Der Vierfachmord von Stötteritz - Jan Flieger

  • Es heißt ja, dass jede Stadt das Verbrechen hat, das sie verdient. Nun, wenn das auch für Regionalkrimis gilt, sieht es gar nicht gut aus für Leipzig.
    Denn der Vierfachmord von Stötteritz ist ein Krimi mit echten Ebels-Qualitäten.


    Es fängt schon ziemlich dramatisch an: eine finstre Gestalt schleicht durch das schöne Stötteritz, gleich wird Furchtbares passieren, aber das weiß natürlich bisher nur der Mörder. Denn gleichzeitig amüsieren sich diverse Mitglieder der Leipziger Mordkommission auf unterschiedliche Weise, nichts ahnend, welch Verbrechen sich da gerade anbahnt.
    Und dann schlägt sie zu, die finstre Gestalt, knallt vier Leute auf einer Hinterhofparty ab, nur einer entkommt zufällig. Und damit ist Schluss mit Feiern für die Polizisten, nun muss ermittelt werden.


    Ermitteln? Nun, das tun sie eigentlich nicht. Ich weiß nicht, was die eigentlich den ganzen Tag machen. Sich sorgen, ob sie diesen richtig harten Fall jemals lösen werden. Sich fragen, wer wohl der Mörder sein könnte. Sich am Ende jedes Kapitels (was jeweils auch immer das Ende eines wieder mal erfolglosen Tages bedeutet) verdeutlichen, dass die Bestie immer noch da draußen unterwegs ist. Gut, dass das nochmal erwähnt wird, wären wir ja von alleine nicht draufgekommen


    Die Handlungsstränge sind ein heilloses Durcheinander. Wie Kai aus der Kiste steht am Ende jeder heißen Spur, die sich recht schnell als kalte Spur erweist (meist, weil der Verdächtige ein „bombenfestes Alibi“ hat) ein neuer Verdächtiger. Oder war es vielleicht doch der andere?


    Denn Motive gibt es haufenweise, aber diese großartige Ermittlertruppe ist halt a weng langsam.
    Ein wichtiger Zeuge ist zwischenzeitlich nach Japan entfleucht, aber das ist kein Problem, ein Ermittler fliegt kurzerhand hinterher. Hier irrt er mal kurz durch verwinkelte Gassen, bewundert Neonreklame (er sah leuchtende Schriftzeichen in allen Farben, rote auf weißem Grund, auf grünem, gelbe auf rotem, schwarze auf weißem, da kann sich ja Rico Beutlich noch eine Scheibe von abschneiden), staunt über Schulmädchen in knappen Schuluniformen, findet schließlich innerhalb weniger Stunden seinen Zeugen (in einer 9 Mio Stadt!) in einer Spielhölle, um von dem eigentlich auch nur zu erfahren, dass er gesehen hat, wie eine finstre Gestalt vier Menschen abgeknallt hat).
    Ein anderer Zeuge ist mittlerweile im isländischen Hochland unterwegs, der Kripobeamte nix wie hinterher und auch diesen Kerl findet er nach kürzester Zeit (auf einer Fläche größer als Bayern!), in dem er da ein bisschen rumfährt (natürlich im Landrover und mit Sandsturm).


    Da die verwendete Waffe, eine CZ 75, auf eine rechtsmotivierte Tat hindeuten könnte, kommt auch noch das Thema Neonazis ins Spiel, aber bei dem Gedanken graust es unsere tapferen Ermittler so sehr, dass sie dieser Spur lieber gar nicht erst nachgehen. Wie im wirklichen Leben! Und zum Glück haben ja sämtliche Verdächtigen so eine Waffe, im Garten verbuddelt (den die Polizei auf gut Glück mal umgräbt und sie dort doch glatt findet) oder ganz legal als Sportschütze.


    Und das Ganze gipfelt dann auch noch in einer völlig beknackten Auflösung.


    Bei einem Regionalkrimi spielt natürlich auch der Schauplatz eine wichtige Rolle. Aber auch in dieser Kategorie versagt der Autor auf ganzer Linie. Offensichtlich soll hier Leipzig seinem Ruf als „gefährlichste Stadt Ostdeutschlands“ gerecht werden. In kurzen Einschüben wird erklärt, was in Leipzig sonst so los ist an kriminellen Aktivitäten (das scheint mir realen Polzeimeldungen entnommen, einiges kam mir bekannt vor), während die Ermittler hirnen, was denn nun da in Stötteritz eigentlich geschehen ist: da wird ein Mann in Plagwitz überfallen und eine Drogenrazzia durchgeführt. Wow, was für ein Moloch, dieses Leipzig!
    Das restliche Lokalkolorit besteht in der Aufzählung diverser Kneipen und Bars, in denen sich die Polizisten bzw. die Verdächtigen so amüsieren.


    Womit wir beim Thema Figurenzeichnung waren. Die existiert schlicht und ergreifend nicht, wir haben es mit nahezu ununterscheidbaren Charakteren zu tun. Ihnen werden vom Autor zwar verschiedene Rollen zugedacht, doch in keinem Augenblick werden die mit Leben gefüllt.


    Die Sprache ist banal, die Metaphern abgedroschen, die Dialoge verdienen diese Bezeichnung nicht und die Beschreibungen, etwa der Gedankengänge der Figuren, sind ungefähr so spannend wie die Betriebsanleitung eines Handstaubsaugers. Fehlende Originalität wird dabei durch hemmungslose Geschwätzigkeit ausgeglichen, der Autor blubbert 200 Seiten absolut belangloses Zeug.


    Armes Leipzig, wenn das wirklich der Krimi ist, den du verdienst.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Danke für Deinen Eindruck, der meine Vorurteile zu bestätigen scheint.
    Auf Jan Flieger bin ich über seinen Tokyo-Roman aufmerksam geworden, habe aber die Finger davon gelassen, weil mich bereits die Inhaltsangabe nicht überzeugt hat.
    Du, DD, kannst Dir bei den vielen Terminen von Jan Flieger auf der Buchmesse vielleicht noch einen persönlichen Eindruck abholen, der Deine Buchmeinung relativiert.

  • Hört sich ja nach einem durchaus realitätsnahen Krimi an. :grin
    Okay, lass ich mal besser die Finger von, danke für die tolle, sarkastische Rezi! :wave

  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    Danke für Deinen Eindruck, der meine Vorurteile zu bestätigen scheint.
    Auf Jan Flieger bin ich über seinen Tokyo-Roman aufmerksam geworden, habe aber die Finger davon gelassen, weil mich bereits die Inhaltsangabe nicht überzeugt hat.
    Du, DD, kannst Dir bei den vielen Terminen von Jan Flieger auf der Buchmesse vielleicht noch einen persönlichen Eindruck abholen, der Deine Buchmeinung relativiert.


    Die Japan-Episode ist ja nur ein paar Seiten lang, aber dermaßen platt und unoriginell, dass sie mir eher wie die Erzälung eines Touristen erschien, der schon mal ein paar Tage in Tokyo war und sich deshalb für einen Japan-Experten hält.
    Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das in einem ganzen Roman besser wird.


    Und nein, ich habe kein Interesse, den Autor persönlich kennenzulernen. Denn ein weiterer sehr unangenehmer Aspekt dieses Buch ist ein seltsames Frauenbild. Frauen wollen Sex oder einen reichen Mann, ansonsten spielen sie kaum eine Rolle. :gruebel

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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