    „Aber doch nicht heute“, wisperte die alte Frau. „Heute ist doch Weihnachten.“
    „Na und?“ Jo hob die Schultern. „Ein Tag ist dafür so gut wie der andere.“
    „Sie haben es wohl nicht so mit Weihnachten“, mischte sich nun der Vater ein, der mehrfach nervös auf seine Uhr geschaut hatte.
    „Nein. Warum auch.“
    „Aber Weihnachten ...“, die Alte wedelte mit der Hand durch die Luft, als könnte sie die Worte erhaschen, die ihr fehlten, „Weihnachten ist doch ... etwas anderes. Etwas Besonderes.“
    „Konsum und Heuchelei. Brauche ich beides nicht.“ Jo zuckte noch einmal mit den Schultern und wandte sich ab. Von den vorderen Wagen waren laute Stimmen zu hören, und er meinte, draußen Bewegungen zu erkennen.


    „Meine Damen und Herren.“
    Die Stimme des Zugführers klang verzerrt durch den Lautsprecher, doch sofort war es totenstill in dem Wagen.
    „Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass unser Zug wegen starker Schneefälle und Eis nicht weiterfahren kann. Wir können Ihnen noch nicht sagen, welche Anschlussmöglichkeiten sie haben, da wir im Moment gar nichts sagen können.“ Die Stimme machte eine Pause, dann ertönte ein tiefer Seufzer und der Mann fuhr fort: „Der Zug wird von hier aus nach Hannover zurückkehren. Reisende, die in Richtung Berlin weiterfahren möchten, bitten wir, das Gepäck an sich zu nehmen und den Zug zu verlassen. Auch wenn es nicht so aussieht, wir befinden uns an einem Bahnsteig. Wenn Sie sich nach dem Aussteigen nach links wenden, finden Sie im Bahnhofsgebäude Mitarbeiter, die sie in der Zwischenzeit mit Tee versorgen, bis sich Ihre Weiterfahrt geklärt hat. Seien Sie vorsichtig beim Verlassen des Zuges, es liegt hoher Schnee, und der Bahnsteig ist nicht für einen ICE geeignet.“
    Mit einem Fluch riss Jo die Stöpsel seines MP3-Players aus den Ohren. „Wunderbar“, murmelte er, während er seinen Rucksack von der Gepäckablage klaubte und sich über die Schulter warf. Das Kind, das anscheinend nicht verstanden hatte, was passiert war, hatte angefangen zu plärren, ein durchdringendes, unangenehmes Gebrüll, das Jo durch Mark und Bein ging. Fluchend fuhr Jo durch seine Taschen, um das Handy zu suchen, doch er musste es auf dem Küchentisch liegen gelassen haben.
    „Sorry“, wandte er sich an den Vater, der mit einer Hand das Kind festhielt und mit der anderen nach den Taschen über ihm angelte. „Kann ich mal Ihr Handy haben?“
    Der Mann hielt inne und bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick.
    „Schon gut.“ Jo hob die Hand. „Ist schon klar, Nächstenliebe und so. Na, dann frohe Weihnachten.“
    „Sie können mein Handy haben.“
    Die alte Frau war ebenfalls aufgestanden, und wühlte nun in ihrer Handtasche. „Hier“, sagte sie und lächelte unsicher. „Sie wissen vermutlich besser, wie das Ding funktioniert.“
    Jo murmelte einen Dank und tippte hastig Lutz’ Nummer. Es klingelte gut zehnmal, bis endlich jemand dranging. Lutz war hörbar angetrunken und wusste bereits Bescheid, da der Schneefall bis nach Berlin vorgedrungen war. Er gehe schon mal los, Jo solle nachkommen, wenn er es geschafft habe anzukommen. Ansonsten sehe man sich morgen. Frustriert legte Jo auf.
    „Keine guten Neuigkeiten?“ erkundigte sich die Alte besorgt.
    Jo schüttelte den Kopf. „Alles ok. Danke.“ Er zwang sich zu einem Lächeln und drückte der Frau das Handy in die Hand. Also Berlin, das hieß raus in den Schnee. Hallelujah.
    Ohne auf die anderen Reisenden Rücksicht zu nehmen drängte er sich vorbei in Richtung Ausgang. Kalter Wind blies ihm entgegen und zerrte an seinen Haaren, als er die Tür erreicht hatte. Fröstelnd warf er einen sehnsüchtigen Blick zurück in den Wagen, in dem es warm und hell war.
    Die alte Frau stand immer noch vor der Gepäckablage, den Mantel über den Arm gelegt, und ihre Finger krallten sich um die Handtasche, während ihr Blick hilflos durch das Abteil wanderte.
    Jo rang mit sich, was ging ihn die Alte an, die ihn schon die ganze Zeit über genervt hatte, doch er spürte plötzlich noch etwas anderes, was seine Kehle eng werden ließ. Mitleid.
    Mit einem Seufzer drehte er sich um und ging zurück.
    „Soll ich Ihnen helfen?“
    Die Alte schrak auf, blickte ihn verdattert an, nickte dann zögerlich. Jo half ihr in den Mantel und nahm den Koffer, der schwerer war, als er befürchtet hatte.
    Der Schnee auf dem Bahnsteig lag kniehoch, so dass seine Hosenbeine nass und kalt wurden, als er hinauskletterte und die Frau mit Hilfe anderer Reisender aus dem Zug hob. Der Schaffner deutete ihnen den Weg zu dem winzigen Bahnhofsgebäude, dessen Fenster bereits hell erleuchtet waren.
    Es waren nicht viele Reisende, die entschlossen waren, die Weiterfahrt zu wagen, und doch drängten sie sich bald in der winzigen Bahnhofshalle. Ein Bahnmitarbeiter bat immer wieder um Entschuldigung, während andere Tee austeilten. Es war kalt, einige Reisende weinten, eine Frau redete mit schriller Stimme auf einen Schaffner ein, und ein dicklicher Mann Mitte Fünfzig mit Anzug erklärte mit gewichtiger Stimme, das werde noch ein Nachspiel haben.
    Die Alte lächelte dankbar, als Jo den Koffer in einer Ecke absetzte. Er nickte ihr knapp zu und wandte sich ab, um den MP3-Player wieder hervorzuholen und sich in eine Ecke zurückzuziehen, wo er seine Ruhe hatte und allein war mit seinem Frust. Da wollte er heute Abend in Berlin um die Häuser ziehen und sich selbst beweisen, dass man Weihnachten nicht brauchte, und nun saß er hier gestrandet irgendwo im Nirgendwo und half alten Damen aus dem Zug. Wenn er überhaupt noch in Berlin ankam, würde er Lutz ohnehin nicht mehr finden können. In der Hektik hatte er vergessen sich sagen zu lassen, wo die Party stieg. Aber zurückzufahren wäre ebenso blöd gewesen, da warteten nur die leere WG und der bemalte Porzellanengel.
    Ein Räuspern ließ ihn aufblicken, und er erkannte den Vater, der vor ihm stand, das Kind an der Hand, das ihn neugierig anstarrte.
    „Frau Kramer meinte, Sie sollten sich zu uns setzen.“
    „Frau Kramer? Ach so, die Alte.“ Jo grinste schief. „Kein Bedarf.“
    „Na, kommen Sie schon.“ Der Mann zeigte ein versöhnliches Lächeln. „Der Schaffner hat gerade durchgegeben, dass es noch ein paar Stündchen dauern kann, vermutlich bis morgen früh. Ich habe meine Frau schon informiert, aber mit dem Auto kommt man auch nicht durch. Wir sollten das Beste daraus machen. Schließlich ist Heiligabend.“
    „Und?“
    „Wir haben schon zusammengelegt, Frau Kramer hat Schokolade und Plätzchen dabei, wir haben Stollen und eine Rote Wurst. Sie müssen nicht kommen, aber“, er zwinkerte verschwörerisch, „Frau Kramer würde sich sehr freuen.“
    „Hmm“, knurrte Jo, während seine Finger den Takt der Musik auf dem Boden trommelten. Die anderen Reisenden hatten sich ebenfalls zu kleineren Grüppchen zusammengefunden, einige hatten angefangen, Weihnachtslieder zu singen, und selbst die hysterische Frau hockte neben einer Mitreisenden und sie tauschte angestrengt Geschichten über die Familie aus.
    „Also gut“, seufzte er schließlich und erhob sich betont langsam. „Wenn’s sie freut ...“
    Die Alte – Frau Kramer – hockte auf einer der wenigen Wartebänke. Vor ihr ausgebreitet lagen Schokolade und Plätzchen, dazwischen brannte eine einzelne Bienenwachskerze.
    „Eigentlich ein Geschenk für meine Tochter“, erklärte sie, als Jo und der Mann sich setzten. Das Kind krabbelte auf den Schoß seines Vaters und streckte begierig die Hand nach den Plätzchen aus.
    „Greifen Sie zu“, forderte Frau Kramer Jo auf. „Alles selbstgebacken.“
    „Danke.“ Jo langte zögerlich nach einem Vanillekipferl. Er schmeckte anders als die gekauften Kekse, die Meli in die WG geschleppt hatte, voller, echter, wie die Plätzchen, die er von zu Hause kannte. Und plötzlich spürte er den Hunger, der wie ein grimmiger Wolf in einem Magen wütete und ihn sich gleich zwei weitere Plätzchen und ein gutes Stück von der Wurst in den Mund stopfen ließ.
    „Die waren auch für ihre Tochter?“, fragte er peinlich berührt, während er noch schluckte.
    Die Alte nickte lächelnd.
    „Macht es Ihnen nichts aus, nicht dort zu sein?“
    „Nun“, Frau Kramer seufzte, „ich habe so viele Jahre ohne meine Tochter verbracht, und wenn Gott nicht will, dass ich heute ankomme, dann komme ich eben erst morgen. Was sollen wir auch sonst tun? Heute ist Weihnachten.“
    „Wir werden die Bescherung morgen nachholen“, nickte der Mann und strich seinem Kind liebevoll über den Kopf, das zufrieden an einem Plätzchen nagte. „Die Geschenke können warten.“
    Jo nickte zögerlich, als ihn ein plötzlicher Einfall nach seinem Rucksack greifen ließ. „Ich hoffe, Sie mögen Grog?“, fragte er und holte einer der Rumflaschen hervor.
    „Gerne“, lächelte Frau Kramer und reichte ihm ihren Tee. Auch der Mann ließ sich einschenken.
    „Frohe Weihnachten“, sagte sie und hob den Becher.
    „Ja.“ Jo nickte. „Frohe Weihnachten.“

