Marie Hermanson: Himmelstal

  • Marie Hermanson: Himmelstal
    Insel Verlag 2012. 427 Seiten
    ISBN-13: 978-3458175308. 14,99€
    Übersetzerin: Regine Elsässer


    Verlagstext:
    Himmelstal, idyllisch in den Schweizer Alpen gelegen, ist das Paradies auf Erden. Hier können sich reiche Patienten von ihrem Burnout-Syndrom erholen. Sie verbringen ihre Tage am Pool, genießen die frische Luft und die Aussicht auf die Berge. Als Daniel seinen Zwillingsbruder Max in der Kurklinik besucht, ist er von der »Zauberberg«-Atmosphäre so angetan, daß er beschließt, noch ein paar Tage länger zu bleiben. Max will in dieser Zeit ein paar Geschäfte in Italien erledigen und bittet seinen Bruder, ihn zu »vertreten«. Aber in dem malerischen Alpental ist nichts, wie es scheint, und für Daniel beginnt ein gefährliches Verwechslungsspiel. In ihrem atemberaubenden Psychothriller entwirft Marie Hermanson eine Welt, in der Gut und Böse nicht mehr zu unterscheiden sind.


    Die Autorin:
    Marie Hermanson, 1956 geboren, hat etliche Jahre ihres Lebens als Journalistin gearbeitet. Sie debütiert mit einer Sammlung von Erzählungen, die, so ein Kritiker in Schweden, Zeichen sind "einer großen, sich entwickelnden Autorin, welche die altnordische Saga mit den besten Exempeln angloamerikanischer Fantasy und Science Fiction zu vereinen versteht und deren Wurzeln bis hin zu Poe reichen." Diesem Debüt folgen die Romane Schneewittchen (1990) Die Zwillingsschwestern (1993) sowie Die Schmetterlingsfrau (1995), Romane "über den alltäglichen Horror in unserer eigenartigen Zeit". Ihr Roman Muschelstrand erschien 1998. Die Autorin lebt in Göteborg.


    Inhalt:
    Ob Marie Hermanson sich auf den Zauberberg-Effekt verlassen hat? Ihr Ich-Erzähler reist aus Schweden in die Schweiz, um seinen Bruder in einer psychiatrischen Klinik zu besuchen. Leider nimmt der junge Mann während der dreistündigen Autofahrt von Zürich nach Himmelstal kaum etwas von seiner Umgebung wahr und die Aussicht "entspricht dem, was ein Tourist in den Alpen erwartet." (S. 28) Aha. Der Beginn des Buches, das als atemberaubender Psychothriller beworben wird, wirkte auf mich zunächst lahm. "Hübsche kleine Häuser" gibt es in Schweden sicher auch. Max und Daniel sind eineiige Zwillinge, die seit ihrer frühen Kindheit getrennt bei Vater und Mutter aufwuchsen. Daniel war ursprünglich Dolmetscher am Europaparlament und wechselte seinen Beruf, weil ihn das Gefühl beim Dolmetschen deprimierte, seine Worte gehörten immer anderen Menschen. Die bei ihm diagnostizierte Depression betrachtet er selbst eher als Erkenntnisschock über sein Leben. Nun ist Max, wie er behauptet, in der Schweiz wegen seines Erschöpfungszustands in Behandlung und wünscht sich dringend einen Besuch seines Bruders. Daniel weiß es besser, sein Bruder leidet an einer bipolaren Persönlichkeits-Störung, früher hätte man ihn als manisch-depressiv bezeichnet. Wenn Max eine überschäumende Phase hat wie zur Zeit, vermag kaum jemand, seinen Plänen etwas entgegenzusetzen. Symptom seiner Krankheit ist auch die mangelnde Krankheitseinsicht. Max hält sich für völlig gesund und sieht nur schwer ein, warum er Medikamente nehmen soll. Er überredet seinen Bruder Daniel zu einem raffinierten Kostümwechsel, weil er angeblich außerhalb der Klinik etwas Wichtiges zu erledigen hat - und verschwindet als Daniel mit dessen Pass und dessen Handy. Als Max nach Tagen noch nicht wieder in die Klinik zurückgekehrt ist, stößt Daniel in Himmelstal auf eine unsichtbare Wand, als er dem Personal verdeutlichen will, dass er nicht Max ist. Für einen Psychothriller ist dies eine aparte Ausgangssituation: wenn ein Bruder eine dissoziative Störung hat, dann vielleicht auch der andere? Kann Daniel die Situation evtl. falsch beurteilt haben und Max ist gesund? Ist Dr. Obermann wirklich Psychiaterin oder sind die Ärzte in dieser Einrichtung die Verrückten? Was ist mit den Dorfbewohnern, die ebenso abgeriegelt leben wie die Patienten der Klinik - sind sie auch psychisch krank? Daniel fühlt sich wie in einem neuropsychiatrischen Guantanamo - wer einmal drin ist, hat drin zu bleiben, selbst wenn er tatsächlich nicht psychisch krank ist.


