'Der Stille Don' - 4. Buch - 2. Teil

  • Totgesagte leben länger: Aksinja hat ihre Krankheit überwunden und macht sich auf den Weg nach Hause. Die Sorge um Grigori bringt Frieden zwischen ihr und Iljinitschna. Aus ihrem Mann Stepan macht sich Aksinja gar nichts mehr, gibt sich auch keine Mühe, das zu kaschieren.


    So manches Mal habe ich mich schon über die eine oder andere Formulierung Scholochows leise gewundert, aber an dieser Stelle fand ich seine Worte zu (ab)wertend: In I, meine Ausgabe Seite 832, Dunjaschka streut Körner auf die Gräber ihrer Familienangehörigen und „in ihrer kindlichen Einfalt glaube sie, die Toten würden ...“. Dem vorhergehenden und diesem Abschnitt merkt man seine Positionierung deutlich an, finde ich.
    Apropos Dunjaschka: Sie siezt nicht nur ihre Mutter, sondern ihren Bruder nach dessen Rückkehr. Aus heutiger Sicht klingt das … seltsam.


    Mischka Koschewoi taucht wieder auf und bekommt breiten Raum gewidmet in diesem Part. Seinen Fanatismus kann er nicht lassen. Er heiratet Dunjaschka und lebt auf dem Hof der Melechows. Aber in diesem Abschnitt lässt er seine Maske (so er denn sich die Mühe machte, sich eine vorhalten) fallen und gibt deutlich zu verstehen, was in seinen Augen recht gehandelt ist: In II (Seite 844) im Gespräch mit Iljinitschna begründet er die Ermordung des Greises mit Worten wie „bei denen, bei den Feinden, die ohne Nutzen auf der Welt sind, habe ich eine harte Hand“. Noch deutlicher: „Es kommt einzig darauf an, wofür man die Leute mordet und was es für Leute sind“ (Seite 845). Interessant in diesem Zusammenhang, dass am Ende von II das Wort Mörder auf einmal in Anführungszeichen gesetzt ist. So kann man die eigene Position auch deutlich machen. Schließlich ist nicht nur Mischka Koschewoi ein Roter.
    „Nicht alles Vergangene lässt sich vergessen“ (in III, Seite 864) – nicht nur für Koschewoi gilt, was er im Gespräch mit Prochor sagt. Er spielt sich immer mehr auf, lässt sich zum „Vorsitzenden des Revolutionskomitees“ (Seite 873) machen und will im Dorf aufräumen. Er nimmt dann gleich noch das Gesetz in die eigene Hand, will Ankläger, Richter und Henker gleichzeitig sein.
    Und da ist dann noch das „es bleibt noch zu entscheiden, welches Blut überwiegt“ (Seite 865). Das der Roten ist also wertvoller als das der Weißen – kann man eigentlich noch deutlicher werden?
    „Was bist du doch für ein Schweinehund geworden, Michail“ sagt Grigori in VI (Seite 907) zu ihm. Leider sehe ich mich nicht in der Lage, dem zu widersprechen.
    Überhaupt die ganze Auseinandersetzung mit Grigori: „Jetzt hab ich alles verstanden...“ sagt dieser und gleiches gilt für mich. Nur sehr unzureichend kann ich das erklären, aber ich versuche es: Nun habe ich endlich verstanden, warum ich das gelesen habe, was da zu lesen war. Rechtfertigungslehre mal ganz anders, hab ich den Eindruck; für mich erklärt finde ich vieles, die Grausamkeiten nicht nur der Weißen etc. Wenn ich das alles für mich rekapituliere, in mir wirken lasse, erklärt es mir noch mehr: jede Gräueltat, jeden Schauprozess, kann ich den Bogen schlagen zur stalinistischen Wirklichkeit.


    Habe ich mich nicht mal gefragt, wie Alkoholismus unter Stalin gelitten war? Eine Antwort finde ich bei der Beschreibung der Hochzeit, bei der es weder„Sauferei noch Schlägerei“ (Seie 852, in III) gibt. Dann darf ich wohl daraus schließen, dass wenigstens offiziell zu gewissen Zeiten … oder nicht? Andererseits trinken Grigori und Koschewoi bei ihrem Gespräch auch nicht gerade zurückhaltend. Schlau werde ich jetzt nicht wirklich daraus. Oder galt Ehe, eine Hochzeit zu den Zeiten als … was auch immer, nur nicht dem … äh … neuen Glauben angemessen?


    Anfangs habe ich mich ein bisschen gewundert über die Beschreibung des Dorfladens, in dem es „so gut wie nichts“ gab (Seite 876, in V). Zur Klarstellung: Nicht gewundert habe ich mich über die Tatsache, dass nichts da war, sondern dass es da stehen darf, im Buch, meine ich. Aber nachdem ich alles von und über Koschewoi gelesen habe, wundert mich gar nichts mehr.


    Die Listnizkis werden noch einmal erwähnt, es gibt sie also nicht mehr. Schade eigentlich, dass man nichts mehr über Lisa und ihren Vater - hieß er nicht Mochow? - erfährt. Was aus der Medizinstudentin geworden ist, hätte mich nun doch interessiert.


    Seit der Warnung Fomins habe ich den Eindruck, es drängt auf eine Entscheidung hin. Aber das dieser auch noch desertiert, hat mich denn nun doch gewundert. Sicher bin ich mir nicht, was das zu bedeuten hat: Waren die Zustände so schlimm, oder griffen die Maßnahmen zu sehr in Freiheitsdenken und -willen der Kosaken ein, dass sie das nicht mehr mitmachen wollten? Wundern würde mich letzteres nicht sonderlich, ich entsinne mich allzu gut der Schilderung Timothy Snyders in seinen „Bloodlands“, was die Ablieferungspflicht eigentlich bedeutete, nämlich Hunger, Hunger und nochmals Hunger (auch wenn es dort nicht um die Kosaken, sondern mehr um die Ukrainer etc. geht).
    In X (Seite 932) steht mal wieder eine Jahreszahl: 1920. Es passiert so viel in dem Buch, dass ich eigentlich gedacht hatte, es wäre „etwas später“.


    Grigori muss sich, will er nicht zu wer weiß was verurteilt werden, einer „Bande“ anschließen. Die Schilderung des Lebens dort ist eindrücklich, aber meiner Meinung nach nicht frei von Wertung. Dass sie über kurz oder lang aufgerieben werden, war eigentlich von Anfang an klar. „Schlechte Freiheit ist immer noch besser als ein gutes Gefängnis“ sagt Grigori (Seite 989, XIII). Ein verräterischer Satz.


