Der Büchereulen-Adventskalender 2014

  • 1. Dezember 2014 von Eskalina



    Die Weihnachtsgans


    „Schatz, du weißt, dass heute der Weihnachts-Skatabend in unserer Firma ist?“ mein Mann grinste mich an: „Was soll ich denn dieses Mal für uns gewinnen?“ fragte er. Ein Running Gag, den er jedes Jahr wieder anbringt, genauso wie die phänomenalen Gewinne, die am Ende des Abends dort leider sehr großzügig verteilt werden. Es gibt Spieler, die sehen die Teilnahme an diesem Abend sportlich und nehmen teil, nur um sich am leckeren Büffet zu bedienen und sich nebenbei mit Kollegen zu unterhalten, die man in diesem großen Institut nicht so oft sieht. Leider sind nicht alle sportlich – manche sind ehrgeizig und wollen gewinnen. Egal was, Hauptsache, es geht auf das Siegertreppchen. Dass ich mit einem solchen Exemplar verheiratet bin, muss ich nicht noch extra erwähnen? Bereits im Sommer beginnt er mit dem Training am PC. Seine virtuellen Gegenspieler haben die Namen seiner Brüder bekommen und sie sind nur dazu da, um zu verlieren.


    Wenn dann der große Abend gekommen ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als zu Hause die Daumen zu drücken, dass er doch wenigstens nur ein einziges Mal ohne Preis nach Hause kommt. Mich gruselt es heute noch, wenn ich an die gewonnene Heide-Kutschfahrt denke, bei der wir auf einer Kutsche voller angeschickerter, Heinolieder singender Senioren gelandet waren, oder an das 10-teilige Pfannenset, das sich als nicht hitzebeständig herausstellte, den Gutschein für ein Frühstück in einer kleinen Harz-Pension, für das wir morgens um 5 aufstehen mussten, um den Ort zu erreichen. Ich konnte es also kaum erwarten, dass er nach Hause kam und mir seinen diesjährigen Preis präsentierte…


    Als er die Haustür aufschloss und ächzend eine überdimensionierte Kühltasche in den Flur zog, wurde mir ganz mulmig – als ich die riesige gefrorene Weihnachtsgans erblickte, musste ich mich setzen…Nicht, dass ich nicht schon Gans zubereitet hätte, doch in diesem Jahr hatten wir eine neue Küche bekommen und der neue Ofen war eindeutig zu klein für dieses Monster. Ich würde es brutal zerlegen müssen und auf diesen Kraftaufwand hatte ich wenig bis gar keine Lust, zudem rangierte Gänsebraten auf meiner persönlichen Hitliste ganz weit hinten – noch Meilen hinter Brechbohneneintopf oder Sauerkrautsuppe. Bliebe nur das Tiefkühlfach. Eins von zweien, die ich eigentlich gerne für andere Vorräte nutzte. Sie würde das komplette Fach als Wartezimmer auf den Bräter benötigen. Und überhaupt – bei der Größe würden wir entweder einen Monat brauchen, bis wir sie aufgegessen hatten, oder es mussten Gäste her und die bedeuteten bei all dem Stress, der sowieso in der Weihnachtszeit herrschte, zusätzlich Arbeit. Also wanderte das kalte tote Tierchen ins ewige Eis und wir waren uns einig, dass wir dann „später“ über das „Wohin mit der Leiche“ nachdenken würden.


    Weihnachten gab es Rinderfilet – die Gans ruhte vergessen in ihrem kalten Grab. Im Frühjahr dachte ich wieder an sie, als ich ein weiteres Tiefkühlfach benötigte, ärgerte mich kurz und vergaß sie dann wieder. Im Sommer sprachen wir darüber, da ich sehr gerne einen Vorrat an Eiscreme angelegt hätte, was durch das dauerbelegte Tiefkühlfach verhindert wurde, doch bei der Hitze Gänsebraten zu essen – das ging ja gar nicht. Es wurde Herbst, und ich hatte immer noch weder Lust auf das Zerhacken der Gans, noch Appetit auf Gänsebraten. Sollte das Tier umsonst gestorben sein?



    Eh wir uns versahen, brach der nächste Skatabend an.


    Der stolze Sieger präsentierte dieses Mal neben einer CD mit Entspannungsmusik und einer Flasche Sekt, einen drei Kilo Kassler-Nackenbraten, der fast umgehend verspeist werden musste, da er nicht eingefroren werden konnte.


    Weihnachten wollten wir bei meinen Eltern verbringen, wo es traditionell keine Gans, sondern Ente gab und so langsam begann ich mir Gedanken über die Haltbarkeit des Tierchens zu machen. Wie viele Jahre sollte sie noch bei uns logieren und ab wann war ihr Verfallsdatum überschritten? Im Internet waren Angaben zwischen 8 und 12 Monaten zu finden. Es war also höchste Zeit für sie. Das Tier zu zersägen war eindeutig nicht meine Absicht. Wegwerfen oder bestatten kam nicht in Frage. Die Idee kam mir im Supermarkt. Ich stand in der Tiefkühlabteilung, blickte zu den Weinregalen und sah, wie eine ältere Dame eine Flasche Wein in ihrer Tasche verschwinden ließ „der eine nimmt, der andere gibt…“ schoss es mir durch den Kopf. Es war so einfach wie genial: ich würde die Gans aussetzen und zwar hier im Supermarkt. Sie kam zwar aus Frankreich, während die Truhenbewohner aus Polen stammten und hatte eine farblich etwas andere Einschweißfolie als Pyjama gewählt, doch die blaue Banderole würde nur auf den zweiten Blick auffallen. Ob sich das Tier später an der Kasse würde einscannen lassen, war dann schon nicht mehr mein Problem.


    Es war einen Tag vor Heiligabend, der Markt war übervoll mit den üblichen panischen Menschen, die Lebensmittel in ihre Einkaufswagen schmissen, dass man meinte, nach den Feiertagen würde es nie wieder eine Einkaufsmöglichkeit geben, also würde mich niemand beachten. Harmlos und unbeachtet fuhr ich mit meinem Einkaufswagen und der Tiefkühltragetasche neben die Tiefkühltruhe, mein Herz klopfte bis zum Hals. Ich versuchte mich zu beruhigen und sagte mir, dass man mir, wenn man mich erwischen würde, wenigstens keinen Diebstahl vorwerfen könne. Ich nahm eine Gans aus der Truhe, drehte und wendete sie, legte sie zurück - nahm das nächste kalte Tier, drehte und wendete es, legte es zurück, griff in meine Tasche, schaute aus den Augenwinkeln, ob mich jemand beobachten würde, drehte und wendete meine Gans und…legte sie in die Truhe. Puhhh geschafft! Es war, als würde mir ein dicker Stein vom Herzen fallen.


    Einen Meter weiter schnappte ich mir eine Packung Fischstäbchen, damit die Tiefkühltragetasche an der Kasse ihre Berechtigung haben würde und überließ das Tier seinem Schicksal. Mein Tiefkühlfach war wieder frei, und ich musste mir keine weiteren Gedanken über Hackmesser, Gänsebraten und nicht passende Bräter und Herde machen. Zu meinem Mann sagte ich kein Wort. Er schien die Sache eh schon vergessen zu haben.


    Es würde ein friedliches Weihnachten werden. Bei meinen Eltern gab es Heiligabend traditionell Kartoffelsalat und Würstchen und ich freute mich auf die Ente am ersten Weihnachtstag. Als ich meiner Mutter nach dem Essen half, die Teller abzuräumen und wir in der Küche standen, sagte sie:“Du ich hatte in diesem Jahr überhaupt keine Lust auf Ente. Immer und immer wieder dasselbe, das war mir zu langweilig. Stattdessen habe ich uns etwas anderes besorgt. Hilfst du mir bei der Zubereitung für Morgen?“ Während sie sprach, öffnete sie das Tiefkühlfach. „Es war richtig schwierig, noch eine zu bekommen und es gab an der Kasse riesige Probleme mit dem Barcode, fast als solle es nicht sein. Das riesige Viech sollte doch für uns alle reichen, oder?“


    Muss ich noch erwähnen, welche Farbe die Banderole dieser dummen französischen Gans besaß?

  • 2. Dezember 2014 von Dori



    Refugium

    Tiefe Fußstapfen im Schnee. Das Geräusch, wenn sich Milliarden von kleinen Eiskristallen knirschend dem Druck eines dick gepolsterten Stiefels ergeben. Dichte Flocken, die wie Federn herabfallen und sich auf Wollmütze, Schal und herausschauendes Haar legen. Diese Stille, die nur nach frischgefallenem Neuschnee entsteht, wenn die ganze Welt unter einer dicken Haube vergraben ist. Die Luft riecht nach Kälte und Zimt.


    All das nahm ich in mir auf, als ich im schwedischen Taljö – keine Stadt, nur ein kleines Dörfchen - aus dem Taxi stieg. Genau dafür hatte ich alles hinter mir gelassen. Eine kleine Haftnotiz auf meinem Schreibtisch auf der Arbeit – „Bin über die Feiertage weg. Handy ist aus, versucht es gar nicht erst!“ -, kurz daheim eine kleine Reisetasche gepackt, und dann ab zum Flughafen. Nach der Landung begrüßte mich Stockholm bereits mit dichtem Schneegestöber. Eine abenteuerliche Taxifahrt durch das verschneite Schweden später stand ich nun hier: vor einer kleinen Blockhütte, in der ich die nächsten paar Tage ganz für mich allein verbringen und so richtig schön meine Ruhe haben würde.
    Nachdem ich meine Reisetasche durch den Schnee in die Hütte gezerrt und die wenigen Dinge, die ich mitgenommen hatte, ausgepackt und in einen kompakten Massivholzkleiderschrank ausgepackt hatte, setzte ich mich in einen großen gemütlichen Ohrensessel, und ehe ich mich versah, war ich eingenickt.


    Als ich wieder erwachte, war es bereits dunkel – sieben oder acht Uhr vielleicht. Es klopfte an der Tür, das war es wohl auch, was mich ursprünglich geweckt hatte. Als ich die Tür öffnete, sah ich dort ein kleines Mädchen stehen, dick eingepackt in warme Winterkleidung. Mit meinen eingerosteten Schwedischkenntnissen konnte ich sie nur einigermaßen verstehen, als sie mich ansprach:
    „Hallo, ich bin Inga, wer bist du?“
    „Hallo, ich bin Kate.“
    „Kommst du mit und baust mit mir einen Schneemann?“
    „Das ist lieb, aber ich möchte lieber allein sein.“
    Sie verzog ihr kleines Gesicht, drehte sich um und ging wieder.
    In diesem Moment fiel mir auf, dass ich schon seit einer Weile nichts mehr gegessen hatte, und ich beschloss, hinunter ins Dorf zu gehen, und mir etwas zu Essen zu besorgen.


    Während ich ging, dachte ich darüber nach, wie schön es hier eigentlich war. In Berlin, wo ich außer meiner Arbeit eigentlich nur meinen Kater Paul – in der Obhut der alten Nachbarin Frau Fröbe – zurückgelassen hatte, war es zwar auch kalt gewesen, aber laut und matschig und stressig. Hier schien alles wie in Zeitlupe abzulaufen. Und während eine Großstadt in der Weihnachtszeit vor Geschäftigkeit nur so brummte, schien es hier so, als würde alles entschleunigt und als senkte sich ein Decke aus Friedlichkeit und Ruhe auf die Menschen herab.
    Eine Wolke Schnee schob mich in den ersten kleinen Laden hinein, der mir begegnete. Als ich einen Laib Brot, etwas Aufstrich und ein paar andere Kleinigkeiten zusammengesammelt hatte, mit denen man sich ein paar Tage über Wasser halten konnte, schleppte ich all das zur Kasse. Die Dame hinter dem Thresen zwinkerte mir zu, packte alles in einen kleinen Beutel und schob noch eine Packung Kekse hinterher.
    „Sind Sie die Frau, die oben in die Blockhütte gezogen ist?“
    „Ja, woher wissen Sie das?“
    „Meine Tochter Inga hat mir von Ihnen erzählt. Kommen Sie ruhig vorbei, wenn Sie irgendetwas brauchen!“
    „Danke, aber ich möchte diese Feiertage ganz für mich allein verbringen, ich brauche dringend Ruhe.“
    Dann bezahlte ich und ging zurück zu meiner Hütte, wo ich den Abend lesend – es gab kein Fernsehen – und geschmierte Brote essend verbrachte, bis ich wieder einschlief.


