Les petits metiers de Paris - Jean-Michel Le Corfec

  • Jean-Michel Le Corfec
    Les petits metiers de Paris
    Editions Sud Ouest
    ISBN 287901882X



    Ich liebe ja diese ollen Postkarten, die man auf jedem französichen Flohmarkt findet, und die nicht etwa Landschaften, Städtchen oder Sehenswürdigkeiten zeigen, sondern folkloristische Darstellungen, teils mit derben Reimen, oder aber Alltagsszenen der kleinen Leute.


    In diesem schönen Bildband sind nun solche Karten aus dem Paris des Beginns des letzten Jahrhundert versammelt. In alphabetischer Reihenfolge werden Kleingewerbetreibende, eben jene petits metiers, dargestellt, von A wie „Arracheurs de dents“ (Zahnzieher? Zahnausreißer? Keine Ahnung, wie da das deutsche Wort lautet) bis W wie Wattman (ein mir bis dahin unbekannter Anglizismus, einfach ein Straßenbahnfahrer, der paradoxerweise im Deutschen Kondukteur hieß). Neben den abgebildeten Postkarten gibt es auch immer einen kurzen Text, der das jeweilige Gewerbe erklärt, in einem übrigens sehr blumigen, aber doch gut verständlichem französisch.


    Viele dieser Berufe gibt es auch heute noch, Zeitungsverkäufer oder überhaupt Verkäufer allen möglichen Spittels, auch wenn die Art des Spittels sich im Laufe des Jahrhundert geändert hat. Mobile Eis-, Fisch- und Gemüseverkäufer, auch solche mit provisorischen, schnell abgebauten Büdchen, trifft man am Montmartre auch noch heute (aus wenn sich die heutzutage aus den Reihen wahrscheinlich „illegaler“ Afrikaner rekrutieren), Waschmittel, Fähnchen- und Eselsmilchverkäufer trifft man dagegen eher selten.


    Andere Berufe sind dagegen heutzutage vollständig verschwunden: Chevriers (Ziegenhirten), die mit ihren Herden durch die Stadt zogen und ihre solvente Kundschaft mit frisch gemolkener Milch versorgten, Encaustiqueurs (mobile Putzmänner, die das Parkett der Wohlhabenden reinigten und bohnerten) oder die Matelassieres, die am Ufer der Seine Matratzen herstellten oder reparierten.


    Interessant ist dabei auch der gesellschaftliche Kontext, in dem diese Postkarten entstanden. Denn eigentlich zeigen sie den Kontrast in einer Klassengesellschaft, in dem der eine, weitaus größere Teil sich abmühte, um vielleicht einen kleinen Zipfel Glück zu erfassen, im Normalfall jedoch wahrscheinlich nur das nackte Überleben erreichte, während einem kleinen, wohlhabenden Teil der Bevölkerung ein Heer von Dienstwilligen zu Verfügung stand. Welch Unterschied zu den großbürgerlichen Darstellungen der Belle Epoque!


    Andererseits zeigt es aber auch eine sich herausbildendes Interesse des Bürgertums am Fremden, Andersartigen. Seien es nun die eigentümlichen Sitten und Gebräuche der Bretonen oder eben der Überlebenskampf der „kleinen Leute“: Plötzlich werden die, die bísher weitestgehend unbeachtet die Gesellschaft am Laufen hielten, sichtbar. Das ist sicherlich auch dem Durchbruch der Fotografie zu verdanken, und freilich lässt sich eine gewisser Voyeurismus nicht verleugnen, aber für uns Nachgeborenen erlaubt es einen zumindest flüchtigem Einblick in das Leben vor über hundert Jahren.


    Ich habe dieses Buch übrigens für zehn Euro an einer französischen Tankstelle ergattert, der deutsche amazon-Preis also eher ein Fantasiepreis. Amazon.fr ist da deutlich günstiger.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)