    Ganz verliebt bin ich in einen Absatz in XV (Seite 1002), dort wird über die Blütenpracht der Steppe berichtet, „die Steppenveilchen“ mit ihren „blauen, kindlich-reinen Augen“ etc. haben es mir angetan. Dieser eine Absatz macht vieles von dem, was mir Magengrimmen verursacht hat, wieder wett, wie im Übrigen so manche Naturschilderung im gesamten Buch.


    Der Schluss, den ich ab der Flucht Grigoris und Aksinjas „zähle“, hat es in sich. Selbst wenn ich den Wikipedia-Artikel nicht gelesen hätte, würde ich nicht vermutet haben, dass den beiden ein geruhsames, glückliches Leben beschieden war. Einzig, dass Aksinja nicht wieder zu Bewusstsein kam, hat mich ein ganz klein wenig versöhnt mit der Szene, denn auch wenn sie mir recht fremd geblieben ist, habe ich sie sehr bedauert und war erleichertet, dass sie das endgültige Zerbrechen ihres Traumes nicht mehr mitbekommen hat.
    In der Abschiedsszene war mir Grigori, so seltsam das vielleicht klingen mag, ganz nah. Nur ein ganz leises Wundern war da noch in mir über das „fest davon überzeugt, dass die Trennung nicht lange dauern werde“ (Seite 1036, XVII). Das klang irgendwo schon einmal an, aber ich habe vergessen, mir das zu notieren.


    Das Ende ist sehr offen, auch wenn Grigori noch eine Tote zu beklagen hat. Ich finde es … angemessen, dass viel Raum bleibt, die möglichen Richtungen zu bedenken, nicht nur, was Grigori betrifft, sondern auch Koschewoi und die anderen.
    „Aber er klammerte sich immer noch krampfhaft an die Erde, als hätte sein zerbrochenes Leben wirklich noch irgendeinen Wert für ihn und für die anderen...“ (XVIII, Seite 1037). Das ist eigentlich mein Schlusssatz, auch wenn ich das „wirklich“ Scholochow nicht wirklich verzeihe.


    SiCollier : Vielen Dank für den Vorschlag und das Organisieren der Leserunde. Auch wenn es manchmal hart war, bin ich doch froh, das Buch - endlich - gelesen zu haben.

  • Was soll ich jetzt noch schreiben? Lipperin, dein Beitrag ist so gut und spricht mir so aus der Seele, dass er gut das Resümee der Leserunde sein könnte.


    Aber ein paar Gedanken werde ich noch hinzufügen.
    Aksinja ist genesen und in den Chutor zurückgekehrt. Nach Iljinischnas Tod kümmert sie sich um die Kinder. Diese rufen sie dann auch „Mama“. Rührend, wie sie zu Grigori sagte, sie hätte sie nicht dazu aufgefordert.


    Dunjascha und Mischka. Sie wollte ihn so unbedingt haben und hätte ihre ganze Familie (bzw. was an Familie noch übrig geblieben ist) für ihn aufgegeben. Leider hat sie nicht ihr Glück mit ihm gefunden. Sich von seinem Mann sagen zu lassen, man hätte konterrevolutionäre Gedanke, das ist heftig. Allerdings auch hier der Hinweis auf die Zustände, es gab kein Salz, die damit verbundene Kritik am System. Das war schon recht deutlich. Wenn ich mir überlege, dieser Roman wurde ja zwischen 1928 und 1940 geschrieben, der letzte Teil wurde sicher auch zuletzt fertig, finde ich es wieder einmal erstaunlich, dass er so veröffentlicht wurde. In der DDR wurden Bücher mit deutlich weniger Regimekritik nicht veröffentlicht. Warum das so ist, hat sich mir bis zum Ende hin nicht erschlossen. War den Genossen damals nur wichtig, dass trotz der Schwächen im Detail das Große, Ganze und gute Rote siegt? Denn das Ende ist ja in dieser Hinsicht eindeutig. Gern hätte gelesen, wie es mit den Kosaken nach 1920 weiter gegangen ist. Viele kamen in den Gulag oder wurden in ferne Gebiete verbannt. Am Ende hat Michail den Sohn auf dem Arm, die Tochter ist ihm auch noch gestorben. Er ist allein und isoliert. Aber er hat seinen Sohn und damit eine Zukunft. Aber welche? Ein Mischka Koschewoi und wie sie alle hießen werden nicht vergessen, auf welcher Seite er stand und kämpfte.


    Als ich den Roman zu ersten Mal las, war die DDR Gegenwart für mich und dass es einmal anders sein könnte, war nicht abzusehen. Damals hatte ich mir diese Gedanken zu den kritischen Äußerungen Scholochows nicht gemacht. Das ging höchsten so weit, zu denken, aha, es ist nicht alles rosarot. Heute habe ich das aus einem völlig anderen Blickwinkel gesehen und mit einer ganz anderen Lebenserfahrung. Zu Beginn der Leserunde hatte ich schon ein paar Bedenken, ob mich der Roman, obwohl ich ihn als einen meiner Lieblinge bezeichne, noch packen kann. Ja, er hat mich wieder gepackt, wenn auch auf anderer Ebene.


    Am Wochenende werde ich nun beginnen, als Abschluss sozusagen, die DVD’s anzusehen. Wenn ihr daran auch noch Interesse habt, ich schicke sie euch gern.


    Um noch einmal die Frage, ganz vom Anfang aufzugreifen, ist Grigori ein Held?


    Für mich ist er keiner. Er ist ein Kind seiner Zeit, als Kosak geboren und mit der Scholle verwurzelt. So konnte er gar nicht anders als auf der Seite der Weißen zu kämpfen, auch wenn ihm mache Gedanken der anderen Seite nicht abwegig erschienen. So wie er beim Kampf auch manchmal zweifelte, war er als Mann zwischen zwei Frauen hin und her gerissen. Besser hätte man seinen Charakter nicht beschreiben können. Er ist innerlich zerrissen und ohne seine weitere persönliche Geschichte zu kennen, weiß man aus der Geschichtsschreibung, er wird daran zugrunde gehen.


    Auch ich danke SiColier für den Anstoß und die Organisation der Leserunde. Leserunden sind ja für mich die Ausnahme, außerdem bin ich ja auch eher die stille Leserin hier bei den Eulen. Aber diesen Roman wollte ich unbedingt noch einmal lesen und der Gedankenaustausch mit euch hat mir gut gefallen und wird es noch weiter, denn ich bleibe noch dabei, auch wenn ich das Buch ausgelesen habe.

  • Zitat

    Original von Karthause
    Was soll ich jetzt noch schreiben? Lipperin, dein Beitrag ist so gut und spricht mir so aus der Seele, dass er gut das Resümee der Leserunde sein könnte.