    Fazit:
    "Himmelstal" entwickelt seine Wirkung durch die Fortschreibung des Gedankens, wie und wo ein Staat nicht therapierbare psychisch kranke Gewalttäter unterbringt, um die Gesellschaft vor ihnen zu schützen. Die streng abgeriegelte Klinik im düsteren Gebirgstal wird bei Marie Hermanson zu einer Nachfolgerin historischer Leprakolonien mit Safari-Tourismus für Forscher aus aller Welt. Das Verwirrspiel um Daniels Erlebnisse in den Schweizer Alpen fand ich weder ungewöhnlich fesselnd noch besonders gruselig. Dennoch gelang es Marie Hermanson, mich mit subtilen Hinweisen ähnlich den Dornenranken bei Dornröschen zu umgarnen und festzuhalten. Ich wollte wissen, ob Daniel mich als Leser evtl. manipuliert und ob in Himmelstal vielleicht doch die Psychiater die Kranken sein könnten. Stilistisch hätte der Roman etwas mehr Glanz vertragen.


    8 von 10 Punkten

  • Himmelstal liegt in einem engen Tal der Schweizer Alpen und stellt sich zunächst als ein Kurklinikum dar, in dem sich seine Gäste von Stress und Arbeit erholen können. Max ist solch ein Gast. Da er in Italien dringende Geschäfte erledigen muss, bittet er seinen Zwillingsbruder Daniel, kurzzeitig seine Rolle im Klinikalltag zu übernehmen. Doch Max kehrt nicht zurück, und nicht nur für Daniel scheint es kein Entrinnen aus diesem eigenartigen Sanatorium und der beklemmenden Gegend zu geben.


    Hätte ich nach der Leseprobe zu „Himmelstal“ von Marie Hermanson geahnt, welche Richtung das Geschehen einschlägt, hätte ich den Roman, der als Psychothriller angepriesen wird, sicherlich nicht gelesen.
    Die Geschichte startet noch ganz vielversprechend. In einem simplen Sprach- und Erzählstil versteht es die Autorin durchaus, die Charakteren von Max und Daniel detailliert zu beschreiben und die bedrohliche Atmosphäre im Tal, im Dorf und in der Klinik authentisch zu vermitteln. Doch leider wird Max durch sein Verschwinden zwangsläufig zur Randfigur, und Daniel entwickelt sich zunehmend zu einem naiven und unbeholfenen Mann, dessen Verhaltensweisen mich im Verlauf immer mehr nervten.
    Die Handlung an sich kommt nur langsam in Fahrt. Dass in dem seltsamen Tal und in der mysteriösen Klinik etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, spürt der Leser zweifelsohne sofort. Nur was dem Leser dann vorgesetzt wird, ist gespickt mit logischen Fehlern, wirkt unglaubwürdig und abstrus und gleitet schließlich vollkommen ins Utopische ab. Am Schluss werden mögliche Ungereimtheiten in einem übertriebenen Tempo zu einer in meinen Augen unbefriedigenden Auflösung geradezu konstruiert, wobei wirkliche Überraschungen nicht geboten werden.


