'Rot ist mein Name' - Kapitel 13 - 26

  • Kapitel 13 & 14
    Auch die 3 Fabeln, die die anderen beiden Buchmaler Storch und Olive als Antwort auf die ihnen gestellte Frage erzählen, sind nur vor dem Hintergrund der damaligen Vorstellungen zu verstehen. Aus meiner Sicht durchaus interessant, aber auch schwer nachvollziehbar (z.B. in der dritten Fabel von Storch, in der ein Greis stirbt, kurz nachdem er zum ersten Mal in seinem Leben verliebte - sehr moral-lastig, ähnlich wie unsere Märchen.) Die beiden ersten Fabeln von Olive hingegen haben mir gut gefallen. Welche mochtet ihr am meisten?


    Kapitel 15
    Ester ist eine kluge Frau, aber ich habe immer noch nicht verstanden, warum sie sich ausgerechnet von Hasan die Briefe von Seküre und Kara vorlesen lässt. Zahlt er am meisten oder kennt sie niemand anderen, den sie fragen könnte oder ist es ein gemeinsamer Deal zwischen den beiden, weil Hasan ja auch brennend am Inhalt der Briefe interessiert ist? :help

  • Kapitel 13 & 14:
    Kara besucht Storch und stellt ihm Fragen über „Illustrieren und Zeit“. Storch antwortet mit 3 Geschichten. Mir ist es nicht wirklich gelungen, den Geschichten zu folgen – obwohl Kara sie am Ende noch einmal zusammenfasst. Warum wird hier von Fabeln gesprochen? :help


    Als nächstes geht Kara zu Olive. Ihn befragt er zu „Blindheit und Gedächtnis“ Auch Olive antwortet mit 3 Geschichten. Manche Illustratoren wurden nach Fertigstellung ihrer Aufgabe geblendet, damit ihr geschaffenes Werk einmalig bleibt. Andere waren traurig, wenn sie im Alter noch sehen konnten, denn das bedeutete für sie, dass ihre Arbeit nicht herausragend war. Andererseits können wahre Meister ihr Bild aus dem Gedächtnis malen.


    Kapitel 15 & 16:
    Hasan schiebt sich zwischen Seküre und Kara. Er fängt Karas Briefe ab und schickt stattdessen seinen eigenen ab. Seküre will unterdessen die Auflösung ihrer Ehe.


    Kapitel 17:
    Fein Efendi wird beerdigt. Kann es sein, dass Olive und Storch die Mörder sind? Es bleibt alles noch sehr ungewiss was die Mörderfrage betrifft. Man erfährt, dass es zwischen Oheim und Efendi Eifersucht und Neid wegen der Nachfolge Osmans in der Buchmalerwerkstatt gegeben hat.


    Oheim will sein Buch nicht mehr weitermalen, sagt er zumindest zu Schmetterling.


    Der Leser bekommt noch einen kleinen Rückblick in die Zeit, als Oheim in Venedig die Rückgabe Zyperns verlangt.


    Kapitel 18:
    Die Überschrift lässt diesmal offen wer der Erzähler ist. Ist es Hasan? Auf jeden Fall ist es jemand, der in Seküre verliebt ist. Wir erfahren, dass die Illustratoren früher Dienstag, Freitag und Sonntag hießen, je nachdem an welchem Tag sie in die Werkstatt kamen. Jetzt heißen sie Olive, Schmetterling und Storch. Fein erhielt seinen Namen als Anspielung auf seine zarten Illustrationen. @BJ Das wäre jetzt also auch geklärt. :-]


    Kapitel 19:
    Eine falsche Münze erzählt :lache Wir erfahren immer wieder, dass es verpönt war für Geld zu malen. Hier habe ich mir überlegt, ob es eine versteckte Anspielung auf die türk. Lira ist, die dem Euro zum Verwechseln ähnlich sieht, aber nur ¼ so viel wert ist? Seht ihr das auch so? :help


    Kapitel 20 & 21:
    Jetzt machen wir einen Zeitsprung zurück. Die Portrait-Malerei fasziniert den Sultan sehr, er gibt Oheim den Auftrag ein solches Bild von ihm erstellen zu lassen. Dieses muss in einem Buch versteckt sein. Außerdem beinhaltet das Buch das Bild vom Tod, vom Baum,…


    Pflegt Kara das Verhältnis zu Oheim um an Seküre ranzukommen? Sollte Oheim sterben (aus welchem Grund auch immer), so soll Kara das Buch vollenden.


    Perspektivisches Zeichnen scheint bis dato unbekannt bzw. ungewohnt zu sein.

  • Zitat

    Original von milla
    Die beiden ersten Fabeln von Olive hingegen haben mir gut gefallen. Welche mochtet ihr am meisten?


    Kann nicht genau sagen welche mir am besten gefiel, aber mit Olives Fabeln konnte ich am meisten anfangen, wobei mir der Begriff Fabel hier unklar ist.


    Zitat

    Original von milla
    Ester ist eine kluge Frau, aber ich habe immer noch nicht verstanden, warum sie sich ausgerechnet von Hasan die Briefe von Seküre und Kara vorlesen lässt. Zahlt er am meisten oder kennt sie niemand anderen, den sie fragen könnte oder ist es ein gemeinsamer Deal zwischen den beiden, weil Hasan ja auch brennend am Inhalt der Briefe interessiert ist? :help


    Eine Antwort konnte ich im Buch nicht rauslesen. Ich dachte, dieser Zufall muss im Märchen einfach sein. Märchenhaft kommt mir das Buch immer wieder vor. Und einen Zufall hatten wir ja schon einmal, als Seküre genau in dem Moment das Fenster öffnet als Kara unten steht. ?(

  • Zitat

    Original von Patricia_k34
    Kann nicht genau sagen welche mir am besten gefiel, aber mit Olives Fabeln konnte ich am meisten anfangen, wobei mir der Begriff Fabel hier unklar ist.
    ...
    Märchenhaft kommt mir das Buch immer wieder vor.


    Ich glaube, dass hier Fabel im Sinne von Geschichten gemeint ist, die einen tieferen oder übertragenen Sinn vermitteln wollen, eine Moral wenn man so will. Auch wenn hier keine - wie bei Fabeln üblich - Tiere oder Gegenstände sprechen.


    Kapitel 16 & 17
    Seküre liebt ihren Vater und er sie, soviel steht fest. Doch wie so oft, steht der Egoismus über der Liebe zu anderen. Der Oheim möchte nicht, dass Seküre noch einmal heiratet - aus Angst, dass sie dann aus seinem Haus auszieht. Angesichts des ermordeten und inzwischen aufgefundenen Fein Efendi beschließt er, die Arbeiten an dem geheimen Buch zu beenden, das dürfte zumindest dem Mörder gar nicht gefallen, schließlich hat er getötet, um das Geheimnis zu wahren. Apropos Mörder: Ist Schmetterling nicht total unsympathisch? :gruebel Aber das wäre wohl zu einfach... ;-)


    Zitat

    Original von Patricia_k34
    Der Leser bekommt noch einen kleinen Rückblick in die Zeit, als Oheim in Venedig die Rückgabe Zyperns verlangt.


    Das hat mich auch interessiert und in dem wikipedia-Artikel "Eroberung Zyperns durch die Osmanen 1570/71" steht:
    "Tatsächlich forderte ein türkischer Gesandter im März 1570 die zyprischen Venezianer zur Übergabe auf." :wow


    Kapitel 18
    Auch wenn der - immer noch unbekannte Mörder - viel von sich und seinen Gedanken preisgibt, gelingt es ihm doch, dass seine Identität weiterhin geheimbleibt. Ich konnte ihn zumindest nicht überführen.
    @ Patricia: An Hasan habe ich bislang nicht gedacht, weil ich davon ausgegangen bin, dass es einer der Buchmaler ist, weil das geheime Buch ein Motiv ist. Andererseits würde ich es Hasan zutrauen, ich muss zugeben, ich mag ihn nicht, und er hätte auch ein Motiv (Seküre). Hm. Mal abwarten...


    Kapitel 19
    Die Geschichte einer (falschen) Münze, von ihr selbst erzählt - fand ich auch sehr unterhaltsam! Dass Pamuk immer wieder Gegenstände sprechen lässt gefällt mir, ein bisschen ändert das die Sicht auf die kleinen Dinge und davon abgesehen bin ich meiner Mutter nach der Lektüre dieses Kapitels wieder einmal mehr als dankbar, dass sie mir schon als Kind beigebracht hat, sich immer die Hände zu waschen, wenn man Geld angefasst hat :lache
    @ Patricia: Die Ähnlichkeit von Türkischer Lira zu Euro war mir gar nicht bekannt, interessanter Gedanke :grin Auf der von dir verlinkten Seite wird ja auch darüber diskutiert, ob die Ähnlichkeit beabsichtigt ist oder nicht.

  • Kapitel 23:
    Der Mörder arbeitet also an dem Buch mit. Dann kann es ja Hasan fast nicht sein, ich dachte an ihn, weil er in Seküre verliebt ist. Und warum wurde Fein umgebracht? Steht jetzt auch noch Kara auf der Abschussliste? Wenn Kara tot wäre, dann könnte der Mörder evtl. das Buch vollenden. Ist Karas Bruder der Mörder? Und wer ist dieser Bruder? Kennen wir ihn schon? Es bleibt spannend.


    Kapitel 24:
    Der Tod selbst erzählt. Wie gruselig. *fürcht*
    „Die Venezianer messen das Können eines Malers am Finden nie gezeichneter Motive…“ Das finde ich einen interessanten Ansatz.
    Und dann kam hier noch ein Satz, bei dem ich sehr schmunzeln konnte (bei mir S. 290): „3. Einigen Eseln, die sich hier langsam an mich gewöhnen und über mich lächeln, sei gesagt: Mit dem Tod ist nicht zu spaßen!“ :lache


    Kapitel 26:
    Ester Hayriye hat ein Verhältnis mit Oheim und Hasan will auf jeden Fall, dass Seküre wieder zu ihm und seinem Vater zurückkehrt, notfalls geht er vor den Kadi. Oh, die Arme.


    Seküre will Kara im Haus des gehängten Juden treffen. Sie misstraut jedoch Ester und lässt die Nachricht an Kara durch Orhan überbringen. Auch hier wird der Leser direkt mit einbezogen, als es heißt „nur ihr wisst, ob es wirklich so ist…“, dass Ester die Briefe nicht geheim übermittelt. Diese direkte Ansprache des Lesers gefällt mir immer besonders gut. Das Treffen findet statt und sie kommen sich näher.



    edit: bin bei der Zuordnung etwas durcheinander gekommen ;-)

  • Kapitel 20
    Wie der Oheim das Bedürfnis der Venezianer beschreibt, ständig überall ihr Antlitz verewigt zu sehen, hat mir großen Spaß gemacht (Beispiel: "... ein Bild von der Auferstehung der Toten und erkannte in einer Leiche seinen Tischnachbarn, der sich kurz zuvor beim Mittagsmahl den Magen reichlich vollgeschlagen hatte." :lache)! Und hier erfahren wir auch, wie es überhaupt dazu kam, dass der Oheim ein heimliches Buch anfertigen lässt - Pamuk gelingt es ziemlich gut, durch die Gespräche seiner Figuren nach und nach wichtige Informationen zu liefern, mit denen sich die ganze Geschichte füllt.


    Kapitel 21
    Die verschiedenen Arten zu malen sind immer wieder Thema und Auslöser für Ereignisse oder wie hier beschrieben, das feindselige Verhältnis zwischen dem Oheim und dem Altmeister Osman. Der Dialog zwischen Oheim und Seküre ist seltsam - meint sie das, was sie sagt oder kokettiert sie nur mit ihrer Demut, in der Hoffnung, dass ihr Vater ihr widerspricht?