    *rotwerd* Danke!.



    Zitat


    Als ich den Roman zu ersten Mal las, war die DDR Gegenwart für mich und dass es einmal anders sein könnte, war nicht abzusehen. Damals hatte ich mir diese Gedanken zu den kritischen Äußerungen Scholochows nicht gemacht. Das ging höchsten so weit, zu denken, aha, es ist nicht alles rosarot. Heute habe ich das aus einem völlig anderen Blickwinkel gesehen und mit einer ganz anderen Lebenserfahrung. Zu Beginn der Leserunde hatte ich schon ein paar Bedenken, ob mich der Roman, obwohl ich ihn als einen meiner Lieblinge bezeichne, noch packen kann. Ja, er hat mich wieder gepackt, wenn auch auf anderer Ebene.


    Also ein Buch für Dich, das Dich durchs Leben begleitet. Wie oft hat man das schon? Interessant wird es für Dich vielleicht noch einmal, wenn Du es "im Alter" noch einmal liest.


    Zitat

    Am Wochenende werde ich nun beginnen, als Abschluss sozusagen, die DVD’s anzusehen. Wenn ihr daran auch noch Interesse habt, ich schicke sie euch gern.


    Vielen Dank für das Angebot, aber ich habe mit Filmen stets meine Schwierigkeiten.


    Zitat

    Um noch einmal die Frage, ganz vom Anfang aufzugreifen, ist Grigori ein Held?


    Für mich ist er keiner. Er ist ein Kind seiner Zeit, als Kosak geboren und mit der Scholle verwurzelt. So konnte er gar nicht anders als auf der Seite der Weißen zu kämpfen, auch wenn ihm mache Gedanken der anderen Seite nicht abwegig erschienen. So wie er beim Kampf auch manchmal zweifelte, war er als Mann zwischen zwei Frauen hin und her gerissen. Besser hätte man seinen Charakter nicht beschreiben können. Er ist innerlich zerrissen und ohne seine weitere persönliche Geschichte zu kennen, weiß man aus der Geschichtsschreibung, er wird daran zugrunde gehen.


    Für mich ist er das auch nicht, jedenfalls nicht im landläufigen Sinne des Begriffs "Held". In seiner Zerrissenheit hätte er für mich durchaus ein Held werden können, im Sinne von "ich leide mit ihm, ich freue mich mit ihm, für mich muss er nicht strahlen, sondern er muss sich mir in seiner lebendigen Menschlichkeit zeigen". Dazu gehört allerdings zwingend, dass er mir nahe kommt, dass er mir nicht fremd bleibt. Und diesen Umstand hat Scholochow nicht zugelassen.


    Zitat

    ...der Gedankenaustausch mit euch hat mir gut gefallen und wird es noch weiter, denn ich bleibe noch dabei, auch wenn ich das Buch ausgelesen habe.


    :write :write :write

  • Auf denn zu letzten Ritt.


    Der Mensch ist in der Revolution billig geworden.
    (1. Kapitel S. 646) Und manchmal will es mir scheinen, als ob er seither auch „billig“ geblieben wäre. Nicht nur in Rußland.


    Es war erstaunlich, wie kurz und armselig dieses Leben war und wieviel Schweres und Trauriges es enthielt, an das sie nicht mehr denken wollte.
    (3. Kapitel, S. 671) Manchmal kommen mir ähnliche Gedanken. - Iljitschna hat den Lebenswillen verloren; es heißt Abschied nehmen. Wenngleich man diesen Satz auch ganz allgemein - setzt man die Lebensspanne eines Menschen in Relation zur Zeit - sagen könnte.


    Michail Koschewoi kommt zurück und „übernimmt“ das Kommando im Dorfsowjet. Geändert hat er sich nicht. Wundern tut mich, daß er zu einen Dunjaschka heiratet, obwohl die so schlimme Brüder hat, und zum anderen, daß diese ihn heiraten wollte, obwohl sie wußte, daß er ihren Bruder erschossen hat.


    Koschewoi steht jedenfalls für die neue Zeit, und es ist kein erfreuliches Bild, was er abgibt - und steht mMn im Kontrast zu dem im vorigen Abschnitt über die Roten gesagten.


    Zumal recht deutlich die Verschlechterung der Versorgungssituation im Vergleich zu früher beschrieben wird (Kapitel 5, S. 686). Auch das wirft nicht unbedingt ein gutes Bild auf die „neue Zeit“.


    Dann, im 7. Kapitel (S. 716) ein kurzer Hinweis auf das, was mit den Listnitzkis geschehen ist. Sie sind mittlerweile also alle tot.


    Grigori schließt sich mehr oder weniger zwangsweise der Fomin Bande an. Daß der nicht ganz richtig im Kopf ist, wird im 14. Kapitel klar, als er meint, daß er bald wieder 50 Mann beisammen habe und so dann die Sowjetmacht bekämpfen will. Ich frage mich, ob Leute damals wirklich so dachten. Mit ein paar Mann gegen einen ganzen Staat! Aber da weder Napoleon noch Hitler die Landkarte lesen konnten, wie kann man solches dann von so einem, ich schreibe mal, kleinen Offizier verlangen.


    Dann, am Ende, ist kaum noch jemand am Leben. Ich wußte zum Glück aus dem Wikipedia-Artikel, daß Axinja nicht überlebt, aber daß sie so ums Leben kommen mußte... :cry


    Und so bleibt ihm, der Axinja bald nachfolgen wird (vgl. Ende Kapitel 17), nur noch die Heimkehr zu seinem Sohn, vielleicht ein paar schöne Tage/Wochen, bevor auch er den anderen folgen wird.
    Aber wer weiß, Zeit ist relativ, vielleicht wird „bald“ ja nicht nach menschlichen Maßstäben gemessen, und er hat Wochen, Monate, Jahre vor sich.


    Wer weiß das schon ...





    Zwar eigentlich OT, wurde aber früher angesprochen:


    Zitat

    Original von Karthause von hier: 'Der Stille Don' - 1. Buch, 3. Teil
    Ich lese diesen Roman auch sehr gern und fühle mich bestätigt, dass ich es seit Jahrzehnten zu meinen Lieblingsbüchern zähle.


    Was macht ein Lieblingsbuch? Seit über dreißig Jahren ist „Die verlorene Handschrift“ von Gustav Freytag unangefochten mein Lieblingsbuch. Keine Ahnung, wie oft ich das gelesen habe. Keine Ahnung, was gerade dieses Buch auf das Podest gehoben hat. Denn es ist weder extrem besonders noch literarisch auffällig. Und dennoch ist bisher kein anderes Buch da herangekommen.


