Der Bohlenweg - Dieter Bohlen

  • Inhalt: Wie landet man mit einer mittelmäßigen Stimme fünfzehn Mal an der Spitze der deutschen Charts? Wie erreicht man einen Bekanntheitsgrad von hundert Prozent? Wie nutzt man Medienschelte und avanciert en passant zur Kultfigur? Dieter Bohlen ist ein Phänomen. Während andere in Dschungelcamps nach Beachtung gieren, können die Zuschauer von ihm nicht genug bekommen. Ist Bohlen auf dem Schirm, stimmen die Einschaltquoten. Was steckt hinter diesem unglaublichen Erfolg? Neben einer guten Portion Selbstvertrauen sicher viel Hartnäckigkeit, Ausdauer und Fleiß. Dass es damit jedoch nicht getan ist, liegt auf der Hand. Um sich Jahrzehnte an der Spitze zu halten, bedarf es schon ein wenig mehr. Dieter Bohlen zeigt, wie es geht. Er ist unverwechselbar, authentisch und zupackend - genau wie sein Buch: Voller Ironie und doch auf den Punkt genau lässt Dieter Bohlen uns an seinem Erfolg teilhaben.


    Kritik: Ein neues Bohlenbuch. Wer hätte das gedacht, nachdem sein Sprüchebuch, sowie das mit dem "Garten" kurz nach Auftauchen wieder irgendwo in der Versenkung verschwunden ist. Diesmal hat man sich sogar die Mühe gemacht die knapp 450 Seiten in ein Hardcover zu pressen, obwohl an allen Ecken und Kanten reichlich mit Bildern und leeren Seiten gestreckt wurde.
    Inhaltlich muss ich sagen, hat mich der Herr Bohlen zwar nicht zu 100% überzeugen können, doch des Pudels Kern entspricht größenteils doch der Wahrheit. Das, was er versucht zu vermitteln ist im Ansatz nicht schlecht und keinesfalls verwerflich, mir bereitet nur die holprige "Ghettosprache" ein bisschen Probleme beim Lesen, wenn ich weiß, dass ich doch eigentlich ein ernsthaftes Buch in Händen halten sollte. Allerdings finde ich schon, dass er sich so manches Mal doch widerspricht. So zum Beispiel im Kapitel um den allseits beliebten Egoismus. Er schreibt, er findet dieses Wort keinesfalls verwerflich und es bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass er mit spitzen Ellenbogen durch's Leben läuft. In einem der darauffolgenden Kapitel jedoch, geht es darum, wie man durch's (Berufs-)Leben kommt: Mit ausgebreiteten Ellenbogen. Es kann natürlich aber auch sein, dass nur ich persönlich ihm da nicht ganz folgen kann.
    Alles in allem ein schnell zu lesendes, unterhaltsames Buch mit einer gewissen Grundwahrheit, die typisch 'Bohlen' in einer sehr saloppen Umgangssprache niedergeschrieben wurde.

    "Katzen achten nicht drauf, welche Namen wir ihnen geben. Sie haben ihre eigenen Namen und brauchen unsre nicht. Darum schaut einen eine Katze auch immer so mitleidig an, wenn man sie beim Namen ruft, den man ihr gegeben hat, als ob man es nie lernt.

  • Bohlens BWL


    Bohlen hat zwar BWL studiert, aber nicht immer so ganz aufgepasst. Auf Seite 385 unten schreibt er:
    "Ich glaube, dass wir mit Daniel das Maximum erreicht und das Minimaxprinzip optimal angewendet haben. Man soll mit minimalem Einsatz das Maximum herausholen. Genau das haben wir gemacht."


    Genau das hat Dieter Bohlen bestimmt nicht gemacht, weil das nämlich gar nicht möglich ist. Wer unter dem ökonomischen Prinzip das Anstreben maximalen Resultates bei minimalem Aufwand versteht, begeht den größten Fehler betriebswirtschaftlichen Denkens überhaupt. Dieses Ziel ist nicht lösbar! Die Leser mögen einmal versuchen, folgendes Ziel zu erreichen: Durcharbeiten eines Buches bei minimalem Zeitaufwand und gleichzeitiges Anstreben maximalen Lernerfolges.


