Tim Pieper: Mord im Tiergarten

  • Inhaltsbeschreibung:
    Berlin 1896: Sechs Jahre nach seinem ersten Fall, wo es darum ging, mysteriöse Morde an jungen Frauen aufzuklären, gibt es nun ein Wiedersehen mit Dr. Otto Sanftleben.
    Nach wie vor lebt Otto in seinem Elternhaus „Klein-Sanssouci“ . Auch sein schwarzer Leibdiener und Ziehsohn Moses ist noch bei ihm. Der junge Mann möchte gerne studieren, wird aber aufgrund seiner Hautfarbe häufig beleidigt, besonders von einem gewissen Professor Trittin. Otto zögert nicht, den Professor zur Rede zu stellen und für seinen Schützling einzutreten. Dabei lässt er sich spontan auf Trittins Forderung zu einer Segelregatta ein. Hier sind Bedenken durchaus berechtigt, denn Sanftlebens Erfahrungen im Segelsport sind schon recht alt. Er zeigt sich aber selbstbewusster, als er in Wirklichkeit ist. Dass sein Teampartner Moses ein blutiger Segelanfänger ist, gibt ihm schon ein wenig zu denken, aber er lässt sich seine Unsicherheit nicht anmerken und stürzt sich mit Elan ins Training und in die Vorbereitungen.


    Wenig später wendet sich Commissarius Funke an Otto, mit der Bitte um Mithilfe bei der Aufklärung eines Kriminalfalls. Diesmal geht es um einen brutalen Mord, der stark nach einer rituellen Tötung aussieht. Der Verdacht fällt sofort auf eine Gruppe Hereros aus Südafrika, die sich wegen der stattfindenden Gewerbeausstellung zu dieser Zeit in Berlin aufhält. Besonders der Hereroprinz Wilhelm Maharero gerät in den Brennpunkt des allgemeinen Misstrauens.
    Funke schätzt Sanftlebens Urteil sehr, denn Otto hat sich auf die Körpersprache der Kriminellen spezialisiert, und seine Beobachtungen sind von unschätzbarem Wert.
    Bei ihren Nachforschungen im aktuellen Fall treffen die Ermittler auf ein dichtes Gespinst aus Vorurteilen, Standesdünkel und Antisemitismus.
    Dazu kommen Commissairus Funkes persönliche Probleme, denn er wird schamlos erpresst und weiß nicht recht, wie er mit dieser Situation umgehen soll.
    Auch in Ottos Privatleben tut sich so einiges. Er begegnet seiner Jugendliebe Igraine Raab wieder, und die schöne Künstlerin bringt ihn gewaltig ins Grübeln.


    Mein Eindruck:
    Die Handlung entwickelt sich durchwegs spannend, und so manche Spur führt den Leser in die Irre. Im Lauf der Ermittlungen kommen ständig neue Tatsachen ans Licht, welche die bisher gewonnenen Erkenntnisse über den Haufen werfen.
    Die kriminalistische Handlung wurde hier wieder ausgezeichnet eingegliedert, in die faszinierende Kulisse des historischen Berlin. Es ist eine spannungsreiche Periode. Die Welt steht an der Schwelle zu einer neuen Zeit. Einerseits herrscht Aufbruchstimmung im Kaiserreich, aber andererseits wirken die Traditionen versteinert, und so mancher Zeitgenosse ist verblendet in seiner Borniertheit. Mich hat besonders die Tatsache beschäftigt und erstaunt, dass bereits zu dieser Zeit der Antisemitismus derart stark ausgeprägt war.
    Wie schon bei Sanftlebens erstem Fall sind auch diesmal wieder diverse Abschnitte des Romans aus der Sicht des unbekannten Mörders geschildert, wodurch man einen Eindruck von dessen gestörter Psyche erhält. Diese Kapitel sind durchaus dazu angetan, einem Gänsehaut zu verursachen.