    "Der stille Don" hat eine Menge, weswegen es mir nicht gefallen dürfte (Todesrate, Grausamkeiten, fast durchgängig Krieg) - und dennoch hat es mir außerordentlich gut gefallen. Dennoch bin ich mir ziemlich sicher, daß ich das nochmals lesen werde. Alleine schon deswegen, weil ich beim ersten Lesen überhaupt nicht alles erfassen konnte. Es hat mich auf eine Weise berührt und "getroffen", die ich selbst weder verstehe noch derzeit auch nur annähernd imstande bin auszudrücken.


    Ohne momentan eine Position angeben zu können, ist das in die Topliste meiner Lieblingsbücher aufgerückt. Obwohl es das, sieht man auf die Handlung, eigentlich nie hätte dürfen.




    Zu euren Posts später mehr.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Lipperin
    In I, meine Ausgabe Seite 832, Dunjaschka streut Körner auf die Gräber ihrer Familienangehörigen und „in ihrer kindlichen Einfalt glaube sie, die Toten würden ...“. Dem vorhergehenden und diesem Abschnitt merkt man seine Positionierung deutlich an, finde ich.
    Apropos Dunjaschka: Sie siezt nicht nur ihre Mutter, sondern ihren Bruder nach dessen Rückkehr. Aus heutiger Sicht klingt das … seltsam.


    Hm, also das fand ich durchaus nicht seltsam, sondern zu ihr passend. Immerhin heiratet sie auch so einfach den Mörder ihres Bruders, ohne daß es ihr groß etwas auszumachen scheint. Und den zwingt sie sogar - gegen dessen Willen - in die Kirche.


    Zum Siezen: aber nur aus heutiger Sicht. Damals war das so, weitgehend auch in Deutschland und anderen Ländern (wenngleich in anderen Formulierungen, im Englischen gibt es kein „Sie“, im Russischen übrigens schon, genau wie im Deutschen. Im Schwedischen, habe ich gerade gelernt, stirbt das derzeit aus).



    Zitat

    Original von Lipperin
    Er nimmt dann gleich noch das Gesetz in die eigene Hand, will Ankläger, Richter und Henker gleichzeitig sein.


    :write Für meine Begriffe, kommt Koschewoi als „Roter“ nicht gut weg im Buch und wirft ein eher ungünstiges Licht auf die "Roten".



    Zitat

    Original von Lipperin
    Und da ist dann noch das „es bleibt noch zu entscheiden, welches Blut überwiegt“ (Seite 865).


    :gruebel Ich habe das eher mengen- denn „qualitäts“mäßig verstanden.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Es passiert so viel in dem Buch, dass ich eigentlich gedacht hatte, es wäre „etwas später“.


    Mich wundert eigentlich eher, wenn immer mal von „vielen Jahren“ die Rede ist, da mir die jeweils aktuelle Zeit i. d. R. klar war und diese „vielen Jahren“ manchmal nur einen Zeitraum von vier bis fünf umfassen. Aber in solchen Zeiten sind das vermutlich „viele“.



    Zitat

    Original von Karthause
    Ein Mischka Koschewoi und wie sie alle hießen werden nicht vergessen, auf welcher Seite er stand und kämpfte.


    :write Deshalb ist das Ende zwar auf den ersten Blick offen, auf den zweiten für mich jedoch nicht. So ungern ich diesem Gedanke auch Raum lasse - aber die Andeutung, daß er Axinja bald folgen wird, ist relativ eindeutig.



    Zitat

    Original von Karthause
    Am Wochenende werde ich nun beginnen, als Abschluss sozusagen, die DVD’s anzusehen.


    Ich habe beide Verfilmungen und will mir die demnächst auch ansehen; wird aber wohl erst im November etwas. Außerdem möchte ich ganz bewußt einigen zeitlichen Abstand zum Buch lassen.



    Zum Thema „Held“:


    Zitat

    Original von Karthause
    Für mich ist er keiner. Er ist ein Kind seiner Zeit, als Kosak geboren und mit der Scholle verwurzelt. So konnte er gar nicht anders als auf der Seite der Weißen zu kämpfen, auch wenn ihm mache Gedanken der anderen Seite nicht abwegig erschienen. So wie er beim Kampf auch manchmal zweifelte, war er als Mann zwischen zwei Frauen hin und her gerissen. Besser hätte man seinen Charakter nicht beschreiben können. Er ist innerlich zerrissen und ohne seine weitere persönliche Geschichte zu kennen, weiß man aus der Geschichtsschreibung, er wird daran zugrunde gehen.


    Das kann ich mir ganz einfach machen: :write Sehe ich genauso und wüßte nicht, wie ich das besser ausdrücken könnte.



    Eigentlich habe ich euch zu danken. Das Buch wollte ich seit Jahrzehnten (:yikes , bin ich schon so alt???) lesen, und ohne diese LR wäre es weiterhin ungelesen im Regal geblieben, was ewig schade gewesen wäre.




    Zum Thema „Propaganda“:


    Ich habe eure Äußerungen aus den früheren Abschnitten nochmals überdacht. Also für mich ist das Buch bis auf wenige Stellen, an denen die Präferenzen Scholochows durchkommen, ziemlich ausgewogen. Auf keinen Fall wird eine Seite heroisiert oder "in den Himmel gehoben". Mein Gesamteindruck ist, daß es so gewesen sein könnte. Ich erwähnte es, aber so manche bäuerliche Szene kam mir durchaus bekannt vor. Zumindest, was die Streitereien und Beschimpfungen betrifft. Das habe ich hier schon "live" erlebt. Das ein paar Jahrzehnte zurück, dann paßt das schon. Und was ich hier als "Kleinkrieg" im Dorf erlebe, würde teilweise auch gut ins Buch passen. Ich glaube, Scholochow brauchte nicht viel zu erfinden. Das war vermutlich so.


    Übrigens ist mir beim Schreiben der Rezi (ich konnte nicht und mußte die erst mal los werden) aufgefallen, daß Scholochow auf dem Gehöft Kruschilin, Station Wjoschenskaja, geboren wurde! Ich denke, der hat auch Jugenderinnerungen verarbeitet.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Zum Thema „Propaganda“:


    Ich habe eure Äußerungen aus den früheren Abschnitten nochmals überdacht. Also für mich ist das Buch bis auf wenige Stellen, an denen die Präferenzen Scholochows durchkommen, ziemlich ausgewogen. Auf keinen Fall wird eine Seite heroisiert oder "in den Himmel gehoben".


