"Der Fänger im Roggen" von J. D. Salinger - Thread für Gedanken und Diskussionen

  • Ich lese "Der Fänger im Roggen" gerade zum dritten Mal, nachdem ich es Anfang 2009 und Ende 2009 / Anfang 2010 bereits gelesen habe.


    Beim ersten Lesen hatte Holden mich zeitweise etwas genervt, aber nicht so sehr - er war mir irgendwie sympathisch, und ich hatte nach dem Lesen das Gefühl, längst nicht alle Facetten dieses Buches mitgenomen zu haben.


    Beim zweiten Lesen war alles Genervte verschwunden, ich hatte durchgehend das Gefühl, Holden zu verstehen. Ich glaube, wir könnten gut miteinander diskutieren :grin - wir haben zwar häufig die gleichen Gedanken, aber oft sehen wir die Dinge auch komplett anders.


    Und in diesem Jahr ... ist das Lesen wieder anders. Er nervt mich zeitweise wieder sehr, so sehr, dass ich das Buch zur Seite lege. Ich finde es schrecklich, wie er sich an Kleinigkeiten so sehr aufhängen kann, dass ich versucht bin, ihn vor die Tür zu setzen, obwohl ich mich selbst ebenso hineinsteigern kann. Vielleicht ist es Zeit für eine längere Pause. Andererseits aber auch nicht, denn es gibt diese Stellen, an denen ich Holden immer noch verstehe, wir wieder Freunde sind - Stellen, an denen ich ihn einfach nur in die Arme nehmen und ihm sagen will, dass alles wieder gut wird. Er lässt sich auch beim dritten Mal Lesen viel zu viel gefallen, tut alles, was ihm nicht bekommt, und tritt von einem Fettnäpfchen ins nächste.


    Wen ich allerdings in diesem Jahr zum ersten Mal bewusst wahrnehme, wer mir plötzlich interessant erscheint, ist Jane, Holdens - ja, Jugendliebe? Ich habe sie vorher nie als so vordergründig empfunden. Ich bin gespannt, wie es sich weiter entwickelt.


    Jedenfalls kann ich sagen, dass "Der Fänger im Roggen" immer noch zu meinen Lieblingsbüchern gehört, und ich finde es fasziniernd, wie ich beim Lesen immer wieder etwas Neues entdecke, obwohl ich oft das Gefühl habe, das Buch in- und auswendig zu kennen.

  • Ich habe das Buch vor einigen Jahren im Original gelesen. Bei Gelegenheit werde ich es wirklich nochmal lesen. Einerseits hat es mir supergut gefallen aber andererseits... Vielleicht sieht eine 20jährige es anders.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Lesebiene, ich glaube ja schon, dass man "Der Fänger im Roggen" besonders dann lesen kann / sollte, wenn man die Pubertät gerade so hinter sich hat. Als Jugendliche hätte Holden mich vermutlich mehr genervt als heute, und irgendwie denke ich, dass es bei mir ab einem gewissen Alter mit dem Verständnis Holden gegenüber wieder aufhört, vielleicht, weil ich selbst dann viel reifere und gelassenere Ansichten entwickelt habe.


    Gestern Abend habe ich jedenfalls weiter gelesen, und ich finde es sehr schade, dass man Holdens Familie nicht näher kennen lernt. In diesem Jahr interessiert mich sein gesamtes Umfeld viel mehr als die Jahre davor - ich würde gerne mehr von seinem Bruder D. B. lesen, seinen Vater kennen lernen, überhaupt seine Eltern. Wie stehen sie zu ihrem Sohn? Zu seiner Vergangenheit, den häufigen Schulwechseln?


    Interessant finde ich Holdens Erklärungsversuche ... Wie oft fängt er an, etwas zu erklären, warum er etwas so sieht, wie er es eben sieht, verheddert sich in beinahe seitenlange Erklärungen und gibt schließlich auf, ohne dass man verstanden hat, was er meint ... So höre ich mich auch oft genug an. :rolleyes

  • Im Augenblick haben Holden und ich irgendwie miteinander zu kämpfen. Er nervt mich, allein der Gedanke, mich weiter mit ihm zu beschäftigen, ödet mich an. Ich bin mir nicht sicher, woran es liegt. Bin ich gelangweilt, weil ich das Buch bereits zum dritten Mal lese? Habe ich das Gefühl, dass es nichts Neues mehr für mich bereithält?


    Ich habe beschlossen, "Der Fänger im Roggen" nachher ins Regal zurückzustellen, wenn ich auch heute Abend keine Lust auf das Buch habe. Vielleicht brauchen Holden und ich tatsächlich eine längere Pause voneinander.