    Aber der Zeitabschnitt des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat durchaus auch Positives zu bieten. Man gewinnt interessante Einsichten in die Künstlerkreise der damaligen Zeit, und am Beispiel der schönen Malerin Igraine erfährt man, dass sich auch das Frauenbild langsam zum Positiven ändert.
    Die detaillierten Beschreibungen der verschiedenen Charaktere lassen die Protagonisten plastisch erscheinen und zeichnen ein lebendiges Bild der Gesellschaft.
    Die Überschriften der kurzen Kapitel weisen immer gleich darauf hin, an welchem Schauplatz man sich gerade befindet. Ein alter Photochromdruck auf dem Umschlag, welcher
    den Tiergarten und die Siegessäule zeigt, gibt dem Roman die ideale Abrundung. Wer sich für historische Aufnahmen aus der beschriebenen Zeit interessiert, findet auf der Homepage des Autors noch jede Menge schönes und informatives Bildmaterial zu den Schauplätzen: "Mord im Tiergarten" Handlungsorte


    Fazit:
    Mit viel Zeitkolorit und lebendiger Atmosphäre hat Tim Pieper einen neuen, fesselnden historischen Krimi gezaubert, der mich in Atem gehalten hat, mir zugleich historisches Wissen vermitteln konnte und damit seinen Vorgängern absolut ebenbürtig ist.
    :fingerhoch :fingerhoch :fingerhoch :fingerhoch :fingerhoch :fingerhoch :fingerhoch :fingerhoch :fingerhoch

  • Zitat

    Original von bibliocat

    :write Vielleicht wieder ein Buch für eine Histo-LR? :wave


    Da ich's im Histo-Krimi-Thread schon vorgeschlagen habe, wär ich auf jeden Fall dabei. :grin


    Davon abgesehen, habe ich den Prolog bei der Langen Lesenacht in Billerbeck gehört und ich muss sagen, der allein war schon spannend.


    Danke, Klusi, für diese interessante Rezi! :wave

  • Inhalt:


    Als 1896 während der Kolonialaustellung in Berlin ein jüdischer Zeitungsunternehmer ermordet wird, sieht es zunächst nach einem Ritualmord aus und ein möglicher Täter findet sich auch schnell: Wilhelm Maharero, ein junger Herero-Prinz, der anlässlich der Kolonialaustellung in der Stadt ist. Comissarius Funke zieht Dr. Otto Sanftleben hinzu, der sich mit der Körpersprache Verdächtiger beschäftigt und bereits vor sechs Jahren half, einen Täter zu überführen. Schnell gerät Otto in einen Sumpf aus antisemitischen und rassistischen Gedanken und Motiven und versucht, dem Täter auf die Spur zu kommen, denn der erste Mord bleibt nicht der letzte.


    Mein Eindruck:


    Tim Pieper ist mit „Mord im Tiergarten“ mehr als „nur“ ein historischer Krimi gelungen – das Buch ist zugleich ein Sittengemälde des Berlins im ausgehenden 19. Jahrhundert.


    Wie bereits beim ersten Band, „Mord unter den Linden“ gibt es durch den Prolog einen fulminanten Einstieg in die Geschichte und man lernt bereits den Täter kennen (natürlich ohne zu erfahren, wer er nun ist) und es wird Spannung aufgebaut. Diese hält der Autor auch konsequent bis zum Ende durch und schafft es mithilfe verschiedener Handlungsstränge und Wendungen, den Leser bei der Stange zu halten.
    Sehr gelungen sind die Kapitel, die aus Sicht des Täters erzählt werden. Hier erfährt man einiges über die Vorstellungs- und Geisteswelt dieses Mannes und seine Wahnvorstellungen. Sie lassen einen fasziniert und entsetzt zurück und manchmal mischt sich sogar etwas Mitleid mit dem Täter hinein. Diese glaubhafte und fesselnde Darstellung des Täters ist eine der herausragenden Stärken dieses Romans!