  • 19. Dezember 2006 von Heaven



    Der kleine Weihnachtsmann


    Am Morgen des ersten Advent blieb Paul am Frühstückstisch sitzen und guckte seinen Vater ernsthaft an.
    "Was ist Paul?", fragte der Vater irritiert.
    "Kann ick mit dir mal von Mann zu Mann reden?", fragte Paul und warf dabei grimmige Blicke in die Richtung seiner Mutter. Die unterdrückte ein Lächeln und meinte, sie müsse mal schnell noch zum Briefkasten, nahm ihren Schlüssel und verließ die Wohnung.
    "Nun, was gibt es?", fragte der Vater mit bemüht ernsthaftem Gesicht.
    "Det det keenen Osterhasen jibt, habt ihr ja schon zujejeben. Aber inzwischen weeß ick ooch, det det jar keenen richtijen Weihnachtsmann jibt. Du brauchst det jar nich abzustreiten, Achim hat ooch jesacht, det der nur so ne Art Osterhase is. Und ausserdem, wo warste denn immer wenn der Weihnachtsmann kam, hä?"
    Der Vater schluckte heftig und antwortete:" Gut mein Sohn, da du nun schon alles weißt, will ich offen mit dir reden. Nein, es gibt weder den Osterhasen, noch den Weihnachtsmann und schon gar keinen Klapperstorch. Wenn du in diesem Jahr gern auf diesen schönen Brauch verzichten willst, dann respektieren wir das und wir feiern ohne Weihnachtsmann."
    Sofort heulte Paul auf. "Det is jemein! So meinte ick det doch jar nich! ICK will der Weihnachtsmann sein! ICK setze mir die Maske uff und zieh mir Mamas alten Pelzmantel an. Und denn müsst ihr mir Jedichte uffsagen und versprechen det ihr nich mehr zanken wollt!"
    Seine große Schwester Sandra, die plötzlich in der Tür stand, lachte nur und meinte: "Einen Weihnachtsmann, der so schrecklich berlinert, nimmt doch keiner ernst!"
    "So ist es.", sagte die Mutter, die inzwischen auch wieder mit der Post in der Hand in der Küche stand.
    "Denn werd isch mir ebend Mühe gebän. Dürf isch?", fragte Paul und sah seine Eltern erwartungsvoll an. Die Mutter nickte dem Vater ein liebevolles JA zu und der Vater meinte: "Aber nur, wenn in diesem Jahr die übliche Hektik unterbleibt und du dich an dein Versprechen hältst."
    Mit einem breiten Grinsen verließ Paul die Küche und verschwand in seinem Zimmer.
    Und damit brach die Tyrannei des neuen Weihnachtsmannes an, der sein neues Amt sehr ernst nahm. Fortan bemühte sich Paul um ein besseres Deutsch und ließ Sandra bei den üblichen Kabbeleien unter Geschwistern mit den Worten stehen: "Isch werde misch doch nich mit so ne dämliche Henne streiten. Der Weihnachtsmann wird schon mit dir abrechnen!"