    Am nächsten Morgen erwachte ich tiefenentspannt und erholt mit dem Wissen, dass ich den ruhigsten und zurückgezogensten Weihnachtstag verbringen würde, den ich in meinem ganzen bisherigen Leben erlebt hatte.
    Nach einem ausgiebigen Frühstück unternahm ich – dick eingepackt in meine Winterkleidung – einen ausgedehnten Spaziergang durch den verschneiten Winterwald von Taljö. Ich beobachtete ein paar Tiere, die den Schnee sichtlich ebenso genossen, wie ich es tat, und als ich auf eine kleine Lichtung kam, legte ich mich in den Schnee und machte einen Schneeengel, das hatte ich zuletzt als kleines Kind getan.


    Am Nachmittag kehrte ich rotwangig und fröhlich zu meiner kleinen Hütte zurück, und es dämmerte bereits. Bis ich das Feuer im Kamin in Gang gebracht und mich aufgewärmt hatte, war es auch schon wieder dunkel geworden. Ich hatte mir gerade mein Buch bereit gelegt, als es wieder an der Tür klopfte.
    Es war Inga, die mir nur ihre kleine Hand hinstreckte, und sagte: „Komm mit!“
    Ich ließ mich also breitschlagen, löschte das Feuer im Kamin, ließ mich bei der Hand nehmen und von ihr herunter ins Dorf bringen.
    Schon vor der Haustür ihrer Familie roch es verführerisch nach Gänsebraten. Ingas Mutter öffnete die Tür, scheuchte uns mit ihren topflappenbehandschuhten Händen hinein und verschwand dann wieder in die Küche. Im Flur standen so viele Kinderschuhe, dass es gar nicht auffiel, als Inga ihre dazustellte. Ich entledigte mich ebenfalls meiner Schuhe, Jacke, Schal und Mütze und ließ mich dann ins Wohnzimmer führen, wo bereits eine lange Tafel gedeckt war. Ingas Geschwister winkten mir zu und stellten mir tausend Fragen, als ich mich an den mir zugewiesenen Platz gesetzt hatte.
    Dann kam Ingas Mutter ins Zimmer und trug den größten Gänsebraten den ich je gesehen hatte vor sich her.
    Als wir aßen und uns unterhielten – die Kinder fanden meinen deutschen Akzent mehr als lustig -, dachte ich bei mir, dass ich im nächsten Jahr definitiv wieder hierher zurückkehren würde.

  • 3. Dezember 2014 von Voltaire



    Das ganz besondere Geschenk

    Heute war ihr dritter Geburtstag, heute am 24. Dezember.


    Kim war der Sonnenschein in meinem Leben. Ihre Fröhlichkeit, ihr Lachen war mehr als ansteckend. Sie lebte ihre Leben und sie schien ihr Leben zu lieben; für sie gab es keine dunklen Wolken. Auch das Down-Syndrom sah sie nicht als dunkle Wolke.


    Ihr war es völlig egal, dass vor wenigen Monaten die DDR ihre Grenzen geöffnet hatte.


    Ihr Leben bestand aus Freundlichkeit und sie sah in allem etwas Aufregendes und Schönes, etwas Unvergleichliches.

    Okay, sie sprach nicht – bisher nicht ein Wort.


    Aber ihr Lachen, ihre Freundlichkeit sagten mehr als alle Wörter.

    Es war so gegen 14 Uhr. Ich versuchte den Tannenbaum zu schmücken. Kim und meine Frau waren noch kurz bei der Oma gewesen. Die lebte immer so richtig auf wenn Kim sie in ihrem Pflegeheim besuchte. Dann schien sie sich ein klein wenig aus ihrer Demenz lösen zu können.

    Und dann klingelte das Telefon.

    Genervt hob ich ab. Ich hatte Wichtigeres zu tun als jetzt irgendwelchen Smalltalk über mich ergehen lassen.

    Es war das Krankenhaus.


    „Ihre Frau und Ihre Tochter hatten einen Unfall. Es sieht nicht gut aus.“

    Ich sprang ins Auto und jagte los. Rote Ampeln interessierten mich nicht.


    Man schickte mich auf die Intensivstation. Ein Arzt, etwa so alt wie ich nahm mich in Empfang:


    „Für Ihre Frau konnten wir leider nichts mehr tun. Ihre Verletzungen waren zu schwer. Und so wie es aussieht wird auch Ihre Tochter diese Nacht nicht überstehen. Es tut mir sehr, sehr leid.“

    Er führte mich in einen Raum mit unzähligen Geräten und einem Bett in der Mitte. Und in diesem riesigen Bett lag meine Kim, winzig, angeschlossen and Drähten und Schläuchen. Sie hatte die Augen geschlossen und eine Maschine beatmete sie.


    Ich konnte diesen Anblick kaum ertragen.


    Sie war blass – als hätte der Tod sie bereits in ihrer Gewalt. Aber am Flattern ihrer Augenlider erkannte ich, das ich sie noch nicht ganz verloren hatte.

    Und was dann passierte, ordne ich für mich ganz persönlich unter Weihnachtswunder ein.


    Kim öffnete plötzlich ihre Augen strahlte mich an und sagte klar und deutlich trotz der Atemhilfe in ihrem Mund:


    „Papa!“


    Sie lachte so vergnügt wie immer.


    Dann richtete sich ihr Blick auf etwas hinter mir. Ich drehte mich um, sah aber nichts.


    „Mama!“


    Auch das wieder klar und deutlich.

    Dann lächelte Kim ein letztes Mal und schloss ihre Augen – für immer.

    Ich war wie gelähmt. Unendliche Leere war das was ich fühlte. Es war ein Schmerz, wie ich ihn bisher noch nicht erlebt hatte.

    Und dann wurde es mir bewusst:


    Das was heute passiert war, das musste eine tiefere Bedeutung haben, das war alles kein Zufall. Wieso hatte Kim plötzlich, trotz ihres Zustandes, klar und deutlich „Papa“ und „Mama“ sagen können?

    Die nächste Zeit erlebte ich nur als etwas Diffuses. Nichts war mehr von Bedeutung.


    Ich spürte nichts mehr, merkte kaum dass ich noch lebte.

    Und dann kam dieser Traum. Immer und wieder.


    Kim und meine Frau kamen Hand in Hand auf mich zu. Sie lächelten.


    Und Kim sagte:


    „Irgendwann sind wir wieder alle zusammen, Papa. Ich bin immer bei dir.“

    Ich wache dann meistens auf.

    Es ist dieser Traum der mir die Kraft gibt den kommenden Tag zu überstehen. Er macht es nicht leichter, aber ein klein wenig erträglicher.

    Ein Jahr ist vergangen. Heute wäre ihr vierter Geburtstag gewesen.

    Und dann spürte ich es. Dieses beklemmende Gefühl in der Brust – aber ich spürte nicht die angeblich damit immer einhergehende Todesangst. Schmerzen im linken Arm.

    Das Atmen fiel mir schwer.


    Und dann sah ich es: Das Licht am Ende des Horizonts – und auf mich kamen zwei Gestalten zu, eine große und eine kleine Gestalt, Hand in Hand. Und sie lächelten – und dieses Lächeln ließ mich alles vergessen..........

  • 4. Dezember 2014 von Sonne79



    Dezemberlichter


    Ein Licht
    im Dezember
    steht für Vorfreude
    auf die ruhige und
    besinnliche Zeit.


    Zwei Lichter
    im Dezember
    lassen die Kinder ihre
    Stiefel füllen und
    Plätzchenduft durchs
    Haus wehen.


    Drei Lichter
    im Dezember
    locken die Leute
    zum Markt und ins Konzert.
    Sie lassen sich von
    musikalischen Klängen,
    weihnachtlichem Duft und
    Geselligkeit aufs Fest einstimmen.


    Vier Lichter
    im Dezember
    bringen Stress.
    Postkarten werden geschrieben,
    Geschenke gekauft, verpackt,
    Menüs geplant, Familien treffen sich
    nach langer Zeit und verbringen
    gemeinsam den Heiligen Abend
    unterm Tannenbaum.


    Dezemberlichter
    leuchten auf der ganzen Welt.
    Sie dringen in unser Herz und
    bringen unsere Augen zum
    leuchten.
    Für ein paar Stunden
    genießen wir alle den friedlichen
    Weihnachtszauber, der uns
    wie eine warme Decke umhüllt.

  • 5. Dezember 2014 von arter



    Nikolaus‘ Erinnerungen


    Wenn ihr meine Erzählungen in den letzten beiden Jahren verfolgt habt, wisst ihr ja bereits, dass ich in der Weihnachtszeit über meinen Job als Geschenkebringer hinaus, auch für andere Bräuche verantwortlich gemacht werde. Und zwar nicht nur an meinem morgigen Ehrentag sondern weltweit über die Adventszeit verteilt als Sintaclaas, Santa Claus, oder einfach nur als „Weihnachtsmann“. Eines ist diesen Bräuchen aber gemein: Immer steckt man mich (oder besser eine Person, die mich verkörpern soll) in ein absurdes Kostüm und jagt Kindern Angst ein. Ausgerechnet mich, der eigentlich der heilige Schutzpatron der kleinen Biester sein soll. Selbst im „Struwwelpeter“ wurde meine Figur schon diesbezüglich missbraucht. Jedoch ist dieses weihnachtliche Kindererschrecken nur ein Nebenjob meiner diversen Verpflichtungen, die ich seit Jahrhunderten zu erfüllen habe.


    Zahlreiche Nationen und Berufsstände beanspruchen meinen exklusiven Schutz. Eigentlich ist das viel zu viel für einen einzelnen Heiligen. Aber ich kann nun mal einfach nicht „Nein“ sagen. Mit diesem Dilemma hatte ich schon immer zu kämpfen. Über viele Jahrhunderte war meine Hauptrolle die des Schutzpatrons der Seeleute, der Händler und der Reisenden… und weiterer interessanter Tagewerke. So bin ich zum Beispiel auch rätselhafterweise zum obersten Schutzherr der Angestellten des gewerbsmäßigen Beischlafs geworden. Aber dieses Thema haben wir zur Genüge bereits im vorjährigen Adventskalender abgehandelt. Heute möchte ich mich gemeinsam mit euch daran erinnern, wie ich zum obersten Patron jener Verrückten wurde, die sich in weniger reisefreundlichen Zeiten auf den Weg machten, um in ihren Nussschalen die Weltmeere zu überqueren.


    Hauptamtlich war ich ja zu meinen Lebzeiten Bischof der Stadt Myra in Lykien, was heute zur Türkei gehört. In jener Zeit war das noch christlicher Boden. Der große Kaiser Konstantin hatte einige Jahre zuvor beschlossen, seine neue Lieblingsreligion weltweit zu promoten und in dieser Rolle war ich an diesem strategisch wichtigen Ort normalerweise unabkömmlich. Aber mein Freund Alexandros, den ihr gewiss aus meiner Erzählung des Vorjahres noch kennt, ermöglichte mir, manchmal inkognito an Bord eines seiner Schiffe unerkannt für ein paar Wochen an der Küste entlang zu schippern. Wenn ihr schon einmal an der türkischen Rivera wart, wisst ihr sicher die Vorzüge der Strände in dieser Region zu schätzen. Auch ein Bischof muss sich schließlich mal entspannen. Einmal im Jahr überließ ich daher die Amtsgeschäfte einem Stellvertreter, kleidete mich unauffällig als Handelsreisender und versteckte mich zwischen Fässern und Säcken im Lagerraum eines Handelsschiffes, dessen Kapitän zuvor angemessen informiert und bestochen worden war.


    Eines Tages auf einer Rückreise, kurz vor dem Einlaufen in meinen Heimathafen, kam ein fürchterlicher Sturm auf. Ich wurde im Bauch des Schiffes hin- und hergeschleudert und ich dachte, mein letztes Stündlein habe geschlagen. Panisch floh ich an Deck. Dort erlebte ich die wahre Hölle. Die Besatzung hatte wohl versucht, den Hauptmast herunterzuholen, doch das war nicht gelungen. Denn nun hing er gefangen in einem Gewirr von Seilen und schleuderte unkontrolliert über das Deck, alles niedermähend, was sich ihm in den Weg stellte. Die Seemänner hatten es offenbar aufgegeben, diesem zerstörerischen Werk Einhalt zu gebieten. Sie kauerten ängstlich hinter irgendwelchen scheinbaren Schutz bietenden Aufbauten, um hilflos abzuwarten, dass der Sturm aufhörte oder – was wahrscheinlicher war – dass sie von Deck gefegt wurden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Deck durch den Mast vollends zerstört war. Das wäre dann wohl das Ende unseres Schiffes gewesen, denn es war zu befürchten, dass es in der Folge den tobenden Elementen nicht mehr standhalten könnte.