    Sämtliche Versuche von Marie Hermanson, ihrem Roman Spannung einzuhauchen, haben bei mir nach einigen Seiten eher das Gegenteil bewirkt. Ich habe mich gelangweilt, denn irgendwann ist auch die unheimlichste Umgebung ausgereizt. Ich habe mich geärgert über einen altbekannten Stoff, dem nichts Neues hinzugefügt worden ist, bei dem Gut und Böse klischeehaft von Anfang an klar definiert sind, Ich war enttäuscht über die Vorhersehbarkeit der Ereignisse und beinahe wütend auf einen 35-jährigen erwachsenen Menschen, der sich wie ein ahnungsloser, unreifer Teenager benimmt.
    Und ich war froh, als ich am Ende des Buches angelangt war.

  • Zum Buch:


    Daniel und Max sind zwar eineiige Zwillinge, aber sie haben nicht viel gemeinsam und sehen sich nur sehr selten. Dementsprechend überrascht ist Daniel, als er einen Brief von Max erhält, in dem dieser ihn bittet, ihn in einer Kurklinik in den Schweizer Alpen zu besuchen. Daniel macht sich also auf den Weg nach Himmelstal. Dort angekommen, verbringt er einen sehr angenehmen Tag mit Max, doch bevor er abreist, hat dieser eine weitere Bitte. Daniel soll mit ihm den Platz tauschen, da er selber etwas erledigen muss, aber es für ihn schwierig ist, die Klinik zu verlassen. Daniel willigt nach kurzem Zögern ein, doch Max taucht nicht wie vereinbart wenige Tage wieder auf. Und natürlich glaubt niemand die Geschichte vom Rollentausch, als Daniel dann auch wieder abreisen will. Spätestens ab diesem Zeitpunkt stellt Daniel fest, dass Himmelstal keine gewöhnliche Kurklinik ist, doch was sich wirklich in diesem abgelegenen Alpental abspielt, davon hat er noch längst keine Ahnung!


    Meine Meinung:


    Die Autorin schafft in diesem Buch eine wirklich beklemmende, unheimliche Atmosphäre. Das Buch hat mich daher ziemlich schnell gefesselt. Allerdings hat die Story auch einige Schwachpunkte, Daniel als Charakter ist kein Typ, mit dem man mitfühlt, eher möchte man ihn wegen seiner Duldsamkeit und fehlender Initiative gerne regelrecht schütteln! Am Ende überstürzen sich die Ereignisse, da hätte es meiner Meinung nach auch etwas weniger sein dürfen, das wäre glaubwürdiger gewesen. Für mich war da ein Bruch in der Handlung und so wirklich gefallen hat mir diese Wendung nicht, das war mir dann alles zu sehr konstruiert und passt nicht mehr zur vorherigen Stimmung des Buches.


    Fazit: Es werden hier reichlich Klischees bedient, trotzdem ist das Buch wunderbar für einige spannende Lesestunden!

  • Ein Psychothriller der eher leichteren Sorte. Die Geschichte fand ich originell und sie hätte durchaus spannend sein können. Doch die distanzierte Schreibweise ließ mich die Ereignisse rund um die Hauptperson Daniel zwar interessiert verfolgen, aber nicht wirklich mitfiebern.


    Das Buch ist entspannend und lässt sich ohne großen Anstrengungen lesen. Genau das richtige um Abzuschalten. Die kurzen Kapitel brachten mich in einen „Eins geht noch“-Sog und so war das Buch in wenigen Tagen durchgelesen. Gerade im Mittelteil hätte ich mir aber mehr Handlung gewünscht, so zieht es sich, bis Daniel endlich hinter das düstere Geheimnis des angeblichen Burn-Out-Sanatoriums kommt.


    Gewünscht hätte ich mir auch eine stärkere Fokussierung auf Daniels Gedanken und Gefühle. Dies gelingt zwar anfangs, doch gerade als es anfängt spannend zu werden, erlebt man ihn nur noch „von außen“. Schade, denn gerade bei einem Psychothriller finde ich die inneren Erlebnisse des Protagonisten wichtig, um die Spannung und Beklemmung am eigenen Leib miterleben zu können.


