Gott bewahre von John Niven

  • Kurzbeschreibung
    Hochmoralisch und explizit zugleich


    »Da kommt Gott – tut so, als wärt ihr beschäftigt.« Denn Gott ist stinksauer. Nachdem Er sich im Himmel eine einwöchige Auszeit für einen Angelurlaub gegönnt hat, kehrt Er nach etwa vierhundertfünfzig Jahren (ein Tag im Himmel entspricht siebenundfünfzig Erdenjahren) wieder zurück an Seinen Schreibtisch und muss mit ansehen, wie die Erde in der Zwischenzeit den Bach runtergegangen ist. Umweltsünden, Kriege, moralischer Verfall, kirchliche Hassprediger, skrupellose Kommerzialisierung – die Menschen sind auf dem besten Weg, sich selbst zu zerstören. Und so bleibt Gott nichts anderes übrig, als Seinen Sohn Jesus Christus, dem es im Himmel blendend geht und der mit Jimi Hendrix Gitarre spielt und Joints raucht, wieder auf die Erde zu schicken, um Gutes zu tun und das einzig wahre Gebot SEID LIEB zu predigen. Widerwillig landet Jesus in New York und versucht, zunächst erfolglos, als Sänger und Gitarrist in einer Rockband Gehör zu finden. Derweil schart er seine ersten Jünger um sich – Drogenabhängige, Gescheiterte, Obdachlose, denen er zu helfen versucht. Als seine Mission, die Massen zu erreichen, zu scheitern droht, greift er zum letzten Mittel: Er nimmt an einer Castingshow teil. Damit beginnt eine denkwürdige Odyssee quer durch Amerika.


    Über den Autor
    John Niven, geboren in Ayrshire im Südwesten Schottlands, spielte in den Achtzigern Gitarre bei der Indieband „The Wishing Stones“, studierte dann Englische Literatur in Glasgow und arbeitete schließlich in den Neunzigern als A&R-Manager einer Plattenfirma, bevor er sich 2002 dem Schreiben zuwandte. 2006 erschien sein erstes Buch, die halbfiktionale Novelle „Music from the big pink“ über Bob Dylan und „The Band“ in Woodstock; 2008 landete er mit dem Roman „Kill Your Friends“ – einer rabenschwarzen Satire auf die Musikindustrie – einen internationalen Bestseller. John Niven schreibt außerdem Drehbücher und arbeitet bereits an einem neuen Roman. Er lebt derzeit in Buckinghamshire, England.



    Meine Meinung:
    Gestern begonnen und heute schon fertig, ein Buch, das man kaum aus der Hand legen möchte, das einen in die Geschichte hineinsaugt und nicht mehr los läßt, genau darum geht es hier.


    Ja, es ist respektlos, ein bißchen schimpfwordlastig und der ziemlich exzessive Drogenkonsum war jetzt auch nicht unbedingt meins, aber es ist witzig, dabei kritisch und bösartig. Immer wieder huscht einem beim Lesen der Gedanke: "Genial auf den Punkt gebracht!" durch den Kopf. Und der Stil des Autors, von welchem ich vorher noch nie gehört hatte, ist einfach nur wirklich wirklich richtig gut.
    Speziell die Szenen im Himmel am Anfang und in der Endsequenz hatten es mir angetan, herrlich, wie Gott, bei Satan, dem kleinen Pisser anruft und mit ihm die Zahlen der erlangten Seelen abgleicht, genial, wie man das Chaos auf der Erde dem Angelurlaub von Gott in die Schuhe schieben kann. Ich habe herzlich gelacht und mehr als einmal ist mir dieses Lachen dann aber auch beim nächsten Satz im Halse stecken geblieben.


    Der Mittelteil verlor für mich ein wenig an Substanz und zog sich ein bißchen zu lang, war aber immer noch unheimlich gut und zeigte, mit welcher Beobachtungsgabe der Autor ausgestattet sein muß.


    Fazit: Eine absolute Leseempfehlung für alle jene, die es gerne auch mal ein bißchen sonderbar haben, für die nicht alles immer gänzlich logisch sein muß und die mit einem schönen fiesen schwarzen Humor gesegnet sind.


    Von mir alle Daumen hoch, die kleinen Längen in der Mitte kann man wirklich verschmerzen, weil der Rest einfach so gelungen ist!