    Vermutlich wollte er auch die "Anfangsschwierigkeiten" der Roten darstellen, aber je näher das Buch dem Ende zustrebte, war es für mich immer mehr zu spüren, dass ... um es ganz platt zu sagen ... sein Herz den Roten gehört. Ich habe mir immer mal wieder vorzustellen versucht, wie der Roman ausgesehen haben könnte, wenn die Kosaken sich nicht derart widerspenstig gezeigt hätten.


    Zitat

    Mein Gesamteindruck ist, daß es so gewesen sein könnte. Ich erwähnte es, aber so manche bäuerliche Szene kam mir durchaus bekannt vor.


    :write

  • Zitat

    Original von Lipperin


    Vermutlich wollte er auch die "Anfangsschwierigkeiten" der Roten darstellen, aber je näher das Buch dem Ende zustrebte, war es für mich immer mehr zu spüren, dass ... um es ganz platt zu sagen ... sein Herz den Roten gehört. Ich habe mir immer mal wieder vorzustellen versucht, wie der Roman ausgesehen haben könnte, wenn die Kosaken sich nicht derart widerspenstig gezeigt hätten.
    ...


    Ich hatte den Eindruck beim Lesen, dass, ganz im Sinne von Kritik und Selbstkritik, die Menschlichkeit im Sinne von menschlicher Fehlerhaftigkeit gezeigt werden sollte. Wie du schon sagtest, die Anfangsschwierigkeiten, durch die man sich durchkämpfen musste, die die Roten überwinden mussten.


    Ich bin immer noch nicht ganz durch, denn ich komme im Moment nicht wirklich zum Lesen. Aber mir verstärkt sich der Eindruck, dass die Figuren, die sich durchsetzen, und sei es nur in kleinen Episoden, die Roten sind. Buntschuk, Anna, Koschewoi...

  • Zitat

    Original von Clare
    Aber mir verstärkt sich der Eindruck, dass die Figuren, die sich durchsetzen, und sei es nur in kleinen Episoden, die Roten sind. Buntschuk, Anna, Koschewoi...


    Das ist einer der Punkte ... er macht das eigentlich auf eine unglaublich geschickte, unterschwellige Art und Weise: Die Roten gewinnen, wobei vermutlich auch deutlich werden sollte, dass es gar nicht um die einzelnen Namen geht, sondern um die Idee, den Plan, die neue Politik.


    Wäre der Roman "plumper" dahergekommen, wäre er doch auch niemals in die engere Auswahl für den Nobelpreis gekommen. Beim Lesen kam mir jedenfalls immer wieder eines in den Sinn: Russland hat eine große Erzähltradition, denkt an die Märchen, die Sagen. Scholochow ist ein unglaublich guter Geschichtenerzähler, in meinen Augen aber einer, der die Richtung vorzugeben weiß, auch wenn ich vielleicht gar nicht immer merke, dass er einen kleinen Schlenker gemacht hat. Entschuldigung, wenn ich das nicht besser erklären kann.


    Sicherlich könnte man Seite für Seite, Absatz für Absatz genau untersuchen und ich bin mir sicher, man würde fündig. Die Frage ist: Will ich das? Meine Antwort ist da eindeutig "nein", ich lasse lieber das große Ganze auf mich wirken. Was mir bleiben wird sind grandiose Naturbeschreibungen (bei denen im Buch meine Merkzettel stecken und dort auch bleiben werden), es bleibt die Erinnerung an die Kämpfe der einzelnen Menschen - und es bleibt das Gefühl, Scholochow nicht wirklich durchschauen zu können, es bleibt bei mir sogar das leicht difuse Gefühl, dass ich ein ganz klein wenig ... zu sehr gedrängt werden sollte, eine bestimmte Sichtweise anzunehmen, um ein stärkeres Wort zu vermeiden.

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Übrigens ist mir beim Schreiben der Rezi (ich konnte nicht und mußte die erst mal los werden) aufgefallen, daß Scholochow auf dem Gehöft Kruschilin, Station Wjoschenskaja, geboren wurde! Ich denke, der hat auch Jugenderinnerungen verarbeitet.


    Gerade habe ich sie gelesen, SiCollier, ich verneige mich vor Deinen Worten :anbet, auch wenn ich nicht in allem zustimme.
    Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll und erst recht weiß ich nicht, wie ich es sagen soll. Es wird also noch dauern mit meiner Wortmeldung im Rezi-Thread.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    (...) 1) sein Herz den Roten gehört. 2) Ich habe mir immer mal wieder vorzustellen versucht, wie der Roman ausgesehen haben könnte, wenn die Kosaken sich nicht derart widerspenstig gezeigt hätten.


    Zu 1) Na ja, davon gehe ich aus. Er ist ja - wie mir heute bewußt wurde - mit 13 zu den Revolutionären gegangen, also von Jugend auf dabei. Ich hatte Heroisierung der Roten und ihrer Sache erwartet. Um es mal so überspitzt auszudrücken: im Vergleich zu meiner Erwartungshaltung war das Buch geradezu neutral.


    Zu 2). Dann gäbe es das Buch nicht, weil es den Krieg mit den Kosaken nicht gegeben hätte...



    Zitat

    Original von Clare
    Aber mir verstärkt sich der Eindruck, dass die Figuren, die sich durchsetzen, und sei es nur in kleinen Episoden, die Roten sind. Buntschuk, Anna, Koschewoi...


    Ja sicher, aber ginge das überhaupt anders? Die Protagonisten sind weitgehend fiktiv, aber die Ereignisse haben im Großen und Ganzen anscheinend so stattgefunden. Am Ende mußten die Roten also siegen, die Kosaken untergehen, denn so steht es in den Geschichtsbüchern. Grigori konnte keinen Erfolg haben, weil die Donarmee und die Kosaken schlicht verloren haben. Wird deutlich, worauf ich hinaus will? :gruebel


    Was mich auch überrascht hat war, daß es Scholochow schafft, trotz alle dem Schlimmen, trotz dem fehlenden Happy End (was es nicht geben konnte), mich NICHT in Depressionen verfallen, sondern im sicheren Bewußtsein zurückzulassen, daß ich das nochmals lesen werde. In dem Bewußtsein, trotzdem ein wunderschönes Buch gelesen zu haben. Bei solch tragischem Inhalt ist das bei mir bisher nur sehr, sehr wenigen Autoren gelungen.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Beim Lesen kam mir jedenfalls immer wieder eines in den Sinn: Russland hat eine große Erzähltradition, denkt an die Märchen, die Sagen.


    Yep, und in genau diese Tradition hat ihn die FAZ gestellt, zumindest wenn ich dem kurzen Ausschnitt aus deren Rezension, der sich auf der Buchrückseite meiner Ausgabe befindet, Glauben schenken darf.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Sicherlich könnte man Seite für Seite, Absatz für Absatz genau untersuchen und ich bin mir sicher, man würde fündig. Die Frage ist: Will ich das? Meine Antwort ist da eindeutig "nein", ich lasse lieber das große Ganze auf mich wirken.