    Zitat

    Original von Gronik
    Für mich war da ein Bruch in der Handlung und so wirklich gefallen hat mir diese Wendung nicht, das war mir dann alles zu sehr konstruiert und passt nicht mehr zur vorherigen Stimmung des Buches.


    Dem kann ich nur zustimmen, mir hätte die konsequente Ausführung der ursprünglichen Idee auch besser gefallen, vor allem, da so manches nicht mehr zusammenpasst. Aber im Nachhinein haben diese letzten paar Seiten nicht mehr viel ausgemacht.


    Fazit: Ein mittelmäßiger Psychothriller, der sich unterhaltend und entspannend, aber zu wenig spannend liest. Aus der Idee hätte mehr gemacht werden können.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Max befindet sich in einem exklusiven Sanatorium in der Schweiz, in dem vor allem Patienten mit Burn-Out-Syndrom behandelt werden. Sein Zwillingsbruder Daniel besucht ihn dort. Nach einem Tag gemeinsamen Aufenthalts schlägt Max einen Rollentausch vor. Bevor Daniel es sich richtig überlegen kann, ist Max bereits abgereist und der Albtraum für Daniel beginnt, denn keiner der Ärzte oder der anderen Patienten glaubt ihm und an eine Abreise oder Flucht ist nicht zu denken.


    Die Idee zu diesem Buch fand ich ausgesprochen gut und die erste Hälfte liest sich auch spannend und der Leser rätselt mit Daniel, was in dieser Klinik bzw. in dem Tal eigentlich vor sich geht.


    Ungefähr ab der Mitte des Buches lässt die Spannung drastisch nach und die Handlung plätschert vor sich hin. Die Autorin beschreibt zwar die einzelnen Protagonisten mit einigen Worten, gibt ihnen aber keine Tiefe. Es gibt nur die GUTEN und die BÖSEN. Für mich waren die Personen sehr distanziert und ich konnte nur anfangs mit Daniel mitfühlen, irgendwann ging auch das nicht mehr. Das Finale war für mich sehr konstruiert.


    Die Grundidee des Buches war sehr gut und der Schreibstil flüssig. Vorstellen möchte man sich ein derartiges Sanatorium in der Realität nicht. Die Umsetzung und Ausgestaltung der Story fand ich dann eher durchschnittlich. Als Psychothriller und Pageturner, bei dem einen der Atem stockt, würde ich es nicht bezeichnen.

  • Himmelstal oder Tor zur Hölle?


    Als Daniel seinen Zwillingsbruder Max in einer exclusiven Rehaklinik mitten in den Schweizer Alpen besucht ist dies der Beginn einer albtraumhaften "Erlebnisreise". Nachdem sich Daniel auf einen Personentausch mit Max eingelassen und dieser an seiner Stelle die Klinik verlassen hat, wird ihm von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag mehr klar, dass in dieser Klinik etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Keiner glaubt ihm ( nachdem Max nicht, wie versprochen, zurück gekommen ist ), dass er die Rolle mit Max getauscht hat, immer mehr seltsame Ereignisse versetzen ihn immer mehr in Panik und Verzweiflung. Wem kann er trauen? Was sind das für seltsame Patienten in der Klinik? Und auch die Dorfbewohner bieten mehr als einen Grund um an ihrer Echtheit zu zweifeln. Daniel ist gefangen...........und versucht, hinter das Geheimnis von "Himmelstal" zu kommen.
    Dies beschreibt Marie Hermanson für mich von Anfang an in einem fesselnden Schreibstil, der mich sofort für das Buch eingenommen hat. Ich war gebannt und wollte unbedingt wissen, was Daniel noch so alles erlebt und vor allem, was hinter dem Ganzen steckt.
    Und diese, am Ende doch allzu schnell abgespulte Auflösung, ist für mich auch der ( fast einzige ) Minuspunkt des Buches. Alles überschlug sich, die Erklärungen waren, ja - schon nachvollziehbar, aber im Vergleich zum Rest des Buches viel zu einfach, "gewöhnlich", unspektakulär.
    Trotzdem hat mich das Buch richtig, richtig gut unterhalten und ich würde weitere Bücher der Autorin auf jeden Fall lesen.