    Eine Woche vor dem Weihnachtsabend suchte die ganze Familie verzweifelt nach Paul und fand ihn völlig verdreckt und verstaubt auf dem Dachboden. Die Mutter schlug die Hände vor das Gesicht und meinte nur: "Dein schöner neuer Pullover! Der ist ja völlig ruiniert!"
    Paul ignorierte das entsetzte Gesicht der Mutter und präsentierte stolz den Weihnachtsbaumständer mit den Worten: "Meckert nicht sondern seid dankbar!"
    Bevor die Mutter weiter schimpfen konnte rettete ihn Sandra: "So unrecht hat er gar nicht! Denkt mal dran wie wir den im letzten Jahr gesucht und nicht gefunden haben! Am Ende musste der Baum in einem Eimer stehen und ist zweimal umgekippt.", und guckte dabei den Vater an. Der ging sofort in Verteidigungsposition und meinte, es läge nur daran weil hier im Hause alles verschlampt würde und niemand Ordnung hielte.
    Sofort reagierte die Mutter verärgert darauf und wies darauf hin, dass es ja wohl bisher immer seine Aufgabe war sich um den Baum und die Dekoration zu kümmern. "Du machst doch immer alles auf den letzten Drücker! Sogar das Lametta mussten wir uns im letzten Jahr von den Nachbar borgen, weil DU nicht....."
    Bevor die Mutter zu Ende sprechen konnte, rief Paul im Bewusstsein seiner momentanen Macht dazwischen: "Macht nur weiter so! Immer zankt euch! Der Weihnachtsmann wird sich das merken!"
    Und sofort ward der häusliche Friede wieder hergestellt.


    Am Vorabend des Heiligen Abend saßen die Eltern noch gemütlich im Wohnzimmer, die Kinder schliefen bereits. So glaubten die Eltern zumindest. Denn genau in dem Augenblick, als der Vater zur Mutter meinte: "Du, ich kann das Warten einfach nicht mehr ertragen, möchtest du nicht jetzt schon dein Geschenk auspacken?", stand Paul in der Tür. Er schickte seinem Vater einen vernichtenden Blick und schrie: "Sofort jibste det Jeschenk her, du Verräter!"
    Erschrocken und ertappt reichte der Vater ihm das Paket.


    Am nächsten Morgen lief alles sehr friedlich ab. Paul hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen und verstaute alle von den Eltern und der Schwester abgelieferten Päckchen in einem alten Jutesack. Die Mutter kümmerte sich in Ruhe um den Festtagsbraten, der Vater schmückte Weihnachtsbaum und Sandra häkelte noch schnell den letzten Topflappen fertig.
    Endlich wurde es Abend. Alle warteten in der Stube, bestaunten den Tannenbaum in seinem Lichterglanz, aus der Stereoanlage erklang Bing Crosbys "White Christmas". Plötzlich klopfte es laut und lange an der Zimmertür. Ein kleiner Weihnachtsmann mit langem Bart riss die Tür auf und befahl: "Los, alle singen ‚Oh Tannenbaum’!" Die Eltern und Sandra rissen erstaunt die Augen auf, guckten sich fragend an, stellte sich dann aber neben dem Weihnachtsbaum auf und sang brav alle Strophen des Liedes.
    "Isch komme von weit her und will euch sagen es weihnachtet sehr", meinte der Zwerg im langen Mantel. "Isch möchte mal ebend wissen, ob ihr auch immer alle schön artig gewesen seid."
    Der Vater räusperte sich verlegen, die Mutter nestelte nervös an ihrer Rüschenbluse und Sandras Gesicht lief fast so rot an wie der Mantel des kleinen Weihnachtsmannes. Der Reihe nach gestanden sie zumeist brav gewesen zu sein, aber durchaus hätten artiger sein können. Man würde sich selbstverständlich im nächsten Jahr mehr Mühe geben. Dann sagte jeder ein Gedicht auf oder sang ein Lied und erhielt zur Belohnung seine Geschenke.
    Während alle ihre Geschenke auswickelten, sich vor Freude um den Hals fielen, stand der kleine Weihnachtsmann ein wenig bedröppelt im Zimmer herum und zuppelte verlegen am inzwischen juckendem Bart. Der Vater erhob sich. "Wir danken dir lieber Weihnachtsmann. Du hast uns viel Freude gemacht. Aber nun wollen wir dich nicht weiter aufhalten, denn du hast ja sicher noch viel zu tun. Auf Wiedersehen bis zum nächsten Jahr."
    Leise begann der kleine Weihnachtsmann zu schluchzen, ging dann zu lautem Weinen über, riss sich den Bart vom Gesicht, zog den Mantel aus und warf sich heulend der Mutter in die Arme. "Det is jemein! Son Mist! Ick will nich mehr Weihnachtsmann spielen, det is janz blöde. Der Weihnachtsmann soll zu MIR kommen."
    Die Mutter und Sandra trösteten Paul. „Nu heul doch nicht Paule!“, meinte Sandra während sie ihm liebevoll über den Kopf strich. „Du warst der beste Weihnachtsmann aller Zeiten, ehrlich! Und wir hätten dich eigentlich gar nicht erkannt.“ Die Mutter nahm ihn fest in den Arm, streichelte ihm den Rücken und sagte stolz: „Und du hast so wunderbares Hochdeutsch gesprochen.“ Aber nichts half. Laut weinend schrie er: "Aber isch will kein Weihnachtsmann mehr sein! Isch bin doch noch ein Kind und hab mir eine neue Lok für meine Eisenbahn gewünscht!"


