Auferstehung - Leo N. Tolstoi

  • Autor
    Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi (* 9. September 1828 in Jasnaja Poljana bei Tula; † 20. November 1910 in Astapowo, heute Lew Tolstoi in der Oblast Lipezk), war ein russischer Schriftsteller.
    "Auferstehung" ist nach "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina" der dritte und letzte Roman von Leo Tolstoi. Er wurde im Jahr 1899 veröffentlicht. Angesiedelt ist er in den 1880-er Jahren und beschreibt somit sehr zeitnah die Situation im zaristischen Russland.


    Inhalt
    Nechljudow ist ein von Kindheit an moralisch hochstehender Adliger. Doch immer wieder unterliegt er im Kampf gegen seine Bequemlichkeit, gegen die Erwartungshaltung der Gesellschaft, die ihm vorlebt, was "normal" ist.
    Als Jugendlicher lernt er Katjuscha kennen, verliebt sich in sie, doch verehrt sie im Stillen. Obwohl er auch ihre Zuneigung ahnt, bleibt diese Liebe keusch, da er alles andere für eine Ungerechtigkeit ihr gegenüber hält.
    Doch nach drei Jahren Militärdienst kehrt er völlig verändert zurück. Er hat gelernt, sich zu nehmen, was er will: Feiern, Alkohol, Frauen. So ist es normal, so wird es von ihm erwartet. Auch Katjuscha verführt er.
    Zehn Jahre später trifft er sie vor Gericht wieder, er als Geschworener, sie als Angeklagte in einem Giftmord. Er erfährt, dass sie als Prostituierte ihren Lebensunterhalt verdient. Jetzt beginnt in ihm sein moralisches Gewissen wiederaufzuerstehen. Er fühlt sich an ihrem Schicksal schuldig, beginnt sein Umfeld mit anderen Augen zu sehen und setzt alles daran, seine Schuld wiedergutzumachen.


    Meinung
    Mir gefällt sehr gut, wie Tolstoi Nechljudows Gesinnungswandel beschreibt. Für Nechljudow gibt es zwar ein Schlüsselerlebnis, dennoch kann er nicht den Schalter einfach umlegen. Durch ausführliche Beschreibungen seiner Beobachtungen und Denkvorgänge nimmt der Leser teil an seinem Lern- und Wandlungsprozess, den er im Lauf der Zeit durchmacht. Schritt für Schritt erkennt er die Scheinheiligkeit, den Hochmut und Eigennutz der gehobenen Schicht, die vor keiner Ungerechtigkeit Halt macht, um den eigenen Vorteil zu sichern. Er begreift, welch massive Ausbeutung der Bauern vor sich geht.
    Für Nechljudow beginnt ein ständiger Kampf zwischen seinen hochstehenden moralischen Ansprüchen an sich selbst und der Bequemlichkeit und Leichtigkeit der früherer Lebensführung. Jeder Kontakt zu seinem früheren Lebensumfeld führt ihn in Versuchung.
    Genauso wie er sich langsam von seinem alten, abgehobenen Umfeld löst, taucht er nach und nach in die neue Welt der einfachen Leute ein, die er kennen und lieben lernt. Aus der einstmals anonymen Masse treten individuelle Gestalten in Erscheinung.


    Der zweite wichtige Lernprozess beginnt durch die Konfrontation mit dem Justizwesen. Er erkennt dessen Ungerechtigkeit, ja sogar Sinnlosigkeit und Kontraproduktivität. In der Praxis gibt es für Arme und Adlige zweierlei Strafmaß. Sehr modern wirkt auf mich die Erkenntnis, dass viele einfache Menschen erst durch die erbärmliche Gefängnishaltung wirklich zu Verbrechern gemacht werden. Und das ganze System wird von einer realitätsfernen Bürokratie aufrechterhalten, weil viele Menschen sehr gut daran verdienen.


    Als erheiterndes Moment in dem ansonsten ernsten Buch konnte ich die ironische Beschreibung eines Gefängnisgottesdienstes genießen. Sie lässt die kritische Einstellung des Autors zur Kirche erkennen, wobei die christliche Lehre ihm sehr wichtig ist. Am Ende des Romans erschließt sich Nechljudow die Bergpredigt neu und markiert den Anfang eines neuen Lebensabschnitts.


    Wie haben sich wohl die Zeitgenossen Tolstojs bei der Lektüre dieses Buches gefühlt, die ja noch inmitten dieser Zustände lebten? Und mitten in der Entrüstung über die beschriebenen Missstände stellte sich mir plötzlich die Frage, ob auch wir heute, ebenso wie die russische Gesellschaft damals, nicht in der Lage sind, über den Tellerrand hinauszublicken und vorhandene Missstände nicht wahrhaben wollen, weil es für uns so bequem ist.