    :write Wie drücke ich mich aus? Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust. Eines meiner liebsten Bücher zur Jugendzeit war eines eines sowjetischen Autors, eine Art Science Fiction Roman zu Zeiten des Kalten Krieges, in dem selbstverständlich die guten Sowjets über die bösen Amerikaner die Oberhand behielten (technisch gesehen). Meine Oma hatte mir das von „drüben“ geschickt; ich konnte das Buch streckenweise auswendig.


    Es war ein Konsalik-Roman, der mich später dazu brachte, etliche Russisch-Kurse zu besuchen, und ein paar Grundbegriffe kann ich heute noch, kyrillisch lesen geht auch noch relativ gut. (Übrigens habe ich als Folge dieses Buches begonnen, meine Kenntnisse bzw. Erinnerungen daran aufzufrischen. :rolleyes) Als ich mit dem Kurs eine Sprachreise in die UdSSR gebucht hatte, zerbrach meine erste Ehe, als dessen Folge ich mir die Reise nicht mehr leisten konnte. Unsere Lehrerin (Spätaussiedlerin) hatte Russisch als Muttersprache. Als sie zurück waren, war sie völlig überrascht, weshalb die auf dem Rhein-Main-Flughafen durch einen Geigerzähler gehen mußten. Genau in der Zeit war Tschernobyl in die Luft geflogen - und obwohl sie, wie sie sagte, dort jeden Tag Zeitung las und Nachrichten sah, bekamen sie überhaupt nichts davon mit. „Glasnost“ kam erst danach (bzw. als Folge davon) in Mode.


    Was ich eigentlich sagen will ist, daß mich Rußland seit meiner Jugend immer wieder fasziniert, mich die Ideologie aber nie erreicht hat. Da stand ich immer fest verwurzelt in der westlichen. Ich konnte schon immer eindeutig „rote“ Bücher oder Artikel lesen, ohne von der ideologischen Stoßrichtung beeinflußt zu werden. Vielleicht habe ich daher auch hier ein zu dickes Fell, kann von den „guten“ Roten lesen, die die Zivilbevölkerung in Ruhe lassen, während die „bösen“ Kosaken räubern und plündern, ohne daß mich das in meiner Einstellung beeinflußt. Weil ich so eine Schilderung erwartet habe und quasi automatisch filtere in „im Krieg sind alle schlecht“ und „die Geschichte schreibt der Sieger“. Und an ein paar Stellen kommt ja auch durch, daß sich die Roten durchaus ähnlich verhalten haben. (Man denke an Koschewoi, oder an die Bemerkung des gefangenen roten Offiziers, daß er im umgekehrten Fall ganz andere Verhörmethoden angewandt hätte.)


    Danke, Lipperin, für Deine Worte zur Rezi. :-) Es ist mir klar, daß Du manches anders siehst. Aber vielleicht bin ich aus den angeführten Gründen der Falsche, um auf die ideologische Komponente des Romans einzugehen, weshalb ich auch das für mich betont habe. Ich bin gespannt, was Du schreiben wirst. :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • SiCollier
    Ich glaube beim stillen Don empfinden wir sehr ähnlich. Als ich deinen Post und auch deine sehr gelungene Rezension las, musste ich unweigerlich lächeln, denn du hast mir eigentlich vieles vorweg genommen.


    Als Kind und Jugendliche habe ich beide Seiten Deutschlands kennenlernen dürfen. Mein Vater war Binnenschiffer und ich durfte gemeinsam mit meinen Eltern die Grenze passieren. Für mich gab es nie eine gute und eine böse Seite. Dieses Wissen hat mich immer begleitet. Ob bei Streitereien, Filmen, oder auch der Literatur, es gibt kein schwarz und weiß, alles ist immer nuanciert und das hat mir Scholochow sehr gut beschrieben. Klar mussten die Roten gewinnen. Wie SiCollier schrieb, das gab die Historie so vor. Aber wir haben auch erfahren, es war kein glorreicher Sieg und wie es 70 Jahre später weiterging wissen wir auch. Mir hat es sehr gut gefallen, wie Scholochow seinen Roman in das vorgegebene historische Gerüst gebaut hat und alle Ebenen beleuchtet hat hat, das große Ganze, den Chutor, die Familie und den Kosak Grigori.


    Dann werde ich mal meine Zettel ordnen und eine Rezension daraus basteln. Bei Büchern, die ich sehr mag, fällt mir das immer besonders schwer.

  • Zitat

    Original von SiCollier
    ...


    Ja sicher, aber ginge das überhaupt anders? Die Protagonisten sind weitgehend fiktiv, aber die Ereignisse haben im Großen und Ganzen anscheinend so stattgefunden. Am Ende mußten die Roten also siegen, die Kosaken untergehen, denn so steht es in den Geschichtsbüchern. Grigori konnte keinen Erfolg haben, weil die Donarmee und die Kosaken schlicht verloren haben. Wird deutlich, worauf ich hinaus will? :gruebel
    ...


    Ich glaube, ich habe mich nicht ganz schlüssig ausgedrückt. Wahrscheinlich sollte man doch nicht posten, wenn man so müde ist. :grin


    Natürlich ist es logisch, dass die Roten gewinnen. Das ist eine historische Tatsachen. Was ich eigentlich sagen wollte, ist dass mich dieses, zugegeben meisterlich indirekt geschriebene, politische Statement stört. Scholochow schiebt mir seine Überzeugung durch das Hintertürchen vor die Nase, und das missfällt mir. Nicht gleich alle aufschreien: Das ist eine persönliche Sache.
    Die moralische Überlegenheit der der Zukunft zugewandten Bolschewisten steht der Engstirnigkeit der ewig gestrigen Kosaken mit der geringen Moral entgegen...Ich bin mir bewusst, wann das Buch geschrieben wurde und von wem. Trotzdem muss mir das nicht gefallen.
    Ich vergleiche da in meinem Kopf diesen Roman mit einem anderen Scholochows, nämlich "Neuland unterm Pflug". Dieser Roman ist ideologisch eindeutiger, klar und direkt. Auch das muss mir nicht gefallen, hat es damals auch nicht wirklich, zumal ich ihn lesen musste, aber die Position des Autors ist klar, man weiß von Anfang an, woran man ist.