    Da plötzlich klopfte es an der Tür. Paul sah erschrocken auf und Sandra sagte tapfer: "Herein." Die Tür öffnete sich und ein richtiger großer Weihnachtsmann betrat die Stube. Paul riss die Augen vor Staunen auf und fühlte sich fast ins Märchenland versetzt, traute sich aber kaum hinter Sandra hervor.
    "Entschuldigung", sagte der große Weihnachtsmann, "uns muss ein Fehler unterlaufen sein. Hier soll ein Junge namens Paul wohnen, der noch kein Geschenk bekommen hat. Stimmt das?"
    "Ja", sagte Paul kaum hörbar. "Und isch kann die auch ein Lied singen oder ein Gedicht aufsagen und isch werde zu meiner Schwester nie mehr dämliche Henne sagen!" Da lächelte ihm der Weihnachtsmann zu, ließ sich ein Gedicht aufsagen und übereichte Paul seine Geschenke. Der bedankte sich artig und verzog sich gleich in eine Ecke und schnürte alle Päckchen ehrfurchtsvoll auf und vergass rings um sich alles.
    Als Paul nach zwei Stunden noch immer mit der neuen Lok spielte, setzte sich der Vater zu ihm und meinte: "Na Kollege! Wie fandest du diesen Weihnachtsabend? Hat er dir gefallen?"
    "Dufte Papa", meinte Paul und zwinkerte ihm verschmitzt zu. "Nur schade, dass du wieder nicht da warst als der echte Weihnachtsmann kam."

  • 20. Dezember 2006 von Melkat



    Früh am Morgen geht es los,
    da schlüpft er schon mal in die Hos.
    In's Hemd und in die Schuhe rein,
    die rote Mütze soll's heut' sein.


    'nen schnellen Kaffee von der Frau,
    es gibt viel Arbeit, ganz genau!
    Beeilen soll er sich , hopphopp!
    Auf seinem Wagen im Galopp.


    So viele Päckchen, groß und klein,
    wollen noch geliefert sein.
    Eisenbahnen, Schaukelpferde,
    ab geht der Schlitten auf die Erde.


    In jedem Dorf und jeder Stadt,
    der Gute seine Helfer hat.
    In quasi jedes Haus hinein,
    das schafft auch er nicht ganz allein.


    Das eine oder andre Mal,
    lässt er sich Zeit und schaut schon mal.
    In's Zimmer oder Häuslein rein,
    ob sich die Kleinen auch recht freun.


    Und wenn er dann das Lachen sieht,
    da weiss er nicht, wie ihm geschieht.
    Es wird ihm dann ganz warm um's Herz,
    da freut er sich, das ist kein Scherz.


    Da geht gleich alles viel beschwingter,
    da freut er sich für all die Kinder.
    Und nach dem letzten Päckchen dann,
    tritt er die lange Heimfahrt an.


    Frau Nikolaus erwartet ihn,
    und hält ihm schon die Hausschuh hin.
    Was zum Essen und 'nen Tee,
    das braucht er nach dem vielen Schnee.


    Nun legt er müd die Füsse hoch,
    ein schöner Tag, das war es doch!
    Da schnarcht er schon und schläft ganz fest.
    Frohe Weihnachten dem Eulennest!!!

  • 21. Dezember 2006 von deny



    Eine ungewöhnliche Weihnacht


    Elisabeth war nicht mehr die Jüngste, und doch ging sie immer noch selbst einkaufen. Auch heute, am 24. Dezember ging sie in den Supermarkt an der Ecke. Als sie am Supermarkt angekommen war, regte sie sich wieder auf. Aus den Lautsprechern klang nervige Weihnachtsmusik, überall hingen Tannenzweige, an der Kasse stand ein lebensgroßer Weihnachtsmann. „Als ob es den Weihnachtsmann gibt?!“, dachte sie sich. Elisabeth hat nicht viel eingekauft. Sie brauchte nicht viel. Bei ihr gab es an Weihnachten kein besonderes Essen, noch gab es jemanden der von ihr Geschenke erwartete. Sie mochte Weihnachten nicht. Sie hasste es förmlich. Mit einer Einkaufstüte in der Hand ging sie aus dem Supermarkt. Als ein Junge auf einem Skateboard an ihr vorbei fuhr, fiel ihr die Tasche aus der Hand „Pass doch auf wo du hinfährst“, schrie sie dem Jungen nach. „Pass doch selber auf!“, schrie der Junge zurück und verschwand.


    Sebastian hatte keine Lust auf Weihnachten. Lust hatte er schon, doch leider hatte er keinen, mit dem er feiern konnte. Sebastian hatte gedacht, Student zu sein wäre aufregend, aber da hatte er sich getäuscht. Zu seinen Eltern konnte er Weihnachten auch nicht, denn sie machten Partyweihnacht auf Mallorca. Eher Weihnachten unter Palmen. In den Ballermann würden sie(hoffentlich) nicht gehen. Er würde Weihnachten wohl zu Hause in seiner kleinen Bude verbringen und den Fernseher einschalten. Bescherung gab es dieses Jahr keine. Und auch keinen Baum. Und auch kein festliches Essen. Nur zwei Tage frei. Er war gerade auf dem Weg in die Videothek, um sich für die Weihnachtstage einzudecken, als er in der Nähe eines Supermarktes eine ältere Dame sah, die höchstens 70 Jahre war. Sie schrie einem Jungen auf einem Skateboard etwas nach, was in Sebastians Ohren wie „Pass doch auf wo du hinfährst.“ klang. Der Junge war nicht freundlicher mit seinem: „ Pass doch selber auf.“. „Soviel Liebe zur Weihnachtszeit.“ dachte Sebastian sich und ging auf die alte Dame zu, um zu fragen: „Kann ich ihnen helfen?“


    Elisabeth dachte gerade so etwas wie „ Die Jugend wird immer schlimmer. Ah! Mein verdammter Rücken“. Aber ihre Version hatte eine Ausdrucksweise, die ich euch nicht zumuten möchte. Doch da fragte sie ein junger Mann von zwanzig Jahren. „Kann ich Ihnen helfen?“ Und er ging in die Hocke, um ihre Tasche und die verstreuten Einkäufe aufzuheben. „Der klaut mir sicher die ganzen Sachen, und meine Handtasche wird er auch mir wegnehmen!“, dachte Elisabeth. Der junge Mann stellte sich wieder aufrecht. „Hier, ihre Einkäufe“, er gab Elisabeth die Tasche wieder. „Und fröhliche Weihnachten“. „Das werden wirkliche schöne Weihnachten“ , dachte sich Elisabeth und murmelte etwas wie „Ja, Ihnen auch.“ Und sie ging.