  • Ich hab das Buch jetzt mehrmals in der Buchhandlung angesehen, aber auf Hardcover steh ich nicht so und 20€, da bin ich immer noch zu geizig. :lache Aber nach der Rezi von BJ bin ich ernsthaft am Überlegen. Ich glaube, ich muss das Buch haben. :rolleyes

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


    *Bestellungen bei Amazon bitte über Forumlinks (s. Eulen-Startseite) tätigen, um so das Forum zu unterstützen.*

  • Zitat

    Original von Gummibärchen
    Ich hab das Buch jetzt mehrmals in der Buchhandlung angesehen, aber auf Hardcover steh ich nicht so und 20€, da bin ich immer noch zu geizig. :lache Aber nach der Rezi von BJ bin ich ernsthaft am Überlegen. Ich glaube, ich muss das Buch haben. :rolleyes


    Was Bücher betrifft, bin ich auch ein kleiner Sparfuchs, der es sich zehnmal überlegt, ob er direkt bei der Hardcovervariante zuschlägt oder doch lieber wartet, bis die günstigere Taschenbuchausgabe in den Regalen steht. Aber bei diesem Buch lohnt es sich unbedingt, die knapp 20 Euro hinzublättern. Die Idee und deren Umsetzung sind super, der Schreibstil ebenfalls. Ein Buch, bestens geeignet, um vertraute Gefilde zu verlassen und mal etwas ganze Anderes zu lesen. Längen konnte ich übrigens nicht feststellen - auf den 400 Seiten trat nix auf, was ich als langweilig obder überflüssig empfunden habe. Kurz: Ein rund um gelungenes Buch. Nebenbei: Auch "Kill Your Frineds" und "Coma", die beiden ersten Romane des Autors, sind absolute Volltreffer!

  • Netter Versuch

    Nach 500 Erdenjahren, die einer Woche im Himmel entsprechen, kehrt Gott von einem Angelurlaub zurück und stellt fest, dass seine Schöpfung ziemlich aus den Fugen geraten ist. Kurzerhand wird der charismatische, blonde, blauäugige, musikalisch extrem talentierte Jesus wieder zu den Lebenden geschickt, um Satans inzwischen exzellente Bilanzen ein wenig gerade zu rücken. Vor allem aber soll mit den christlichen Mythen und ihren Auswüchsen aufgeräumt werden, zuvorderst mit den von Moses verfälschten Geboten, die eigentlich nur aus einem einzigen bestanden: Seid lieb.


    Jesus geht es lässig an, kifft gerne (Gott übrigens auch), mag Indie-Rock und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Er schart, einunddreißigjährig und in New York lebend, einige Randexistenzen um sich, hilft Obdachlosen, Junkies, Alkies, HIV-Infizierten, Prostituierten. Eigentlich arbeitet er mit seinen abgerissenen Kumpels auch an einem Album, aber der Messias kommt mit seinem Auftrag nicht so recht aus den Puschen. Da startet der Sender ABN die dritte Staffel der Castingshow "American Pop Star". Jesus, der sich JC nennt, nimmt am Casting teil, ohne je einen Hehl daraus zu machen, Gottes Sohn zu sein, und wird prompt nach L.A. eingeladen, um die Freak-Quote zu erfüllen. Das Erster-Klasse-Flugticket wird zu Bargeld gemacht, die Truppe kauft sich einen alten Greyhound-Bus und macht sich auf den Weg, sammelt noch hier und da ein paar Loser ein, um schließlich die Suite im Beverly-Hills-Nobelhotel in eine Art Hippiecamp umzuwandeln.


    Steven Stelfox heißt der selbstverliebte, geldgeile, unermüdlich Popballaden produzierende, im Wortsinn asoziale Juryvorsitzende und APS-Rechteinhaber, der während der folgenden Wochen mit ansehen muss, wie seine vorhersehbare, nihilistische Konsumterrorshow von JC ausgehebelt und als Plattform genutzt wird. Im Halbfinale, das der Gottessohn praktisch mit links erreicht, kommt es zum Eklat, aber Jesus hat inzwischen so viele Menschen von sich überzeugt, dass es unmöglich scheint, ihn einfach aus der Show zu werfen ...


