Nebelsturm - Johan Theorin

  • Nebelsturm
    Johan Theorin
    Piper Verlag München
    ISBN: 978-3-492050913
    446 Seiten, 19,95 Euro



    Über den Autor: Johan Theorin, 1963 in Göteborg geboren, gelang mit seinem Kriminalroman „Öland“ ausgezeichnet als bestes Krimidebüt des Jahres ein großer internationaler Erfolg. Als Herbst-Roman seines geplanten Jahreszeiten-Quartetts wurde es in 14 Sprachen übersetzt. „Nebelsturm“, dessen Filmoption bereits verkauft ist, spielt im rauen öländischen Winter und wurde 2008 von der Schwedischen Krimiakademie mit dem Preis für den besten Kriminalroman des Jahres ausgezeichnet.


    Klappentext: Ein kalter, finsterer Oktober auf Öland. Nebel und Schneestürme kündigen sich an, niemand sollte sich jetzt im Freien aufhalten. Joakim Westin hat die Abergläubigen der Insel nicht um Rat gefragt und ist mit seiner Familie auf dem prachtvollen Hof Aludden im Nordosten Ölands eingezogen. Aus dem Holz eines alten Schiffswracks ist das Anwesen errichtet worden. Man sagt, die Männer, die damals den Leuchtturm und den Hof bauten, haben die Schreie der ertrinkenden Seeleute nie vergessen können. Auf der Innenseite der alten Scheune stehen noch immer die Namen der Toten eingeritzt, deren Flüstern man in den Wänden hören kann, und all seinen Bewohnern hat dieser Ort nur Kummer und Schrecken gebracht. Als Joakim die schreckliche Nachricht erreicht, ist er noch in Stockholm: Man habe die Leiche seiner Tochter gefunden, ertrunken…



    Meine Meinung: Joakim Westin und seine Frau Katrine kaufen gern alte Objekte auf und renovieren sie nach ihren Vorstellungen. Scheinbar ist das der Grund, warum sie ihr behagliches Haus in Stockholm hinter sich lassen und zusammen mit ihren beiden Kindern auf den alten und abgewohnten Hof Aludden ziehen. Sehr bald entdeckt Katrine das dunkle Geheimnis des Hofes, doch bevor sie Joakim davon berichten kann, geschieht ein Unglück und es ist nicht das erste an diesem Ort, dessen Vergangenheit auf Schritt und Tritt zu spüren ist…


    Schon die ersten Seiten dieses Buches nehmen einen derart gefangen, dass man nicht mehr aufhören mag, zu lesen. Die Geschichte ist so anschaulich geschrieben, so dicht und spannend, dass man die unheimliche Stimmung die über dem Ort und den Protagonisten liegt, fast mit Händen greifen kann. Das Buch als reinen Kriminalroman einzustufen, wäre allerdings unpassend, denn ein großer Teil der Handlung rankt sich um die düsteren Legenden der Vergangenheit des Hofes Aludden und die vielen mysteriösen Todesfälle, die es hier gab. Aber auch in der Gegenwart des Hofes dominiert das Unheimliche. Ob es Alpträume sind, Flüstern in den Wänden, oder diffuse Ahnungen der Gegenwart bestimmter Verstorbener – Theorin greift als Grundlage eine alte und bekannte Geistergeschichte auf, die immer wieder in alten Überlieferungen auftaucht und arbeitet sie in seine Handlung ein. Was ebenso gut banal und unglaubwürdig hätte wirken können, wird durch den Schreibstil des Autors zu etwas Besonderem und gibt dem Buch einen zusätzlichen Reiz.
    Allerdings drängen die Geistergeschichten die eigentliche Handlung des Krimis ein wenig in den Hintergrund und könnten eventuell den einen oder anderen Krimifan etwas enttäuschen, der vielleicht in Erwartung eines „klassischen“ Kriminalromans an das Buch herangeht. Mir hat diese Mischung aus Geistergeschichte, Familiengeschichte und Krimi jedoch sehr gut gefallen. Das liegt sicherlich an der Art des Autors, seine Geschichten zu erzählen, denn die latente Spannung, die permanent über allem liegt, die Ahnung, dass gleich in der nächsten Szene etwas Furchtbares geschehen wird, fesselt einen an dieses Buch.