    Sebastian stand da. Irgendwie sah die Frau traurig aus. Und ihr „Ja, Ihnen auch“ bestärkte ihn. Er hatte keine Lust auf Weihnachten, aber er freute sich auf ein paar freie Tage. „Doch diese Dame freute sich sicher auf gar nichts.“ Dachte er und rannte ihr hinterher. „Warten Sie, ich trag ihnen die Tasche.“


    Elisabeth drehte sich um. Der junge Mann von vorhin rief ihr nach. Sie wartete auf ihn nur, um dann zu sagen: „Was soll das denn heißen? So schwach siehe ich auch nicht aus.“ Der junge Mann lächelte zerknirscht und sagte verlegen: „Ich ... Verstehen sie mich nicht falsch, ich wollte ihnen helfen.“ Elisabeth dachte: „Einen rundum zuhause Service bekommt man auch nicht alle Tage. Und er wird mich doch ausnehmen“ und sie sagte: „Ja stimmt, mein Rücken ist auch nicht mehr so gut, aber ich sage dir gleich, bei mir ist nichts zu holen.“


    Sebastian war erstaunt, als er das Haus von Elisabeth sah. Es war ein Kleines überschaubares Haus. Es sah alt aus, aber auch nicht so alt. Efeu wucherte die Wände hoch, was dem ganzen Haus eine gemütliche Atmosphäre gab. Der Vorgarten war verwildert, aber das störte Sebastian nicht. Es war schön so, wie es war. Die alte Dame hatte das Gartentor geöffnet und fragte: „Könntest du die Einkäufe auch hereinbringen?“. Sebastian hätte gerne gewusst, wie ihr Name war. Doch auf dem Weg hierher hatten sie jegliches Gespräch vermieden. Für Sebastian war es ja schon eine Qual, einmal eine Minute still zu sein, und auf dem Weg hierher hatte er ganze fünf Minuten nichts gesagt. „Ja kann ich. Ich heiß übrigens Sebastian.“ „Angenehm, Elisabeth“


    Sebastian fand, dass das Innere von Elisabeths Haus zum äußeren Erscheinungsbild passte. Es wirkte verstaubt. Als er Elisabeth darauf ansprach, bekam er zur Antwort:„ Für wen soll ich denn schon putzen?“ Das war mal ehrlich, und Sebastian fragte sich, wieso er überhaupt putzte. „Stelle doch bitte die Einkäufe auf den Tisch in der Küche.“ Und er stellte die Einkäufe auf den Tisch in der Küche, schaute in die Taschen und sagte:“ Nach einem Festessen sieht das aber nicht aus!“ „Geht es dich was an!?!“ „Ja, denn ich werde mit dir Weihnachten feiern!“


    Elisabeth traf diese Behauptung wie ein Schlag. Was bildete sich dieser Junge überhaupt ein? Sich einfach so einzuladen. Sie hatte doch Recht behalten, die Jugend von heute wurde immer schlimmer. Wieso hatte sie sich auch mit dem Vornamen vorgestellt, das war so gar nicht ihre Art. Aber sie war doch gar nicht auf einen Gast eingestellt und auf Weihnachten schon gar nicht. Aber anderseits, Sebastian war ihr schon sympathisch. Eine Entscheidung musste her.


    Sebastian stand da und kaute auf seiner Unterlippe. Das war doch normalerweise gar nicht seine Art. Doch jetzt war es raus. Und er war sich sicher, sie würde nein sagen. Er war sich ganz, ganz sicher. Er war sich so sicher, dass er sich schon umdrehte und gehen wollte. „Wohin gehst du, ich habe gedacht, wir wollen Weihnachten feiern“


    Elisabeth war überrascht von sich selbst. So etwas hatte sie bisher zu keinem gesagt. Sie wollte doch alleine feiern. Naja, feiern nicht, wohl eher trauern. Sie wollte doch eigentlich einfach alleine sein.


    Sebastian war auch überrascht, sie hatte zugesagt? Sie hatte wirklich zugesagt? Dabei war er doch so unverschämt gewesen, das war doch gar nicht seine Art. So ganz und gar nicht. Als Elisabeth sagte: „Aber wir brauchen wenigstens einen Baum“


    „Elisabeth geht es dir nicht gut? Einen Baum? Du mochtest dieses Grünzeug doch noch nie.“ Dachte Elisabeth „Bisher hast du den doch immer nur wegen …. Nein! Nicht weiter denken!“ „Ja, aber woher bekommen wir denn jetzt noch einen Baum“ ließ Sebastian verlauten.


    Sebastian dachte fieberhaft nach, woher sollten sie bloß einen Baum her nehmen? Da hatte er eine Idee und sagte: „Ich bin gleich wieder zurück, kümmerst du dich mal ums Essen? Ah, bevor ich vergesse, wir schenken uns nichts, oder?“ „Nein natürlich nicht“ antwortete Elisabeth und er war aus dem Haus verschwunden.


    Eine halbe Stunde später….


    Elisabeth kramte in einer Kiste, die sie unter ihrem Bett hervor geholt hatte. Unten kochte das Nudelwasser, und die Soße war schon fertig. Sie hatte nichts Besonderes gekocht. Spaghetti mit Bolognese-Soße. Das war heute so geplant gewesen, das wurde auch weiter so gemacht „Irgendwo musste es doch sein“, sagte Elisabeth zu sich selbst: „Ah da ist er ja!“ Sie holte ein Modellsegelschiff hervor, einen Dreispitz. „So jetzt muss ich dich nur noch verpacken.“


    Sebastian war auf dem Weg zurück. Auf dem Arm trug er seine Palme und in seiner Jackentasche zwei Karten für die Oper. Er hatte sie von seinen Eltern geschickt bekommen, und er konnte gar nichts mit Oper anfangen. Auch wenn es eine sehr populäre Oper war. „Die Zauberflöte.“ Er konnte damit überhaupt nichts anfangen.