    Neben dem eigentlichen Kriminalfall gibt es noch einige Nebenschauplätze: Commissarius Funke hat ein delikates Problem privater Natur, Ottos junger, farbiger Ziehsohn Moses möchte studieren, wird jedoch von seinem Professor mehr als einmal aufgrund seiner Hautfarbe beleidigt, was Otto auf die Palme bringt und schließlich in einem amüsant geschilderten Wettkampf endet. Mit der jungen Malerin Igraine Raab stellt Tim Pieper seinem Protagonisten erneut eine spannende, starke Frauenfigur an die Seite, die Otto ziemlich fasziniert.


    Auch sprachlich überzeugt das Werk: Das Flair und der Zeitgeist wird gut angefangen und durch die Sprache gelungen transportiert, dabei lässt sich die Geschichte durchgehend flüssig lesen. Trotz des sehr ernsten Hintergrundthemas kommt auch der Humor nicht zu kurz, der glücklicherweise nie deplatziert macht, sondern das Ganze hervorragend abrundet.


    Fazit:


    Insgesamt ein wunderbares Buch, mit dem man genussvoll in die damalige Zeit abtauchen und einem spannenden Kriminalfall folgen kann!


    Man kann das Buch übrigens auch lesen, wenn man den Vorgängerband "Mord unter den Linden" nicht kennt. Allerdings macht es natürlich sehr viel Spaß, alte Bekannte wieder zu treffen und Entwicklungen weiter zu verfolgen.

  • „Mord im Tiergarten“ ist ein historischer Roman von Tim Pieper, der 2013 im Emons Verlag als Taschenbuch erschienen ist. Auf 250 Seiten wird der zweite Fall des Ermittlerduos Commissarius Funke und der eigentlichen Hauptfigur, des Kriminologen Dr. Otto Sanftleben geschildert.


    Berlin im Sommer 1896:
    Während der Deutschen Kolonialausstellung wird ein brutaler Ritualmord an einem jüdischen Zeitungsunternehmer begangen. Das Opfer wird titelgebend im Tiergarten zur Schau gestellt. Zur Überprüfung des ersten Verdächtigen, eines Herero-Prinzen, wird Dr. Sanftleben hinzugezogen. Er hat sich auf die Entschlüsselung der Körpersprache spezialisiert und früher selbst einige Zeit in Afrika verbracht.
    Ein wesentlicher Bestandteil des Buches sind Episoden, in denen die Dinge aus der Sicht des wahnsinnigen Täters beschrieben werden. Ohne die Identität preiszugeben, werden seine Beweggründe und seine Gefühle beschrieben.
    Neben der Entwicklung des Kriminalfalles kämpft der Kriminologe um einen Studienplatz für seinen dunkelhäutigen Diener und Assistenten, der ihm vom zuständigen Professor unbegründet verweigert wird. Dieser Abschnitt gipfelt in einer Regatta um den Studienplatz. Zusätzlich begegnet Dr. Sanftleben einer sehr selbstbewussten jungen Künstlerin, die die üblichen Verhaltensnormen mit Füssen tritt.
    Der Autor zeichnet in seinem Roman ein düsteres Bild der damaligen Gesellschaft, die durch viele Vorurteile, Fremdenhass und durch ein auf den eigenen Vorteil bedachtes Verhalten bestimmt wird. Diese düstere Stimmung wird durch das forsche Verhalten des Protagonisten und die skurrilen Details der Nebenhandlung aufgelockert. Die humorvollen Teile wirken nicht deplatziert und fügen sich sehr schön in die flüssig zu lesende Geschichte ein.
    Das Buch hat mir sehr gut gefallen und die sehr impulsive Hauptfigur ist ein wahrer Sympathieträger.

    :lesend James Lee Burke - Die Tote im Eisblock

    hörend: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln