Glauber Rocha und das Cinema Novo

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    Wer von dem brasilianischen Ausnahmeregisseur und bedeutendsten Vertreter des sog. 'Cinema Novo' in den 60er Jahren noch nix gehört hat:



    Hier ein Auszug aus dem Essay 'Ästhetik des Hungers' von Kritiker Peter Buchka, abgedruckt im Sommer 1981 u. a. in der Süddeutschen Zeitung:



    „Rochas Filme wirkten in den sechziger Jahren wie gewaltige Schläge
    unter die Gürtellinie: Nie gesehene Bilder von ungeheuerlicher, direk-
    ter Wucht nahmen den betulichen Atem. Aus den frühen Filmen von
    Glauber Rocha kam man erschöpft, verwirrt und betört wieder heraus
    – ganz so, wie sie selber gemacht waren: in Trance.


    Da war eine Kraft, die die eines Einzelnen bei weitem überstieg; da
    war etwas fast explosionsartig hervorgebrochen, was sich in langer
    Ohnmacht aufgestaut hatte und nun nach Ausdruck schrie.
    Glauber Rochas Filme schrien am lautesten, doch das war sicher
    nicht der einzige Grund, daß er bereits als Mittzwanziger der wich-
    tigste Filmemacher Lateinamerikas war....“




    Und hier der Originaltrailer von Rochas Deus e o Diabo na Terra do Sol (1964) :



    ........ http://mais.uol.com.br/view/a5…ol-040266C4C173A6?types=A




    Der bis heute absolute Lieblingsfilm von Martin Scorsese.





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    Ich kann auch kein Portugiesisch, rate aber dennoch zu den Originalfassungen - mit englischen Untertiteln.



    Meiner Ansicht nach braucht man insbesondere diese drei Werke:



    - Deus e o Diabo na Terra do Sol (Black God, White Devil, 1964)
    - Terra em Transe (Entranced Earth, 1967)
    - Antonio das Mortes (1969)



    Die DVDs werden bei Amazon von verschiedenen Händlern, meist mit Sitz in England, zu Preisen von rund zehn Euronen pro Titel angeboten; Versandkosten im Schnitt drei, versichert circa fünf oder sechs Euro.


    Bestellt man drei oder mehr DVDs bei einem Verkäufer, rechnet sich's einigermaßen...


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  • Ich bedanke mich noch einmal ausdrücklich für den Tipp, denn es ist mir jetzt gelungen, den ersten Film von Glauber Rocha zu sehen.


    Black God, White Devil


    OT: Deus e o Diabo na Terra do Sol (Gott und Teufel im Land der Sonne)


    Brasilien 1964


    Regie und Drehbuch: Glauber Rocha



    Kurzbeschreibung:
    Manuel flieht mit seiner Frau Rosa in den Sertão, nachdem er seinen Oberst attackiert hat. Sie begegnen dem mystischen Sebastião, der einen baldigen Umsturz voraussagt. Der Prophet und seine Gläubigen werden von Antonio das Mortes, dem Helfeshelfer der Grossgrundbesitzer, umgebracht. Manuel und Rosa sind die einzigen Überlebenden und treffen den Rest einer Banditenbande. Ihr Anführer Corisco will den Sertão in Brand stecken.


    Mein Eindruck:
    Der Film bedient sicher nicht den Massengeschmack. Glauber Rochas Filmästhetik und seine Themen erinnern mich entfernt an Pier Paolo Pasolini, zeigt aber natürlich eine durch und durch lateinamerikanische Welt.
    Die Ausdrucksstärke Glauber Rochas liegt in seiner Bilderflut, dem Einsatz von Musik (schneller Wechsel zwischen kraftvoll treibender Klassik von Villa-Lobos und melancholischen Songs), dem Spiel mit Licht und Schatten in schwarzweiß sowie der ungewöhnlichen Kameraführung, bei der die Figuren durch den Film zu taumeln oder zu schweben scheinen. Das Filmtempo ist langsam. Dabei ist die Kamera meistens dicht an den Figuren, stellt die Gesichter der Protagonisten in Großaufnahmen dar. Hierbei ist das Leiden der Figuren erst überdeckt von Fatalismus, doch man spürt schon, dass Glaubers Helden so an die Grenze getrieben sind, dass sie bald aufbegehren werden. Der sozialkrtitische Ansatz bestimmt den Film. Auch angesprochen sind religiöse Verführbarkeit und Bigotterie
    Als die Hauptfigur Manuel seinen ausbeuterischen Boss tötet, muss er mit seiner Frau Rosa fliehen. Zuerst gerät er an einen religiösen Fanatiker, der Gewalt predigt.
    Da gibt es schon ein paar lange und extreme Szenen, die selbst für den Zuschauer schmerzhaft wirken z.B. bei der Predigt auf dem Berg als die Massen in religiöse Verzückung geraten oder als Manuel mit einem schweren Stein auf dem Kopf auf Knien neben seinen neuen Führer den Berg rauf robbt. Vergebung durch Leiden?
    Ganz zu schweigen von den schockierenden Passagen als der Priester in einer Zeremonie ein Baby tötet und das folgende Massaker an den Gläubigen.
    Auch den folgenden Passagen der Reise Manuels und Rosa fehlt es nicht an beklemmenden Szenen, da sie unter eine revolutionär angehauchten Bande von sadistischen Verbrechern geraten.
    Lange und langsame Filmeinstellungen gehen über in ein actionreiches Finale!


    Mit einer Spieldauer von fast 2 Stunden ist der Film ein mächtiges und komplexes Werk!

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    Wer das Thema vertiefen oder auch nur einen kurzen Überblick über die Wirkung und Werke von Glauber Rocha und anderen wichtigen Vertretern der Strömung gewinnen möchte, dem empfehle ich das



    - Handbuch des Brasilianischen Films , von Peter B. Schumann. .. Vervuert Verlag , Frankfurt 1988 (erste Aufl.), ISBN 3-89354-025-3




    Wurde damals anlässlich der 'Lateinamerikanischen Filmtage' im Münchner Filmmuseum zusammengestellt und herausgegeben. Kein fordernder Mammutwälzer - schlanke 160 Seiten; im Anhang eine Referenzliste mit weiteren Buch- und Artikelempfehlungen.


    Falls es vergríffen sein sollte und nicht mehr neu aufgelegt wurde, mal bei Booklooker & Co. stöbern.




    Zu Pier Paolo Pasolini empfehle ich:



    - Lichter der Vorstädte - die abenteuerliche Geschichte seiner Filme (Wolke Verlag, ISBN 3-923997-15-9)



    Eine ins Deutsche übersetzte Auswahl von Beiträgen aus der Feder der renommierten italienischen Filmkritiker Franco Faldini & Goffredo Fofi. Mit vielen Bildern und Einblicken.



    Parallel zu Glauber Rochas Werken ist übrigens ausgerechnet Pasolinis von vielen Chronisten hochgeschätzter 'Uccellacci e uccellini' (Große Vögel - kleine Vögel' , 1965) hierzulande weniger bekannt und wurde im Deutschen Fernsehen bislang selten gezeigt.




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