Fluchthelfer: Die Gruppe um Wolfgang Fuchs, Klaus-M. von Keussler, Peter Schulenburg

  • Ich finde eine Einteilung dieses Buches in die Rubrik "reine Sachbücher" schwierig. Sicher handelt es von Dingen, die - leider - auch so geschehen sind. Und sicher ist die Erzählweise der beiden Autoren, beide damals selber beteiligt, berichtend und faktenreich. Beeindruckend auch der große Anteil an "Sachmaterial", wie Fotos und Augenzeugenberichten. Dennoch ist die Absicht, die hinter diesem Buch steckt, für mich spürbar eine andere gewesen als bloße Information. Dieses Buch ist Chronik, Tagebuch und Denkmal zugleich. Ein Stück deutscher Geschichte, das aber vor allem eine Person in den Mittelpunkt stellt: den Mann, der damals die Fäden in der Hand hielt, der organisierte und Helfer um sich sammelte: Wolfgang Fuchs.


    Beide Autoren, sowohl Herr von Keussler als auch Herr Schulenburg, waren damals, Anfang der 60er jahre, Studenten in Berlin. Ihre Welt wird vom plötzlichen Mauerbau erschüttert und entzwei gerissen. Das Buch berichtet sehr lebendig von der damaligen Stimmung unter den Studenten, von Aufruhr und Widerstand. Und es berichtet davon, wie gewisse Verbindungen zustande kamen. Immer um zahlreiche Ecken herum entstehen Kontakte. Durch einen gemeinsamen Bekannten im Wohnheim kommt zuerst Herr von Keussler in Kontakt mit Wolfgang Fuchs aus Jena, der mittlerweile in den Westen geflüchtet ist und nun Helfer sucht, um seine Verlobte und ihre zwei gemeinsamen Kinder nachzuholen.


    Was als punktuelle und rein private Aktion begann, entwickelt sich ziemlich rasch zu einer umfassenden und politisch motivierten Tätigkeit. Der findige Wolfgang Fuchs, der ein ziemlicher Draufgänger gewesen zu sein scheint, erkennt bald, dass noch viel mehr Menschen in der DDR Hilfe benötigen und verdienen, um den dortigen Umständen zu entfliehen. Es beginnt mit Leitern an der Mauer, und endet schließlich mit aufwändig geplanten und in monatelanger, strapaziöser Arbeit gegrabenen Tunneln. Der Leser begleitet diesen stetig wachsenden, idealistischen Trupp junger Männer durch alle Phasen der Planung, der Durchführung und der schließlich stattfindenden Flucht. Trotz des berichtenden Stils steigert sich die Spannung im Buch immer mehr, bis hin zum tragischen Ende der Aktion um den "Tunnel 57". Mit dem ersten Todesopfer, einem DDR-Soldaten, scheint die Truppe ihre Aktivitäten eingestellt zu haben.


    Doch damit endet das Buch nicht. In zwei abschließenden Kapiteln werden noch die Verschleierungs- und Vertuschungstaktiken der Stasi, sowie eine Inhaftierung (Schulenburg) geschildert. Man erhält als Leser so ein abgerundetes Bild, das auch die "real existierenden" Risiken für die Fluchthelfer nicht unterschlägt. Und vor allem lernt man, wie viel der Idealismus einer einzelnen Person, in diesem Falle Wolfgang Fuchs, bewirken kann! Sicher war er keine reine Lichtgestalt - dafür ist z.B. die Finanzlage der Gruppe immer viel zu undurchsichtig geblieben. Aber er war ein tatkräftiger Mensch, und vor allem ein lebenslanger Freund. Vermutlich erst nach seinem Tod im Jahre 2001 beginnen seine Freunde von Keussler und Schulenburg damit, ihm dieses literarische Denkmal zu errichten.


    Obwohl diese Rezension, wie mir durchaus bewusst ist, inhaltlich recht ausführlich ist, möchte ich dennoch jedem eindringlich die Lektüre ans Herz legen. Denn es gibt Dinge, die kann man als Unbeteiligter gar nicht wiedergeben, weil man kein Recht dazu hat. Vor allem ist es mir unmöglich, auch nur annähernd die Gefahren und die Dramatik zu schildern, die damals hinter jeder Ecke lauerten! Wie kann ich mir auch nur anmaßen, "zu verstehen" - ich, die ich noch niemals in einer wirklich existenziell bedrohlichen Lage steckte, die noch nie für ihre Grundrechte kämpfen musste! Dieses Buch hat mir eindrücklich vor Augen geführt, dass diese Periode der deutschen Geschichte niemals "vorbei sein" darf.