Der Kalligraph des Bischofs - Titus Müller

  • Titus Müller: Der Kalligraph des Bischofs


    Klappentext:
    Es war eine schwere Kunst, das Schreiben, aber war es nicht auch ein Wunder? Die Urkunden im Schrank und in den Regalen, die über das Leben von Menschen entschieden, über Besitz und Abgaben, über Namen und Strafen, über Feste und Dienste. Die Schrift war wie eine riesige Scheune, ein Speicher, der den vergeßlichen Menschen half, ihre Erinnerung stark zu machen. Die bewahrte Wichtiges vor der Vergänglichkeit, die Schrift schuf Beständigkeit, einen Halt, wie ihn der Sattel auf dem Rücken eines wilden Pferdes bot. Und er, Germunt, stand am Grenzstein dieses neuen Reiches, bereit es zu durchwandern und seine Künste zu erlernen, daß er die Feder wie die Zügel hielt und sicher führte.


    Titus Müller, Jahrgang 1977, hat seinen Erstlingsroman im stolzen Turin des 9. Jahrhunderts angesiedelt. Nach umfangreichen Studien zur Kalligraphie und zur Kirchengeschichte hat er die packende Geschichte vom Bischof und seinem Schreiber Germunt verfaßt.


    Da meiner Meinung nach der Klappentext nicht nahe so interessant ist wie das Buch selber, gebe ich noch einen Ausschnitt aus dem Buch dabei.


    Während er schrieb, wuchs sein Erstaunen über Claudius. Zu jedem Vers wußte der Bischof eine gute Erklärung. Seine Begründungen ruhten auf dem sicheren Fels der alten Väter und schlug gleichzeitig unerwartete, frische Wege ein. Biterolf konnte sich gut vorstellen, wie die Augen der Schüler glänzten, wenn sie etwas von ihm zu lesen bekamen.
    Zwischen den Texten für den Bibelkommentar fand der Notar aber auch merkwürdige Niederschriften. In ein Wachstäfelchen hatte Claudius eingeritzt: "Gegen die Reliquien. Die Knochen der Heiligen sind nicht verehrungswürdiger als die Gebeine von Tieren." Überall wurden Reliquien in höchsten Ehren gehalten - das konnte nicht die Meinung der Kirche sein! Und auf einem Pergamentfetzen griff er ganz deutlich den Heiligen Vater in Rom an. Biterolf liefen Schauer über den Rücken, als er die Worte las: "Nicht der sollte Apostel heißen, der einfach auf dem apostolischen Stuhl sitzt, sondern der, der diese Aufgabe erfüllt. Der Herr hat über solche gesagt:>Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln; denn sie sagen`s zwar, tun`s aber nicht.< (Matthäus 23,2.3)." Wenn das Papst Paschalis in die Hände fiele ... Biterolf unterbrach die Schreibarbeit, um den Fetzen tief zwischen anderen Schriften zu verbergen.
    Wer war dieser neue Bischof? Wie konnte er es als Gottesmann wagen solche Gedanken zu hegen? Fragen über Fragen. Wann würde sich die Antwort finden?



    Ein super spannendes Buch, dass mich von Anfang an in Atem hielt. Mitunter hatte ich Mühe es aus der Hand zu legen. Titus Müller hat ins einem Roman sehr gut ausgearbeitete und interessante Charaktere erschaffeen, von denen man gerne mehr erfahren möchte. Ein Autor den man sich für die Zukunft merken sollte.


    Außerdem von Titus Müler erschienen: Die Priestertochter (Beschreibung: Bitte siehe entsprechenden Thread)


    Bye, Immi!

  • Ein Buch über das Schreiben und über einen Bischof, der selbstständig denkt und sich Gedanken gegen den Papst und Sitten der Kirche macht?
    Das ist was für mich und kommt gleich in mein Wunschheft! :write
    Wieviel erfährt man in dem Buch über die Zeit damals und die Gefahren solche Gedanken zu haben? Ist das geschichtliche mit drin oder geht es "nur" um die Personen an sich?

  • Über die Zeit erfährt man einiges von den Gegebenheiten her! Es gut um die Zeit Kaiser Ludwigs des .???? -Habe keine Lust nachzuschauen


    Wie weit es geschichtlich fundiert ist, weiß ich nicht! Der Autor hat jedoch sicherlich nachgeforscht, da er auch Geschichte studiert hat.


    Bye, ImmI!