    Ich weiß nicht, ob es eine göttliche Erleuchtung oder einfach nur eine Wahnsinnstat war, jedenfalls schnappte ich mir eine Axt und stürmte voran in die Richtung des schlingernden Mastes. Blitze zuckten und eine gewaltige Welle brandete heran, als ich das Werkzeug hob und die Seile zerschlug. Die Welle spülte mich über Bord und nur wenige Fuß von meinem Kopf entfernt platschte auch der Mast ins Wasser. Eben noch ein Mordinstrument, wurde er nun zu meinem Lebensretter. Ich klammerte mich verzweifelt um den Pfahl, wurde aber sogleich auf das stürmische Meer hinausgetrieben.


    Eine schier endlose Zeit später hatte sich der Sturm glücklicherweise gelegt. Vom Schiff war weit und breit nichts zu sehen, aber dafür erblickte ich am Horizont die Küste. Es dauerte noch ein paar Stunden und ich landete in einem Dorf wenige Meilen von Myra entfernt. Zum Glück hatte meine Geldbörse das Unheil schadlos überstanden und so konnte ich einem Bauern seinen Esel abkaufen, welcher mich sicher und auch einigermaßen zügig nach Haus brachte.


    Dort war in der Zwischenzeit das Schiff eingelaufen, oder besser, das was von ihm übrig geblieben war. Die Seemänner verbreiteten die wundersame Geschichte ihrer Errettung. Ein Engel sei aus dem Himmel hinabgestiegen und habe sie alle vor dem sicheren Untergang gerettet, indem er das Schiff von seiner zerstörerischen Last befreit habe. So schnell wie der wundersame Geist aufgetaucht sei, wäre er aber auch wieder verschwunden. Ich erfuhr außerdem, dass der Kapitän, welcher der einzige Zeuge meiner Anwesenheit auf dem Schiff gewesen war, bei dem Unwetter tragischerweise ums Leben gekommen war.


    Selbstlos, wie ich war, kam mir der Gedanke, diesen Umstand in den Dienst unserer heiligen Sache zu stellen. Sobald ich auf meinem Bischofssitz zurückgekehrt war, wies ich meine Bediensteten an, einen feierlichen Gottesdienst vorzubereiten, bei dem unserem Herrn für die wundersame Errettung des Schiffes gedankt werden sollte. Zu jener Zeit gab es noch kein Skandal- und Sensations-TV. Der Bedarf nach spektakulären Neuigkeiten war aber mindestens genauso groß wie heutzutage. Und so erlebte mein bescheidenes Gotteshaus einen so großen Ansturm, dass wir die Feierlichkeiten unter freiem Himmel abhalten mussten.


    Die Messe wurde ein Riesenerfolg, sie wurde aber leider von einem Zwischenfall unterbrochen. Einer der Seeleute glaubte doch tatsächlich in meiner Person jenen himmlischen Engel wiederzuerkennen, der ihn und das ganze Schiff gerettet hatte. Der Mann stürzte aus der Menge vor, warf sich vor mir in den Staub und küsste unter tränenreichen Dankesbezeugungen meine Füße. Ich schob die Verantwortung für das Wunder natürlich weit von mir und befahl streng, er solle Jesus Christus danken, denn nur durch dessen Leiden könnten wir erlöst werden... und so weiter, ihr kennt das sicher.


    Das Gerücht, der Bischof von Myra habe als himmlischer Engel das Schiff gerettet, war allerdings nicht mehr aufzuhalten. Überall im Lande wurde die Geschichte erzählt und sie überdauerte sogar die Jahrhunderte. Wann immer ein Schiff in Seenot geriet, riefen gottesfürchtige Seefahrer mich, den heiligen Nikolaus an, ihnen zu Hilfe zu eilen. So wurde ich zu ihrem Schutzpatron.


    Spätestens mit dieser Geschichte hatte ich auch meine inoffizielle Funktion als Vollbringer göttlicher Wunder inne. Der Kaiser persönlich ließ mir über meinen Freund Alexandros mitteilen, dass er es gern sehen würde, wenn ich weitere Wunder zu Gottes Ehren vollbringen könne, das würde sich meinungsbildend gut in den Businessplan für sein Globalisierungskonzept des Christentums einbinden lassen.

    Vielleicht hätte ich mich zu jenem Zeitpunkt einfach auf meine Bischofstätigkeit beschränken sollen. Dann hätte ich nach dem Ableben sicher bald meinen Seelenfrieden gefunden. Es kam aber anders und ich vollbrachte noch weitere „Wunder“ – nicht jedes so heldenhaft wie das heute geschilderte. Davon werde ich euch in den nächsten Jahren berichten, wenn ihr mir wieder zuhören wollt.


    Wie gesagt, ich konnte nicht „Nein“ sagen. Nun habe ich den Salat, als unsterblicher Heiliger muss ich mich nicht nur um meine zahlreichen Schutzbefohlenen kümmern, sondern auch um die Segnung des Weihnachtsfestes inklusive aller Gaben, die sich die Menschen in meinem Namen einander zukommen lassen. Deshalb muss ich jetzt leider meinen Bericht beenden und mich auf den Weg machen, um meinen weihnachtlichen Segen zu verteilen. Am besten, ich beginne gleich mit euch Büchereulen: Ich wünsche euch eine gesegnete Adventszeit und ein friedliches Fest der Besinnung und Freude!


    Euer Nikolaus

  • 6. Dezember 2014 von Marlowe



    Nikolaus 1978


    Es war Nikolaustag 1978, meine Kompanie betreute in diesem Jahr das Behindertenkinderheim in Grassau am Chiemsee. Das Kommando für die Verteilung der Nikolausteller an die Kinder des Heimes wurde mir übertragen und so fuhren wir mit mehreren Kleinbussen dorthin. Einer davon war voll beladen mit wunderschönen und reich bestückten Tellern, mittendrin Hauptfeldwebel Fischer als verkleideter Nikolaus.
    Nonnen, Krankenschwestern und Pflegerinnen erwarteten uns draußen schon mit etlichen Kindern und sie begrüßten uns mit einem Lied. Dann teilte ich die Soldaten in Gruppen ein und schickte sie los. Der Nikolaus wurde von zwei als Engel verkleideten Frauen des Heimes flankiert und ging von Zimmer zu Zimmer.
    Es blieben noch fünf Teller übrig, die ich mir nahm und die Schwester Oberin begleitete mich zu einem Zimmer im Erdgeschoss. Dort standen fünf Gitterbettchen, darin Kinder zwischen zwei und fünf Jahren.
    Als letztes ging ich zu einem kleinen, dreijährigen Mädchen, neben ihrem Bettchen stand ein Stuhl und ich setze mich darauf. Dann hielt ich ihr den Teller hin und sagte: "Schau, das soll ich Dir vom Nikolaus bringen."
    Die Kleine sah mich mit großen Augen an, regte sich aber nicht und sagte kein Wort.
    "Och komm“, sagte ich „nimm es doch." Sie regte sich immer noch nicht. Also sprach ich immer weiter, erzählte ihr, dass ich mit meinen Freunden extra zum Nikolaus gefahren war und wie er sich gefreut hatte, dass wir ihm so viel Arbeit abnahmen und er bestimmt traurig sein wird, wenn sie sein Geschenk nicht nimmt. Während ich leise und sanft auf sie einsprach, spürte ich die Hand der Oberin auf meiner Schulter und sie flüsterte mir ins Ohr: "Lassen Sie es, sie spricht seit über einem Jahr kein Wort."
    Genau in diesem Augenblick streckte die Kleine die Arme aus, griff nach dem Teller und plötzlich war da ein Leuchten in ihren vorher so glanzlosen Augen.
    "Ist das für mich?", fragte sie und sah mich an. Ich drehte mich kurz zur Oberin um und sah, wie sie sich bekreuzigte und das Zimmer verließ. Ich redete noch einige Minuten mit dem Mädchen, dann streichelte ich ihr über den Kopf und sagte ihr, dass ich jetzt dem Nikolaus erzählen würde, wie sie sich gefreut hatte.
    Draußen auf dem Flur stand die Oberin mit etlichen Nonnen und Krankenschwestern und sie sahen mich mit großen Augen an.
    "Ein Wunder!", sagte die Oberin zu mir, nahm mich beim Arm und wir gingen alle in den großen Speisesaal, wo schon Weihnachtsstollen, Kaffee und Tee für uns bereit stand. Die Oberin saß neben mir und konnte sich über dieses wunderbare Ereignis gar nicht mehr beruhigen. Sie meinte ich solle nach der Bundeswehr unbedingt Kindertherapeut werden.
    Ich antwortete nach kurzem Überlegen: "Nein, Schwester Oberin, ich bin nicht Jesus, ein Wunder im Leben reicht mir."
    Erst viel später habe ich mich gefragt, was aus diesem kleinen Mädchen wohl geworden ist, ich werde es nie erfahren.

  • 7. Dezember 2014 von beisswenger



    Aramäische Weihnacht



    ********


    „Mama, ich habe Angst. Ich soll verkauft werden …“


    „Hawa, mein Mädchen, wo bist du? Wir holen dich …“



    Der Bärtige stürmte ins Zimmer, riss mir das Handy aus der Hand, zog mich an den Haaren hoch und schleifte mich auf die Pritsche. Sein Atem roch nach Knoblauch und er stank nach Schweiß.



    „Du hast Glück, dass du noch jung bist, sonst …“, brüllte er. Dann flüsterte mir ins Ohr:


    „Jungfrauen erzielen die besten Preise!“



    Er lachte, während er den Raum verließ. Wir lauschten dem Verriegeln der Tür. Ich war wieder allein unter Frauen.



    Ehe das Unglück zuschlug, war ich bei meinem Onkel Mathai zu Besuch gewesen, im Land der wechselnden Grenzen. Sie kamen gestern, im Morgengrauen. Mein Onkel sagte nein. Er hatte kein Geld für die Kopfsteuer.


    „Dann töten wir dich und nehmen deine Tochter.“ Meine Tante fiel auf die Knie und flehte sie an:



    „Nehmt mich, sie ist doch noch so jung.“


    „Wir nehmen dich sogleich und deine Tochter nehmen wir mit“, sagte einer der Männer und zwei andere grinsten. Während der erste meine Tante festhielt, beschmutzte sie der zweite. Der dritte sah zu, rauchte und hielt sein Gewehr auf uns gerichtet. Als die Männer mit meiner Tante fertig waren, wurde ich auf einen Pick-up verfrachtet. Was dann mit Tante und Onkel geschehen ist, weiß ich nicht. Seitdem bin ich hier, mit zwei Frauen, die mein Schicksal teilen. Sie schweigen.


    Ich fand einen Filzstift in meiner Tasche.



    Das Wort „Jungfrau“ schrieb ich auf meinen Unterarm.



    Das geschah am 8. Dezember, 17 Tage vor dem Ende der Fastenzeit.



    *********


    Schon mein zweiter Abend in dem Haus, in diesem Zimmer. Ich liege auf der Pritsche. Mir gegenüber hocken zwei erwachsene Frauen, beide Jesiden. Letzte Nacht holten sie eine nach der anderen. Ich lag wach und zählte ihre Schreie. Als sie zurückkamen, sagten sie nichts. Jetzt zittern sie. Eine hat Durchfall. Der Eimer ist voll und stinkt. Sie befürchten, nachher wieder geholt zu werden. Ich fühle nichts.



    Ich schrieb „Schreie“ auf meinen Unterarm.



    Das geschah am 9. Dezember, 16 Tage vor dem kleinen Fest.



    ***********


    „Heute ist Verteilungstag!“, riefen sie aus, zwinkerten mir zu und frohlockten. Ihre Blicke und Gesten verrieten, was sie mit uns vorhatten. Wir saßen nebeneinander und warteten auf unsere Käufer. Fremde betasteten uns wie Vieh. Jemand kam auf mich zu und prüfte meine Zähne. Bald sollte es mir nicht mehr besser gehen als den anderen. Der Mann, der mich kaufte, hatte einen blonden Bart. Er sagte nichts. Er ergriff meine Hand und nahm mich mit.



    Ich schrieb „Verteilungstag“ auf meinen Arm.



    Das geschah am 11. Dezember, 14 Tage vor Christi Geburt.



    *************


    Mein Käufer war ein Kämpfer aus Europa. Er sprach kaum Arabisch, aber recht gut Englisch. Zwei Tage ließ er mich in Ruhe und gab mir Essen. Es war Fastenzeit, also aß ich alles, nur kein Fleisch. Ich hatte Hunger. Nachdem die Sonne untergegangen war, kam er in meine Zelle, nahm meine Hand und führte mich in sein Schlafzimmer.