    Ein Wort noch zur Qualität des Buches: die Bindung und Papierqualität empfand ich als sehr gut. Ich hatte das Buch über mehrere Tage in meiner Handtasche mit dabei und es hat keinerlei Knicke oder ähnliches abbekommen. Damit lässt sich der doch relativ hohe Preis eventuell rechtfertigen.


    Insgesamt war "Himmelstal" für mich ein kurzweiliges, gut geschriebenes Buch. Von daher vergebe ich 9 von 10 Punkten.

  • Meine Meinung: Im Klappentext wird auf eine „Zauberberg-Atmosphäre“ hingewiesen und das war es, was mich neugierig auf das Buch gemacht hat, doch schafft es die Autorin wirklich, diese Atmosphäre dazustellen? Es braucht nicht viele Seiten um festzustellen, dass die einzige Gemeinsamkeit mit Thomas Manns Bildungsroman im Handlungsort besteht – einem Sanatorium in der Schweiz. Damals versuchten Schwindsüchtige dort Heilung zu bekommen und heute sind es Burn-out-Patienten, so glaubt es zumindest Daniel, der dort seinen Zwillingsbruder Max besuchen will. Alles in dieser Klinik im Himmelstal mutet an, als sei man in einer großen Ferienanlage und Daniel fühlt sich erst einmal recht wohl. Die Patienten spielen Tennis, gehen schwimmen oder Angeln und am Abend auf ein Bier ins nahegelegene Dorf. Als Max Daniel bittet, mit ihm für ein paar Tage die Rollen zu tauschen, damit er einige Dinge außerhalb von Himmelstal erledigen kann, stimmt der zu. Doch schon recht bald muss er feststellen, dass es sich nicht um eine Kurklinik handelt, sondern um eine geschlossene Einrichtung für Psychopathen und als Max nicht wiederkommt, stellt er fest, dass alle ihn für Max halten und niemand ihm den Tausch abnimmt – wie soll er das Tal wieder verlassen?


    Die Person des Daniel hat mich fast die ganze Zeit genervt, denn er ist schwach und in seinem Handeln oft sehr inkonsequent. Schnell scheint er sich mit den Gegebenheiten abzufinden, lässt sich vom Klinikpersonal abfertigen und gibt sofort auf, wenn ihm jemand die Stirn bietet. Gut dagegen sind die Bewohner des Tals dargestellt und Daniel, der sich ja schon die ganze Zeit wie ein Opfer verhält, scheint in großer Gefahr zu sein. Jeder Talbewohner trägt das Geheimnis seiner Einweisung in Himmelstal mit sich herum und je mehr Daniel über sie erfährt, um so bedrückender wird die Atmosphäre für ihn – also kein Geplauder über Politik und Philosophie mit einem Lodovico Settembrini, einzig zu Madame Chauchat scheint es eine Entsprechung zu geben, wenn auch nur eine winzige.


    Der Schreibstil ist sehr flüssig gehalten und anfangs war die Geschichte logisch und hatte sehr viel Potential, was Marie Hermanson dann aber nicht gut genutzt hat. Die Spannung ist über weite Teile vorhanden und das Buch liest sich mal eben so weg, doch hätte man noch sehr viel mehr in dieses Verwirrspiel hineinlegen können. Immer wieder habe ich erwartet, dass die Autorin auch mich als Leser unsicher macht, zum Beispiel mit wem man es zu tun hat, das sie mich zweifeln lässt, wer die Guten und wer die Bösen sind, oder ob es einen Weg aus dem Tal gibt, doch das ist ihr leider nicht gelungen. Bis zum Schluss, der statt an den „Zauberberg“ eher an „James Bond“ erinnert, und der auf mich den Eindruck machte, hastig zusammen geschrieben worden zu sein, wartete ich darauf, dass noch etwas geschehen würde das zu überraschen wüsste, doch das geschah einfach nicht - schade.


