Der Turm - Uwe Tellkamp

  • Kurzbeschreibung (von Amazon/kulturnews.de):


    "Er war der haushohe Favorit für den Deutschen Buchpreis 2008 - und er hat ihn verdientermaßen auch bekommen. Schon 2004 konnte Uwe Tellkamp mit einem Auszug aus "Der Turm" den Bachmann-Preis abräumen. Gerade weil die Erwartungen durch das schnell zwischengeschobene Debüt "Der Eisvogel" wieder gedämpft wurden, walzt das fast 1000 Seiten starke Mammutwerk jetzt alles nieder, und so reaktionär die jahrelange Forderung nach einem Wenderoman auch gewesen sein mag, jetzt heiligt das Ergebnis das altbackene Sehnen. Tellkamp blickt für die Zeit von 1982 bis 1989 in die Villen des Dresdener Turmstraßenviertels und zeigt dessen Bewohner zwischen staatskonformer Angepasstheit und rückwärtsgewandtem Bildungsbürgertum: Lektor Meno Rohde, der sich mehr und mehr in seine Bücherwelt zurückzieht, sein Schwager, der Chirurg Richard Hoffmann, der ein Doppelleben führt und von der Stasi erpresst wird und Hoffmanns Sohn Christian, der von der NVA direkt in die Isolationshaft wandert. Genau diese DDR-Exoten hat es gebraucht, damit Tellkamp dem Personal angemessen im altmodisch gediegenem Stil beginnen - und dann diese Kunstwelt mit der rauen Wirklichkeit des real existierenden Solzialismus und harter Prosa einstürzen lassen kann. (cs)"


    Zum Portrait von Uwe Tellkamp bei Suhrkamp


    Eigene Meinung:


    Ich habe das Buch gelesen – fast alle der 976 Seiten. Einige musste ich überlesen, es ging nicht anders. Zu ausschweifend waren manchmal die Wortspielereien und Beschreibungen, zu … nun ja, vielleicht experimentell manche Passagen für mich als literaturwissenschaftlich unbedarfte Leserin. Dafür gab es Seiten voller Poesie, die ich genossen habe. Und Erinnerungen an die alte verschnörkelte Villa, in der ich als kleines Mädchen wohnte, nicht weit von Dresden. (Zur Miete natürlich. Irgendwann zogen wir in einen Plattenbau, weil in der Villa das Wasser an den Wänden herabrieselte …) Und Beklemmungen, weil ich manches ähnlich erlebt habe wie die Figuren im Roman.


    Das Buch erzählt über zwei Welten: die des real existierenden Sozialismus in der DDR und die Zauberwelt, eine erträumte Welt, in die sich die Bewohner des Turms begeben, um aus dem Alltag zu fliehen. Sie hören Musik, lesen, diskutieren über Kunst und gelangen dadurch an einen Ort, an dem das Belauschtwerden, der Kampf mit Behörden, das mühsame Beschaffen von Arzneimitteln und Ersatzteilen keine Rolle spielen und wo sie über die reale Welt erhaben sind. Zitat (S. 365): „ Der gelbe Nebel zog durch ihre Zimmer, laugte an den Häusern, machte den Dresdner Sandstein porös, überkrustete die Dächer, fraß an den Schornsteinen … aber die Türmer hörten Tannhäuser in sieben verschiedenen Aufnahmen und verglichen sie miteinander … sie maßen das zerstörte Kurländer Palais nach, in Gedanken und auf dem Papier, während ihre Wohnungen mürbe wurden und das Holz der Dachstühle zundrig …“


    Doch die Welten lassen sich nicht trennen, und die Türmer werden von der Realität eingeholt. Am schlimmsten trifft es Christian, der sich für drei Jahre „Ehrendienst“ bei der NVA verpflichtet, um Medizin studieren zu können. Er wird wegen Verleumdung des Staates zur Einzelhaft im Dunkeln verurteilt und muss erkennen, dass man nicht von jedem Ort in die Zauberwelt gelangen kann, sondern „dass man in der Dunkelheit verrückt wird, auch wenn man noch so viele Geschichten kennt, Romane gelesen, Filme gesehen und Erinnerungen hat.“ (Zitat S. 827)


    Die Wende kommt – auch wenn die Türmer oder das „Bildungsbürgertum“ weitgehend unpolitisch sind und in keiner Weise aktiv werden.


