Kann ein ernstzunehmender Naturwissenschaftler ein gläubiger Mensch sein? – oder: Kann jemand, der glaubt, überhaupt ein ernstzunehmender Wissenschaftler sein?
„Gott und die Gene. Ein Naturwissenschaftler begründet seinen Gottesglauben“ von Francis S. Collins bietet auf diese Fragen eine klare Antwort: Dr. Collins, Leiter des Human-Genom-Projekts und einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der DNA, dem Code des Lebens, ist auch ein Mann, dem der unerschütterliche Glaube an Gott geradezu lebenswichtig ist.
Wenn Sie „Der Gotteswahn“ von Richard Dawkins gelesen haben, dann empfehle ich Ihnen nachdrücklich, auch Collins zu lesen! Wie können zwei Männer mit ähnlichem Hintergrund und ähnlichen wissenschaftlichen Interessen zu so völlig gegensätzlichen Schlussfolgerungen kommen? Tatsächlich räumt Collins ein, dass er während seines Studiums und auch danach für einige Zeit selbst ein überzeugter Atheist war. So zeigt er glaubwürdig seinen Weg des Suchens und Ringens auf, der ihn am Ende zum Glauben an Gott führt.
„Gott und die Gene“ ist zum Teil Autobiographie, zum Teil ein populärwissenschaftliches Lehrbuch über die neuesten Entwicklungen in Kosmologie, Quantenphysik, Biologie und Medizin. Vor allem ist es eine umfassende Darstellung und Analyse, die sich voll und ganz in der Evolutionstheorie gründet und zugleich das Vertrauen in den christlichen Gott der Bibel ausdrücklich bejaht. Diese beiden Weltanschauungen sind laut Collins absolut vereinbar, und er ist bemüht, wichtige Brücken zu bauen: „Es ist Zeit, einen Waffenstillstand in dem ausufernden Krieg zwischen Wissenschaft und Geist auszurufen. Dieser Krieg war nie wirklich begründet.“
In seinem Buch setzt Collins sich mit dem Agnostizismus Thomas Huxleys und besonders eindrücklich und nachhaltig mit dem von Richard Dawkins als durch die Wissenschaft so zwingend notwendig vertretenen Atheismus auseinander. Dabei zeigt Collins deutlich, dass Atheismus durchaus eine zu respektierende, wenn aus seiner Sicht auch nicht wirklich durchdachte Lebenseinstellung sein kann, sich der Atheismus aber keinesfalls durch die Evolutionstheorie oder andere wissenschaftliche Forschung als Wahrheit bestätigen könne.
Auch verschiedene fundamentalistisch-christliche Sichtweisen unterzieht Collins einer genauen Betrachtung. So deckt er nicht nur die Unwissenschaftlichkeit des Junge-Erde-Kreationismus auf, sondern entlarvt dessen wortwörtliche Auslegung der Schöpfungsgeschichte als katastrophale Ablehnung der von Gott gegebenen Vernunft und Fähigkeit zu wissenschaftlicher Forschung und Erkenntnis. Zu Recht fragt er ein Gottesbild an, das Gott letztlich zu einem Täuscher und Blender herabwürdigt, der uns nur ein älteres Universum vorgaukelt und wissenschaftliche Methoden bewusst in die Irre führt. Collins besondere Sorge gilt dem unseligen Keil, den der Kreationismus fortwährend zwischen Wissenschaft und Glaube treibt. „Junge Leute, die in Elternhäusern und Kirchen erzogen werden, die auf dem Kreationismus beharren, werden früher oder später den überwältigenden Beweisen für ein altes Universum und der Verbindung aller Lebewesen durch den Prozess der Evolution und natürlichen Selektion gegenüberstehen. Welch furchtbare und an sich völlig überflüssige Wahl sie dann treffen müssen!“
Auch die in den letzten 15 Jahren entwickelte Intelligent-Design-Bewegung wird von Collins deutlich zurückgewiesen. Er lehnt ID aus zwei Gründen ab. Erstens: „Eine existenzfähige wissenschaftliche Theorie sagt andere Entdeckungen voraus und schlägt Ansätze für eine weitere experimentelle Absicherung vor. ID versagt hier völlig.“ Zweitens: Einer der wichtigsten Grundsätze der ID, das Konzept der nicht reduzierbaren Komplexität, wird zunehmend durch wissenschaftliche Fortschritte untergraben. Wer sich an einem Gottesbild festbeißt, das Gott zu einem Lückenbüßer für (noch) Unerklärliches degradiert, wird von der fortschreitenden wissenschaftlichen Forschung früher oder später Lügen gestraft.
Collins eigene Sicht, dass Wissenschaft und Glaube sehr wohl harmonieren und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, verdeutlicht er in seinem gesamten Buch. Die von ihm vertretene theistische Evolution (von ihm auch BioLogos genannt) fußt auf sechs Grundannahmen, die er sowohl für wissenschaftlich plausibel, unumstritten und konkret als auch mit dem Glauben vereinbar hält. Für Collins steht in diesem Zusammenhang fest: „Wissenschaft wird von Gott nicht bedroht, sie wird verbessert. Gott ist nicht bedroht durch die Wissenschaft, er machte sie möglich.“
Seine Überlegungen und Darstellungen schließt Collins mit einem Anhang über „Die Anwendung der Moral in Wissenschaft und Medizin: Bioethik“. Getragen von der Überzeugung, dass jeder Mensch in seinem Herzen das „Sittengesetz“ erspüren kann, völlig unabhängig von religiösen Überzeugungen, gibt Collins einen kurzen Überblick über derzeitige und künftige Möglichkeiten der Medizin und Wissenschaft und Ansätze zu deren moralischer Bewertung.
„Ein Naturwissenschaftler begründet seinen Gottesglauben.“ Diesem Anspruch wird Francis Collins voll und ganz gerecht, und liefert dabei ein glaubwürdiges Zeugnis seiner wissenschaftlichen Arbeit und seiner tiefen Religiosität. An keinem Punkt stellt er dabei Menschen anderer Überzeugung an den Pranger oder äußert sich in irgend einer Weise abfällig. Immer ist sein Bemühen um einen fairen und aufrichtigen Dialog spürbar. Für den Laien verständlich geschrieben, mag dieses Buch ein sehr zu schätzender, wichtiger, und heilsamer Beitrag sein in der Auseinandersetzung zwischen Glaube und Naturwissenschaft, eine Auseinandersetzung, die laut Collins völlig unnötig ist: Wissenschaft und Glaube „haben unterschiedliche, aber einander ergänzende Antworten auf die größten fragen der Welt und beide können nebeneinander im Geist eines wissbegierigen Menschen des 21. Jahrhunderts existieren.“ Lesen Sie dieses Buch – ob als Glaubender oder Atheist. Und lassen Sie sich bekehren: Nicht zum Glauben (dafür wurde dieses Buch sicher nicht geschrieben), aber zum fairen Dialog!