    Mein Fazit: Ein nicht schlecht gemachter Thriller, der sich locker und flüssig lesen lässt, der aber eine ganze Menge verschenktes Potential zeigt – wer Lust auf ein paar spannende und unangestrengte Lesestunden mit leichter Lektüre hat, der ist hier auf jeden Fall gut bedient.

  • Inhalt:
    **********


    Daniel und Max sind eineiige Zwillinge und Scheidungskinder. Sie trafen nur immer an ihrem Geburtstag zusammen. So ist man nur oberflächlich mit dem Leben des anderen vertraut. Als Daniel eine Einladung von Max in die Schweiz bekommt, macht er sich auf den Weg in die private Luxusklinik in Himmelstal. Die malerische Landschaft und das kleine Dörfchen nahe der Klinik, machen auf Daniel einen guten Eindruck. Selbst sein Bruder wirkt entspannt. Doch eine Sorge nagt an Max, er kann den Klinikaufenthalt nicht mehr bezahlen und muss deshalb nach Hause um Geld zu besorgen. Er überredet Daniel seine Stelle einzunehmen und so verschwindet Max, verkleidet als Daniel, die Klinik. Für ein paar Tage soll Daniel so tun, als wäre er Max. Die Tage vergehen und von Max gibt es keine Spur. Als Daniel die Wahrheit um Max Verschwinden der Klinikleitung mitteilt, will ihm niemand glauben. Umso mehr Zeit Daniel in Himmelstal verbringt, desto mehr fällt ihm auf, dass es sich dieser malerische Ort immer mehr zu einem Hexenkessel verwandelt. Und für Daniel gibt es kein Entrinnen.



    Meine Meinung:
    ******************


    Mit großen Erwartungen bin ich an das Buch heran gegangen und habe den langsamen Aufbau verfolgt. Aber selbst nach dem Aufbau blieb die Spannung auf der Strecke und die Geschichte plätschert vor sich hin. Es ist mir einfach zu ruhig und die Geschichte hätte bei weitem mehr Spannung vertragen. Die Grundidee zu dem Buch ist nämlich sehr gut und ich habe so etwas noch in keiner Form gelesen, jedoch hätte man weit mehr daraus machen können. Die Autorin schafft es einfach nicht, dass sich das Buch zu einem Page-Turner entwickelt. Es hätte soviel Potenzial darin gesteckt und leider wurde nichts davon genutzt. Ich konnte den Horror einfach nicht hautnah miterleben, dem sich Daniel ausgesetzt sieht. Von der Außenwelt abgeschieden und keine nur erdenkliche Möglichkeit auf Flucht. Man hat immer das Gefühl, jetzt wird etwas passieren und dann kommt doch wieder nichts. Dies ist daher auch die einzige Motivation, die einen zum Lesen antreibt. Mir blieb es aber einfach zu Platt.


    Ich finde deshalb hätte die Geschichte auch um einiges gekürzt werden können. Manche Handlungen sind überflüssig, weil sie eben nicht die gewünschte Stimmung präsentieren können und im Grunde auch nicht wirklich für den Werdegang von Daniel maßgeblich tragend sind.


    Das Buch liest und vergisst man wieder, obwohl es soviel mehr hätte werden können. Die Spannung wurde im Keim erstickt und es eignet sich daher als Sommerlektüre, sofern man keine großen Ansprüche hegt. Vom Stil her ist das Buch nicht schlecht geschrieben, aber was nützt mir das als Leser, wenn man auch nicht wirklich etwas damit anfangen kann. Das Buch Himmelstal ist für mich daher etwas unter Durchschnitt geblieben. Schade, denn aus der Idee hätte soviel mehr werden können.

  • Huch! Ich bin ein wenig erschrocken über einige der Rezis hier.


    Unspannend, leichte Leküre, verschenktes Potential, Klischees, die bedient werden - das klingt überhaupt nicht nach Marie Hermanson! Ich habe schon vier ihrer Bücher gelesen und die waren allesamt hochspannend, atmosphärisch und sehr gut gemacht.