    Elisabeth hörte, wie Sebastian an der Tür klingelte, und machte die Tür auf. Er stand da mit einer PALME auf dem Arm. „Du hast eine Palme mitgebracht?!?“ fragte sie ihn ungläubig. „Ja, das ist die einzige Pflanze die ich habe.“ „Naja, stell sie doch erst mal ab.“ Und wohin?“ „In die Küche und ich hole den Schmuck.“
    Sebastian hatte gar nicht gewusst, wie schön weihnachtlich eine Palme aussehen konnte. Und er wusste auch nicht, wie festlich Spaghetti Bolognese schmecken konnte. Und er sagte: „Ich habe ein Geschenk für dich. Ich weiß, wir haben gesagt wir schenken uns nichts .Aber ich konnte nicht widerstehen“ Er stand auf und holte aus seiner Jackentasche die Opernkarten und gab sie Elisabeth „Ah zwei Karten für „Zauberflöte“, ich wollte das schon immer mal anschauen. Aber ich habe auch etwas für dich“ Sie holte das Segelschiff hervor, inzwischen eingepackt. „Ein Segelschiff“, sagte Sebastian. „Woher hast du das gewusst, ich sammle die!“ „Das hat meinem Mann gehört, er ist letztes Jahr gestorben“ „Oh danke, ich weiß es zu schätzen“ Und es begann zu schneien und eine ungewöhnliche Freundschaft begann, doch diese Geschichte endet hier.

  • 22. Dezember 2006 von churchill



    Max Maus


    Max ist eine recht munt’re Maus
    und eigentlich im Wald zu Haus.
    Doch manchmal, zu besond’ren Zeiten,
    lässt sich der Max dazu verleiten,
    den stillen Wald kurz zu verlassen,
    dorthin zu flitzen, wo in Massen
    die Menschen aufeinanderprallen:
    In die ganz großen Einkaufshallen
    und auf die Märkte, in die Straßen,
    dort, wo schon immer Mäuse fraßen,
    was da zu fressen übrig blieb.
    Max war zwar eigentlich ganz lieb,
    solange er im Wald verweilte,
    doch wehe, wenn er stadtwärts eilte ...


    So geht’s auch diesmal. Im August.
    Da sorgt der Max für großen Frust
    bei Aldi. Dort gibt’s extra feine
    Dominoschokowürfelsteine
    (so früh wie sonst wohl nirgendwo).
    Hier spielt der Max dann Domino:
    In Spekulatius wird gebissen
    und auf die Goldtaler gesch...aut
    Sie sind nun nicht mehr zu verkaufen.
    Und Max? Ist längst wieder entlaufen ...


    Auch im September ist der Maxe
    für ein, zwei Tage frech auf Achse.
    Er sucht sich wohl, o welch ein Graus,
    den allergrößten Baumarkt aus.
    Dort gibt’s, glaubt mir, ich könnte wetten,
    Millionen bunter Lichterketten,
    für draußen meist, teils auch für drinnen.
    Dem Max ist’s gleich. Da werden binnen
    ’ner einz’gen Nacht ganz unverzagt
    die ganzen Lichter durchgenagt.
    Er kennt ja wirklich kein Erbarmen:
    Die schönen grellen Leuchtreklamen,
    die bunten Häuser und die Bäume,
    sie bleiben diese Jahr nur Träume.
    Ganz dunkel ist’s, nicht weiß und bunt.
    - und nur der Maxe kennt den Grund ...


    Oktober wird’s. Die Stimmung prächtig.
    Aus allen Ritzen tönt es mächtig,
    so dass es jeder hören kann,
    denn morgen kommt der Weihnachtsmann.
    Und selbst die Flippers müssen singen
    von diesen Glocken, die süß klingen.
    Der Max vernimmt’s sogar im Wald,
    wenn „O du fröhliche“ erschallt
    von Pavarotti und Nicole.
    Ganz viele finden so was toll ...


    Nicht so der Max. Er sucht, o weh,
    drei Tage lang jede CD
    im Umkreis von wohl hundert Meilen.
    Er beißt und kratzt, beginnt zu feilen.
    Und schließlich sieht, dank Max, der Maus,
    jede CD ganz anders aus.


    Tatsächlich merkt dann jedermann:
    Sie hört sich auch ganz anders an!
    Von Karel Gott kommt nur noch Pusten,
    der Lotti klingt, als hätt’ er Husten,
    und von den Drei und Zehn Tenören
    ist bloß ein Krächzen noch zu hören.
    Kein Weihnachtstralala mehr schreit,
    und Max macht sich schon mal bereit
    für den November, wo er parkt
    auf irgendeinem Weihnachtsmarkt.
    Dort gibt es viel für ihn zu tun
    und keine Zeit, schon auszuruh’n.


    Das Holzspielzeug ist anzuknabbern
    und in den Glühwein reinzusabbern.
    Die Glaskugeln sind zu zerschlagen,
    kitschige Kerzen anzunagen,
    die Mikrokabel durchzubeißen,
    tausend Plakate zu zerreißen.
    Er spuckt auf süße Waffelecken
    und liebt es, Würste abzuschlecken.
    Der Umsatz wird so minimiert,
    so mancher fühlt sich angeschmiert.


    Dezember wird’s. Max nicht mehr kess.
    Zu müd’ ist er vom Weihnachtsstress.
    Noch einmal kommt er aus dem Wald,
    dorthin, wo ein Gesang erschallt,
    der sicher nicht vom Tonband kommt.


    Max hastet. Rennt. Und landet prompt
    in einer kleinen armen Hütte.
    Ne Frau. Ein Mann. Und in der Mitte
    ne Krippe. Mit nem Jungen drin.
    Ganz vorsichtig schleicht Max sich hin,
    öffnet den Mund, es blitzt sein Zahn –


    da guckt das Kind ihn grinsend an
    Und spricht: „Da ist er ja, der Max.
    Hat es geklappt?“ „Es war ein Klacks“,
    meint Max und lächelt ebenfalls.
    Auch Josef grölt aus vollem Hals
    und Ochs und Esel, alle Engel,
    sogar die frechen Hirtenbengel.