    Wer die ersten beiden Romane von Niven kennt, wird von der brachialen Dialogsprache nicht überrascht werden. Vor allem, wenn es um Christen - vorzugsweise Katholiken - und ihre Repräsentanten in Rom geht, zieht JC mächtig vom Leder, denn mit "Seid lieb" hat das, was die kleingeistigen Kirchenleute und ihre Anhänger so fabrizieren, nicht mehr allzu viel zu tun. Das gipfelt darin, dass der Heiland vor Millionen Zuschauern erklärt, der Papst müsste eigentlich im Knast sitzen - und nicht in Goldbrokat gewandet auf einem Nobelstuhl in seinem Palast im Vatikan.


    Damit hat es sich aber auch schon. Wer ein Skandalbuch erwartet, das mal eben so alle Mythen aushöhlt, wird enttäuscht werden. Es gibt einen hübschen Dialog, als JC mit einem Pastor schwätzt, der wiederum für sich und seine Religion "Respekt" einfordert. "Respektieren?", fragt Jesus erstaunt zurück. "Warum soll ich deine blöde Scheiße respektieren?" Recht hat er, aber leider versandet die Religionskritik auf dieser Ebene, bewegt sich argumentativ auf einem Niveau, das zumindest Menschen, die sich ein wenig mit dem Sujet auseinandergesetzt haben, eher zu einem etwas müden Lächeln bewegen dürfte.
    Niven hat sich insgesamt etwas verhoben mit der Thematik, aber auf sympathische Weise - "Gott bewahre" ist ein sehr lesbarer, vergnünglicher, spannender Roman, unterm Strich extrem lebensbejahend, häufig sehr klug, manchmal erschütternd unlogisch (so kann man kaum ernsthaft behaupten, dass es in den 1.500 Jahren vor Gottes Angelausflug deutlich besser lief), aber es ist kein Rundumschlag gegen den religiösen Wahnsinn, zumal Niven auch noch einige Nebenkriegsschauplätze eröffnet, etwa die unfassbare Konsumorientierung vorzugsweise der Amerikaner, das schmierige Musikbusiness, die fortwährende Intelligenzbeleidigung, die sich da "Fernsehen" schimpft - und noch einiges mehr. Das macht, um nicht falsch verstanden zu werden, wirklich großen Spaß, wobei aus meiner Sicht der vierte Teil des Buches, in dem JC "American Pop Star" energisch durcheinanderwirbelt, das meiste Vergnügen bereitet. "Gott bewahre" ist natürlich ein kirchen- und religionsfeindliches Buch, aber in der Hauptsache ein Manifest gegen den Mainstream. Besonders amüsant wird es, wenn versucht wird, Jesus unter Druck zu setzen, der mit seiner unerschütterlichen, fröhlich-freundlichen Lässigkeit gegen derlei vollständig gefeit ist.


    Fazit: Netter Versuch, meistens sehr unterhaltsam, mäßig provokant, hin und wieder recht vorhersehbar und schwarz-weiß-zeichnend, und das Ende ... na ja. Ein lustiger Seitenfresser, aber unterm Strich Religionskritik light, die sogar Christen, die etwas entspannter mit ihrem Glauben umgehen, nicht allzu sehr vor den Kopf stoßen dürfte. Interessant allerdings wäre die Reaktion auf eine islamkritische Fassung des Buches.


    Edit: Eulenwertung 7/10.

  • Anmerkung:


    "Gott bewahre" ist im Prinzip ein christliches Buch. Es wird zwar mit allem aufgeräumt, was die Protagonisten dieses Glaubens in den vergangenen Jahrhunderten aus der Idee gemacht haben, aber die Grundfesten - Gott, Jesus, Bibel, sogar Petrus und Konsorten - bleiben letztlich weitgehend unangetastet. Nachdem ich in einigen Interviews gelesen hatte, dass Niven nach der Lektüre von Dawkins, Onfray, Hitchens & Co. auf die Idee für diesen Roman gekommen sei, hatte ich etwas anderes erwartet. Unterm Strich ist es also eine fröhliche und anarchistische, belletristische Kritik am Wie, nicht aber am Was. Das ändert aber nichts daran, dass das Buch vergleichsweise frech, ziemlich rasant und meistens sehr unterhaltsam ist. Ich bin nicht enttäuscht - nur das Marketing ist, wie so oft, eine Mogelpackung. Die Vorgänger "Kill Your Friends" und "Coma" fand ich allerdings deutlich besser.