    Deshalb meine Frage: war das euer erstes Buch von der Autorin?


    "Himmelstal" subt bereits bei mir. Ich sollte es mir wirklich bald zu Gemüte führen.
    Übrigens: ihre bisherigen Bücher hätte ich nie als Krimis/Thriller eingestuft. Vielleicht ist es auch die Zuteilung in dieses Genre, das falsche Erwartungshaltungen hervorgerufen hat.

  • Hallo Rosenstolz,


    du hast ja blitzartig geantwortet! :kiss
    Ich selbst schätze die Autorin sehr und kann dir nur ihre anderen Bücher ans Herz legen. Zumindest die, die ich schon gelesen habe:


    Schmetterlingsfrau, Muschelstrand, Saubere Verhältnisse, Das unbeschriebene Blatt


    Im Laufe der Zeit werde ich unbedingt alle ihre Bücher lesen. Als nächstes natürlich Himmelstal.


    Lg, Rosha :wave

  • @ Rosha:


    Ja, für mich wars das erste Buch der Autorin. Ich bin gespannt, wie du es als "Fan" findest und ob es sich von den anderen Bücher unterscheidet.


    Die Einteilung als "Thriller" ist sicher problematisch, da es ein sehr untypisches Buch dieses Genres ist. Allerdings wüsste ich auch nichts anderes.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Rosha, mich sprechen die Bücher der Autorin auch auf besondere Weise an, vor allem"Muschelstrand" hat es mir sehr angetan (sonst habe ich bisher noch "Der Mann unter der Treppe" gelesen). "Die Schmetterlingsfrau" ist das nächste Buch von ihr auf meiner Liste. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass ihre Art zu schreiben vielen Lesern nicht so gut gefällt.

  • Zitat

    Original von Rosenstolz
    "Himmelstal" war mein erstes Buch der Autorin und mir hat es richtig gut gefallen. Ich war zuerst auch etwas abgeschreckt von den teilweise schlechten Rezis - aber für mich hat sich das nicht bestätigt. :-)


    Dem kann ich mich nur anschließen. Ich fand das Buch toll und hab es auch für meine Verhältnisse sehr schnell gelesen. Die schlechten Rezis hier haben mich auch erschreckt und hab schon an meinem Geschmack gezweifelt :-) Ich wußte gar nicht, dass es von dieser Autorin noch so viele andere Bücher gibt, da muss ich unbedingt mal schauen, was mich noch so anspricht.

    Liebe Grüße
    Sabine


    Ich :lesend"Talberg 1935" von Max Korn

    Ich höre "Mein Leben in deinem" von Jojo Moyes

    SuB: 163

  • Juhu! Was bin ich froh! Danke euch Hermanson-Fans, dass ihr euch meldet. Sie ist eine ganz besondere Autorin, mit einem persönlichen Schreibstil. Vielleicht sollte man vor dem Kauf eine Leseprobe konsumieren.


    Ich mag ihre klaren, knappen Sätze, ihre liebevollen Blicke auf Details. Und sie versteht es meisterhaft, unterschwellig eine diffuse, kribbelige Stimmung zu erzeugen. Ich habe beim Lesen immer das Gefühl, gleich passiert was, könnte aber nie sagen, ob es nun gut oder schlecht sein wird. Marie Hermanson schafft es, mich als Leser in der Schwebe zu halten. Daraus resultiert meiner Meinung nach die Spannung, die ihre Bücher durchzieht. :anbet

  • Zitat

    Original von Lese-rina
    @ Rosha:


    Ja, für mich wars das erste Buch der Autorin. Ich bin gespannt, wie du es als "Fan" findest und ob es sich von den anderen Bücher unterscheidet.


    Ich auch! Werde mich auf alle Fälle dazu äußern. :wave

  • Zitat

    Original von Rosha
    Juhu! Was bin ich froh! Danke euch Hermanson-Fans, dass ihr euch meldet. Sie ist eine ganz besondere Autorin, mit einem persönlichen Schreibstil. Vielleicht sollte man vor dem Kauf eine Leseprobe konsumieren.