    Ich konnte nichts aufschreiben, denn ich musste ihm beiwohnen.



    Das geschah am 13. Dezember, 12 Tage vor unserem zweithöchsten Festtag.



    **************


    Er entkleidete mich und zog mich aufs Bett. Ich schloss die Augen. Es war anders, als ich es vor einer Woche gesehen hatte. Es dauerte länger als bei meiner Tante. Es tat weniger weh, als ich gedacht hatte. Aber vielleicht machte er es auch nicht richtig. Ich schluchzte leise. Dann glaubte ich, zu weinen. Nein, er weinte. Er weinte schon lange. Schließlich rollte er sich von mir herunter und schwieg. Ich blutete. Und dachte an meine Mutter, an meine Tante und an meinen Onkel. Seltsam, warum konnte ich ihn nicht hassen?


    Irgendwann unterbrach ich die Wortlosigkeit: „Warum weinst du?“


    „Warum weinst du nicht?“


    „Ich habe keine Tränen mehr“, flüsterte ich.


    „Und ich habe keine Hoffnung mehr. Seit drei Monaten bin ich hier. Ich dachte, ich könnte eine Fahrkarte ins Paradies lösen, aber das hier ist die Hölle auf Erden.“


    „Du bist nicht von hier. Warum gehst du nicht zurück?“


    „Kann ich nicht, ich habe kein Geld. Außerdem werden wir überwacht. Wir müssen hier bleiben, sonst töten sie uns.“



    Ein Schimmer Hoffnung streifte die Unwirklichkeit.


    „Kann ich telefonieren?“ Er stand auf, öffnete eine Schublade und reichte mir mein Handy. Meine Mutter ging ran und weinte, als sie meine Stimme hörte. „Gib mir Papa!“ Vater spricht kein Englisch. Also übersetzte ich. Sie einigten sich auf eineinhalb Millionen Dinar, das Zehnfache dessen, was der Mann für mich bezahlt hatte. Das sollte für einen Flug nach Europa reichen. Ich dachte kurz daran, der Flieger möge abstürzen, dann entschuldigte ich mich für den gottlosen Gedanken. Noch war nichts gewonnen. Zum ersten Mal schaute ich ihm ins Gesicht. Er war nicht viel älter als ich. Warum hatte er sich in der Hölle verirrt?



    Ich schrieb die Zahl „1 500 000“ auf meinen Unterarm.



    Das geschah am 14. Dezember, 11 Tage vor Weihnachten.



    ************************


    Im Morgengrauen kam ein Mann und führte mich zu seinem Wagen. Ich schaute zurück. Mein Verkäufer stand an der Tür und rauchte. Ich stieg hinten ein und schloss meinen Schleier. Der Mann fuhr zur Stadtgrenze. Dort musste ich in den Kofferraum eines anderen Wagens steigen. Nach stundenlanger Angst im Dunkeln stoppte das Auto. Kontrollpunkt. Ich hörte, wie sie über das Wegegeld verhandelten. Dann näherte sich jemand dem Heck und klopfte auf den Kofferraum. Ich hatte Höllenangst. Dann vernahm ich ein Rascheln.



    „Zu wenig!“, sagte ein Mann auf Arabisch. Das Rascheln von Papier ging weiter.


    „Gut“, sagte ein anderer Mann. Einen Augenblick später schlug jemand auf die Heckklappe. Drei Mal. Ich hielt den Atem an. Nachdem der Motor gestartet war, atmete ich auf.



    Ich schrieb blind „Wegegeld“ auf meinen Arm.



    Das geschah am 24. Dezember, dem Tag der Christmette.



    *************************


    Heute bin ich angekommen. Mama sagte, ich sei ihr schönstes Weihnachtsgeschenk. Abwechselnd schluchzte sie und dankte Gott. Dann reinigte sie meinen Arm. Wortlos wischte sie die Wörter ab.


    Wir feiern ein Weihnachtsfest des Schweigens. Viele von uns fehlen, auch Tante und Onkel. Wir haben sie verloren.



    Mein Vater sagt, es seien zu wenige, die uns verteidigen können. Es fehlen Waffen und die Männer seien schlecht ausgebildet. Ich hoffe, dass Gottes Gnade noch lange reichen wird. Vielleicht bis nächstes Weihnachten oder zumindest bis Ostern – unserem höchsten Feiertag. Ich bete dafür.



    Mein Bruder meint, die Terroristen werden uns nicht auslöschen. Wir seien die älteste Bevölkerung des Landes. Wir lassen uns nicht aus unserem Land vertreiben, es gehöre uns seit Anbeginn der Zeit. Wir müssen kämpfen, sagt mein Bruder, der sich gestern der Brigade angeschlossen hat. Zwischen den Wörtern steckt seine Angst. Ganz unverborgen, nackt. Ich sage nichts. Ich habe Glück gehabt. Das ist ein gutes Zeichen.



    Ich wünsche mir doch nur ein wenig Hoffnung.

  • 8. Dezember 2014 von Rosha



    Heiligabend für Mirko


    Er konnte sie nicht abhängen! Sie waren verdammt schnell. Nur einen kleinen Vorsprung hatte er rausgeschlagen, aber der musste reichen. Seine Beine schmerzten, er hatte Seitenstechen. Gleich würden sie um den Häuserblock kommen und ihn sehen, dann war alles vorbei. Weglaufen ging nicht, also musste er sich verstecken. Aber wo? Hier gab es nichts! Eine Frau kam aus dem Wohnblock links vor ihm. Mit gesenktem Kopf lief sie über die grauen Gehwegplatten, nestelte an ihrem Schal, der sie vor dem beißenden Wind schützen sollte. Das war seine Chance! Die Haustür glitt gemächlich zu, noch dreißig Zentimeter und das Schloss würde einschnappen. Obwohl er es nicht für möglich gehalten hatte, rannte er noch schneller, quer über die Wiese, das braune Gras dämpfte seine Schritte. Er erwischte den Türgriff gerade noch so, quetschte sich durch und zog die Tür hinter sich zu. Sein Blick schnellte die Treppen hinauf. Nein, nicht gut, lieber in den Keller. Er flog geradezu über die Stufen, schwang sich um den Absatz herum, polterte gegen eine Tür und stand im Waschraum. Die Arme auf die Oberschenkel gestützt blieb er stehen, vornübergebeugt und keuchte, hörte das Pfeifen seines Atems, das Rauschen des Blutes in seinen Adern. Viel zu laut kam ihm das alles vor. Hier war es still, niemand da, keine der Waschmaschinen lief. Die Neonröhren leuchteten den Raum unbarmherzig aus bis in den letzten Winkel. Staub, Spinnenweben und ein altersschwacher Stuhl hinten in der Ecke. Das Adrenalin peitschte noch durch seine Adern, er zitterte am ganzen Körper. Ob vor Anstrengung oder Angst wusste er nicht zu sagen. Obwohl es ihm schwerfiel, sich ruhig zu verhalten, wusste er genau, dass er die nächsten Stunden hier zubringen musste. So leicht würden sie nicht aufgeben. Sie würden auf ihn warten, das war ihm klar. Er konnte nur hoffen, dass sie dumm genug waren und nicht in den Häusern nach ihm suchten. Sie würden es nicht dabei belassen, ihm sein Handy abzunehmen. Sie würden ihn verprügeln, als Entschädigung für ihre Mühen, die sie mit ihm gehabt hatten. Er hatte Hassan gesehen, als sie mit ihm fertig waren. Jetzt fehlte ihm ein Zahn und über der Augenbraue würde eine hässliche Narbe zurückbleiben.



    ***



    „Wer bist du denn?“ Eine Stimme, hart wie ein Kieselstein, durchdringend wie die Kälte des Betonbodens, auf dem er zusammengesunken lag. Er hatte tatsächlich geschlafen! Wie lange, konnte er nicht sagen, erholt fühlte er sich nicht. Ihm war kalt. Eine weitere Bestandsaufnahme seiner Situation wurde durch die Stimme vereitelt.


    „Sieh zu, dass du hier verschwindest!“ Die Frau hatte schmale Lippen, ihre Brauen waren zusammengezogen. Er kannte den Gesichtsausdruck. Keine Verhandlungen möglich, schnell das Weite suchen. Damit fuhr man mit solchen Leuten am besten. Er rappelte sich hoch, knickte jedoch ein, da sein Bein eingeschlafen war. Um nicht zu fallen, stütze er sich an der Wand ab.


    „Warum bist du nicht zu Hause? Ist doch Heiligabend.“ Der Blick der Frau gefiel ihm gar nicht. Sie sah genau hin. Nicht wie die meisten Menschen, die wie durch Filter blickten, nur das sahen, was sie wollten. Was sollte er antworten? Er zuckte mit der Schulter.


    „Ich möchte eine richtige Antwort, junger Mann. Oder kannst du nicht sprechen?“ Sie hatte schmale Schultern, verdeckt von einer unförmigen, braunen Strickjacke, aber in diesem Moment erschien sie ihm riesig. Er drückte sich an die Wand hinter ihm, als könnte sie ihm Stütze und Sicherheit bieten.


    „Lass mich raten. Deine Eltern sind besoffen, haben sich gestritten und mit Gegenständen beworfen. Um nichts abzubekommen bist du abgehauen und weil es draußen zu kalt ist, hast du dich hier versteckt. Stimmt’s?“


    Er räusperte sich. „So ungefähr.“ Sie lag wirklich nicht weit daneben. Sein Erzeuger war längst über alle Berge, aber seine Mutter hatte wieder so einen versifften Typen angeschleppt. Erst hatten sie gebechert, sich gestritten und lagen sich dann ganz weinerlich in den Armen. Was weiter kommen würde, wollte er ganz bestimmt nicht mit ansehen. Da war er lieber um die Häuser gezogen. Dumm wie er war hatte er nicht aufgepasst und war Kordo und seiner Gang in die Arme gelaufen. Mit seinem neuen Smartphone in der Hand. Das wollten sie haben. Er hatte es erst vor ein paar Tagen gekauft. Gebraucht. Ein neues konnte er sich nicht leisten. Und er hatte lange darauf gespart. In der Kneipe „Zum großen Onkel“ hatte er gejobbt. Kisten schleppen, Gläser spülen und so’n Zeug. Für fünf Euro die Stunde. Lange Maloche für das Handy. Es war das Wertvollste, was er besaß. Das würde er sich nicht so einfach wegnehmen lassen.


    Die Frau musterte ihn. Und er sie. Endlich brach sie das Schweigen.


    „Komm mit. Ich habe Brathühnchen gemacht. Kannst was abhaben. Mager wie du bist, verträgst du eine ordentliche Portion. Du darfst hinterher sogar rülpsen. Ich mag's nicht so tüdelig an Weihnachten.“


    Mirko erfasste eine tiefe Heiterkeit. Ein Grinsen breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus. Erfasste die Mundwinkel, die Muskeln in den Wangen, erreichte seine Augen und glättete seine Stirn.


    „Das trifft sich gut. Ich kann keine Weihnachtslieder.“

  • 9. Dezember 2014 von Cyriacos



    Weihnachtsblues


    Dem Weihnachtsmann, ihm droht Gefahr.
    Die Nacht der Nächte ist schon nah.
    Knecht Ruprecht ist die Arbeit leid,
    verschossen in ne Wichtelmaid.


    Knecht Ruprecht lächelt ganz verzückt,
    wenn er auf ihre Glöckchen blickt.
    Sie träumt schon lang von seiner Rute:
    „Komm, macht mich heut zu deiner Gefährtin!“


    Der Weihnachtsmann ist außer sich:
    „Ihr beide seid wohl nicht mehr frisch!
    Geschenke, tausend, unverpackt!
    Dies Schäkern geht mir auf den Sack!“


    Die Liebenden, die stört das kaum.
    Sie fesseln ihn am Weihnachtsbaum.
    Die Weihnachtspost, sie harrt der Leerung,
    Nur für die Maid, da gab‘s Bescherung.

  • 10. Dezember 2014 von Batcat



    EIN UNERWARTETER ABEND …


    Edeltraud Burger war genervt. Seit vor ein paar Wochen über ihr diese Schröders mit ihren vier nervigen kleinen Bälgern eingezogen waren, war es um ihre Ruhe geschehen. Rund um die Uhr war das Getrappel von kleinen Füßen auf dem Parkett zu hören und das Geschrei und Getobe ging ihr auf die Nerven: tagsüber gaben die Kinder keine Ruhe, abends keiften sich die Eltern an.


