Niemandsland - Rhidian Brook

  • Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
    Verlag: C. Bertelsmann Verlag (31. März 2014)
    ISBN-13: 978-3570101285
    Originaltitel: The Aftermath
    Preis Gebundene Ausgabe: Euro 19.99
    Preis Kindle E-Book: Euro 15.99


    Autor


    Rhidian Brook, geboren 1964, schreibt Drehbücher für Film und Fernsehen, Kurzgeschichten und Romane. Sein Debut "The Testimony of Taliesin Jones" wurde vielfach ausgezeichnet, u .a. mit dem Somerset Maugham Award. Er lebt mit seiner Familie in London.


    Kurzbeschreibung / Klappentext


    Hamburg 1946: Ein englischer Offizier soll für die Entnazifizierung und den Wiederaufbau Deutschlands sorgen. Colonel Lewis Morgan wird mit seiner Familie in ein herrschaftliches Haus an der Elbe einquartiert. Seine Frau kann aber nicht verstehen, dass der Hausbesitzer Stefan Lubert nicht ausziehen muss. Sie findet die Idee, mit dem Feind unter einem Dach zu wohnen, unerträglich. Doch als sie den Alltag teilen, erkennt sie, wie grob und falsch ihr Bild von den Deutschen war. Nach und nach entwickelt sich eine unerhörte Nähe zwischen ihr und Stefan Lubert …


    Ein selten beschriebenes Kapitel deutscher Geschichte – Rhidian Brook zeichnet ein enorm differenziertes Bild von einem Land, das am Boden liegt, von einer verstörten Bevölkerung, aber auch von dem Hoffnungsschimmer nach Tod und Vernichtung. Ein Roman von größter Intensität.


    Meine Meinung


    Hamburg im Jahre Eins direkt nach dem 2. Weltkrieg. Das besiegte Deutschland wird von den Siegermächten USA, Sowjetunion, Frankreich und England in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die Grossstadt Hamburg wurde von heftigen Bombardementen weitgehend zerstört. Einige Stadtteile wurden dermassen ausgebombt und in Schutt und Asche gelegt, dass die Trümmerwüste einer Phantomstadt gleicht und die Engländer, denen Hamburg zur Verwaltung zugeteilt wurde, ringen gleichermassen darum ehemalige Nazis ausfindig zu machen wie auch die Heerscharen von hungernden und verwahrlosten Menschen vor dem Hunger- und Erfrierungstod zu bewahren und einen Teil am Wiederaufbau zu organisieren und zu leisten.


    Die Hauptpersonen in diesem Roman sind die englische Familie Morgan, die in Hamburg stationiert sind/wird, und die deutsche Familie Lubert. Als höherem Offizier des britischen Militärs steht Lewis Morgan ein stattliches Anwesen zum Wohnen zu und so wird die herrschaftliche Villa an der Elbchaussee die der Familie Lubert gehört kurzerhand zwangsenteignet und dem englischen Colonel als Wohnsitz zur Verfügung gestellt. In diesem Fällen bleibt den Deutschen nichts anderes übrig, als die bittere Kröte zu schlucken und das Haus sofort zu verlassen. Lewis schlägt dem überraschten Lubert eine andere Regelung vor und so kommt es, dass zwei Familien unterschiedlicher und vor ein paar Monaten noch verfeindeter Nationalitäten unter einem Dach wohnen. Ein absolutes Novum und eine Ausnahme welche von vielen Personen nicht verstanden und gar geächtet wird. Schliesslich gilt so kurz nach Kriegsende jegliches fraternisieren mit den Deutschen als verboten.


    Zitat

    "Gleich werden Sie einem fremden Volk in einem fremden, feindlichen Land begegnen. Halten Sie sich unbedingt von den Deutschen fern. Gehen Sie auf der Strasse nicht neben ihnen, schütteln Sie ihnen nicht die Hand, besuchen Sie sie nicht in ihren Wohnungen. Verzichten Sie auf gemeinsamen Sport und sonstige Veranstaltungen. Versuchen Sie nicht, freundlich zu sein – das wird Ihnen als Schwäche ausgelegt. Weisen Sie die Deutschen in ihre Schranken. Zeigen Sie keinen Hass, das würde den Deutschen nur schmeicheln. Bleiben Sie stets kühl, korrekt, knapp und würdevoll auf Distanz. Jedes fraternisieren ist unerwünscht."


    Offizielle Informationsbroschüre "Sie fahren nach Deutschland"


    Natürlich braucht eine interessante Geschichte ein zwischenmenschliches Spannungsfeld um die Leserschaft bei der Stange zu halten. Lewis ist ganz in seine Arbeit eingespannt und ist teilweise für mehrere Wochen nicht zu Hause. Seine Frau Rachel fühlt sich fern der Heimat und mangels Sprachkenntnissen nicht heimisch. Natürlich liegt das an den Parolen welche sie verinnerlicht hat, ihrer Reserviertheit und am Standesdünkel. Das der eine Sohn durch eine Bombenexplosion ums Leben kam kann sie nicht vergessen und den Deutschen niemals verzeihen. Dem anderen Sohn Edmund fällt es, wie es für Kinder meist üblich ist, leichter sich mit der neuen Situation abzufinden. Lubert hat seine Frau im Krieg verloren und nach Wochen der Distanziertheit kommen sich die beiden lädierten, psychisch verletzten Menschen näher und beginnen das Leid des anderen zu verstehen und am Leben des anderen teilzunehmen.


    Die Geschichte die der Schriftsteller Rhidian Brook in diesem Roman erzählt hat seinen Ursprung in verwandtschaftlichen Verhältnissen. Sein Grossvater Walter Brook war 1946 jene Person die den ursprünglichen deutschen Eigentümern erlaubte im Haus zu bleiben und er steht Pate für die Figur Lewis Morgan und inspirierte ihn zu diesem Roman. Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb Lewis Morgan als makellose Person beschrieben wird. Am Schluss gerät er dennoch in einen doppelten moralischen Gewissenskonflikt und beschädigt in gewissem Masse sein tadelloses, integeres Renommée. In Anlehnung an "Lawrence von Arabien" erhält er den respektvollen wie vielsagenden Übernahmen "Lawrence von Hamburg".


    Die Schreibstil ist klar, leicht verständlich und flüssig zu lesen mit ein paar schönen Sätzen. Auf das Leid der Bevölkerung der damaligen schweren Zeit wird eingegangen und Trümmerkinder und Widerstandsgruppen nehmen eine Nebenhandlung in der Geschichte ein. Ein weiteres Augenmerk wird auf die Suche nach ehemaligen Nazis und in konträren Fall auf Menschen die nichts mit der Diktatur zu tun hatten und nun sehnsüchtig auf den Persilschein warten gelegt. Dieses wichtige amtliche Dokument das sie von von jeglicher Schuld freispricht. Insgesamt bleibt die Handlung aber in einem überschaubaren Rahmen und richtete sich Hauptsächlich an und um das komplizierte Zusammenleben.


    Ein gutes Buch, ein lesenswerter Roman mit interessanten Geschichten bei dem ich aber das Gefühl habe, dass das Potential nicht vollständig ausgeschöpft wurde. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann nicht das was da geschrieben steht sondern das was fehlt, Sachen die nicht im Buch stehen. Für mich hätte es ein bisschen "Mehr" sein dürfen auch wenn es ein paar Seiten länger geworden wäre. Wertung: 8 Eulenpunkte

  • Zitat

    Original von sapperlot
    Ein gutes Buch, ein lesenswerter Roman mit interessanten Geschichten bei dem ich aber das Gefühl habe, dass das Potential nicht vollständig ausgeschöpft wurde. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann nicht das was da geschrieben steht sondern das was fehlt, Sachen die nicht im Buch stehen. Für mich hätte es ein bisschen "Mehr" sein dürfen auch wenn es ein paar Seiten länger geworden wäre.


    Genau dasselbe Gefühl hatte ich während des Lesens, ohne es so treffend formulieren zu können.