    Das Buch ist vielschichtig. Es lässt sich als Wenderoman schmökern (wenn man die eine oder andere „zu komplizierte“ Passage auslässt) oder aber Schicht für Schicht erarbeiten. Für mich sind viele Fragen offen geblieben, und ich habe das Gefühl, mich immer noch nah an der Oberfläche zu bewegen. Aber ich empfinde dieses Buch als Bereicherung und werde es irgendwann (ja, tatsächlich!) noch einmal lesen.

  • :danke für die schöne Rezi :-)


    Ich habe mir das Buch vor einigen Wochen gekauft und bin schon neugierig.
    die Meinungen sind ja zwiegespalten. :gruebel


    So viel ich gelesen habe, sind die ersten 50 (oder waren es 100) Seiten schwer zu überwinden, dann aber soll es gehen.


    Für Interessierte, hier wird drüber diskutiert:


    http://forum.die-leselust.de/viewtopic.php?f=7&t=428&st=0&sk=t&sd=a



    :weihnachtsmann

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Eine ganz tolle Rezi zu diesem Buch, danke dafür. :wave
    Es liegt schon eine Zeit auf meinem RUB, allerdings muss ich die Zeit finden, mich mit ihm zu beschäftigen , denn schon nach dem Lesen der ersten Seiten war klar, dass sich dieses Werk nicht so schnell und unkompliziert durchlesen lassen wird, wie andere Bücher.

  • Danke für die Rezi. :knuddel1


    Ich habe gedacht das Buch wäre ein interessantes Buch, doch leider habe ich mich wohl vergriffen. Ich hatte echt Schwierigkeiten dieses Buch bis zum Ende durchzulesen, doch ich habe es geschafft.


    Was ich dazu sagen kann ist: Das mir dieser Schreibstil wohl nicht so liegt.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    :hmm Das macht mir ja nicht gerade Mut.


    Heute Abend bin ich erstmal auf einer Lesung von Uwe Tellkamp und bin schon sehr gespannt darauf.


    Da werde ich ja ganz neidisch auf die Lesung mit Tellkamp.;-)


    Ich habe den Turm vor rund einem Monat gelesen und war von dem Buch wirklich begeistert. Ich schließe mich Ida an: der Turm ist vielschichtig und viele Anspielungen sind mir nicht klar geworden, oder habe ich auch gar nicht bemerkt...
    Aber es ist doch ganz schön, wenn sich auch beim zweiten Lesen noch viele Dinge entdecken lassen, oder?
    Sprachlich fand ich das Buch beeindruckend, es hat mich richtig in seinen Bann gezogen. Während des Lesens war ich manchmal gar nicht ansprechbar :-)


    Gib dem Buch eine Chance!


  • Ich bin auch neidisch.
    Freut mich, dass es noch mehr begeisterte Meinungen gibt. :-)
    Ich werde das Buch bald anfangen - ich lese es hier in der Leserunde.
    Da kann man sich sicherlich gegenseitig helfen, buzzaldrin ;-)


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf


  • Danke euch beiden, dass ihr mir ein wenig Mut macht - ich bin schon sehr gespannt auf das Buch und hoffe wirklich, dass es mich begeistern wird.


    Ich berichte auch gerne morgen ein wenig von der Lesung; freue mich schon sehr auf heute Abend :wave

  • Ich wollte mich nur schnell von meiner Lesung zurückmelden und kann nur festhalten, dass es wirklich ein toller Abend war. Uwe Tellkamp hat drei Kapitel gelesen, die einen guten Gesamtüberblick gegeben haben. Danach hat er noch über eine Stunde lang die Fragen der Dresdener ausführlich und sehr geduldig beantwortet.
    Dabei hat er verraten, dass ein Kinofilm in Planung ist und er auch schon an einer Fortsetzung für den Turm schreibt. Darüberhinaus hat er erwähnt, dass das Buch im Moment in 16 Sprachen übersetzt wird.