    Außer den Charakteren beschreibt Tolstoi auch die Landschaft und häusliche Umgebung mit vielen Einzelheiten.
    Ein Buch wie ein Gemälde!

  • Die Aussage ein Buch wie ein Gemälde finde ich sehr passend! Habe es vor vielen Jahren gelesen .An seinenBeschreibungen seiner Gedanken und Beobachtungen konnte man gut teilnehmen, alles in allem ein Buch das richtig realistisch geschrieben ist. Die Darstellungen der Charaktere fand ich auch sehr treffend beschrieben. Einfach ein gutes Buch! LG. Ekna :wave

    :lesend : Eleanor Brown "Die Shakespeare-Schwestern "


    :lichtBeim Lesen läßt sich vorzüglich denken L.Tolstoi

  • Meine Meinung


    Ich bin sehr zwiegespalten. Einerseits ist das Buch, wie made schreibt, wirklich wie ein Gemälde. Tolstoi beschreibt wie auch in "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina" meisterlich die handelnden Personen, die Gesellschaft, die Landschaft und alle Orte, die Nechljudow im Laufe seiner Reise sieht. Er verleiht allen Personen eine ganz eigene Persönlichkeit, die man als Leser sehr gut erfassen kann.
    Nechljudows moralische Wandlung ist sehr interessant mitzuverfolgen, aber - und hier kommt die Ursache meines Zwiespalts - die große moralische Belehrung, die in diesem Buch steckt. Tolstoi hat bereits in "Anna Karenina" und "Krieg und Frieden" sehr viel Wert auf Moral gelegt und auch damals kam ich mir bereits ein wenig gescholten vor. Aber in diesem Buch setzte er noch eines darauf. Ich zweifle keineswegs an den beschriebenen schlimmen Zuständen in den Gefägnissen und der armen ländlichen Bevölkerung. Aber in meinen Augen verdammt Tolstoi die restliche russische Gesellschaft zu sehr. Ich hab mich beim Lesen teilweise selber schlecht gefühlt, weil ich eben keine hart arbeitende russische Bäurin bin.
    Und wenn ich mich schon so fühle, was werden die "verkommenen" Leute damals empfunden haben, als sie dieses Buch gelesen haben - oder zumindest von anderen davon gehört haben.
    Eine sehr bedrückende Lektüre, der in meinen Augen leider der Zauber von "Krieg und Frieden" fehlt.


    7,5/10 Eulenpunkten
    Guardian

  • Zitat

    Original von Guardian
    Meine Meinung


    Ich bin sehr zwiegespalten. Einerseits ist das Buch, wie made schreibt, wirklich wie ein Gemälde. Tolstoi beschreibt wie auch in "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina" meisterlich die handelnden Personen, die Gesellschaft, die Landschaft und alle Orte, die Nechljudow im Laufe seiner Reise sieht. Er verleiht allen Personen eine ganz eigene Persönlichkeit, die man als Leser sehr gut erfassen kann.
    Nechljudows moralische Wandlung ist sehr interessant mitzuverfolgen, aber - und hier kommt die Ursache meines Zwiespalts - die große moralische Belehrung, die in diesem Buch steckt. Tolstoi hat bereits in "Anna Karenina" und "Krieg und Frieden" sehr viel Wert auf Moral gelegt und auch damals kam ich mir bereits ein wenig gescholten vor. Aber in diesem Buch setzte er noch eines darauf. Ich zweifle keineswegs an den beschriebenen schlimmen Zuständen in den Gefägnissen und der armen ländlichen Bevölkerung. Aber in meinen Augen verdammt Tolstoi die restliche russische Gesellschaft zu sehr. Ich hab mich beim Lesen teilweise selber schlecht gefühlt, weil ich eben keine hart arbeitende russische Bäurin bin.
    Und wenn ich mich schon so fühle, was werden die "verkommenen" Leute damals empfunden haben, als sie dieses Buch gelesen haben - oder zumindest von anderen davon gehört haben.



    stimme dir absolut zu. Tolstoi hatte für mich schon immer den makel, dass er zu viel moralisiert, das fällt schon in seinen ersten novellen auf; in seinem spätwerk ist das noch viel aufdringlicher. es tut seiner kunst auf jeden fall nicht gut, es würdigt sie sogar herab.


    aber schreiben konnte der mann trotzdem wie kaum jemand sonst....und ein moralisierender tolstoi ist mir immer noch lieber als ein amoralischer tschechow oder turgenjew - auch wenn ich tolstoi in vielen dingen nicht zustimmen kann.

    To me the most important thing is the sense of going on. You know how beautiful things are when you’re traveling.
    - Edward Hopper