    Kapitel 22
    Seküres Sohn Sevket führt Kara zu dem verlassenen Haus des gehenkten Juden, warum er dies tut (ob aus eigenem Antrieb oder auf Veranlassung seiner Mutter) bleibt unklar. Die Frage danach, ob Kara seinen Vater getötet hat zeigt, dass Sevket kein Kind mehr, aber auch noch nicht erwachsen ist. Sie birgt auf jeden Fall Zündstoff. Erst recht, weil sich Kara dazu nicht eindeutig äußert.


    Kapitel 23
    Den unbekannten Mörder plagt sein Gewissen, seine innere Unruhe treibt ihn hinaus durch die Straßen der Stadt und er versucht seine Tat vor sich selbst zu rechtfertigen. Auf dem letzten Bild des heimlichen Buches sollte der Mörder auf Geheiß des Oheims verschiedene Figuren in die Ecken malen - ein Hinweis auf seine Identität?


    Zitat

    Original von Patricia_k34
    Ist Karas Bruder der Mörder? Und wer ist dieser Bruder? Kennen wir ihn schon?


    Karas Bruder? Hab ich das überlesen? Könntest du die Stelle angeben, ich finde nix über Karas Bruder :help
    P.S.: Kapitel 27 gehört in den nächsten Thread ;-)

  • Zitat

    Original von milla
    Karas Bruder? Hab ich das überlesen? Könntest du die Stelle angeben, ich finde nix über Karas Bruder :help


    Ich bin mir nicht sicher, ob Bruder hier im wahrsten Sinne des Wortes benutzt wird, aber die Stelle lautet: "Wir zwei Männer, beide derselben Frau verfallen,....., und während wir als Brüder durch öde Gassen gehen,..." (Fischer-Geschenkbuch-Ausgabe S. 281/282)

  • Zitat

    Original von Patricia_k34


    Ich bin mir nicht sicher, ob Bruder hier im wahrsten Sinne des Wortes benutzt wird, aber die Stelle lautet: "Wir zwei Männer, beide derselben Frau verfallen,....., und während wir als Brüder durch öde Gassen gehen,..." (Fischer-Geschenkbuch-Ausgabe S. 281/282)


    Ah ok, danke, ist bei mir auf S. 170. Ich glaube das ist eher im übertragenen Sinn gemeint, also beide streifen unstet durch die Gassen, die ja dann im Folgenden detailliert beschrieben werden (Beide sind in dem Moment in der gleichen Situation.)


    Kapitel 24
    Gegruselt habe ich mich nicht, aber es ist ein herrliches Kapitel! An der Stelle, die du zitiert hast (normale Fischer-Ausgabe S. 176) musste ich auch sehr schmunzeln, genau wie bei dem Seitenhieb auf die chinesischen Maler im letzten Absatz :grin


    Kapitel 25
    Seküre stellt Kara Bedingungen: Erst wenn er das Buch seines Vaters beendet, darf er sich Hoffnungen auf sie machen. Dass Hasan alle Briefe der beiden liest, behagt mir gar nicht. Bestimmt nutzt er das hieraus gewonnene Wissen und heckt er irgendetwas Böses aus...


    Kapitel 26

    Zitat

    Original von Patricia_k34
    Ester hat ein Verhältnis mit Oheim


    Ich glaube, du meinst Hayriye. Sie ist übrigens eine der Figuren, die mir noch völlig fremd sind, ich habe kaum eine bildliche Vorstellung von ihr. Aber vielleicht ist das ja auch gewollt bei ihr, der unscheinbaren Sklavin, die man leicht übersieht... Mit ihrem Verhältnis zum Oheim verfügt sie jedoch über eine nicht zu vernachlässigende Macht, auch Seküre achtet auf ihre Worte, aus Angst, dass Hayriye es ihrem Vater weitererzählt.
    Wie Seküre ihre beiden Söhne gegeneinander aufbringt, indem sie ihnen jeweils zuflüstert, dass ihre Liebe zu ihm größer ist als zu seinem Bruder, passt gar nicht zu der vermeintlich braven Seküre.