    Insgesamt war es wirklich ein toller Abend und ich freue mich nun noch mehr auf das Buch :-)

  • Danke, buzzaldrin :-)
    Ein Fortsetzungsroman - da bin ich ja mal gespannt.


    Nachdem ich bei der Ouvertüre verzweifelt nach einem Punkt gesucht habe, habe ich mich eingelesen - bin aber auch erst auf S. 33. :grin


    :wave

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    Virginia Woolf

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    S.33 hört sich doch gut an - ich hoffe, dass ich mit Der Turm fertig bin, bevor die Fortsetzung erscheint :grin


    Ganz bestimmt ;-)
    ich bin am überlegen, ob ich nicht doch eher bis Freitag warten sollte :gruebel


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ich kann mich mit meiner Rezension eigentlich in fast allem Ida anschließen :-)


    Das Buch ist ein ziemlich harter Brocken und das Lesen ist mit viel Arbeit verbunden, aber ich kann mich dem Lob über das Buch nur anschließen. Manche der Passagen der fast 1000 Seiten sind sicherlich zu langatmig und auch häufig sehr ausschweifend, aber größtenteils habe ich die Sprache als sehr beeindruckend und vor allem auch gut lesbar empfunden.


    Mit Christian ist Uwe Tellkamp meiner Meinung eine faszinierende und sehr interessante Hauptfigur gelungen, mit der ich mich beim Lesen wirklich gut identifizieren konnte. Aber auch die anderen beschriebenen Personen, Meno, Richard, Anne oder Judith Schevola sind sehr vielschichtig. Insgesamt habe ich selbst den Eindruck, dass es Tellkamp einfach sehr gut gelungen ist, diese besondere Stimmung des "Türmer"-Viertels einzufangen.


    Einer meiner wenigen Kritikpunkte (vor allem, da ich in Dresden wohne) ist Tellkamps Schwanken zwischen Realität und Fiktion. Viele Straßennamen, Gebäude und Brücken stimmen mit der Realität überein, aber vieles denkt sich Tellkamp auch einfach aus, wie z.B. die Kohleninsel oder auch der Sybillenhof. Dieses Hin- und Herwechseln zwischen Wirklichkeit und Fiktion war für mich während des Lesens doch häufig etwas verwirrend.
    Natürlich sind darüberhinaus einige Passagen wirklich einfach zu langatmig geraten, dabei hatte ich vor allem häufig etwas Schwierigkeiten mit den kursiven Textabschnitten.


    Sehr beeindruckt hat mich aber vor allem auch das Ende des Buches und die Hinführung zum Mauerfall, denn Tellkamp lässt den "Turm" mit einem Doppelpunkt enden und überlässt es dem Leser, sich vorzustellen wie es weiterging.


    "schlugen die Uhren, schlugen den 9. November, 'Deutschland einig Vaterland', schlugen ans Brandenburger Tor:"


    Fazit: harte Arbeit, aber sehr lesenswert! Ich muss mich in diesem Zusammenhang auch bei meinen tollen Mitlesern bedanken, ohne die ich das ein oder andere sicherlich nicht ganz so gut verstanden hätte und ohne die ich sicherlich auch nicht bis zum Ende durchgehalten hätte. :-)

  • Für die Seitenanzahl ist das zwar keinesfalls OK, aber im Preisvergleich mit anderen aktuellen Veröffentlichungen (auch des TB-Bereichs) im guten Mittelfeld. Amazon wird wohl kaum eine Ausgabe erfunden haben, vielleicht sind die Buchläden einfach noch nicht drauf aufmerksam geworden :gruebel (oder wollen sich das nicht schon wieder hinlegen :chen)