Arnstadt in Thüringen ist im Herbst 1989 ein kleines verträumtes Kreisstädtchen mit kanpp 30.000 Einwohnern. 20 Km südlich von Erfurt gelegen nennt es sich das Tor zum Thüringer Wald. Bedeutende historische Ereignisse sind selten und lange her. Nennenswert ist lediglich der Zeitraum von 1703 - 1707, den ersten Amtsjahren von J. S. Bach, die er in Arnstadt verbrachte. Ein paar Schriftsteller, die bestenfalls Liebhaber kennen, werden im lokalen Geschichtsunterricht gelehrt: Marlitt, Bechstein.
Auch in den Jahren der DDR fiel Arnstadt nicht auf. Weder durch besondere Systemtreue noch durch besondere oppositionelle Aktivitäten.
Nur in dem kurzen Zeitraum zwischen Mitte September und Ende Oktober 1989 spielt Arnstadt eine besondere Rolle in den Ereignissen der friedlichen Revolution.
In Arnstadt fand die erste der friedlichen Demonstrationen des Herbstes 89 statt. In Arnstadt ließ die SED Gewalt gegen Demonstranten anwenden. In Arnstadt waren es einige wenige Menschen, die den Protest initiierten und keine oppositionelle Gruppe.
Diese Ereignisse dokumentiert und kommentiert der Journalist und Historiker Jan Schönfelder. Er stellt sie neben die großen und oft betrachteten Ereignisse aus Leipzig, Dresden und Berlin. Sein Verdienst ist es, diese Wochen vor dem Vergessen zu bewahren. Sein Verdienst ist es, den Blick auf die friedliche Revolution in der Provinz zu richten und damit auch - trotz der Arnstädter Besonderheiten - ein Stück weit exemplarisch aufzuzeigen, dass der friedliche Umsturz ein Ereignis der Fläche war und kein punktuelles Geschehen.
Schönfelder wertet akribisch jede verfügbare schriftliche Quelle aus und läßt den Leser am Erkenntnisprozeß teilhaben. Er schreibt dennoch journalistisch und gut lesbar. Es gelingt ihm hervorragend, das Wesentliche zu extrahieren.
Gleichzeitig ist seine Quellenauswahl auch ein Nachteil des Buches. Die Mehrzahl der schriftlichen Quellen sind offizielle Dokumente der Zeit - Protokolle, Aktennotizen, Pressebeiträge (der DDR Presse!) und die Aufzeichnungen des MfS. Letztere stellen den weitaus größten Anteil der Quellen dar. Dies bestimmt natürlich auch die Sicht des Autors. Sein Bestreben nach größtmöglicher Objektivität wird so in gewisser Weise konterkarriert, da die Stasi selbst Partei war und ist. Leider verzichtet Schönfelder ganz offensichtlich auf die Befragung von Zeitzeugen. Ihre Berichte und Erinnerungen hätten dem Buch oft wesentliche Ergänzungen bringen können und so das Bild runder und vollständiger erscheinen lassen zumal gerade in Oppositionskreisen häufig besonders brisante Dinge nicht notiert wurden, damit sie nicht durch die Stasi katalogisiert werden konnten. Außerdem hätte eine Zeitzeugenbefragung auch direkte Antworten auf gestellte Fragen ermöglichen können, die so als Spekulation offen bleiben.
Nichts desto trotz ist Schönfelders Bändchen ein sehr empfehlenswertes Buch für alle, die sich über die Ereignisse des Herbstes 1989 ein umfassendes Bild verschaffen wollen. Es stellt ein wichtiges Puzzleteil im Ganzen der historischen und publizistischen Aufarbeitung der friedlichen Revolution dar.
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