    Beides gleichzeitig ist nicht möglich: Entweder ist der Ertrag vorgegeben und ich versuche ihn mit minimalem Aufwand zu erreichen, oder aber ich will aus einem bestimmten Aufwand das Maximale herausholen. Beide Größen, Aufwand und Ertrag, gleichzeitig zu optimieren, ist nicht möglich. Auch nicht, wenn man Dieter Bohlen heisst.


    Bohlens Stärke liegt denn auch nicht in der allgemeinen BWL, sondern im Marketing. Zweifelsohne hat er es darin zur Meisterschaft gebracht: im Marketing, nicht in der Musikkunst. Das Anpreisen seiner Produkte beherrscht er in Perfektion. Auf einem Blue System-Konzert forderte er sein Publikum ein halbes Dutzend Mal auf, seine CDs im Handel zu erwerben.


    Entsprechend der Marketinglehre hat Bohlen auch alle seine Musikhits konzipiert, seien es die von Modern Talking, von Blue System, von den Superstars oder die vieler anderer Künstler, die er produziert hat:


    1. Zielgruppe festlegen: am lukrativsten ist die untere bis mittlere Mittelschicht, weil die zahlenmäßig am größten ist.
    2. eingängige Melodie wählen: keine komplizierten Kompositionen (Ohrwurmeffekt).
    3. gefällige Titel, die leicht zu merken sind: mit Anfangsreim und vielen Vokalen
    (Cherie Cherie Lady, Lady Lai, Laila).
    4. leicht verständliche Texte: Lovesongs mit wiederkehrender Thematik („dem Alltag entfliehen“).
    5. englische Texte: am leichtesten zu singen und mitzusingen, international verständlich, somit größeres Marktpotenial.
    6. tanzbar, damit sie in Diskotheken gespielt, häufiger gehört und dadurch nachgefragt werden (Kauf des Produkts).
    7. attraktive Künstler, denn die Verpackung machts („Sex sells“).
    8. romantische Covergestaltung: karibische Ferienorte (Maledivien), Sonnenuntergänge, Luxuskarrossen (Marketing-Regel aus dem Lehrbuch: Das Produkt muss in Form und Farbe den Erwartungen des Abnehmers entsprechen).
    9. aus einem Erfolgshit viele ähnliche Titel herauspressen (Minimal-Maximal- Prinzip der BWL).


    Bohlens Musik ist die eines kühl kalkulierenden Verstandesmenschen, eine rationale Musik. Es ist keine, Musik, die aus der Seele kommt, wie beispielsweise jene von Michael Cretu, Elton John oder Stevie Wonder, und deshalb ist Bohlen auch kein echter Künstler.


    Weder autorisiert ihn seine dünne Fiestelstimme zum Sänger (auch wenn sie bei Blue System dank Studio-Technik diabolisch klang), noch lässt seine geringe Bühnenpräsenz den Entertainer erkennen. Bohlen, auf der Bühne meist einfallslos gekleidet mit Jeans oder Lederjacke, deutet das Gitarrespielen nur an; schwenkt stets mit ausgestrecktem Arm zur Decke oder ins Publikum und imitiert mit Faxen das, was seine Musik eigentlich emotional in ihm auslösen sollte. Dabei grinsen seine gemeiselten Gesichtszüge aggressiv in die Kamera. Bei langsamen Titeln, die Bohlen am Klavier vorträgt, hat man stets den Eindruck, dass er Gefühle nur heuchelt. Ergriffen ist Bohlen nie, wohl aber weiß er, was sein Publikum erwartet.