    Ich mag ihre klaren, knappen Sätze, ihre liebevollen Blicke auf Details. Und sie versteht es meisterhaft, unterschwellig eine diffuse, kribbelige Stimmung zu erzeugen. Ich habe beim Lesen immer das Gefühl, gleich passiert was, könnte aber nie sagen, ob es nun gut oder schlecht sein wird. Marie Hermanson schafft es, mich als Leser in der Schwebe zu halten. Daraus resultiert meiner Meinung nach die Spannung, die ihre Bücher durchzieht. :anbet


    :-)
    Freut mich, dass Du Dich so freust! Zu "Muschelstrand" habe ich erst vor kurzem meine begeisterte Rezension hinterlassen, Du kannst ja mal in den Thread schauen, wenn Du möchtest. Ich bin auch immer sehr froh, wenn ich andere Leser finde, mit denen ich ein besonderes Buch bzw. einen Autor teilen kann. Das Lesen ist ja sonst eine eher einsame Angelegenheit.

  • Nochmal vorneweg: Ich bin ein großer Fan von Marie Hermanson. Die Bücher, die ich bisher von ihr gelesen habe (Schmetterlingsfrau, Muschelstrand, Saubere Verhältnisse, Das unbeschriebene Blatt) finde ich großartig und spreche meine absolute Leseempfehlung dafür aus.


    Ich bin deshalb mit einer ziemlich großen Erwartungshaltung an "Himmelstal" herangegangen und habe nach 110 Seiten abgebrochen. Ich bin enttäuscht.


    Was mir an den anderen Hermanson-Büchern gefallen hat, war eine unterschwellig vorhandene Spannung, eine emotionale Gratwanderung, von der man nie wusste, in welche Richtung sie (gut oder böse) - oder ob überhaupt - kippen würde. Das fehlt in diesem Buch. Hier steigt man gleich zu Beginn in eine Spirale ein, von der man sofort weiß, sie geht abwärts. Man fühlt Beklemmung, ja, aber sie ist nicht subtil.


    Außerdem kommt mir das Buch viel zu ausufernd vor. Die vorherigen Bücher von Hermanson waren alle deutlich dünner und ich denke, diese Knappheit war absolut berechtigt und notwendig für ihren Stil. Bei "Himmelstal" hatte ich den Eindruck eines textlichen Auseinanderfließens, einer thematischen Aufweichung, statt Konzentration des Plotes, eine Verdünnung der Fakten. Wie eine Nudelsuppe mit sehr viel Brühe und sehr wenig Nudeln.


    Der Plot war vorhersehbar, ab Seite 110 habe ich quergelesen und es folgten für mich keine richtigen Überraschungen.


    Der Protagonist erschien mir unsäglich naiv und ging mir auf die Nerven.


    Sprachlich ist der Roman in schlichter Sprache verfasst und liest sich extrem flüssig. Leider fehlt die Würze durch ein paar eingestreute brillante Textelemente. Ganz im Gegenteil. Der Geschmack beim Lesen wird schal durch Banalitäten, die ans Klischee grenzen oder hineinfallen.


    Beispiel:


    Aber eigentlich waren die Augen das Schönste an ihr, dachte er plötzlich. Sie glitzerten wie Sterne, und wenn sie den Kopf stillhielt und die Augen hin und her bewegte, war es, als sprühte das Glitzern ins Publikum hinein.


    Autsch.


    Eine "fast senkrechte Felswand" wird allein auf den ersten 100 Seiten mindestens drei bis vier Mal erwähnt. Rotstiftalarm.


    Jetzt hoffe ich darauf, dass das ein einmaliger Ausrutscher war und das nächste Buch der Autorin qualtitativ an ihre Vorgänger anknüpfen wird.


    Edit: Tippfehler

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. Franz Kafka

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  • Rosha
    Obwohl ich die Autorin durchaus schätze, so werde ich aber nach deiner Rezi von diesem Buch meine Finger lassen. Herzlichen Dank für diese Warnung. :wave :wave :wave :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.