  • Ich weiß natürlich nicht, welche Intention Scholochow beim Schreiben hatte. Auf jeden Fall fand ich es angenehm, dass die Ideologie mehr durch die Hintertür kam und nicht so plakativ wie bei "Neuland unterm Pflug" ist. Deshalb war/bin ich auch der Meinung, für ihn war es sehr wichtig, die Position der Kosaken darzustellen und die der Bolschewiki dagegen zu halten. Dadurch erscheint mir das Buch als recht ausgewogen und neutral. Aber wie bei vielem im Leben ist eben alles eine Geschmackssache. Ich überlege, ob ich heute "Neuland unterm Pflug" noch einmal lesen möchte und bin reichlich unentschlossen. Als Folge unserer Leserunde habe ich mir aber "Ein Menschenschicksal" von Scholochow bestellt. Das politische Statement ist auch da eindeutig, so habe ich in Erinnerung.

  • @ Karthause


    Danke für Dein Lob. Dabei bin ich mit meiner Rezi gar nicht so ganz zufrieden, weil ich das, was ich eigentlich hätte sagen wollen, nicht imstande war, in Worte zu fassen. Das vorherige Buch von Francine Rivers hat mich in „tiefer Erschütterung“ zurückgelassen, auch wenn ich das hier im Forum nicht so deutlich formuliert habe. „Der stille Don“ hat bei mir ganz andere Saiten zum Klingen gebracht, ganz anders gewirkt, aber so - da mir eben die Sprachgewalt eines Scholochow fehlt - , daß ich das nur sehr unzureichend ausdrücken kann.



    Zitat

    Original von Clare
    Das ist eine historische Tatsachen. Was ich eigentlich sagen wollte, ist dass mich dieses, zugegeben meisterlich indirekt geschriebene, politische Statement stört. Scholochow schiebt mir seine Überzeugung durch das Hintertürchen vor die Nase, und das missfällt mir. Nicht gleich alle aufschreien: Das ist eine persönliche Sache.


    Wenn ich das richtig verstanden habe, bist Du noch zu Zeiten der DDR dort aufgewachsen. Damit hast Du einen ganz anderen Erfahrungshintergrund als etwa ich, der im Westen aufwuchs. Insofern fand/finde ich Deine Kommentare sehr interessant, weil Du das System, das damals begann, eben selbst erlebt hast. Ich nicht. D. h., 1973 war ich einmal „drüben“ meine Oma besuchen (in der Gegend von Meißen), da mein Vater ursprünglich von dort stammte. Aber mit 15, nur ein paar Tage dort und das jetzt „eine Ewigkeit her“ - da ist nicht mehr viel hängen geblieben. Und groß einen Eindruck gewinnen konnte ich auch nicht.


    Wie erwähnt, hat mich Rußland bzw. die UdSSR schon seit Jugendzeiten mal mehr, mal weniger interessiert, ohne daß ich von der Ideologie „erreicht“ worden wäre. Eher im Gegenteil. In meiner Jugend war ich politisch aktiv und ich schreibe lieber nicht, für wen ich damals ziemlich aktiv Wahlkampf gemacht habe. :grin


    Auf den Rückseiten meiner beiden Bände sind ja kurze Pressezitate zum Buch abgedruckt. Interessant finde ich (das ist eine Feststellung, keine Wertung), daß diese „westlichen“ Stellungnahmen das Buch alle ziemlich ähnlich empfinden wie Karthause und ich. Wie das Buch wirkt, hängt wohl wirklich zu einem guten Teil von den eigenen Erfahrungen ab. (Wie gesagt, das ist keine Wertung, sondern eine Feststellung.)


    Übrigens Respekt, daß Du Deine Schullektüre fertig gelesen hast. Ich war, glaube ich, der einzige, der „Berlin Alexanderplatz“ abgebrochen hat; ich habe mich schlicht und einfach geweigert, das zu Ende zu lesen. Die Zwangsbeschäftigung damit hat mir das Interesse an moderner, zeitgenössischer Literatur so gründlich ausgetrieben, daß das immer noch wirkt und ich in diesem Genre nur extrem wenig lese. (Übrigens hatte ich diese Woche mein Zeugnis von damals in der Hand, in Deutsch hatte ich trotzdem eine „1“ :grin .)



    Zitat

    Original von Karthause
    Als Folge unserer Leserunde habe ich mir aber "Ein Menschenschicksal" von Scholochow bestellt.


    Daran habe ich auch schon gedacht. Mir ist bisher auch die Verfilmung davon begegnet. Ich schätze, im November würde ich so was schon vertragen.


    Ein Buch über ihn ist jedenfalls derzeit unterwegs zu mir.



    Bevor ich’s vergesse: ich fand/finde unsere kleine Runde und unseren Gedankenaustausch prima klasse. Auch und vor allem, daß wir auch bei verschiedenen Meinungen so gut (und zum Nachdenken anregend) diskutieren konnten/können. :wave
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Clare


    Ich glaube, ich habe mich nicht ganz schlüssig ausgedrückt. Wahrscheinlich sollte man doch nicht posten, wenn man so müde ist. :grin


    Natürlich ist es logisch, dass die Roten gewinnen. Das ist eine historische Tatsachen. Was ich eigentlich sagen wollte, ist dass mich dieses, zugegeben meisterlich indirekt geschriebene, politische Statement stört. Scholochow schiebt mir seine Überzeugung durch das Hintertürchen vor die Nase, und das missfällt mir. Nicht gleich alle aufschreien: Das ist eine persönliche Sache.


    Ich schreie nicht, höchstens Zustimmung.


    Zitat

    Die moralische Überlegenheit der der Zukunft zugewandten Bolschewisten steht der Engstirnigkeit der ewig gestrigen Kosaken mit der geringen Moral entgegen...Ich bin mir bewusst, wann das Buch geschrieben wurde und von wem. Trotzdem muss mir das nicht gefallen.


    Und genau deshalb hatte ich ab einem gewissen Punkt (den man an einem einzigen Satz festmachen kann) das anfangs etwas difuse Gefühl, manipuliert - jetzt gebrauche ich das hässliche Wort doch - zu werden. Er macht das Ganze unglaublich geschickt, ja fast schon genial, nur ...
    Entschuldigung, wenn ich mich ein bisschen winde ... ich bastele an meiner Meinung zum Buch, dort hoffe ich deutlicher erklären zu können, was mich umtreibt.

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Auf den Rückseiten meiner beiden Bände sind ja kurze Pressezitate zum Buch abgedruckt. Interessant finde ich (das ist eine Feststellung, keine Wertung), daß diese „westlichen“ Stellungnahmen das Buch alle ziemlich ähnlich empfinden wie Karthause und ich. Wie das Buch wirkt, hängt wohl wirklich zu einem guten Teil von den eigenen Erfahrungen ab. (Wie gesagt, das ist keine Wertung, sondern eine Feststellung.)