  • Die Fabeln fand ich irgendwie nichts sagend.
    Tolle Worte, aber ich konnte damit irgendwie nichts anfangen.
    Das ist nicht meine Art zu denken und zu fühlen.

  • Ich bin nun bis zum Kapitel 21 fortgeschritten. Das Buch gefällt mir immer besser.
    Bei den Fabeln habe ich am meisten BE von Storch im Gedächtnis behalten – die Macht der Individualisierung ist in der Lage, den Lauf der Geschichte zu ändern. Es ist die Fabel über den Schah, der das gesicht seines Vorgängers heimlich verändert. Leider gelingt es ihm aus Unvermögen nicht, sein eigenes Gesicht hineinzuretuschieren, dafür gleicht das Antlitz nun seinem Widersacher, welcher prompt, angeregt durch in Umlauf geratene Gerüchte, eben jenen Schah überfällt und tötet. Eine wunderbare Geschichte über Ursache und Wirkung!
    Auch die Geschichten über die Blindheit fand ich interessant – nur der Geist erschafft, nicht die Augen oder Hände. Ich zeichne ja selbst, und während meines Studiums habe ich gelernt, dass dem Künstler, aber auch dem Handwerker, eigentlich nicht die Hände sein wichtigstes Organ sind, sondern der Kopf. Ich hatte einen Professor mit von einem Blindgänger verstümmelten Händen, der fantastische Bilder malte – mal expressiv, mal extrem fein und minutiös. Er hatte eine wilde Art, seine Pinsel und Stifte zu halten, aber wie man sah, war es völlig unerheblich.


    Die Geschichte mit der Münze fand ich auch sehr vergnüglich. Milla, ich musste auch sofort ans Händewaschgebot denken :lache


    Kapitel 20, in dem der Oheim mit Kara über die fränkischen Bilder und ihre Intention spricht, fand ich sehr aufschlussreich, es war ein wenig die Quintessenz des vorher Angedeuteten. Hier prallen Vorstellungswelten, Religionen, Kultur aufeinander und müssen gegeneinander abgewogen werden. Das Bilderverbot des Islams kennen wir ja, aber ich habe es nie so gut erklärt bekommen wie durch den Mund des Padishah: Das Wichtige sei die Geschichte, die Bilder ergänzten sie "auf noble Weise. Versuche ich, mir ein Bild vorzustellen, das keine Ergänzung des Erzählten ist, dann meine ich, es müsse am Ende zum Götzenbild werden." (Da ich selbst lieber illustriere als Bilder ohne Geschichte zu malen, kann ich das gut nachvollziehen.)


    Was mich tatsächlich nach wie vor nicht vom Hocker reißt ist die Kara-Seküre-Geschichte. Dieses seltsame und irgendwie unmotivierte Umeinandertänzeln, aber auch das Seküre-auf-ein-Podest-stellen trifft nicht meinen Geschmack. Dabei ist es vor allem Kara, den ich unglaubwürdig finde, Seküre ist da schon handfester und gefällt mir auch. Trotzdem, ich bin gespannt, wie es mit diesen beiden weitergeht. Ein Gefühl sagt mir, dass Kara nicht in ihrer Koje landet :grin


    Liebe Grüße von
    SteffiB :wave

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Kapitel 20, in dem der Oheim mit Kara über die fränkischen Bilder und ihre Intention spricht, fand ich sehr aufschlussreich, es war ein wenig die Quintessenz des vorher Angedeuteten. Hier prallen Vorstellungswelten, Religionen, Kultur aufeinander und müssen gegeneinander abgewogen werden. Das Bilderverbot des Islams kennen wir ja, aber ich habe es nie so gut erklärt bekommen wie durch den Mund des Padishah: Das Wichtige sei die Geschichte, die Bilder ergänzten sie "auf noble Weise. Versuche ich, mir ein Bild vorzustellen, das keine Ergänzung des Erzählten ist, dann meine ich, es müsse am Ende zum Götzenbild werden." (Da ich selbst lieber illustriere als Bilder ohne Geschichte zu malen, kann ich das gut nachvollziehen.)