    Mein Fazit: Ich mag Bücher, in denen schlechtes Wetter eine Rolle spielt – vielleicht, weil ich mich dann an meinem Leseplatz in der Wärme und mit meinem Buch in der Hand doppelt wohl fühle. Dieses Buch, eine warme Decke und ein heißer Tee – was will man mehr an einem langen Winterabend?

  • Zitat

    Original von Eskalina
    :wave Fast bin ich ein wenig neidisch auf alle, die dieses Buch noch vor sich haben. Freu dich drauf - ich hoffe, es gefällt dir auch so gut. :wave


    Da gehe ich fest von aus. Mir hat ja schon Öland so ausnehmend gut gefallen. Ich mag die Mischung aus Krimi und psychologischer Charakterstudie. Das sind wirklich Krimis mit Tiefgang.

  • Danke für die schöne Rezi - das Buch landet direkt auf meine WL.
    "Öland" hat mir schon gut gefallen.


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Bones - ich weiß nicht, wie ich es auf einer "Gruselskala" bewerten soll - ich hatte nach einer Geistergeschichte (bis auf einmal) keine Angst, in den Keller zu gehen...Also, es ist eher so eine latente Spannung, dass jeden Moment etwas geschehen wird. Ich denke, du wirst ruhig in den Keller gehen können, aber sollte jemand während du liest hinter dir ein Taschentuch fallen lassen, wirst du vor Schreck los schreien... :lache

  • Vielen Dank für die schöne Rezension!


    Ich hatte es am Wochenende angefangen, aber irgendwie komme ich nicht so recht hinein in die Stimmung und in die Geschichte.
    Vielleicht ist es aber auch nicht das richtige Buch für mich zurzeit.
    Ich klammere irgendwie noch am Sommer, auch buchtechnisch.


    Daher habe ich es erstmal zur Seite gelegt und warte auf einen anderen Zeitpunkt, an dem ich ihm eine zweite Chance geben werde.



    sommerliche Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Auch in seinem zweiten Roman bannt Johan Theorin den Leser mit der fast mythischen Aura Ölands. Ein Nebelsturm ist ein meterologisches Phänomen, das nur auf Öland vorkommt. Und just in dem Moment, in dem sich die Ereignisse zuspitzen, bricht er über Öland herein.


    Der Autor versteht es grandios, Stimmungen aufzubauen. Joakim trauert tief und heftig um seine verunglückte Frau. Und er findet ein wenig Trost in den Geistergeschichten um die Toten, die im Laufe der Geschichte des Gebäudes dort starben. Denn auch er glaubt manchmal, Katrines Gegenwart zu spüren. Und wie sonst sollte er sich die nächtlichen Alpträume seiner Tochter erklären.


    Tatsächlich ist "Nebelsturm" ein Krimi. Sogar ein doppelter. Aber er wird so ganz anders erzählt, als es der Krimileser gewohnt ist. Sicherlich liegt Theorins Stil nicht jedem, aber ich finde ihn sehr fesselnd, auf leise, eindringliche Art. Es gibt kein Effekthaschen, keine blutigen Szenen. Dafür geht er viel tiefer und deckt Geheimnisse im Menschen auf. Die Geistergeschichte fügt sich hervorragend ein. Sie ist genau ausbalanchiert zwischen Einbildung und dem wagen Gefühl, das es doch mehr gibt als man im allgemeinen glaubt.


    Die eingeschobenen kurzen Geschichten um die Toten sind kurz genug, um nicht zu langweilen oder den Lesefluss zu stören, und tragen aber gleichzeitig viel zur Stimmung des Buches bei.


    Gut gewählt finde ich den Klappentext. Gerade was Ethel, Joakims Schwester betrifft, denn über ihr Schicksal werden wir lange im Unklaren gelassen.