    Ihre eigenen Kinder waren gottlob schon erwachsen. Doch leider waren sie in alle Winde verstreut, so daß die Treffen nur sehr selten waren. Und wie es aussah, war sie auch dieses Jahr zu Weihnachten wieder alleine. Denn nur für die paar Tage aus Sydney, Schottland und Texas herzufliegen, das lohnte einfach nicht. Und so würde sie sich auch dieses Jahr wieder mit ihrem Hund Tiffy ein paar Bockwürstchen teilen und früh zu Bett gehen.


    Sie mußte den Tatsachen ins Auge sehen: seit ihr Gefährte Albert vor zwei Jahren gestorben war, war sie einsam, alt und unnütz geworden. Jetzt rächte sich ihr zurückgezogenes Leben, das sie immer so sehr genossen hatten: sie hatte keine Freunde und war ganz allein. Allein und ohne Aufgabe.


    Wenigstens war es die letzten Tage oben ruhig gewesen. Hat es wohl doch was genutzt, daß sie mehrfach energisch mit dem Besenstiel an die Decke geklopft hatte. Gerade mixte Edeltraud das Dressing für den abendlichen Kartoffelsalat, als es an der Tür klingelte. Wer war so unverschämt, am 24. Dezember andere zu stören?


    Sie öffnete die Türe einen Spalt und hätte sie am liebsten gleich wieder zugezogen: draußen stand Leni, das größte der Kinder „von oben“. Sie trug ein Nachthemd – am späten Nachmittag, das muß man sich mal vorstellen! - und die obligatorische Rotzfahne um die Nase. Na, die hatte ihr gerade noch gefehlt. „Was gibt es?“ bellte Edeltraud das verschüchterte Mädchen an. Sofort flossen bei der Kleinen ein paar Tränen. „Mama geht’s nicht gut!“ wisperte sie zurück. „Dann soll euer Vater einen Arzt rufen!“ knurrte Edeltraud. „Papa ist weggegangen. Der kommt nicht mehr.“ flüsterte Leni zurück und weitere Tränen kamen nach. Auch das noch. Edeltraud sah ihren ungestörten Heiligabend entschwinden.


    Knurrend nahm sie ihren Schlüssel und stapfte hinter der Kleinen ein Stockwerk höher. Die junge Mutter befand sich in einem bedauernswerten Zustand: heftigste Bauchschmerzen plagten sie, doch sie konnte ihre Kinder ja nicht mutterseelenalleine lassen. Neu in der Stadt hatte sie weder Freunde noch Verwandte hier – sie durfte jetzt einfach nicht schlappmachen. Gerade an Weihnachten nicht. Gerade DIESES Weihnachten nicht, nachdem ihr Partner, der Schuft, nach vier gemeinsamen Kindern plötzlich festgestellt hatte, er wolle lieber doch keine Familie und zu seiner langbeinigen – und garantiert auch rehäugigen – Assistentin gezogen war. Ließ sie hier mit den Kindern in der neuen und für sie alleine viel zu teuren Wohnung zurück. Das Schwein.


    Edeltraud sah auf einen Blick: die Schröderin mußte ins Krankenhaus, da half alles nichts. Tief seufzte sie auf, denn ihr war klar: wenn sie jetzt den Krankenwagen rief, hatte sie in diesem Abend – Heiligabend! – die ungezogene Brut am Hals. Sie schwankte ein wenig, doch dann siegte ihr Verantwortungsbewußtsein und sie rief den Krankenwagen.


    Der Abtransport der jungen Mutter führte zu großem Geheule bei allen vier Kindern. Super! Was nun? Hier konnten sie nicht bleiben: in der Wohnung herrschte überall Chaos. Durch die Krankheit der Mutter war in den letzten Tagen weder geputzt noch gewaschen worden und die Wohnung hatte rein gar nichts Weihnachtliches an sich.


    Edeltraud seufzte erneut. Dann krempelte sie die Ärmel hoch und suchte für die Kinder Nachtzeug zusammen, ließ jedes Kind sein Lieblingsspielzeug mitnehmen und danach begab sich eine seltsame kleine Prozession in Edeltrauds kleines Reich einen Stock tiefer. Tiffy knurrte die kleinen Menschen erst an, ergab sich aber sehr schnell in sein Schicksal, als er von allen Seiten vorsichtig gestreichelt wurde.


    In der Küche überlegte Edeltraud, was man denn nun für 6 Personen machen könnte statt nur für sich … und den Hund. Aber glücklicherweise hatte sie vor den Feiertagen eingekauft und machte nun zu den Würstchen und dem Kartoffelsalat nun noch einen bunten Nudelsalat und eine Suppe für alle. Das mußte einfach reichen.


    Zum Abendessen waren die Kinder überraschend gesittet und legten sogar so etwas wie Tischmanieren an den Tag. Edeltraud war angenehm überrascht und ihre Abneigung gegen die ungebetenen Gäste schwand etwas.


    Doch was nun? Es war Weihnachten, sie konnte die Kleinen schlecht direkt nach dem Essen ins Bett schicken. Sie besann sich ihrer eigenen Jugend und malte ein wenig mit den Kleinen, spielte Scharade mit ihnen und dann sangen sie gemeinsam alle Weihnachtslieder, die ihnen einfielen. Die Kinder waren dabei gar nicht so laut und ungestüm, wie ihr es immer vorgekommen war, sondern … naja, Kinder halt.


    Später steckte sie alle vier in ihr Bett – sie konnten ja schließlich nicht alleine oben in der Wohnung schlafen und sie konnte die Nacht auch auf der Couch verbringen – und las ihnen aus dem alten Geschichtenbuch, aus dem sie schon ihren Kindern vorgelesen hatte, eine Gutenachtgeschichte vor.


    Die kleine Leni fasste sich ein Herz: „Du, Frau Burger, Du bist ja gar keine böse alte Frau. Du bist eine liebe alte Frau!“. Edeltraud war gerührt. „Ja, aber ich hatte doch gar keine Geschenke für euch und heute ist doch Weihnachten!“ Darauf umschlang Leni sie mit ihren kleinen Ärmchen und meinte: „Wenn meine Mama bald wieder gesund wird, ist das das Geschenk, das ich am meisten will! Aber Dich möchte ich als Nachbars-Oma behalten!“


    Edeltraud ging nachdenklich zu Bett. Erst langsam stieg in ihr die Freude über den Abend auf … und daß sie möglicherweise eine Art von Familie in ihrer unmittelbaren Nähe gefunden hatte… und endlich wieder einen Sinn im Leben.

  • 11. Dezember 2014 von Suzann



    Glühweinkater


    Elfriede stand in ihrer blitzsauberen Küche, schenkte sich eine Tasse Glühwein ein und stellte sie in die Mikrowelle. Während die sich drehte und die Maschine gemütlich summte, starrte sie missmutig vor sich hin. Die knusprigen Kartoffelpuffer, die sie zusammen mit ihrer Freundin am Weihnachtsmarkt hatte essen wollen, hatten sich gerade in Luft aufgelöst. Die Verabredung war geplatzt. Auf Brot und Aufschnitt hatte sie überhaupt keine Lust, aber sich alleine auf den Weg zu machen, war ihr peinlich. Was sollten die Leute von ihr denken?


    Elfriede hatte ein Problem, das ihr die Eltern in die Wiege gelegt hatten. Zusammen mit ihrem altbackenen Namen hatten sie ihr das Bravheitsgen geschenkt. Ihr Vater war ein pensionierter Bahnbeamter, dem viel daran lag, was die Nachbarn von ihm und den Seinen hielten und der sein Leben lang noch keinen Sonntag den Kirchbesuch oder den mittäglichen Schweinebraten versäumt hatte. Ihre Mutter hatte in ihrem Leben noch nie etwas zu melden gehabt und erst recht nicht mehr, seit sie vor über 30 Jahren mit ihrem Josef vor den Traualtar getreten war. Das war der Genpool aus dem Elfriede bestand, abgerundet von einer Kindheit in einem abgelegenen Dorf, in dem praktisch jeder mit jedem verwandt war.


    Eine Flasche Glühwein später saß Elfriede angetrunken und mit geschlossenen Lidern auf dem Boden, den Rücken an das Sofa gelehnt. Ihr inneres Auge aber war weit geöffnet. Ihr technikbegeisterter Neffe hatte auf ihrer Geburtstagsfeier gefilmt und ihr die Aufnahmen auf DVD gebrannt. Noch nie hatte jemand sie aufgenommen und sich selbst zu beobachten war ein echt schlimmes Gefühl gewesen. War sie wirklich so altbacken, so farblos, so langweilig, so … leblos? Sie war eigentlich doch recht attraktiv und auf ihre gute Figur war sie stolz. Irgendwo musste noch eine Flasche Glühwein herumstehen. Auf dem Weg in die Küche blieb sie im Flur vor dem Spiegel stehen und musterte sich kritisch.


    Vor kurzem war sie 34 geworden, heutzutage eigentlich das beste Alter für eine Frau. In der Aufnahme hatte sie aber die Ausstrahlung einer ältlichen Matrone gehabt. Das war sie nicht! Sie starrte ihr Spiegelbild an und fühlte sich wie in eine starre Hülle gegossen, deren Form ihr nicht passte. Das Schlimmste war, dass es ihr nicht bewusst gewesen war, in welchem unsichtbaren Gefängnis sie lebte. Sie war eine gute Tochter, Angestellte, Mieterin und Freundin gewesen. Sie tat, was man von ihr erwartete und wartete. Wartete darauf, dass in ihrem Leben Dinge geschahen, die sie in ihrem Bekanntenkreis geschehen sah. Vergeblich. Und sie hatte nicht gewusst, warum das so war. Doch gerade begann sie eine Ahnung davon zu bekommen.


    Sie hatte das Leben imitiert, es aber nicht gelebt. Selbst jetzt, ganz alleine in ihren eigenen vier Wänden, blickte ihr eine Imitation aus dem Spiegel entgegen, mit haarsprayfixierter Föndauerwelle und untadelig gekleidet. Eine ungewohnte Emotion stieg in ihr hoch, Wut. Grob fuhr sie sich durch die Haare und zerstörte die perfekte Frisur. Das zornige Blitzen in ihren Augen gefiel ihr. Sie schnappte sich Mantel und Geldbeutel und schlüpfte in ihre Stiefel. Sie hatte auf den Weihnachtsmarkt gehen und Kartoffelpuffer essen wollen und genau das würde sie jetzt tun!


    Während sie mit festen Schritten durch die Frostkälte stiefelte und sich Schneeflocken auf ihrem altmodischen Mantel niederließen, dachte sie sich glühweinbefeuert in Rage. Sie zog das Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer ihrer Eltern. Josef und Waltraud mussten heuer zu Weihnachten auf ihre Tochter verzichten. Sie hatte keine Lust wieder ein deprimierendes Essen in deren Eicherustikalhölle zu verbringen. Damit war Schluss. Nach diesem unerfreulichen Telefonat war sie noch aufgewühlter und steuerte sofort auf den nächsten Glühweinstand zu, als sie den idyllisch beleuchteten, kleinen Markt erreichte. Unsanft setzte sie ihre Ellenbogen ein, um sich einen Weg durch die laut schnatternde Menge zu bahnen. Die brave Elfriede und ihr allzeit vernünftiges Verhalten war Geschichte. Ab heute, ab jetzt würde sie ihrem Bauch und ihrem Herzen folgen.


    . . . . . . . . . .


    Elfriede erwachte mit dumpfen Kopfschmerzen und einem Gefühl im Mund, als wäre darin ein pelziges, kleines Tier verendet. Stöhnend schob sie sich auf die Ellenbogen und machte Bestandsaufnahme. Sie hatte nur ihre Unterwäsche an. Kleidung, Mantel und Stiefel lagen vor dem Bett. Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie es nach Hause, geschweige denn ins Bett geschafft hatte.

    Wasser. Sie brauchte dringend etwas zu trinken. Vorsichtig erhob sie sich und schlurfte langsam Richtung Küche. Ihr Magen grummelte und ihr Kopf pochte. Das war gestern eindeutig viel zu viel Glühwein gewesen. Wie erstarrt blieb sie stehen und versuchte mit der Hand auf dem Mund ihren Mageninhalt zurückzuhalten, den ihr der Schreck in die Kehle getrieben hatte. Da lag jemand auf ihrem Sofa! Der Fremde hatte sie gehört, öffnete die Augen und fuhr halb in die Höhe. Mit Verspätung erkannte Elfriede ihren alten Freund aus Kindertagen an seinen ungewöhnlichen, hellen Augen.


    „Morgn, Elfe. Alls wieda okay?“, nuschelte der Kerl und fuhr sich mit der Hand über das verstoppelte Gesicht, vermutlich in dem Versuch schneller einen klaren Kopf zu bekommen.


    „Harald! Was machst du hier?“ Elfriede traute ihren Augen nicht. Sie konnte sich nicht erinnern. Was war gestern nur passiert?