    Selbst Mary wirkt höchst amüsiert.
    „Wir haben auch was ausprobiert“,
    verrät sie Max. „Ich mein das Wetter.“
    „Das war doch früher auch mal netter...“,
    meint Max. „Genau. So schmudd’lig warm
    bekommt’s doch erst den rechten Charme!“
    „Ihr wart das, wollt ihr mich verkohlen?“
    Nein. Keineswegs. Sogar den Bohlen
    ließ Mary schnell noch überfallen
    damit zum Schluss auch wirklich allen
    auf dieser Welt ein Licht aufgeht.
    Mal seh’n, ob Bohlen das versteht ...


    „Im nächsten Jahr“, spricht Jesus dann,
    „bleiben die Lichter wieder an.
    Ich wollt halt auch mal meinen Spaß.
    Hast du noch Zeit zum Weihnachtsfraß?“


    „Na klar“, spricht Max, und eilt zum Teller.
    Er lacht und trinkt und frisst noch schneller.
    Am Ende ist er überfressen
    und bald wird man den Max vergessen.
    Beim „Happy-Birthday-Jesus“-Bild
    sieht man nur noch die Mary mild,
    den Ochs, den Esel und den Jo.
    Und Jesulein, so sanft und froh.


    Und die Moral von der Geschicht?
    Verfriss dir Ruhm und Ehre nicht.
    Denn ohne Bild glaubt Max, der Maus,
    kein Mensch die Story. Ende. Aus.

  • 23. Dezember 2006 von Tom



    Bis morgen das letzte Türchen aufgeht, ...


    ... werden sich in Deutschland weitere 10 Menschen mit dem HI-Virus infiziert haben. Weltweit werden es über 11.000 sein, die sich seit heute angesteckt haben. 8.500 Menschen werden an den Folgen der Infektion gestorben sein. Bis morgen.


    ... werden 15 Menschen in Deutschland den Verkehrstod sterben. Der Bestand an Personenkraftwagen wird gleichzeitig um fast 2.000 Einheiten anwachsen. Bis morgen.


    ... werden 150 Tier- und Pflanzenarten ausgestorben sein, die es heute noch gibt. Die meisten davon verschwinden vom Angesicht der Erde, weil sie es mit einem Todfeind zu tun haben, gegen den es keine Verteidigung gibt: Der Mensch. Hundertfünfzig Spezies, auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Bis morgen.


    ... werden fast 100.000 Erdenmenschen an Hunger oder seinen Folgen gestorben sein, davon über 15.000 Kinder. Bis morgen.


    ... werden in Dafur, im Irak, in Afghanistan und an vielen anderen Orten der Welt Menschen erschossen, mißhandelt, verletzt, gefoltert, vergewaltigt oder ihrer Angehörigen beraubt. Hunderte. Tausende. Bis morgen.


    ... werden 34.000 Hektar Tropenwald vernichtet. Das entspricht der Fläche einer mittleren deutschen Großstadt, zum Beispiel Bremen. Oder, für diejenigen, denen Fußballfeldvergleiche anschaulicher erscheinen: Über 45.000 Fußballfelder. Bis morgen.


    ... werden über 200.000 Menschen geboren. Die Weltbevölkerung wächst jährlich um 1%; derzeit leben 6,5 Milliarden oder, anschaulicher gesagt, 6% aller Menschen, die jemals existiert haben. Statistisch gesehen stirbt die Hälfte dieser Neugeborenen allerdings wieder an Hunger. Bis morgen.


    ... werden durch industrielle Produktion, Stromerzeugung, Verkehr und Beheizung weltweit über 80 Millionen Tonnen des vermeintlichen „Treibhausgases“ Kohlendioxid erzeugt und in die Atmosphäre geblasen. Achtzig Millionen Tonnen. Bis morgen.


    ... werden in Deutschland 55.000 Tonnen oder 55 Millionen Kilogramm Hausmüll erzeugt. Bis morgen.


    ... werden die Einwohner unseres Landes 12.000 GWh (Gigawattstunden) Energie verbrauchen. 40% davon werden direkt oder indirekt aus Erdöl erzeugt. Selbst vorsichtige Prognosen prophezeien das Ende der Vorräte noch für die erste Hälfe dieses Jahrhunderts. 80 Millionen Barrel des kostbaren Rohstoffs werden täglich gefördert. Das sind knapp 13 Milliarden Liter, also zwei pro Erdenbürger. Bis morgen.


    Und. So. Weiter.


    Augen zu und durch. Und natürlich werde auch ich, während wir, Christen wie Nichtchristen, das Fest der Nächstenliebe feiern, die Gedanken an all das - die Spitze des Eisberges - verdrängen.
    Nicht nur morgen.


    Fröhliche Weihnachten!


    (Anmerkung: Einige der statistischen Daten sind möglicherweise nicht ganz richtig. Das liegt an der Vielzahl zum Teil widersprüchlicher Quellen. Ich habe jedoch versucht, glaubwürdige Zahlen zu ermitteln. Rechenfehler mögen mir verziehen werden.)