    Hmmm. Ich kann diese ganze Debatte nicht so recht nachvollziehen, denn ist nicht jedes Bild die Darstellung einer Geschichte? Also bei Illustrationen in Büchern ist es eindeutig, klar. Aber auch bei einzelnen Bildern - sind sie nicht die Darstellung einer Geschichte, die der Maler im Kopf hat? Selbst bei Bildern von Personen, erzählt nicht ihre Darstellung, ihre Mimik, Gestik, vielleicht auch nur ihr Blick oder ihre Falten eine Geschichte? Kein Mensch ist ein unbeschriebenes Blatt und handelt und wirkt und kreiert doch aus seiner persönlichen Erfahrung heraus. Und wenn z.B. ein Maler ganz einfach eine Frau malen soll, dann wird er doch mit dem Bild dieser Frau etwas bestimmtes ausdrücken wollen, ihr im echten wie im übertragenen Sinn ein Gesicht geben und sich automatisch vorstellen, wen (mit welcher Geschichte) er malt. Es muss keine historische Persönlichkeit oder eine Märchen- oder Sagengestalt sein, sondern auch eine fiktive Person, deren Vorstellung in seinem Kopf beim Malen entsteht.


    Wisst ihr, was ich meine?

  • @ Milla
    Zu deiner Anspielung auf den Euro und die türkische Lira würde ich eher nein sagen, da das Buch 1998 zum ersten Mal erschienen ist, da gab es den Euro noch nicht.


    Ich kann dieser Malen / nicht Malen Sache irgendwie nur schwer folgen, vermutlich, weil mir die bildliche Vorstellung der Illustrationen fehlt, werde jetzt erstmal googeln.

  • Zitat

    Original von Babyjane
    @ Milla
    Zu deiner Anspielung auf den Euro und die türkische Lira würde ich eher nein sagen, da das Buch 1998 zum ersten Mal erschienen ist, da gab es den Euro noch nicht.


    Eigentlich war es Patricias Anspielung, aber macht nix :grin
    Auf die Idee, nach dem Erscheinungsdatum zu schauen, bin ich aber auch nicht gekommen :sleep

  • Zitat

    Original von milla


    Hmmm. Ich kann diese ganze Debatte nicht so recht nachvollziehen, denn ist nicht jedes Bild die Darstellung einer Geschichte?


    Ja Milla! So geht es mir auch inzwischen. Auf den ersten 100 Seiten fand ich es ja noch ganz interessant ueber diese unterschiedlichen Sichtweisen zu lesen. Aber letztlich find ich es auch ein Fehlschluss zu sagen, dass ein Bild ohne geschriebene Geschichte daneben keine Geschichte darstellen kann. Ganz im Gegenteil, oftmals kann das Bild allein mehr ausdruecken, als wenn man versuchen wuerde das gezeigte in Worte zu fassen. Ich denke da mal an Picassos "Guernica" oder Munchs "Der Schrei", beides sehr unterschiedliche Stilarten. Und gerade der Stil erlaubt es ihnen Gefuehle auszudruecken, die schwer in Worte zu fassen sind.


    Ich bin gespannt, ob die Miniaturisten in diesem Buch noch diesen Lernprozess machen koennen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Ich komme nur langsam voran mit dem Buch – was aber nicht am Buch selbst liegt, sondern an mir. Habe gerade einen regelrechten Arbeitsrausch, und den muss man als Selbständige ja dringend ausnutzen ;-)


    Nichtsdestotrotz habe ich mittlerweile Kapitel 26 abgeschlossen ...