    Einzig die Einschübe über die Einbrecher fand ich ein wenig fad. Und ich hätte auch gut auf sie verzichten können. Sie fand ich dann doch entbehrlich und nicht wirklich nötig für die Geschichte.


    "Nebelsturm" ist ähnlich wie "Öland", Theorins erstes Buch, ein trauriges Buch. Verlust und Trauer stehen im Vordergrund. Krimileser sollten vorsichtig herangehen, denn die Krimihandlung ist zwar der Dreh- und Angelpunkt, aber wird sparsam dosiert und gut verpackt eingebaut. Ähnlich wie in "Öland" finde ich die Nebensächlichkeit der Tat, die Leichtigkeit, mit der ein Verbrechen begangen wird aus niederen Gründen, erschreckend. Denn sie löst soviel Leid aus, das nie zu lindern ist.


    "Nebelsturm" hat mir noch besser gefallen als "Öland" und ich bleibe gespannt auf die nächsten Bücher des Autors. Hoffentlich gibt es auch da ein Wiedersehen mit Gerlof :-)

  • Zitat

    Original von Eskalina
    Bones - ich weiß nicht, wie ich es auf einer "Gruselskala" bewerten soll - ich hatte nach einer Geistergeschichte (bis auf einmal) keine Angst, in den Keller zu gehen...Also, es ist eher so eine latente Spannung, dass jeden Moment etwas geschehen wird. Ich denke, du wirst ruhig in den Keller gehen können, aber sollte jemand während du liest hinter dir ein Taschentuch fallen lassen, wirst du vor Schreck los schreien... :lache


    Ok, danke Eskalina, dann ist gut. Ich habe es als "zu lesen" eingestuft. :wave

  • Naja, sagen wir es mal so - ich bin froh, dass ich nicht damit gewartet habe, es im Urlaub an der Ostsee zu lesen, während ich in einer einsamen Hütte im Wald wohne :grin


    Ich habe noch gut 150 Seiten vor mir und finde es von der Grundstimmung wirklich ziemlich gruselig. Theorin spielt mit der Vorstellungskraft des Lesers. Man sieht nichts, aber es schwebt so über der Story.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Naja, sagen wir es mal so - ich bin froh, dass ich nicht damit gewartet habe, es im Urlaub an der Ostsee zu lesen, während ich in einer einsamen Hütte im Wald wohne :grin


    Ich habe noch gut 150 Seiten vor mir und finde es von der Grundstimmung wirklich ziemlich gruselig. Theorin spielt mit der Vorstellungskraft des Lesers. Man sieht nichts, aber es schwebt so über der Story.


    Nun gut Bouquineur, es bekommt ein "zu lesen" mit der Einschränkung, es nicht an einem Abend zur Hand zu nehmen, wenn eine einsame Nacht bevorsteht. ;-)

  • Bouquineur - das Buch in einer einsamen Hütte im Wald an der Ostsee zu lesen, wäre natürlich die absolut richtige Location. Ich glaube, meine Hütte wäre danach erst einmal des Nachts in allen Räumen hell beleuchtet und ich säße in einem Raum, vor dessen dreifach verriegelter Tür irgendwas warnt, wenn sich Schritte nähern... :chen

  • Die Location wäre perfekt, es ist eigentlich genau so, wie es im Buch beschrieben wird. Nach den regulären Ferien ist dort tote Hose. Die Hütten in der Nachbarschaft sind bis auf eine alles Häuser von Leuten, die in Kiel oder Hamburg wohnen. Der Campingplatz ist dann auch schon ziemlich leer. Ich hab mich da schon oft genug gegruselt. :chen
    Bei solcher Lektüre hätte ich eine schlaflose Woche *g*

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Bei solcher Lektüre hätte ich eine schlaflose Woche *g*