  • Ich habe das Buch vor Kurzem gelesen und fand es großartig!
    Witzig geschrieben und doch zum Teil sehr nachdenklich, wenn mich auch diese American Popstar-Sache zum Teil etwas genervt hat. Auf der anderen Seite muss man schon sagen, dass hier die Gesellschaftskrititk auf eine wunderbar amüsante Art und Weise verpackt wurde und ich Jesus in dem Buch so richtig cool fand.
    Ich habe mich schon bei den ersten paar Seiten schlappgelacht und war dann etwas enttäuscht, als es nicht mehr so derb zuging, aber ich wurde positiv überrascht, denn auch die späteren Geschehnisse hatten ihren Reiz. Die Story hat zwar zum Schluss etwas nachgelassen, aber der Ausgang von Jesus "zweitem" Dasein auf der Erde war dann doch sehr interessant, wenn auch nicht groß überraschend.


    Alles in allem ein amüsantes, aber auch zum Nachdenken anregendes Buch, das sich sehr gut lesen lässt und gut unterhält.
    9 von 10 Punkten.


    Edit: Verdammt lustig fand ich ja die Verfälschung des einzig wahren Gebotes durch Moses. :rofl

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


    *Bestellungen bei Amazon bitte über Forumlinks (s. Eulen-Startseite) tätigen, um so das Forum zu unterstützen.*

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Gummibärchen ()

  • Ich fand das Buch amüsant, musste mich zu Beginn aber erst mal an die doch sehr derbe Sprache gewöhnen. Damit hatte ich es nicht so. Ansonsten eine lustige Lektüre, in der die Kritik an gewissen Dingen toll verpackt ist. Wenn ich ein Casting im TV sehe, muss ich immer daran denken ;-) Das Ende fand ich auch gut gelöst.


    Insgesamt eine unterhaltsame Lektüre.

  • Zitat

    Original von wirbelwind
    Das Ende fand ich auch gut gelöst.


    Insgesamt eine unterhaltsame Lektüre.


    Das Ende fand ich schon irgendwie sehr nachdenklich. "Amüsant" fand ich

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


    *Bestellungen bei Amazon bitte über Forumlinks (s. Eulen-Startseite) tätigen, um so das Forum zu unterstützen.*

  • Zitat

    Original von Tom
    Netter Versuch, meistens sehr unterhaltsam, mäßig provokant, hin und wieder recht vorhersehbar und schwarz-weiß-zeichnend, und das Ende ... na ja. Ein lustiger Seitenfresser, aber unterm Strich Religionskritik light, die sogar Christen, die etwas entspannter mit ihrem Glauben umgehen, nicht allzu sehr vor den Kopf stoßen dürfte. Interessant allerdings wäre die Reaktion auf eine islamkritische Fassung des Buches.


    :write


    Gummibärchens Spoilerstelle war auch eines meiner Highlights der Story.
    Ansonsten: Idee gut, aber für meinen Geschmack arg in die Länge gezogen, weshalb ich phasenweise nur noch querlas, um zu sehen, wie es ausging und warum es so ausging.


    Sorry für Tippfehler-Edits!


    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von maikaefer ()

  • Ich habe das Buch innerhalb von zwei Tagen gelesen. Es lässt sich flüssig lesen und auch der ein oder andere Lacher ist mit dabei :-)
    Die ersten Seiten haben mir richtig gut gefallen aber nachdem Jesus dann auf die Erde zurück gekehrt ist, gab es einige Stellen, die ziemlich in die Länge gezogen wurden und deswegen habe ich immer mal wieder ein paar Seiten quergelesen.


    Nichtsdestotrotz gibts gute 7 Punkte von mir!

  • John Niven: Gott bewahre, OT: The Second Coming, aus dem Englischen von Stephan Glietsch und Jörn Ingwersen, München 2014, Wilhelm Heyne Verlag, ISBN 978-3-453-67633-6, Softcover, 400 Seiten, Format: 11,8 x 3,5 x 18,8 cm, Buch: EUR 9,99, Kindle Edition: EUR 8,99, Audio-CD: EUR 19,99.