    „Wir haben uns auf dem Weihnachtsmarkt getroffen. Ich bin zu Besuch bei meinen Eltern. Du warst ziemlich … angeheitert.“ Aufmerksam beobachtete er Elfriedes fassungslose Miene. „Naja, ich konnte dich bei diesem Mistwetter mitten in der Nacht doch nicht alleine heimgeh…“


    „Warum liegst du auf meiner Couch?“, unterbrach sie ihn.


    „Ich war gestern auch ganz schön blau und…“ Dieses Mal ließ Harald den Satz unbeendet. „Ehrlich, ich dachte, ich wäre längst weg, wenn du aufwachst.“ Betreten lächelte er Elfriede an.


    Elfriede dachte an die Geburtstags-DVD ihres Neffen. Langsam erwiderte sie sein Lächeln. Sie war jetzt die neue Elfriede und die neue Elfriede nahm die Dinge, wie sie kamen und machte das, was ihr Herz und ihr Bauch ihr rieten. Und was diese beiden ihrem dicken Kopf gerade rieten, war eindeutig. Sie wollten eine alte Freundschaft auffrischen. Dieses Weihnachten könnte interessant werden.

  • 12. Dezember 2014 von Iszlá



    Das verschwundene Weihnachtsgeschenk


    Tonia runzelte ihre Stirn, als sie eher zufällig einen Blick in das Zimmer ihrer jüngeren Schwester warf.
    Offenbar hatte Bella beschlossen, auszumisten – anders ließ sich nicht erklären, weshalb sie in einem riesigen Haufen aus Pullovern, Jeans und anderen Kleidungsstücken stand. Aber musste sie damit ausgerechnet an Heiligabend anfangen?
    „Was treibst du da bloß?“, fragte Tonia.
    Bella zerrte zwei T-Shirts aus ihrem Schrank. „Ich suche mein Weihnachtsgeschenk für Mama und Papa!“, entgegnete sie knapp. „Ich finde es einfach nicht mehr!“
    „Wo hast du es denn versteckt?“
    Entrüstet schnappte Bella nach Luft und wandte sich zu ihrer Schwester um. „Würde ich danach suchen, wenn ich wüsste, wo ich es versteckt habe?“
    Tonia hob besänftigend ihre Hände, doch Bella geriet völlig außer sich. „Ich habe schon das ganze Stockwerk auf den Kopf gestellt! Es ist einfach verschwunden!“
    Das hörte nun Kiara, mit dreizehn Jahren die Jüngste der Schwestern. Neugierig betrat sie Bellas Zimmer.
    „Was ist verschwunden?“, wollte sie wissen.
    Tonia übernahm es, sie aufzuklären, während Bella sich daran machte, einen Stapel Handtücher auseinanderzunehmen.
    „Wir suchen dein Geschenk gemeinsam“, beschloss Kiara. „Wie sieht es denn aus?“
    „Dunkelblaues Geschenkpapier, mit roten und goldenen Sternen. Und es ist flach.“ Bella holte Luft. „Wisst ihr, es ist das Bild vom Canale Grande in Venedig, dass Mama und Papa vor drei Wochen im Einkaufszentrum so schön fanden. Ich habe vier Mal zusätzlich auf die Kleinen von Sybille aufgepasst, damit ich das Geld zusammenbekomme!“
    „Okay, verlieren wir keine Zeit. Bald ist Bescherung!“ Kiara teilte ihre Schwestern ein: Bella sollte noch einmal im oberen Stockwerk nach ihrem Geschenk suchen, Tonia das Erdgeschoss inspizieren und Kiara selbst nahm den Keller unter die Lupe.
    Das Schlafzimmer ihrer Eltern musste Bella bei ihrer Suche auslassen, da ihre Mutter sich für eine Weile hingelegt hatte. Aber dort hatte Bella ihr Geschenk sicherlich nicht versteckt, denn dann hätte sie es gleich auf den Küchentisch, sichtbar für alle Hausbewohner, legen können.
    Das Wohnzimmer hingegen wollte Tonia nicht vernachlässigen, obwohl sie dabei auf ihren Vater stieß, der am Computer in ein Spiel versunken war. Zumindest so lange, bis Tonia sämtliche Sofakissen hochhob und zum Schluss sogar das Sofa von der Wand abrückte, um dahinter nachzusehen.
    „Antonia, was soll das werden?“, erkundigte er sich streng.
    „Ich dekoriere um, Papa“, erwiderte Tonia trocken, schob das Sofa zurück und legte sich flach auf den Teppich, um einen Blick unter das Sofa zu werfen.
    „Sehr witzig“, brummte ihr Vater. „Du weißt aber schon, dass heute nicht Ostern, sondern Weihnachten ist, oder?“
    „Klar doch.“ Tonia gab auf. Im Wohnzimmer war Bellas Geschenk nicht.
    Auch im Keller nicht, wie Kiara bald darauf feststellte. Sie hatte zwar die neue Salatschlüssel gefunden, die ihre Mutter seit einem halben Jahr vermisste, ebenso wie den Basketball, den Tonia schon seit Monaten suchte. Aber ein dunkelblau verpacktes Geschenk fand sie nicht.
    Schließlich trafen die Schwestern sich in Bellas Zimmer, wo Kiara und Tonia den Schrank wieder einräumten, während Bella wie ein Häufchen Elend auf ihrem Bett hockte und den Verlust des Geschenks beweinte.
    „Wir suchen weiter“, entschied Kiara.
    Gemeinsam durchstöberten sie frierend den kalten Dachboden, fanden aber außer einem gut gefüllten Spinnennest und Tante Hedes kaputter Stehlampe nichts von Bedeutung. Selbst im Garten und in der Garage suchten sie. Nichts.
    „Schreib‘ Mama und Papa doch einen Brief und erklär‘ ihnen, dass sie ihr Geschenk bekommen, wenn du es wieder gefunden hast“, meinte Tonia, als sie erneut in Bellas Zimmer saßen.
    „Und wenn ich es nie wieder finde?“, schniefte Bella.
    „Dann kaufst du es neu“, schlug Kiara vor.
    „Es war eine limitierte Auflage. Und ich habe das letzte Bild gekauft.“
    Ratlos schwiegen Kiara und Tonia. So saßen sie auch noch da, als ihre Mutter sie bat, sich zur Bescherung zurechtzumachen.
    „Wir erklären die Sache einfach. Mama und Papa haben dafür Verständnis.“ Tonia umarmte ihre jüngere Schwester. „Und nun ziehen wir uns um, es hilft ja nichts.“


    Eine halbe Stunde später lag Kiara gelangweilt auf dem Sofa im Wohnzimmer, während der Rest ihrer Familie noch immer mit Umziehen beschäftigt war. Wenn sie noch länger trödelten, kämen sie zu spät in die Kirche.
    Als es an der Haustür klingelte, richtete Kiara sich auf. Wer kam denn so spät am Heiligabend vorbei?
    Frau Wilde, wie sie gleich darauf feststellte, als Kiara die Haustür öffnete.
    „Frohe Weihnachten, mein Kind!“, trällerte die Nachbarin. „Ich bin eigentlich schon auf dem Weg in die Kirche, meine Nichte spielt heute die Maria, und ich freue mich schon sehr darauf, sie zu sehen, aber da ist mir gerade noch eingefallen, dass ich ja vorher das hier –“, sie hob eine Tüte, „vorbeibringen soll. Bella hat mich vor einigen Tagen darum gebeten.“
    „Danke.“ Perplex nahm Kiara die Tüte entgegen. „Ihnen auch frohe Weihnachten.“
    Frau Wilde strahlte. „Das Christkind wird euch heute bestimmt reich beschenken! Mach’s gut!“ Und schon stürmte sie davon – zu ihrem Glück lagen die Temperaturen bei knapp zehn Grad Celsius, sonst hätte sie nähere Bekanntschaft mit dem Straßenbelag gemacht.
    Kiara inzwischen warf einen Blick in die Tüte ...


    „Wollt ihr zu einer Beerdigung?“, erkundigte Kiara sich bei ihren Schwestern, die mit geöffneten Mündern vor dem Badezimmerspiegel standen und ihren schwarz umrandeten Augen einen dichten, schwarzen Wimpernkranz verpassten.
    „Du solltest allmählich auch damit anfangen“, konterte Tonia. „Wer hat denn gerade geklingelt?“
    „Frau Wilde.“ Kiara streckte Bella die Tüte hin. „Sie hat etwas für dich abgegeben.“
    Verwundert griff Bella danach. „Nur für mich?“ Sie warf einen Blick hinein. „Oh!“, hauchte sie dann und ließ sich auf den Rand der Badewanne sinken. „Das habe ich völlig vergessen.“
    „Was denn?“ Tonia nahm ihrer Schwester die Tüte aus der Hand und zog den Inhalt heraus. Sprachlos betrachtete sie das dunkelblau verpackte Päckchen, auf dem rote und goldene Sterne prangten. „Ist das –“
    „Das ist“, bestätigte Kiara. „Oder?“ Sie blickte Bella an.
    Ihre ältere Schwester nickte. „Ich habe es Frau Wilde zur Aufbewahrung gegeben, weil ich Angst hatte, dass Mama und Papa es vorher finden ...“
    „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, jammerte Tonia. „Wir stellen stundenlang das gesamte Haus auf den Kopf, und du hast es der Nachbarin gegeben? Ich fasse es nicht!“
    „Das Wichtigste ist doch, dass es wieder da ist“, meinte Kiara beschwichtigend.
    Das fand auch Bella, als sie ihren Eltern zwei Stunden später ihr Geschenk überreichte. Zum nächsten Weihnachtsfest würde sie es nicht bei der Nachbarin lassen ...

  • 13. Dezember 2014 von Groupie



    Das Gefühl von Weihnachten



    23. Dezember, 22:30 Uhr:
    Es klopfte leise an die Fensterscheibe. Sofort sprang Roya aus dem Bett. Sie war bereits angezogen. Das Mädchen schnappte sich Rucksack und Taschenlampe und öffnete ihrer Freundin Charlotte ganz leise das Fenster. Sie wollte auf keinen Fall ihre Familie aufwecken. Das kleine Mädchen zog sich einen Stuhl heran und verließ ihr Zimmer nahezu lautlos.


    Hand in Hand liefen die zwei durch den Neuschnee, der in der Dunkelheit unter dem Licht der Straßenlaternen fast leuchtete. Angst hatten sie keine. „Guck mal, Roya, bei Frau Schneider brennt noch Licht. Sollen wir mal klingeln? Bestimmt kann sie uns helfen. Sie ist doch schon uralt und kannte Jesus vielleicht noch persönlich.“ Charlottes Freundin nickte und die beiden rannten zu einem urigen Fachwerkhaus am Ende der Straße.


    Als sich die Haustür öffnete, stutzte die alte Frau beim Anblick der Mädchen zu so später Stunde. „Ist was passiert?“, fragte Frau Schneider beunruhigt. „Nein, wir haben nur eine Frage“, sagten die Kinder fast im Chor. „So? Dann kommt erst mal rein. Hier draußen ist es viel zu kalt. Wissen denn eure Eltern, dass ihr hier seid?“ Die Mädchen erfanden haarsträubende Geschichten, warum sie um diese Uhrzeit noch alleine draußen rumlaufen dürften, aber Frau Schneider schien ihnen zu glauben. Jedenfalls rief sie weder die Eltern der Mädchen noch die Polizei an. Mittlerweile hatten die Ausreißer eine Tasse Kakao in der Hand und Kekskrümel am Mund.


    „Wie kann ich euch denn helfen?“ Charlotte nahm noch einen Schluck und dann antwortete sie: „Wir möchten gern wissen, wie wir zum Christkind kommen. Wir müssen unbedingt mit ihm sprechen.“ Frau Schneider musste grinsen. „Es tut mir leid, das weiß ich nicht. Ich nehme an, es wohnt im Himmel. Was wollt ihr denn vom Christkind?“ „Das können wir Ihnen nicht sagen. Aber wir müssen dann jetzt schnell weiter. Danke für den Kakao“, sagte die kleine Roya enttäuscht.


    Die beiden Kinder nahmen sich wieder an die Hand und liefen weiter durch die klare Nacht. Ein paar Minuten später mussten sie eine Pause machen. Die kalte Luft brannte in ihren Lungen. Sie blickten sich um und bemerkten, dass sie schon bis in die Innenstadt gekommen waren. Alles war hell erleuchtet. Roya zeigte auf einen Obdachlosen, der sich in einem Geschäftseingang das Nachtlager zurechtgemacht hatte. „Wollen wir den Mann da mal fragen, Charly? Er schläft doch immer draußen. Vielleicht weiß er, wo das Christkind wohnt.“ Charlotte nickte und ganz ohne Scheu näherten sie sich dem Mann.