    Ich möchte noch einmal auf Beatrix' und Millas Kommentare eingehen.
    "... ist nicht jedes Bild die Darstellung einer Geschichte?", schrieb Milla. Das stimmt, und doch auch wieder nicht. Die Intentionen der Bilderschaffenden sind vielfältig. Man muss hier, denke ich, sehr stark zwischen Illustration und eigenständigem Bild unterscheiden.
    Eine Illustration ist als ein Zusatz, als eine Visualisierung von etwas Bestehendem, sei es eine Geschichte oder ein Ereignis, zu verstehen. Hier ordnet sich das Bild klar dem Inhalt unter – und ist häufig ohne die sie begleitende Geschichte bzw. das Hintergrundwissen nicht zu entschlüsseln. Und ebenso ordnet sich der Schaffende seinem Bild unter.
    Anders das eigenständige Bild. Hier trägt das Bild die Geschichte in sich, mehr oder weniger verschlüsselt. Oft benötigt der Betrachter allerdings Grundkenntnisse über die Symbolik des individuellen Malers bzw. der Epoche, um die tieferen Inhalte oder die Geschichte zu verstehen. Gerade im Westen mir seiner beinahe religiösen Verehrung des Individuums hat der Künstler als Einzelperson einen hohen Stellenwert. Wir als Rezipienten versuchen in den Gedankenkosmos eines einzelnen Menschen einzudringen und ihn zu entschlüsseln. Und neigen dazu, eben jene Gedankenwelt eines Einzelnen als Erklärung für Zeitgeschehen, Kulturkritik und ähnliches zu übernehmen und ggf. auch überzubewerten.


    Pamuk wiederum nimmt jenen kleinen Ausschnitt unter die Lupe, wo Illustration zum individuellen Bild übergeht – und, auf einer höheren Ebene – den Punkt, an dem die Gesellschaft das Individuum erkennt und vielleicht sogar anerkennt. Seine Erzerumer stehen für das Alte, das Tradierte, für eine Gesellschaft, in der das Individuum sich bedingungslos den allgemeingültigen Regeln unterwirft, während seine Maler, allen voran der Oheim, schon einige Schritte weiter sind (ob zum Guten oder Schlechten wertet Herr Pamuk glücklicherweise nicht, sondern überlässt uns das Urteil). Der Oheim ist fasziniert von den Möglichkeiten des Individuums und des Schaffens von Neuem – und hier muss interessanterweise der Tod dafür herhalten: Ausgerechnet ein Abbild des Todes, bis dato unbekannt, ist das erste völlig neu geschaffene Bild in seinem Auftrag. Wir denken uns unseren Teil. Symbolbeladen ist dieses Kapitel allemal.


    Die Maler bei Pamuk bezeichnen sich selbst als Illustratoren, niemals als Künstler – allerdings scheint diese Selbstverständlichkeit durch den Einfluss der Venezianer ins Wanken gekommen zu sein. Haben sie bisher all ihren Stolz daraus gezogen, eine perfekte Ergänzung zu den bereits bestehenden Geschichten (nach einem schon bestehenden formalen Kanon!) zu schaffen, also im Grunde die perfekten Replikatoren zu sein, so ist nun Unruhe in die ohnehin intrigenverseuchten Malerwerkstätten gekommen. Und sie sind eitel genug, das Potenzial zu sehen: Ihre Signatur unter einem neuen, von ihnen geschaffenem Werk, das ohne flankierende Geschichte auskäme, würde ihnen die Unsterblichkeit bringen. Eine unerhörte Vorstellung zu jener Zeit in jenem Land.
    Edit: Mir fällt gerade noch etwas ein: Der Oheim bittet Kara, die Geschichten zu den schon bestehenden Bildern zu schreiben, dass heißt, er kehrt den traditionellen Prozess (erst die geschichte, dann das Bild) um. Bisher scheitert Kara an dem Vorhaben, weil er sich zu sehr nach Seküre sehnt, so seine Entschuldigung, doch ich nehme eher an, dass entweder die Meisterillustratoren einfach nicht in der Lage waren, den Bildern eigenständige Geschichten mitzugeben, oder aber das Kara nicht in der Lage ist, diese zu entschlüsseln. Das ganze hat enorme Sprengkraft, denn der Oheim ist dabei, Althergebrachtes komplett auf den Kopf zu stellen.