    „... Christen gegen Schwule, Christen gegen Abtreibung, Christen gegen Sozialismus, Christen für Schusswaffen, Christen für Atomwaffen. Ich meine, das denke ich mir doch nicht aus! Was ist mit eurem Gemeinschaftssinn passiert? Begreift ihr es nicht? SEID SCHEISSE NOCHMAL LIEB ZUEINANDER!“ (Seite 278)


    Wer als Kind mit irgendeiner Form von religiöser Erziehung konfrontiert wurde, dürfte sich irgendwann gefragt haben, ob Gott überhaupt verfolgt, was hier auf der Welt passiert. Und was Jesus, so er denn eine historische Person war, von dem halten würde, was alles in seinem Namen gesagt und getan wird.


    Autor John Niven hat sich diese Fragen offenbar auch gestellt – und eine abgefahrene Geschichte daraus entwickelt. Der Himmel ist in seiner Vorstellung eine Art Familienbetrieb, Gott, der Chef, eine coole Socke: ein attraktiver Herr, der ausschaut wie Sky Dumont (wen auch immer Niven bei seiner Beschreibung tatsächlich vor Augen gehabt hat), ab und zu mal einen Joint raucht und über einen erstaunlich deftigen Wortschatz verfügt. Sein Sohn macht ihm Sorgen: Der Kerl wird einfach nicht erwachsen. Er singt, spielt Gitarre und hängt dauernd mit Musikern wie Jimi Hendrix herum.


    Gott macht Ferien und das Chaos tobt
    Weil auch Gott mal Ferien braucht, packt seinen Kram und fährt für eine Woche zum Fischen. Die Verantwortung überlässt er während dieser Zeit Jesus. Was kann in einer Woche schon anbrennen? Im Himmel nichts. Aber in einer Woche Himmelszeit vergehen auf der Erde immerhin rund 400 Jahre. Weil Jesus sich erwartungsgemäß um rein gar nichts kümmert, geht’s dort bald fürchterlich rund.


    Bei Gottes Abreise hat man bei uns hier unten das Jahr 1609 geschrieben. Als er gut gelaunt mit einem Bündel Forellen wieder zurückkommt, sind wir im 21. Jahrhundert angelangt. Während er nachliest, was während seines Urlaubs alles passiert ist, kriegt er die Krise: „Auschwitz, Buchenwald, Bergen-Belsen, Guantanamo, Belfast, Kambodscha, Vietnam, Flandern, Ypern, Nagasaki, Hiroshima, Ruanda, Bosnien ...“ (Seite 20) Auf einmal gibt’s Kapitalismus und Kommunismus, nukleare Abschreckung, ein Gleichgewicht des Schreckens, Abtreibungsgegner und Nulltoleranz, hochverzinsliche Risikoanleihen, Immobilienblasen, Fatwa und Jihad ... Was, zum Geier, ist nur aus dem einzig wahren Gebot geworden: „Seid lieb?“


    Satan in den Kellergeschossen – der ein wenig Danny DeVito ähnelt - triumphiert. Seine Geschäfte laufen glänzend.


    Neuer Einsatz für JC
    Den Herrn packt die Wut. Was für ein Sauladen! Soll er das Projekt Erde jetzt in die Tonne klopfen und anderswo noch einmal neu beginnen? Allerdings hat er schon eine Menge Zeit und Arbeit in ihre Entwicklung gesteckt. Na ja, vielleicht sollte er den Menschen doch noch eine Chance geben. Aber so kann er sie dort unten nicht weiterwursten lassen. Jemand muss sie auf Kurs bringen, sie führen, inspirieren und ihnen helfen. Die Auswahl ist da nicht groß. Und weil Gott auch der Herr über die Zeit ist, lässt er Jesus im Dezember 1979 als Sohn einer ahnungslosen Jungfrau im amerikanischen Mittelwesten auf die Welt kommen.


    32 Jahre später haust der talentierte aber erfolglose Gitarrist und Sänger JC mit zwei Musiker-Kumpels in einer winzigen Bruchbude in New York und gilt als spinnerter Gutmensch. Was ja auch kein Wunder ist: Er nennt sich Jesus Christ, ist von einer unfassbaren Unschuld, Güte und Gelassenheit und kümmert sich hingebungsvoll um gescheiterte Existenzen wie Junkies, Obdachlose und Alkoholiker.