  • hier sind ja einige auf historische romane spezialisierte eulen vertreten.
    könnten die bitte ein kurzes *daumen hoch* oder "daumen runter" geben?
    begründung nicht erforderlich, ich glaube euch. ausserdem finde ich sicher unter der suchfunktion mehr, aber ich brauche die antwort schnell, da ich günstig an titus müllerbücher rankommen könnte... VIELEN DANK! :anbet

    "Ein Buch ist wie ein Spiegel: Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Weiser herausschauen."(Lichtenberg)

  • heute in einem rutsch ausgelesen.
    es passte zufällig überaus gut, den ich hatte kurz vorher frederick bergers
    "die provencalin" gelesen, die zwar wesentlich später und in einer anderen gegend spielt, aber in der die "waldenser" auftauchten, die hier in müllers buch ganz am ende erwähnt werden.
    spannend, glaubwürdig und gut abgewogen historisches mit menschlichem (ich meine, auch unmenschliche geschichte geschah an menschen, aber sie lässt sich eben mit persönlichen schicksalen besser nachvollziehen) vermischt.
    einziger kleiner kritikpunkt... mir ging es ein wenig zu schnell, dass ein *böser* am ende doch kein *böser* war. aber ich mag hier nicht zuviel über das geschehen verraten. und vielleicht war der ja sogar historisch...
    besonders gefallen hat mir an manchen stellen die wirklich intensive beschreibung und die bilder, die er dazu wählte. man kann den sich mühsam durch den schnee schiebenden wagen so richtig vor sich sehen, das knarren hören, das poltern fühlen, die stechende kälte des windes wahrnehmen. und dann gibt es eine ganz bezaubernde szene mit einer - spinne*g*.
    wird vermutlich keiner meiner "lebenslänglichen" im regal aber durchaus ein sehr schönes leseerlebnis!
    :wave

  • ich habe mir dieses buch eigentlich fast widerwillig zu gemüte geführt, weil mir mein weihnachtsgeschenk an mich selbst - die brillenmacherin - nicht sonderlich gut gefallen hat.
    ich habs auch gleich wieder vertauscht.
    aber der kalligraph des bischofs hat mich von der ersten seite an in seinen bann gezogen, ich habe das buch nur widerwillig aus der hand gelegt, wenn mir keine andere wahl blieb (ich sag ja immer: arbeit kann einem den ganzen tag versauen ;-)


    ich kann das buch nur empfehlen - traut euch ran, es lohnt sich!

    Was ist das Beste daran, erwachsen zu sein? Daß ich nicht mehr betteln muß "Nur noch dieses Kapitel, dann mach ich das Licht aus ... bitte!!! "

  • Zitat

    Original von Maryam1410
    ich habe mir dieses buch eigentlich fast widerwillig zu gemüte geführt, weil mir mein weihnachtsgeschenk an mich selbst - die brillenmacherin - nicht sonderlich gut gefallen hat.


    Bei mir war es genau anders rum, aber das Resultat das gleiche:
    "Der Kalligraph des Bischofs" hat mir sehr gut gefallen. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich damals sogar eine komplette Nachtschicht eingelegt, weil ich nicht aufhören konnte/wollte.
    Deswegen habe ich mich voller Freude auf "Die Brillenmacherin" gestürzt und war ziemlich enttäuscht.


    Viele Grüße
    Shirat

    Viele Grüße
    Shirat


    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere. (Groucho Marx)

  • rosenstolz, dann gratuliere ich - es ist wirklich ein tolles buch. bin ja gespannt, was du dann dazu schreibst :-)

    Was ist das Beste daran, erwachsen zu sein? Daß ich nicht mehr betteln muß "Nur noch dieses Kapitel, dann mach ich das Licht aus ... bitte!!! "

  • nee... oder bist du heidi? *g*
    aber gratulieren zu einem tollen buch darf ich doch trotzdem, oder? (außerdem mußte ich noch einen beitrag schreiben, um auf die 50 zu kommen und somit am gewinnspiel mitmachen zu dürfen - da fiel mir gerade nichts anderes ein ;-)

    Was ist das Beste daran, erwachsen zu sein? Daß ich nicht mehr betteln muß "Nur noch dieses Kapitel, dann mach ich das Licht aus ... bitte!!! "

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Maryam1410 ()

  • Ich lesen das Buch auch gerade. Es ist wirklich flüssig geschrieben und interessant.
    Allerdings - Meister Zufall spielt schon eine große Rolle in dem Buch. Es geht schon alles ziemlich glatt für den Hauptakteur. Im richtigen Moment kommt Hilfe, er findet zufällig den richtigen Lehrer .... :rolleyes
    Aber das schmälert nur gering das Lesevergnügen. Die Begeisterung fürs Schreiben, das damals ja keine Selbstverständlichkeit war, bringt er wirklich gut rüber. Ich werde bestimmt noch ein Buch des Autors in Betracht ziehen.

