Meeresrand - Veronique Olmi

  • Inhalt:


    Eine Mutter bricht mit ihren beiden Söhnen zu einer Reise auf. Sie freuen sich, aber es ist ihnen auch unheimlich. Sie waren noch nie weg, und Ferien sind auch nicht. Aber die Mutter ist fest entschlossen: Ihre Kinder sollen das Meer sehen, wenigstens einmal. Da spielt es keine Rolle, wie verlassen und trostlos der kleine Küstenort ist und dass sie von ihrem Hotelzimmer auf eine Betonwand schauen, nicht auf den Strand. Diese Reise hat sie geplant, auch wenn sie sonst nie planen kann. Sie werden ans Meer gehen und abends auf die Kirmes. Die Kinder sollen es gut haben. Bis sie kein Geld mehr hat und auch der Mut sie verlässt. Denn es ist eine Reise ohne Wiederkehr, eine Reise in das Herz der Verzweiflung.


    Zur Autorin:


    Véronique Olmi wurde 1962 in Nizza geboren und lebt heute mit ihren zwei Kindern in Paris. In Frankreich wurde sie, als eine der bekanntesten Dramatikerinnen des Landes, für ihre Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Seit 1990 hat die ausgebildete Schauspielerin zwölf Theaterstücke verfasst, am Anfang stand sie bei deren Aufführung auch selbst auf der Bühne und/oder führte Regie. Ihre Theaterstücke wurden in viele Sprachen übersetzt, einige Stücke liegen auch in deutscher Übersetzung vor (bei Suhrkamp) und wurden und werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgeführt.


    Meine Meinung:


    Wow! Ein Buch, das absolut unter die Haut geht! Beklemmend, verstörend, aufwühlend. Man ahnt es von Anfang an: das geht nicht gut aus... Eine junge Mutter läßt uns teilhaben an einem "Ausflug" ans Meer mit ihren beiden "Knirpsen". Sie rafft das letzte Geld zusammen, mietet ein schäbiges Hotelzimmer in einer Stadt, in der es nur regnet. Alles trostlos, selbst die Menschen um sie herum. Aber immerhin: sie schafft es, den beiden Jungs einmal das Meer zu zeigen. Manchmal taucht die Mutter aus ihrer Depression, ihrer Verzweiflung, ihrer körperlichen Ermüdung und ihrer Wut auf und überlegt, ob sie nicht doch wie alle anderen "normal" leben könnten - aber das ist immer nur für Sekunden der Fall.
    Man möchte sie in den Arm nehmen und ihr sagen, daß man helfen kann, so zieht einen die Geschichte in ihren Bann.
    Höhepunkt des Ausflugs ist der abendliche Besuch eines Jahrmarkts: man kann sich doch nochmal vormachen, wie alle anderen zu sein. Aber spätestens, wenn man das letzte Geld den Jungs für den Autoscooter in die Hand gedrückt hat, weiß man, es gibt keine Hoffnung auf Normalität.
    Niedergeschlagen zieht man nachts wieder zurück ins Hotel, nassgeregnet geht man traurig ins Bett und hier entscheidet sich letztendlich alles - in diesem trostlosen Hotelzimmer, in dem ausgerechnet die Heizung auch noch kaputt geht. Hat sich denn alles gegen sie verschworen?


    Absolut lesenswert - obwohl es so niederdrückend ist, ist es so spannend, daß man es nicht mehr aus der Hand legt, bis zum bitteren Ende. Auch sprachlich hat es mir sehr gut gefallen. Wenn Ihr überlegt, es zu verschenken: ich würde es zartbesaiteten Mamas oder solchen, die es werden sollen, nicht zum Lesen empfehlen.

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Worum es geht
    Eine Mutter bricht mit ihren beiden Söhnen zu einer Reise ans Meer auf. Sie kratzt ihr letztes Geld zusammen und mietet sich mit ihnen in einem schäbigen Hotel ein. Dass es dauernd regnet und keine Ferien sind, macht ihr nichts aus. Wenigstens einmal im Leben sollen ihre beiden Kinder das Meer sehen und sich abends auf der Kirmes vergnügen, ehe zur schrecklichen Gewissheit wird, was sie in ihrem Innersten wohl schon lange plant.


    Wie es mir gefallen hat
    Selten konnte mich ein Roman auf nur 127 Seiten so berühren wie diese Geschichte einer alleinerziehenden Mutter. Die Ich-Erzählerin, deren Namen der Leser nie erfährt, liebt ihre beiden Knirpse, den 9-jährigen Stan und den 5-jährigen Kevin, mehr als alles andere auf der Welt. Umso schlimmer, dass sie ihnen keine gute Mutter sein kann, wird ihr Leben doch von einer schweren Depression überschattet. Den Anforderungen, die das Berufsleben stellt, ist sie genauso wenig gewachsen, wie einem normalen Alltag mit ihren beiden Buben. Stattdessen wird sie zwischen Erschöpfung, verzweifelter Anstrengung und dem Druck des Sozialamtes zermürbt. Eine Mischung aus Niedergeschlagenheit, Wut und Scham über ihre vermeintliche Unfähigkeit treibt sie in eine Spirale aus Angst und Hoffnungslosigkeit, aus der es letzten Endes keinen Ausweg geben kann.
    Wie Veronique Olmi ihre Protagonistin darstellt, hat mich wirklich sehr beeindruckt. Der Leser erfährt nichts über ihre Vergangenheit, sondern tritt mitten ins Geschehen, als der letzte Akt bereits eröffnet ist. Kenntnis von ihrem Leben erlangen wir nur soweit, als sie uns an ihren Gedanken teilhaben lässt. Mit wenigen Worten skizziert die Autorin den Seelenzustand dieser Mutter so treffend, dass man fast sogartig in die beklemmende Atmosphäre, die ihr Leben bestimmt, hineingezogen wird. Problemlos lässt sich die Angst dieser Frau vor der Betriebsamkeit und Zielstrebigkeit ihrer Mitmenschen nachempfinden, die ihr ihre eigene Antriebslosigkeit und Unfähigkeit nur umso deutlicher vor Augen führen. Und doch hatte ich nie das Gefühl, es mit einer verantwortungslosen Asozialen zu tun zu haben, sondern mit einer bedauernswerten psychisch kranken Frau, die keine Hilfe annehmen will, weil sie sich für ihre Situation schämt. Mit liebevollen und warmherzigen Worten erzählt sie vom kleinen, anschmiegsamen Kevin und dem älteren, stets sehr besorgten Stanley, die zeigen, dass ihr durchaus bewusst ist, in welch schwierigen Verhältnissen ihre Knirpse aufwachsen, Verhältnisse, die sie ihnen auf Dauer nicht zumuten will und kann.
    Die beiden Buben freuen sich zwar auf die unverhoffte Reise ans Meer, doch sind sie auch verunsichert und beunruhigt. Kevin ist quengelig, während Stan stark zu sein versucht, aber der Dauerregen und die klamme Kälte des trostlosen Küstenstädtchens erhärten wohl nur die Vorsätze der Mutter, dem Trauerspiel ihres Daseins ein Ende zu bereiten.
    Besonders berührt haben mich die letzten Sätze des Buches, das ich trotz seines traurigen Inhalts, vor allem aber wegen seiner hervorragenden Erzählweise sehr gerne weiterempfehle.