    So ist es kaum verwunderlich, dass die Musik des Dieter Bohlen wie „aus der Konserve“ klingt, weil sie „auf Halde produziert“ wurde, dass ein Titel wie der andere klingt, dass der jeweilige Interpret austauschbar bleibt. Sie ähnelt einem Industrieprodukt, das, einmal technisch optimiert, immer gleich sein sollte. Deshalb hören wir bei Bohlens schnellen Titeln fast immer den gleichen (tanzbaren) Foxtrott-Rhythmus, und seine langsamen Songs erinnern in ihrem eingängigen Grundmuster an "Alle meine Entchen".


    Auch verwendet Bohlen sehr oft die gleichen Textbausteine: „I can see in your eyes“, „my dreams come true“ oder „I miss you so”. Abgenutzte Worthülsen, tausendmal gehört. Lücken in Melodie und Text füllt er aus mit „baby“ oder „oh babe“. Wiederholungen sind so unvermeidbar.
    Beispielsweise taucht die Textzeile aus dem ersten Modern Talking-Hit "You`re my heart, you`re my soul" wieder auf in "Take me tonight" von „Superstar“ Alexander. Dort heißt sie in leicht abgewandelter Form: „I feel it in my heart, I feel it in my soul.” Beide Zeilen gleichen sich wie ein Ei dem Anderen, auch wenn fast zwanzig Jahre und zwei verschiedene Künstler dazwischen liegen.
    Heart and Soul, Herz und Schmerz; der Kitsch, aus dem die Träume sind und Lieschen Müllers Musikgeschmack.


    Dieter Bohlen gibt diesen Punkt seines Schaffens auch unumwunden zu, er hat damit überhaupt kein Problem. Bohlen komponiert zuerst den Titel und sucht dann nach einem geeigneten Künstler dafür. Bei echten Künstlern ist es jedoch genau umgekehrt. Zuerst müssen sie tief empfinden und suchen dann die musikalische Ausdrucksform für ihre Gefühle, ihr Leiden oder ihre Botschaft. Bohlen hingegen komponiert abstrakt, man könnte sagen, er zäumt das Pferd vom Schwanz auf. Nur so schafft er es, in einer Nacht ein ganzes Album zu komponieren. Es ist eine reine Fleißarbeit.


    Bohlen ist nicht der erste „Künstler“, der Unterhaltungsprodukte nach industriellem Schema fertigt. Romanautor John Grisham erstellt seine Justizthriller nach gleicher Masche. Schon im 19. Jahrhundert strickte die Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahler auf diese Weise 200 Liebesromane. Weit über 700 Schmonzetten schaffte die Engänderin Barbara Cartland. Auch Georges Simenon fabrizierte seine 400 Krimis im 14 Tage-Rhythmus. Etwa die gleiche Anzahl produzierte bisher der Österreicher Thomas Brezina, der bei Kinderbüchern den Dreh raus hat.


    Wenn Bohlen sich in diesem Punkt vehement wehrt, seine Titel könnten nicht alle gleich klingen, weil er Musik für ganz unterschiedliche Künstlertypen geschrieben habe: Für Blue System und Roy Black, für Bonny Tyler und Peter Alexander, für die Wildecker Herzbuben und Chris Norman; so hat er insofern recht, dass er über ein „Produktsortiment“ verfügt. Trotzdem ist allen seinen Kompositionen gemeinsam, dass das Kunstprodukt vom Ende her entwickelt wurde. Seine Titel sind alle exakt zugeschnitten auf Zielgruppen, also kommerziell.


    Dank seines Marketingtalentes, seinem Gespür für den Zeitgeist und seiner Wendigkeit ist es Bohlen gelungen aus einem mittelmäßigen Produkt (seiner Musik und seiner Person) einen Hit zu machen.

    Peter Waldbauer, Jahrgang 1966, ist Betriebswirt und wohnt als freiberuflicher Dozent und Autor in der Nähe von Heidelberg. Er veröffentlichte bisher Essays und ein Dutzend Bücher.