    „Hallo?!“, sagte Roya ein wenig schüchtern. Der Obdachlose schaute die Mädchen fragend an. „Wissen Sie zufällig, wo das Christkind wohnt?“ Der Mann runzelte die Stirn und fing an, Roya anzuschreien: „Wollt ihr mich auf den Arm nehmen? Denkt ihr, mit mir könnt ihr es ja machen? Erst nehmt ihr Scheiß-Ausländer mir die Arbeit weg, dann die Wohnung und jetzt glaubt ihr wohl, zu Weihnachten könnt ihr auch noch mit eurem komischen Glauben durch die Gegend laufen und mich verarschen.“ Roya und Charlotte wussten nicht, worüber der Mann redete. Sie bemerkten nur, dass er immer wütender wurde und deshalb gingen sie automatisch weiter zurück. Bis sie sich schließlich umdrehten und wegrannten.


    Die Kirchturmuhr schlug 11. Da kam Charly eine Idee. Sie zog Roya durch die Schneeflocken immer weiter auf die Kirche zu, die sie von den Kindergarten-Gottesdiensten und einigen Besuchen mit ihren Eltern kannte. Sie rüttelten am Haupteingang, aber die Tür war verschlossen. Deshalb versuchten die beiden es noch mal an den Seitentüren. Und tatsächlich, die Sakristei ließ sich öffnen. Sie klopften sich den Schnee von den Stiefeln und gingen in den beheizten Raum. „Hallo? Ist hier jemand?“, fragte Roya ein bisschen ängstlich. „Pastor Engels, sind Sie da?“, stimmte Charlotte ein. Niemand antwortete ihnen. Die Mädchen gingen durch den Ankleideraum direkt in die Kirche. Beide blieben an der Tür stehen. Alles war hell erleuchtet und wunderschön geschmückt. Eine riesige Krippe zierte den Altar. Orgelmusik erklang. Charlotte fand ihre Sprache zuerst wieder: „Hallo? Pastor Engels?“ Ein Mann um die 50 erhob sich hinter dem Altar und sah die Mädchen verwundert an. Die Freundinnen gingen auf ihn zu. „Wo kommt ihr denn her? Und wo sind eure Eltern?“, wollte der Pastor wissen. Da man in einer Kirche sicher nicht lügen darf, das wusste Charlotte, antwortete sie wahrheitsgemäß: „Zu Hause. Sie schlafen schon.“ „Und was macht ihr ganz allein und mitten in der Nacht hier?“ „Wir suchen das Christkind.“ Roya sah ein wenig verzweifelt aus. „Aber das Christkind kommt doch erst morgen und bringt euch Geschenke.“ „Wegen der Geschenke sind wir ja gar nicht hier. Wir müssen das Christkind nur was fragen. Können Sie uns sagen, wo wir es finden?“ „Ich nehme an, es ist mit den Vorbereitungen beschäftigt. Nur wenige haben es bisher gesehen. Was wollt ihr denn von ihm wissen?“ Die beiden Mädchen sahen sich fragend an, denn sie wussten nicht, ob sie darüber mit dem Pastor sprechen durften. Nach kurzem Getuschel beschlossen sie aber, dass ein Pastor wohl der nächste Angehörige des Christkindes auf Erden sein müsste. Wenn also jemand den Aufenthaltsort kennen sollte, dann er.


    „Wir wollen wissen, warum Roya nicht auch Weihnachten feiern darf. Wir finden es gemein, dass nur ich Geschenke bekomme. Sie ist doch meine beste Freundin.“ Die beiden Mädchen schauten sich hoffnungsvoll an. Sie waren fest entschlossen, das Christkind endlich zu finden, um ihr Anliegen vorzutragen. „Tja, ich vermute mal, dass es daran liegt, dass Roya und ihre Eltern an etwas anderes glauben. Sie haben sicher eine andere Religion und andere Feiertage.“ Die Kinder nickten. „Man kann sich ja nicht immer nur die Rosinen herauspicken!“, erklärte Pastor Engels weiter. Traurig antwortete die kleine Roya: „Das verstehe ich nicht. Ich würde doch auch meine Feiertage mit Charlotte teilen.“ „So einfach ist das nicht!“, merkte Pastor Engels an. „Warum nicht?“, wollte nun auch die kleine Charly wissen. „Man kann doch nicht immer alles feiern. Man muss sich schon für einen Glauben entscheiden.“ Die Antwort missfiel den Mädchen und sie gaben sich damit nicht zufrieden. „Sie können uns also nicht helfen, zum Christkind zu kommen?“ Der Pastor schüttelte den Kopf. „Aber ich werde jetzt mal eure Eltern anrufen, damit sie euch abholen können.“ Das kam gar nicht in Frage. Sobald der Kirchenmann in einem kleinen Raum neben der Sakristei verschwunden war, stahlen sich die Ausreißerinnen aus der Kirche. Auf keinen Fall wollten sie jetzt aufgeben.


    Draußen war es eisig kalt. Die Schneedecke wurde immer dichter und das Laufen wurde immer mühsamer. Die Freundinnen beschlossen, sich einen Platz zu suchen, an dem sie sich ein bisschen ausruhen konnten. Da kam ihnen das Bushaltestellen-Häuschen ganz recht. Charlotte zog eine Decke aus ihrem Rucksack und die beiden kuschelten sich zusammen darunter. Sie wollten sich nur ein wenig ausruhen, auf keinen Fall einschlafen.


    Die Mädchen schreckten hoch, als jemand an ihren Schultern rüttelte. Sie waren sofort hellwach, aber noch völlig orientierungslos. Charly und Roya starrten verstört in die tränenüberströmten Gesichter ihrer Mütter. Auch ihre Väter und Royas Bruder Samir waren gekommen. „Was habt ihr euch dabei gedacht?“, fragte Charlottes Vater ungehalten. „Ihr könnt froh sein, dass ihr noch lebt. Zwei kleine Mädchen nachts allein in der Stadt. Was da alles hätte passieren können!“ Gegen Ende brach seine Stimme fast. Auch die Mädchen fingen an zu weinen. Sie standen auf und ließen sich von ihren Müttern in die Arme nehmen. „Auf! Packt eure Sachen zusammen. Jetzt geht es erst mal nach Hause. Für die Strafpredigt ist nachher noch Zeit“, sagte Charlys Vater und legte schon mal die Decke zusammen. „Was wolltet ihr eigentlich mitten in der Nacht so allein hier?“, wollte Royas Mutter wissen. Die Mädchen stammelten: „Wir … wir … haben das Christkind gesucht.“ Royas Eltern waren noch verwunderter als Charlottes. „Wir wollen zusammen Weihnachten feiern. Da wollten wir das Christkind fragen, ob es O. K. wäre, wenn wir unsere Feiertage teilen würden. Aber niemand konnte uns sagen, wo wir es finden können. Und dann sind wir einfach eingeschlafen“, schob Charlotte hinterher. „Wir glauben doch gar nicht an das Christkind!“, warf Royas Vater ein.


    Einen Moment lang war Stille. Niemand sagte etwas. Die Eltern waren froh, dass sie ihre Mädchen gefunden hatten und den Ausreißern war erst jetzt so richtig bewusst, wie gefährlich ihr Ausflug hätte werden können. Dann durchbrach Charlys Mutter als Erste das Schweigen: „Wollen Sie nicht vielleicht heute mit uns feiern?“ Alle anderen wirkten überrascht. Roya sah ihre Eltern flehend an. Als diese schließlich ein wenig unsicher zusagten, führten die Mädchen einen Freudentanz auf. Währenddessen planten die Mütter bereits das Festmahl, denn Royas Eltern weigerten sich, vorbeizukommen, ohne etwas beisteuern zu dürfen.


    Am frühen Abend saßen alle am großen Tisch im Wohnzimmer von Charlys Familie. Sie waren pappsatt von den köstlichen Leckereien und die Kindergesichter leuchteten rot wie kleine Äpfelchen. Die Jungs und Mädchen konnten die Bescherung kaum erwarten. Nur Charlotte war sich noch nicht ganz sicher. Sie zweifelte noch ein bisschen, ob das Christkind auch Geschenke für Royas Familie gebracht hatte.


    Der Hausherr brachte seiner Frau das schmutzige Geschirr in die Küche. Er küsste sie. „Ich war mir echt nicht sicher, ob das funktionieren würde. Das war eine super Idee!“, merkte er an. Sie grinste. „Ich weiß!“ Schnell nahm sie ihm die Teller aus der Hand und stellte sie in die Spüle. Dann gingen sie gemeinsam wieder ins Wohnzimmer. „Bescherung für alle!“ Innerhalb von Sekunden waren vor allem die Kinder zum hell erleuchteten Weihnachtsbaum geeilt und jeder hatte bereits ein Päckchen mit seinem Namen gefunden. Geschenkpapier flog, Kinder lachten und der Geist der Weihnacht durchflutete das Haus. Royas und Charlys Eltern beobachteten das fröhliche Treiben und tauschten vielsagende Blicke. Fröhliche Weihnachten!

  • 14. Dezember 2014 von Idgie


    Flucht ins Paradies


    Seit in den letzten warmen Herbsttagen die ersten Dominosteine den Platz im Kassenbereich der Supermärkte verstopften und Rieke damit die Weihnachtszeit ungefragt aufgedrängt wurde, ließ sie der Gedanke an das verhasste Fest nicht mehr los. Und kaum hatte Rieke sich von diesem Schock erholt, blinkten ihr morgens auf dem Weg zur Arbeit schon die ersten Lichtergirlanden in den Fenstern entgegen. Die reinste Lichtverschmutzung!
    Sie würde sich diesem Weihnachtsspektakel nicht schon wieder aussetzen. Das bedeutete jedes Jahr aufs Neue Zwangssippentreffen mit erzwungenem Familienfrieden, so trügerisch wie Treibsand, der spätestens am 1. Weihnachtsfeiertag beim Kaffeetrinken zerplatzt, wie eine Seifenblase. Nur nicht so lautlos.
    Inzwischen konnte sie das Szenario mit der Genauigkeit einer Schweizer Präzisionsuhr vorhersagen. Das war ihr ganz persönliches Weihnachts-Bullshit-Bingo.
    Entweder fing Tante Elli tief seufzend an, über die schönen aber vergangenen Zeiten zu lamentieren, als ihre Kinder noch klein und ihre Ehe noch scheinintakt war. Das ging in der Regel so lange gut, bis Tante Ellis Schwager, Riekes Vater, seine Kaffeetasse abrupt absetzte und ihr mal wieder erläuterte, dass jeden normal veranlagten Mann bei ihrer Putz- und Perfektionssucht das völlig natürliche Verlangen nach etwas richtig Schmutzigem überfällt. Sie sei also selbst Schuld und hätte ihn mit ihrem Essiglappen quasi in die Arme der rassigen Nachbarin gefeudelt. An dieser Stelle bekam Tante Elli regelmäßig Schnappatmung und man lief Gefahr, sie wiederbeleben zu müssen, was Riekes Vater ebenso regelmäßig für absolut überflüssig hielt und grummelte, man dürfe der Natur auch Weihnachten ruhig ihren Lauf lassen.
    Oder Riekes Mutter, die seit gefühlten zwei Wochen in der Küche hausierte, um das opulente Weihnachtsessen vorzubereiten, entschuldigte sich so lange für die Konsistenz des Gänsebratens und die Temperatur der Klöße, bis jedem am Tisch endgültig der Appetit verging. Natürlich wollte sie mit der Jammernummer lediglich das ihrer Meinung nach hochverdiente Lob für die Fronabeit einsammeln, aber darauf hatte keiner mehr Lust. Meist endete das dann damit, dass ihre Mutter mit Leidensbittermiene die Teller abräumte und für den Rest des Weihnachtsfestes in den tödlich beleidigten Schmollmodus verfiel.


    Ein Garant für Turbulenz zu Weihnachten war auch Ghandi, der Riesenköter ihres jüngsten Onkels Paul. Paul, Junggeselle und Ghandi, dessen Name eine Farce ist, weil er in etwa so friedlich ist, wie ein Alkoholiker mit niedrigem Pegelstand, kommen meist uneingeladen. Dafür hinterlassen sie Spuren!
    Im letzten Jahr war Ghandi auf der Jagd nach seinem Ball in der Zuleitung der Lichterkette hängen geblieben, hatte den Baum umgerissen und anschließend eine Spur der Verwüstung durchs Wohnzimmer ihrer Eltern gezogen. Leider war er nicht stressresistent und hatte anschließend den Kaminvorleger vollgekotzt. Paul, mit seinem Gespür für verpatzte Situationen hatte Ghandi zu sich gepfiffen und das Schlachtfeld mit den Worten: „Ghandi, Game over, wir gehen!“ verlassen. Die Flasche Tequila, die er als Geschenk mitgebracht hatte, fand anschließend reißende Abnehmer.