  • Ich habe das Buch vor Jahren gelesen und war begeistert. Schon nach wenigen Seiten war ich im Geschehen drin und wollte diesem Germunt am liebsten helfen. Aber was macht der auch für Dummheiten und muss dann fliehen (so ganz dahintergestiegen bin ich bei diesem Thema nicht, is' wahrscheinlich auch gewollt).
    Aber auf den Kopf gefallen ist er nicht. und auch der Bischof hat sich über sein Tun und Handeln Gedanken gemacht (auch wenn er etwas emotional reagiert)

  • Zusammenfassung:


    Turin im neunten Jahrhundert: Der junge Germunt findet hier Zuflucht, nachdem er aus seiner Heimat über die Alpen geflohen ist. Ihm auf den Fersen sind vier Bluträcher, die seinen Tod fordern. Mehr schlecht als recht schlägt er sich als Dieb durch bis er eines Tages vom Bischof Turins, Claudius, über den Haufen geritten wird. Nach seiner Genesung findet er Anstellung am Bischofspalast und lernt das Schreiben und Lesen und ist von dieser Tätigkeit bald fasziniert. Trotzdem bringt er sich immer wieder in Schwierigkeiten, bei denen ihm der Bischof tatkräftig zur Seite steht.
    Doch Claudius hat selber bald ernste Probleme. Der Graf Godeoch möchte den kirchlichen Widersacher im Kampf um die Herrschaft Turins aus dem Weg räumen und Claudius liefert im reichlich Munition. Der Bischof verabscheut nämlich Heiligenfiguren und Kreuze in den Kirchen, die die Gläubigen seiner Meinung nach nur von Gott ablenken. So manövriert er sich schließlich in eine fast ausweglose Situation.



    Eigene Meinung:


    „Der Kalligraph des Bischofs“ ist der gelungene Debütroman von Titus Müller. Es ist ein Buch der leisen Töne, dabei aber trotzdem ein farbenprächtiges Werk. Durch die eingängige und plastische Sprache fühlt man sich als Leser mitten in die Zeit und die Geschichte hinein versetzt. Die sich durch den Schnee kämpfenden Ochsen stehen einem bildlich vor Augen, die furchtbaren Gerüche Turins im Sommer meint man, direkt zu riechen und die Stille in einer Schreibstube, nur unterbrochen vom Kratzen der Feder auf das Pergament klingt einem im Ohr.
    Zum einen erzählt das Buch die Geschichte von Claudius, dem Bischof von Turin, der sich mutig den Sarazenen und anderen Feinden entgegenstellt. Da er sehr extreme Ansichten der kirchlichen Lehre vertritt, spielt er seinen Feinden aber immer wieder in die Hände. Für ihn sind nämlich die Heiligenbilder und die Kreuze in Kirchen nichts anderes als „Götzenbilder“ und er ermutigt seine Gläubigen, direkt zu Gott zu beten. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu der kirchlichen Lehre der damaligen Zeit und selbst ein Bischof ist nicht vor der Anklage der Ketzerei gefeit.
    Auf der anderen Seite geht es um den jungen Germunt, der von Selbstzweifel und Selbstverachtung geplagt, versucht, seinen Platz im Leben zu finden. Nach und nach erfährt man auch, was für ein Geheimnis ihn umgibt, dass ihn zur Flucht aus seiner Heimat gezwungen hat.
    Zwei Sachen werden in diesem Buch deutlich: Zum einen, dass fast jeder täglich gegen seine Schwächen und Unzulänglichkeiten zu kämpfen hat und dass es nicht immer gelingt, sich selbst zu besiegen, so sehr man sich auch bemüht. Zum zweiten zeigt Titus Müller auf, dass es sehr wohl gelingen kann, sich im richtigen Augenblick zu überwinden und für die Sache oder die Person einzutreten, an die man glaubt oder die man liebt. Germunt setzt sogar seine große Liebe aufs Spiel um das Richtige zu tun und dem Mann zu helfen, dem er so viel schuldet.
    Die Liebesgeschichte zwischen Germunt und der blinden Stilla wird sehr glaubhaft dargestellt, ohne dass Titus Müller auf freizügige Bettszenen oder Kitsch zurück greifen müsste. Trotzdem oder gerade deswegen ist sie sehr berührend.


    Alles in allem ist es ein wunderbares, feinfühliges Buch, das dem Leser viel vermitteln kann, wenn er sich nur darauf einlässt und auch einmal zwischen den Zeilen liest.


    9/10 Punkten


    Lieben Gruß
    Larna