    Es hat etwas für mich Faszinierendes, wie ich dieses Buch lese - ich sehe Holden und mich an einem Tisch sitzen, wie er mir seine Geschichte erzählt, wie ich mit ihm diskutiere. Andere Bücher lese ich und stelle sie ins Regal, ihre Geschichten sind erzählt ... Nur zu Holden kehre ich regelmäßig zurück, beschäftige mich auch außerhalb des Buches mit ihm. Er bekommt heute Abend noch eine Chance von mir - und eigentlich möchte ich nicht abbrechen, denn ich habe die Befürchtung, dass uns dieser Zauber verloren geht.


    Und ich glaube, dass ich nachher weiter lesen werde, denn wenn ich das Buch wegstelle, ist es endgültig, für mindestens ein Jahr. Vorher werde ich es nicht mehr anrühren - und der Gedanke, mich quasi "im Streit" von Holden zu trennen, deprimiert mich beinahe. Also wagen wir den Versuch ...

  • So sehr ich diese Geschichte auch liebe (immer noch) - ich werde sie in diesem Jahr nicht an Weihnachten lesen. Teilweise habe ich mich doch sehr gequält und habe nun auch irgendwie den Eindruck, dass ich keine neuen Erkenntnisse mehr gewinnen, keine neuen Gedanken mehr entwickeln kann.


    Anders ist in diesem Jahr gewesen, dass ich mir viel mehr Gedanken über Holdens Seelenleben in Bezug auf Allie gemacht habe. Ich habe das Gefühl, dass Holden seinen Tod überhaupt nicht verarbeitet hat, ganz und gar nicht. So, wie er über Allie spricht, an ihn denkt ... Nebenbei, auch Allie hätte ich gerne näher kennen gelernt.


    Und Mr. Antolini ... Erstens ist er mir in diesem Jahr noch viel sympathischer geworden, zweites glaube ich nicht, dass sein Verhalten in der Nacht, als Holden bei ihm übernachten durfte, sexuell ausgerichtet war. Sondern vielleicht einfach nur das Bedürfnis eines (noch)-nicht-Vaters, dem "gefühlten" Sohn nahe zu sein, auf ihn aufzupassen.


    Die einzige Frage, die mir nun noch im Kopf herumschwirrt, die mir aber niemand beantworten kann - was fängt Holden nach seiner erzählten Geschichte an? Wo landet er, was macht er beruflich? Wird er heiraten - wen? Kinder bekommen? Ich kann mir irgendwie einfach nicht vorstellen, wie Holden sich weiter entwickelt.

  • Mich hat Holden ja auch ziemlich genervt, aber genauso interessant war halt auch die Art und Weise, wie er seine Geschichte erzählt.
    Ich bin mal gespannt, wie es nächstes Mal wird.


    Zitat

    Original von Iszlá
    Ich finde es schrecklich, wie er sich an Kleinigkeiten so sehr aufhängen kann, dass ich versucht bin, ihn vor die Tür zu setzen, obwohl ich mich selbst ebenso hineinsteigern kann.


    Na ja, ich sag mal so. Irgendwann braucht mal auch mal eine Pause von seinem "Spiegelbild". :zwinker Wenn du drei Jahre am Stück, immer zum gleichen Zeitpunkt, dich immer mit dem gleichen Typen triffst, der dir so ähnlich ist, dass ihr Zwillinge sein könntet, dann kommt das auf Dauer nicht gut. Vor allem wenn er sich immer wieder an den gleichen Dingen aufhängt. Und wenn du dich dann noch an ihn dranhängst ... :grin


    Jetzt ist nicht die Zeit, feste Entscheidungen zu treffen. Jetzt ist die Zeit, Fehler zu machen.


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  • Nach fast einem Jahr Abstand zu "Der Fänger im Roggen" frage ich mich, was mich dazu bewogen hat, diesem Buch fünf von sechs Sternen zu geben.
    Im Nachhinein muss ich feststellen, dass das Buch scheinbar so gar nicht mein Fall ist.
    Ja, Holden hat eine interessante Art und Weise zu erzählen, aber irgendwas ist da, das mir sagt: "Das Buch hat keine fünf Sterne verdient." Keine Ahnung, was das ist.
    Aber vielleicht - nein, eigentlich ganz bestimmt - werde ich "Der Fänger im Roggen" in den nächsten Jahren nochmal lesen, um genauer herauszufinden, was mir gut und was mir nicht gefallen hat. Aber vor Ende nächsten Jahres auf keinen Fall.


    Jetzt ist nicht die Zeit, feste Entscheidungen zu treffen. Jetzt ist die Zeit, Fehler zu machen.


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