    Jesus Christ – American Pop Star?
    So richtig Bewegung kommt in sein Leben, als seine Musikerfreunde ihn dazu überreden, beim Casting der Fernsehsendung „American Pop Star“ mitzumachen. Dort erkennt man sein Talent und seinen publikumswirksamen Freak-Faktor und winkt ihn durch. Doch die Show selbst findet in Los Angeles statt. Weil er seine hilfsbedürftigen Freunde nicht alleine lassen will, kommen sie einfach alle mit. Mit einem ausrangierten und notdürftig umgerüsteten Greyhound-Bus fahren sie nach LA.


    Weil ihnen schon kurz vor Indianapolis die gesamte Reisekasse abhanden kommt, dauert die Fahrt eben ein bisschen länger. Sie müssen ja immer wieder „Arbeitsstops“ einlegen, um sich das Benzin- und Essensgeld zu verdienen.


    Irgendwann kommen sie schließlich in LA an. Auch wenn Jesus sich an keine Regeln hält und alles repräsentiert, was Steven Stelfox, der zynische Juror von „American Pop Star“ von Herzen hasst, rockt er die Show. Das Publikum liebt ihn, die Einschaltquoten gehen durch die Decke. Nur gewinnen wollen die Verantwortlichen ihn nicht lassen. (Es hat ja nicht im Ernst einer geglaubt, dass wirklich die Zuschauer über den Sieger einer solchen Show entscheiden, oder?)


    Friedliche Spinner
    Hier hat die Geschichte ein paar Längen, vor allem für Leser, die sich mit solchen Castingsshows nicht auskennen. Na ja, auf jeden Fall bleiben von diesem Abenteuer genügend Dollars übrig, damit JC für sich und seine Getreuen in Texas eine Farm kaufen kann. Dort bauen sie Gemüse an ... Gras auch ..., jagen und fischen und gewinnen Strom aus ihren eigenen Windrädern. Immer mehr Menschen schließen sich ihnen an. Zum Schluss leben an die 100 Leute auf dem Gelände, in Hütten und in Zelten. Eine friedliche Gemeinschaft. Wer sich unfriedlich aufführt, fliegt raus. Waffen, zum Beispiel, – abgesehen von den zentral gelagerten Jagdgewehren - , duldet JC nicht.


    Aber wie schon Friedrich Schiller wusste: "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt." Ein geifernder Radioprediger und ein lokaler Pastor sehen in JC und seiner „Kommune“ eine Gefahr. Blasphemie, Sekten-Unwesen, Kindesmissbrauch, Drogen, Waffen, Terrorismus ... ellenlang ist die Liste ihrer Vorwürfe. War eigentlich klar, dass sie sich weigern würden, an ihn zu glauben. Schließlich nimmt er ihnen die Deutungshoheit über das Christentum. Und der arme Dorfsheriff Ike, der JCs Leute nur für harmlose Spinner hält, sieht sich plötzlich in die Rolle des Pontius Pilatus gedrängt.


    Die Maschinerie läuft an. Und es wird das ganz große Besteck aufgefahren: Das FBI, die Drogenbehörde DEA, das BATF (Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives, eine Regierungsbehörde), sie alle hängen sich rein. Zum guten Schluss stürmt eine schwer bewaffnete Hundertschaft das Farmgelände und die Razzia läuft grandios aus dem Ruder. Sieht irgendwie nicht so aus, als hätte die Menschheit in den vergangenen 2000 Jahren viel dazugelernt. Aber an dieser Stelle ist die Geschichte ja noch nicht zu Ende.


    Christen? Das seid ihr nicht!
    Das Buch ist nicht so leicht einzuordnen. Da macht sich jemand Gedanken über Gott, den Glauben und die Religionen, über die Gesellschaft, die Menschheit und den Tod – und heraus kommt das kreischkomische Abenteuer eines naiven Musikers und einer Gruppe von Verlierern. Die Geschichte hat aber durchaus auch ihre berührenden Momente. In vielem ist man geneigt, dem Jesus aus der Geschichte zuzustimmen. Wenn irgendwelche Fundamentalisten ihre intolerante Weltsicht damit begründen, dass sie ja Christen seien, widerspricht er. Nein, genau das seien sie nicht. Und er verwahrt sich dagegen, dass sie fortwährend Gottes Willen interpretieren, weil sie damit in den allermeisten Fällen grundfalsch liegen. Jesus weiß schließlich am besten, was sein Dad denkt und will.
    Das Erschreckende an diesen Szenen ist, dass der Autor die überdrehten Fanatiker gar nicht erfinden musste. Die rennen zuhauf frei herum.