    .....und die Erholung wäre in der Tonne..... :grin :grin


    Eskalina
    Herzlichen Dank für die sehr interessante Rezi. Ich überlege schon wieder, auch dieses Buch zu kaufen. Wo soll das nur hinführen..... :gruebel :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Joakim Westin und seine Frau Katrine haben sich einen Traum erfüllt und sich einen heruntergewirtschafteten Gutshof auf der schwedischen Insel Öland gekauft, den sie von Grund auf sanieren wollen. Kurz nachdem sie mit ihrem beiden Kindern Livia und Gabriel eingezogen sind, passiert ein furchtbares Unglück. Joakim steht nun vor der Aufgabe, sein Leben wieder in den Griff bekommen zu müssen, damit das Familienleben wieder einen geregelten Gang nehmen kann. Bald darauf macht er im Schuppen des Anwesens eine Entdeckung, die ihm keine Ruhe mehr lässt. Was hat es mit den Namen an der Wand auf sich und welches Geheimnis hat seine Frau vor ihm gehabt?


    Johan Theorin beginnt sein zweites Buch aus der Öland-Reihe mit einem Rückblick auf das Jahr 1846 und die Ereignisse rund um den Bau des Hofes Aludden sowie der dazu gehörigen beiden Leuchttürme. Düster ist dieses erste Kapitel und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Hof auf dem Unglück Anderer aufgebaut wurde. Der Leser ahnt, dass das auch für die kommenden Generationen von Bewohnern nicht ohne Folgen sein wird. Der Rückblick auf das Jahr 1846 ist nicht der einzige Schwenk in die Vergangenheit. So widmet Theorin jedem einzelnen Namen auf der Wand ein eigenes Kapitel, eine eigene Geschichte, die sich mit den Ereignissen in der Gegenwart abwechselt. Die Geschichte der ehemaligen Bewohner des Hofes ist lebendig und in so manch kalten Winternacht ist der Schleier zwischen den Welten nur dünn. Theroin spielt hier geschickt mit den Ängsten des Lesers. Man ahnt oft nur, bekommt nichts Konkretes in der Hand und doch ist die eigentümliche Stimmung, die über dem Hof hängt, beim Lesen ständig spübar. Sensiblen Gemütern würde ich die Lektüre dieses Buches nicht unbedingt in den Abend- oder Nachtstunden empfehlen, denn Theroin hat in diesem Buch Motive aus der in vielen Ländern bekannten Sage der "Geistermesse" verarbeitet.


    Der eigentliche Kriminalfall, denn es gibt auch diesem Buch einen, bleibt lange vage. Theorin legt keine falschen Fährten. Er legt gar keine Fährten. Und doch plätschert die Geschichte nicht vor sich hin, sondern nimmt langsam aber beständig an Fahrt auf um am Ende in einem fulminanten Showdown inmitten eines Nebelsturms, der die Insel einschließt und von der Zivilisation trennt, zu enden. Aber halt - hier endet nicht der Kriminalfall sondern der zweite Handlungsstrang, den Theorin mit in die Handlung um die Familie Westin eingeflochten hat, denn ganz nebenbei machen noch Einbrecher die Insel unsicher. Die eigentliche Lösung um den vermeintlichen Unglücksfall ist unspektakulär und endet eigentlich ziemlich offen. Aber das hat mich im Prinzip gar nicht gestört, denn auch Nebelsturm ist erst in zweiter Linie Krimi. Im erster Linie ist auch dieses Buch wieder tiefenpsychologische Studie von Menschen, deren Handlungen und den daraus resultierenden Folgen.


    Theroin malt mit seiner Art des Erzählens Bilder von Öland, in diesem Fall von Öland im Herbst und im Winter. Das ist so plastisch, dass man beim Lesen den Nebel sehen und fühlen kann, die Wellen am Strand rauschen hört und beim Lesen ganz melancholisch wird. Spätestens mit diesem zweiten Roman bin ich Theroin restlos verfallen. Ich bin auf die zwei noch folgenden Büchern wirklich gespannt und hoffe, dass er mich auch damit wieder in den Bann dieser fast schon unwirklich anmutenden Insel zieht.