  • 24. Dezember 2006 von Marlowe



    Maria und ihr Kind


    Werner schaute hinaus in das Schneetreiben. Na ja, dachte er, wenigstens haben wir diesmal eine weiße Weihnacht. Er dreht sich um und ließ seinen Blick durch sein kleines Lokal schweifen.
    Der Tisch für die alljährliche kleine Heilig-Abend-Feier der Witwer und Junggesellen war festlich gedeckt. Die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten und im offenen Kamin brannten große Holzscheite und verbreiteten eine wohlige Wärme.
    Seit Werner Witwer war, hatte er es freiwillig übernommen, am vierundzwanzigsten Dezember sein Lokal zu öffnen, falls doch noch Reisende oder Weihnachtsmuffel lieber in ein Lokal gehen wollten.
    Doch in den letzten Jahren war das nie der Fall gewesen, die Umgehungsstraße lockte den Verkehr in die nächst größere Stadt und Weihnachtsmuffel gab es in dieser Kleinstadt wohl nicht.
    Trotz geöffneten Lokals war die alljährliche Herrenrunde also doch irgendwie immer eine kleine, geschlossene Gesellschaft gewesen, die ungestört gemeinsam ihren Erinnerungen nachhing.
    Tradition war schon sein legendärer Weihnachtspunsch und stets ein ganz besonderes Essen für diesen Abend und alle freuten sich darauf. Werner genauso, denn er kochte gerne und mit viel Liebe.
    Wehmütig dachte er an früher, als seine Frau noch lebte und das Lokal mit mehr Leben erfüllt war als heute. Die acht Fremdenzimmer waren damals fast immer belegt, doch mit der Umgehungsstraße hatte sich das geändert und als Luise dann starb, kümmerte er sich nicht weiter um diese Art der Einnahme, es wäre ihm auch einfach zu viel Arbeit gewesen. Nur ein Zimmer war immer perfekt und sorgfältig hergerichtet. Er gab die Hoffnung nicht auf, dass sein Sohn ihn vielleicht doch noch mal besuchen würde.
    Werner seufzte. Seit sieben Jahren, seit der Beerdigung, hatten sie sich nicht mehr gesehen und er glaubte auch nicht wirklich, dass es noch mal dazu kommen würde. Trotzdem, dachte er, die Hoffnung stirbt zuletzt.
    Der große Uhrzeiger der Standuhr in der Ecke zeigte auf die sieben. Noch eine Stunde, dann würden seine Freunde kommen und den jetzt noch stillen Raum mit Leben erfüllen. Er hörte das Pfeifen des Abendzugs, zwei Minuten Verspätung stellte er fest, der letzte Zug für heute und damit war der Ort für die Feiertage vom Leben abgeschnitten, denn Feiertags ging die Bahn wohl davon aus, dass die Bürger des Ortes lieber zu Hause blieben und sie sowieso niemand besuchen wollte. Wer flüchten wollte, konnte einmal am Tag den Bus benutzen.
    Er rührte den heißen Punsch um, kostete davon, goss noch ein wenig Hochprozentigen hinein, kostete wieder und spürte, wie ihm die Hitze langsam in den Kopf stieg. Jetzt war er perfekt. Zufrieden mit sich und der Welt ging er wieder zum Fenster und beobachtete die Schneeflocken, die immer dichter und heftiger durch die Straße zum Bahnhof hin fegten.
    Er sah zwei Gestalten, die sich dem Lokal näherten und wunderte sich. Es war noch zu früh für den geselleigen Abend, seine Freunde wussten, dass er diese Stunde vor dem Beginn für sich brauchte und akzeptierten das und so beschloss er, in die Küche zu gehen.
    Doch die Tür öffnete sich plötzlich und eine junge Frau, dick in Winterkleidung eingemummelt, einen Koffer in der einen Hand und einen kleinen Jungen an der anderen, betraten das Lokal.
    Ein seltsamer Augenblick. Die drei Menschen standen sich gegenüber, starrten sich an und es war, als würde die Zeit kurz still stehen. Dann wischte sich die Frau die Schneeflocken von der Stirn und deutete fragend auf einen Tisch neben dem Kamin. Er nickte und half ihr aus dem Mantel, geleitete die beiden Hereingeschneiten zu dem Tisch und legte die Karte auf den Tisch. Niemand hatte bis jetzt auch nur ein Wort gesprochen, aber irgendwie störte das keinen, im Gegenteil, irgendwie passte es in dieser Situation.
    Nach einer kleinen, zögerlichen Weile und einem heimlichen Blick in ihren Geldbeutel bestellte sie einen Tee und eine heiße Schokolade für den Kleinen. Endlich war der Bann gebrochen und er verwickelte sie in ein kleines Gespräch. Dabei erfuhr er, dass sie niemanden im Ort kannte, sondern weil sie in den falschen Zug eingestiegen waren, diesen hier verlassen mussten und sie nicht wusste, was sie nun machen sollte.
    Er stand hinter dem Tresen und beobachtete die beiden. Er hatte sehr wohl den Fleck unter ihrem rechten Auge bemerkt und genauso die blauen Flecken auf den Händen des Kleinen.
    Einen heißen Punsch in der Rechten ging er zum Tisch, betonte, dass er auf Kosten des Hauses ginge und bot ihr an, doch bei ihm zu übernachten, ein Zimmer wäre frei, was für eine Untertreibung, aber er wollte nicht mehr erklären und er würde sich freuen, helfen zu können. Schließlich sei doch Weihnachten.
    Sie sah ihn lange an, oder war es nur eine Sekunde, später wusste er das nicht mehr und begann zu weinen und gleichzeitig zu erzählen. So erfuhr er von ihrem alkoholabhängigen Mann, den Schlägen und Quälereien und dann, heute, die panikartige Flucht.
    Sie folgten ihm wie in Trance in den ersten Stock, er zeigte ihnen das schöne, gemütliche Zimmer und lud sie für später zum Weihnachtsessen ein.
    Danach ging er sofort zum Telefon und rief seine Freunde an.
    Gegen acht Uhr trafen sie dann nach und nach alle ein.
    Wie immer hatten alle ihre Päckchen dabei und legten sie unter den Weihnachtsbaum.
    Werner ging in die Küche, sah, dass alles perfekt war, stieg in den ersten Stock, klopfte und bat die beiden Gäste nach unten.
    Als sie dann kamen, stellte er sie alle vor. Den Apotheker, den Gemischtwarenhändler, den Rechtsanwalt, den Arzt, den Makler, der immer lustige Geschichten erzählte, den “Baron“, verarmter Adel mit hoher Rente, weil immer im Staatsdienst gewesen und de Sägewerksbesitzer mit der roten Knollennase.
    Das sind Maria und Christopher, stellte er seine Gäste vor und die Neuankömmlinge wurden aufgenommen wie alte Freunde, die endlich mal wieder anwesend waren.
    Der Punsch, das Essen, die Nachspeise, alles opulent und traumhaft wie immer. Die Augen von Maria und ihrem Sohn glänzten vor Freude und Zufriedenheit. Doch dann, nach dem Essen, kam die eigentliche Überraschung. Die Freunde standen auf, wie jedes Jahr und sangen ihr Weihnachtslied. Stille Nacht, Heilige Nacht. Nur für Maria und Christopher diesmal, dann deutete Werner auf die Geschenke und meinte, nun beginne die Bescherung und diese wäre nur für sie. Während sie “Leise rieselt der Schnee“ sangen, beobachteten sie, wie mit zittrigen Fingern Geschenkpapier und Verzierungen entfernt wurden, sahen das Staunen und die Freude in den Augen und empfanden diesen Abend zum ersten Mal als eine wirklich Heilige Nacht.