    Wie gesagt: Der Autor war selbst Musiker, und deswegen geht’s in dem Castingshow-Teil ein bisschen mit ihm durch. Da hätte man die Story vielleicht ein wenig straffen können. Das hat ja mit Jesus’ Auftrag nur bedingt zu tun. Und: Müssen die alle so extrem unflätig daherreden? Ständig? Ich bin ja durchaus ein Freund deutlicher Worte, aber das war mir doch zu viel.


    Davon abgesehen fand ich die Geschichte faszinierend. Ich konnte nicht aufhören zu lesen, weil ich unbedingt wissen wollte, ob es für Jesus diesmal besser ausgeht als beim ersten Mal. Und seine Zusammenstöße mit manchen Ausläufern des Christentums sind sehr überzeugend.


    Der Autor
    John Niven, geboren im Südwesten Schottlands, spielte in den Achtzigern Gitarre bei der Indieband "The Wishing Stones", studierte dann Englische Literatur in Glasgow und arbeitete schließlich in den Neunzigern als A&R-Manager einer Plattenfirma, bevor er sich 2002 dem Schreiben zuwandte. Neben Romanen schreibt John Niven Drehbücher. Er lebt derzeit in Buckinghamshire, England.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von Vandam ()

  • Titel: Gott bewahre
    OT: The Second Coming
    Autor: John Niven
    Übersetzt aus dem Englischen von: Stephan Glietsch und Jörn Ingwersen
    Verlag: Heyne
    Erschienen: November 2012
    Seitenzahl: 400
    ISBN-10: 3453676335
    ISBN-13: 978-3453676336
    Preis: 9.99 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Kaum hat Gott sich im Himmel eine kleine Auszeit gegönnt und seinem Sohn Jesus Christus die Geschäftsführung überlassen, schon herrscht auf Erden das nackte Chaos. Bürgerkriege, Umweltsünden, Armut, Hassprediger, tödliche Krankheiten, moralischer Verfall und gnadenloser Kommerz, so weit das Auge reicht. Was wurde aus der Menschenliebe und dem einzig wahren Gebot: "SEID LIEB"? Gott denkt nach und findet nur eine Lösung - sein Sohn Jesus muss erneut auf die Erde zurückkehren, um Gutes zu tun. Doch werden die Menschen auf JC hören?


    Der Autor:
    John Niven, geb. in Ayrshire im Südwesten Schottlands, spielte in den Achtzigern Gitarre bei der Indieband 'The Wishing Stones', studierte dann Englische Literatur in Glasgow und arbeitete schließlich in den Neunzigern als A&R-Manager einer Plattenfirma, bevor er sich 2002 dem Schreiben zuwandte. 2006 erschien sein erstes Buch, eine halbfiktionale Novelle. John Niven schreibt außerdem Drehbücher und Romane. Er lebt derzeit in Buckinghamshire, England.


    Meine Meinung:
    Eine großartige Satire. Ein wunderbarer Roman. Und man sollte keine falschen Schlüsse ziehen: Selbst die gesammelte Intelligenz aller praktizierenden Blasphemisten (okay – da kommt natürlich nicht sehr viel Intelligenz zusammen) wird nicht einmal ansatzweise ausreichen, das diese Flachdenker den Sinn dieses Buches auch nur annähernd erfassen, geschweige denn ihn verstehen.
    David Niven hält unserer Gesellschaft den Spiegel vor – das macht er auch Art und Weise die nicht verletzt, die aber punktgenau trifft.
    Aber wahrscheinlich werden sich die Dummnickel und Vollpfosten, die es eigentlich angeht, sich in diesem Buch nicht wiedererkennen – dem steht nämlich die eigene Dummheit und Blasiertheit im Weg.
    John Niven ist ohne Frage ein Meister seines Fachs. Ein vielschichtiger und unglaublich facettenreicher Autor. Ein Autor der schreiben kann, der erzählen kann und der nicht in Klamauk und Albernheiten abdriftet.
    Ein sehr lesenswertes Buch.
    Am Rande wurde übrigens auch eine der wichtigsten Fragen der Menschheit beantwortet: Ja, was immer schon vermutet wurde, kann jetzt als Tatsache angesehen werden; im Himmel wird fleißig gejammt.
    Gut, dass das jetzt auch geklärt ist.
    Für dieses Buch gibt es 9 Eulenpunkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.