    Nicht viel früher gab es auch in Europa genau diesen Konflikt, als die rein illustrative Sakralmalerei (die ebenfalls repetativ war), individualisiert wurde. Der Italiener Giotto ist sicher einer der berühmtesten Vorreiter, auch wenn ich ihm jetzt keine Eitelkeit unterstellen möchte. http://de.wikipedia.org/wiki/Giotto_di_Bondone


    Aber nun genug mit dieser Haarspalterei (obwohl ich sie nach wie vor wunderbar finde, aber da bin ich wahrscheinlich vorbelastet :grin)


    Da war doch noch was bzw. wer: Kara und Seküre und Ester und Hasan. Ich glaube, ich weiß jetzt, warum ich mit diesem Handlungsstrang nicht warm werde – auch wenn er sich sehr, sehr schön liest. Ich kann das Verhalten der Personen einfach nicht nachvollziehen, es wirkt auf mich oft sehr unmotiviert. Ich kann die Figuren nicht einschätzen, sie denken so und tun das Gegenteil, und in der nächsten Szene machen sie wiederum das genaue Gegenteil, denken aber etwas ganz anderes. So zum Beispiel Hasan. Mal ist er das personifizierte Böse, mal ein Mann zum heiraten. Und alle schmachten sich gegenseitig an. Nun ja. ich lese trotzdem weiter. Muss doch wissen, ob Seküre ihren Kara mit dem Riesending doch noch erhört ;-)


    PS. zum letzten Absatz. Ich gehe davon aus, dass dies so gewollt ist. Im Grunde bewegen sich die Figuren durch das Buch wie illustrative Beigaben zu einer ganz anderen Geschichte, so als sei jedes einzelne Kapitel eine eigenständige Fabel, und die Sprunghaftigkeit ihrer Gedanken und Handlungen ist eben jeweils der Aussage des einzelnen Kapitel geschuldet. Aber vielleicht vergaloppiere ich mich jetzt auch ... :gruebel Schätze, ich muss eine andere Herangehensweise an diesen Handlungsstrang finden.


    Ganz liebe Grüße von SteffiB

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Da war doch noch was bzw. wer: Kara und Seküre und Ester und Hasan.


    Zum Glück war da noch wer, denn ich denke ohne diese Personen hätte ich das Buch schon abgebrochen. :lesend :nono


    Zitat

    Original von SteffiB
    ...Ich kann das Verhalten der Personen einfach nicht nachvollziehen, es wirkt auf mich oft sehr unmotiviert. Ich kann die Figuren nicht einschätzen, sie denken so und tun das Gegenteil, und in der nächsten Szene machen sie wiederum das genaue Gegenteil, denken aber etwas ganz anderes.


    Das empfinde ich ganz genauso. Vor allem Seküre spricht oft ganz anders mit Kara im Vergleich dazu wie sie dann handelt.


    Zitat

    Original von SteffiB
    ... Nun ja. ich lese trotzdem weiter. Muss doch wissen, ob Seküre ihren Kara mit dem Riesending doch noch erhört ;-)


    Was mich in dem Buch immer wieder irritiert, ist dieses Konträre zwischen dem butterweichen Dahinschmelzen und diese Einschübe aus nahzu schon vulgärer Sprache.

  • Zitat

    Original von Patricia_k34


    Was mich in dem Buch immer wieder irritiert, ist dieses Konträre zwischen dem butterweichen Dahinschmelzen und diese Einschübe aus nahzu schon vulgärer Sprache.


    Beim ersten Mal war ich auch irritiert, aber ich muss gestehen, dass mir diese Brüche ausnehmend gut gefallen. Da schmachten sie und schmachten sie, aber am Ende geht's doch nur um Sex. :grin Ich war ziemlich überrascht, dass der ach-so-feinfühlige Kara Seküre zum Fellatio zwingen wollte, aber eigentlich ist das in seiner Unstimmigkeit im Gesamtkontext schon wieder stimmig. Hier macht keiner, was von ihm erwartet wird. Ich schätze mal, da kommt noch allerlei Überraschendes auf uns zu.
    :wave SteffiB