    Und vom Wissen über die historischen Fakten - Entschuldigung, aber ich glaube wirklich, dass man das Buch anders - vielleicht auch besser - "genießen" kann, wenn man das, was Scholochow schreibt, für Fakt und zwar alleinigen Fakt ansieht. Im Gegensatz vielleicht zu jemandem, der die eine oder andere Erinnerung an anderweitig Gelesenes hat.
    Damit möchte ich keinesfalls andeuten, dass die Wirkung des Buches auf euch/andere Leser eine falsche sei oder etwas in dieser Preislage, ich möchte auch keinesfalls andeuten, dass eure Meinung deshalb nicht wichtig oder was auch immer sei (im Gegenteil, mir ist sie sehr wichtig!) - es ist halt nur so, dass ich einiges anders sehe. Wie gesagt, in meiner Meinung zum Buch werde ich versuchen, mich zu erklären.
    Nochmals Pardon! :knuddel1



    Zitat


    Bevor ich’s vergesse: ich fand/finde unsere kleine Runde und unseren Gedankenaustausch prima klasse. Auch und vor allem, daß wir auch bei verschiedenen Meinungen so gut (und zum Nachdenken anregend) diskutieren konnten/können. :wave


    :write

  • Zitat

    Original von Lipperin


    :write


    :write Es war wirklich eine sehr angenehme Leserunde, die unterschiedlichen Lesetempi fielen gar nicht ins Gewicht. Im Gegenteil, es war interessant, immer mal wieder eine Blick auf die vergangenen Dinge zu werfen. Vielleicht gibt es wieder einmal eine gemeinsame Runde, mich würde es freuen. Über unterschiedliche Standpunkte kann man trefflich diskutieren - ohne zu streiten, für mich war diese Runde eine ganz besondere. :knuddel1

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Und vom Wissen über die historischen Fakten - Entschuldigung, aber ich glaube wirklich, dass man das Buch anders - vielleicht auch besser - "genießen" kann, wenn man das, was Scholochow schreibt, für Fakt und zwar alleinigen Fakt ansieht. Im Gegensatz vielleicht zu jemandem, der die eine oder andere Erinnerung an anderweitig Gelesenes hat.
    Damit möchte ich keinesfalls andeuten, dass die Wirkung des Buches auf euch/andere Leser eine falsche sei oder etwas in dieser Preislage, ich möchte auch keinesfalls andeuten, dass eure Meinung deshalb nicht wichtig oder was auch immer sei (im Gegenteil, mir ist sie sehr wichtig!) - es ist halt nur so, dass ich einiges anders sehe. Wie gesagt, in meiner Meinung zum Buch werde ich versuchen, mich zu erklären.


    Lipperin, Du brauchst Dich nicht zu entschuldigen, ich stimme Dir prinzipiell durchaus zu! :wave


    Ich habe es erwähnt, mein Wissen über die damalige Zeit ist doch, wie ich auch bei der Lektüre dieses Buches festgestellt habe, sehr begrenzt. Wie ich das Buch lesen würde, wäre ich etwa Historiker, weiß ich nicht. Desgleichen würde ich es vermutlich anders sehen, wenn ich selbst (oder meine Familie) von Ereignissen betroffen gewesen wären. Waren wir aber nach meiner Kenntnis nicht (mein Vater kam direkt nach der Kriegsgefangenschaft in den Westen und blieb hier, weil er meine Mutter kennengelernt hatte).


    Mir ist die Zeit sowie die Folgen des 1. Weltkrieges, ich traue kaum, das zuzugeben, erst dieses Jahr durch die schon erwähnte TV-Serie „Downton Abbey“ erstmals ins Blickfeld geraten (dort natürlich aus britischer Sicht). Manches, ich habe es erwähnt, kam mir von dort vertraut vor. Ich habe mir inzwischen einige Lektüre zum Thema besorgt, um das näher zu vertiefen (auch, weil ich wissen will, inwieweit der historische Ablauf der Geschehnisse hier im Buch korrekt ist).


    Hätte ich einen anderen Erfahrungs- und Erlebnishintergrund, würde ich das Buch vielleicht (wahrscheinlich) anders beurteilen. Ich fand die Diskussion über das Buch sehr interessant und anregend, weil dadurch auch andere Sichtweisen deutlich wurden und ich gezwungen war, die eigene Position zu überdenken bzw. hinterfragen. Dadurch hatte ich auf jeden Fall mehr vom Buch. :-)


    Ich bin gespannt auf Deine Schlußmeinung (und auch auf die von Clare, mir ihrem wieder anderen Hintergrund)! :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • So, heute ist das hier verlinkte Buch angekommen; da es mir bei Amazon-Marketplce zu teuer war, habe ich es für sehr wenig Geld über booklooker.de erstanden. Ein erstes Hineinlinsen ergibt: im Vergleich zu diesem im Jahr 1966 von der Karl-Marx-Universität Leipzig herausgegebenen Band ist "Der stille Don" tendenziell geradezu neutral bis westlich ... ;-)


    Im Ernst: der Band ist schon sehr eindeutig in der Tendenz, bringt aber z. B. einen Vergleich der Textveränderungen im "Stillen Don". Das werde ich mir mal genauer ansehen, weil da Zitate gegenübergestellt werden. Zum Glück habe ich begonnen, meine Kenntnisse der kyrillischen Schrift wieder aufzubessern. Die Zitate stehen nämlich meist in Russisch, und nicht immer übersetzt. Man setzte also voraus, daß die Leser des Russischen mächtig sind. Na ja, wenn ich die Worte entziffern kann, kann ich sie dann mit Hilfe meiner Lexika (ich habe ein ziemlich umfangreiches Russisch-Wörterbuch) übersetzen.


    Sehr deutlich wird auch, wie Scholochow tendenzielles in seinen Roman eingebaut hat. Oder genauer, wie man den Roman als "tendenziell" rezipiert hat.


    Das nur ein allererster flüchtiger Eindruck. Ich werde mich dem Buch sicherlich die nächste Zeit widmen, das interessiert mich zu sehr.


    Bei der Gelegenheit habe ich nochmals Google (eigentlich dafür erstmals) bemüht und bin auf folgenden Eintrag zur > Weißen Armee < gestoßen. Und hier noch der Eintrag zum > Russischen Bürgerkrieg <.


    Auch die habe ich bisher nur diagonal gelesen, aber den Eindruck gewonnen, daß sich Scholochow im Vergleich zur Historie mit antijüdischen Stellen sehr zurückgehalten hat. Das war ja grauenhaft, was damals an Pogromen passiert ist! :yikes


    Ich schätze, das Thema wird mich noch einige Zeit beschäftigen.
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")