    Wenn dieses Weihnachtstheater auch einen nicht zu leugnenden Unterhaltungswert hatte, waren die Nachwirkungen so anhaltend und anstrengend, dass Rieke nicht wirklich Lust auf eine Neuauflage hatte.


    Mitten in diesen Erinnerungsflash an vergangene Weihnachten und die damit verbundenen Katastrophen flatterte Rieke der Werbeflyer einer Reiseagentur aus der Post entgegen. Zwischen bunten Bildern prangte der Slogan: „Weihnachten - mal anders. Genießen Sie den Ausstieg zur Jahreswende! Der perfekte Urlaub für lamettafreie Tage“. Klang verheißungsvoll! Rieke entschied sich spontan für eine Woche im südamerikanischen Regenwald mit einem Wandertrip zu den Yanomami Indianern. Das klang nach einem ausreichenden Kontrastprogramm zu Tanne, Tante und Tränen. Maniok, Kochbananen und Früchte als Alternative zu fettigem Gänsebraten, Rotkohl und Klößen, gefolgt von Lebkuchenparfait hatte außerdem den angenehmen Nebeneffekt, dass ihr Bikini sich im nächsten Sommer nicht über den Bauch abrollte. Ihre Familie reagierte wie erwartet etwas wortkarg und im Fall ihrer Mutter mit der Anklage, was denn falsch gelaufen sei.
    Aber Rieke war standhaft geblieben, hatte am 20.12. ihren Rucksack mit Wanderkleidung, Autan
    und Hartkeksen gepackt und war in den Flieger nach Venezuela gestiegen. Von dort aus ging es zunächst mit Jeeps in den Regenwald. Zu ihrer Reisegruppe gehörten außer einem jungen Pärchen nur Singles, die wie sie nicht das Reserverad am Familienvehikel spielen wollten. Zwei ihrer Reisebegleiter sahen aus, wie Brad Pitt und Orlando Bloom – eine wahre Augenweide. Heiligabend stieg die buntgemischte Truppe am Ufer des Orinoko in Boote und fuhr langsam den Fluss hoch. Drei Tage auf engstem Raum in ungewohnten hygienischen Verhältnissen waren für die verwöhnten Europäer zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich belastend gewesen und die immer genervteren Wortwechsel des Pärchens erinnerten Rieke fatal an Tante Emmi und ihren Vater. Zu allem Überfluss streikten ihre Verdauungsorgane und die venezolanischen Moskitos feierten völlig unbeeindruckt Orgien auf ihrer mit Autan eingesprühten Haut. Sie sah inzwischen aus, wie ein akneübersähter Teenager. Das wiederum machte ihr inzwischen wenig aus, da sich Orlando Bloom schon während der Jeep-Safari als schwul entpuppte und Brad Pitt sie mit seinen abgedroschenen, im schönsten Kölsch vorgetragenen Machosprüchen ziemlich nervte.


    Etwa um die heimatliche Bescherungszeit herum prasselte heftiger Regen auf die Gruppe nieder. Zugegeben, das war unüblich für die Jahreszeit, kann aber vorkommen. Immerhin war der Regen warm. Völlig durchnässt legte die Gruppe am Ufer an. Das Pärchen warf sich inzwischen gegenseitig vor, diese bekloppte Idee mit dem Alternativurlaub gehabt zu haben und sprach von Scheidung. Der Rest der Truppe versuchte mit dem Reiseführer unter dem Motto „viel Rauch um nichts“ ein Lagerfeuer zu entfachen. Von der üblichen Weihnachtsstimmung mit Lametta und Kerzen war wie versprochen keine Spur!


    Und mitten im Regenwald überfiel Rieke eine plötzliche Sehnsucht nach Paul, Ghandi und Tante Elli.


    Fröhliche Festtage

  • 15. Dezember 2014 von Kirsten S.


    Geist der Weihnachtszeit


    Annabelle ging durch die Fußgängerzone. Es dunkelte bereits, die Schaufenster waren hell erleuchtet und mit Weihnachtsdekoration über und über verziert. Lichter unzähliger Christbäume strahlten um die Wette. Ihr Weg führte über den Weihnachtsmarkt. Vorbei an den unterschiedlichsten Ständen. In der Luft lag ein Geruch aus Glühwein, Kerzen, gebackenen Waffeln und vielem mehr. In neun Tagen war Weihnachten. Manche Leute standen scherzend beieinander, andere wiederum rannten mit gehetzten Gesichtern auf der Suche nach Geschenken an ihr vorbei.


    Doch Annabelle nahm alles nur nebulös wahr. Die diesjährige Adventszeit war die schrecklichste, seit dem Unfalltod ihrer Eltern vor fünf Jahren. Ach, wenn sie doch … . Kurzentschlossen lief sie über die Fahrbahn. Es war ganz leicht. Den Aufprall auf das Auto bemerkte sie kaum.


    Im nächsten Augenblick wusste Annabelle nicht, was mit ihr geschehen war. Sie blickte sich um, stand am Rande der Straße. Ein paar Meter entfernt hatte sich eine Menschenansammlung gebildet. Einige rannten hektisch hin und her, und riefen wild durcheinander. Mit Blaulicht und Sirenen kam ein Rettungswagen angebraust, und die Menschen machten Platz. Jetzt erst erkannte Annabelle, dass dort eine Frau auf dem Boden lag. Ein Mann drückte auf den Brustkorb der Frau, ein anderer blies Luft in deren Nase. Fast meinte sie, es selbst zu spüren.
    Wenige Sekunden später öffnete sich der Himmel und ein goldenes Licht strahlte auf Annabelle herab. Sie fühlte sich von diesem Lichttunnel magisch angezogen und schwebte nach oben. Plötzlich jedoch zog eine stärkere Kraft sie wieder zurück und das Leuchten verblasste.


    Die Frau wurde auf einer Trage in den Rettungswagen geschoben, der sofort abfuhr. Annabelle blickte dem blinkenden blauen Licht hinterher, bis sie es nicht mehr sehen konnte. Wohin sollte sie gehen? Sie fühlte sich noch verlorener als sonst, was kaum möglich war. Dann fühlte sie sich wie von einer zarten Hand genommen und schwebte nach oben, über die Dächer ihrer Stadt.


    Mit einem Mal wurde sie von einem unbestimmten Gefühl zu einem Haus gezogen. Problemlos gelangte sie durch die von einem Lichtstern verzierte Fensterscheibe ins Innere, und dort bis in ein Schlafzimmer. In einer Ecke des Zimmers stand ein Stubenwagen. Als sie hineinsah, erkannte sie, dass sich auf dem Gesicht des Babys ein Stofftuch befand. Panik erfüllte Annabelle, doch sie schaffte es nicht, das Tuch zu entfernen. Jedesmal griff ihre Hand hindurch. Ein Schnarchgeräusch hinter sich brachte ihr die Anwesenheit der Eltern ins Bewusstsein, und schon flog sie mitten durch deren Körper hindurch. Dieselben erwachten schlagartig und starrten erschrocken auf Annabelle, die hektisch in das Babybettchen deutete. Keine zwei Sekunden später befand sich das Kind ruhig atmend im Arm ihrer Mutter, und Annabelle wieder über ihrer Stadt.


    Was war mit ihr los? Sie konnte ihre Gefühle nicht richtig zuordnen. Teils fühlte sie sich zerrissen, teils war sie von einem unendlichen Frieden erfüllt. Annabelle bemerkte nicht, wohin sie flog, doch mit einem Mal stand sie auf dem Friedhof vor dem Grab ihrer Eltern. Schmerz und Wut zogen durch ihren hüllenlosen Körper. Waren sie es doch gewesen, die sie gezwungen hatten im Haus zu bleiben. Hatten ihr ihre Stummheit ständig vorgehalten. Ihre Behinderung. Hatten ihr nicht erlaubt, Freundschaft zu anderen Kindern aufzunehmen. Und als sie dann allein war, nach ihrem Tod, war sie wirklich völlig allein. Annabelle hätte vor Wut schreien können. Sie drehte sich in Richtung der aufgehenden Sonne und blickte in die neugierigen Augen eines Mannes, die aussahen, wie die ihrer Mutter.
    Flucht war das Einzige, das ihr in den Sinn kam, bevor ihr dieselben schwanden.


    Helligkeit umgab sie und sanfte Musik drang an ihre Ohren. Annabelle befand sich in einem Meer kleiner Lichter und erkannte das Lied „Oh du Fröhliche“. Eigentlich hatte sie Weihnachten immer gehasst, dafür hatten ihre Eltern gesorgt. Doch wenigstens war sie nicht allein gewesen. Gerade in der Vorweihnachtszeit wurde ihr ihre Einsamkeit schmerzlich bewusst. Doch jetzt fühlte sie sich so friedlich, so warm, so geborgen. Inmitten des großen Christbaums auf dem Marktplatz.


    Ein leises Rufen drang an ihre Ohren und schon befand sie sich am zugefrorenen Weiher, direkt vor der Stadt. Ein Junge stand am Rand des kleinen Sees und schrie, ein anderer war wenige Meter vom Ufer entfernt bis zum Bauch eingebrochen und rief ebenfalls. Annabelle glitt zu dem Jungen, der vom umgebenden Eis festgehalten wurde und legte eine ihrer durchschimmernden Hände auf seine Schulter. Mit der zweiten bedeutete sie dem anderen Jungen, wegzugehen um Hilfe zu holen, was dieser auch tat.
    „Ein Engel“, flüsterte der eingebrochene Bub, und wurde ganz ruhig. Es dauerte nicht lange, da kamen einige Männer angerannt und Annabelle flog in den Nachthimmel.


    War sie gestorben und zu einem Engel geworden? Wieder wurde es dunkel um sie, und als sie das nächste Mal zu sich kam, schwebte sie unter der Decke eines Zimmers. Unter sich lag sie selbst in einem Krankenbett, hinter dem sie verschiedenste Geräte und Monitore erkannte. Auf dem Nachttisch neben dem Bett lag eine Zeitung. Dort war ein Bild von ihr abgedruckt mit der Frage: „Wer kennt diese Frau?“


    Das ist aber seltsam, dachte sie. Dann wurde sie wie von einem Strudel nach unten gesaugt und es wurde dunkel um sie herum. Als sie das nächste Mal erwachte blickte sie in das freundliche Gesicht eines Mannes. Es war der, der die Augen ihrer Mutter hatte.
    „Hallo, Annabelle. Schön, dass du wieder bei uns bist. Ich glaube, du bist beinahe gestorben, damit ich dich finde. Ich wusste doch gar nicht, dass es dich gibt.“ Er strich über ihr Gesicht, und erzählte von sich und seiner Familie, und wie er mit der Polizei gesprochen hatte, nachdem er ihr Bild in der Zeitung erkannt hatte. Ihr fünfzehn Jahre älterer Bruder Erik, der als junger Mann dem Elternhaus entflohen war. Dann schlief sie erschöpft, aber glücklich, wieder ein.


    Gefühlt dauerte ihr Schlaf eine Ewigkeit. Als sie aufwachte, fühlte sie sich kräftig und erholt. In der Ecke ihres Krankenzimmers stand ein kleiner Christbaum, dessen bunte Kugeln im Licht der elektrischen Kerzen funkelten. Ihr Bruder trat mit Frau und Tochter ein, gefolgt von dem Paar mit dem Baby und einem mit dem Jungen vom Weiher. Tränen der Rührung schossen in Annabelles Augen und flossen über ihre Wangen.
    „Fröhliche Weihnachten, Annabelle“, sagte Erik, umarmte sie, und begann das Lied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ zu singen. Und alle, die um ihr Bett standen, sangen mit.

  • 16. Dezember 2014 von polli


    Mein einziger Weihnachtswunsch



    Von:p.olli@büchereule.de
    Betreff: Mein einziger Weihnachtswunsch
    An: Christkind@imHimmeloderwoauchimmerduwohnst.com


    Liebes Christkind,


    ich schicke dir heute eine Mail in der Hoffnung, dass du irgend etwas unternimmst. Guck dir bitte das hier an:


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    Alles neu in meinem Posteingang. Jeden Tag wieder.
    Kannst du verstehen, dass ich total genervt bin? Solche Mails kriege ich andauernd, sie vermüllen meinen Laptop und meine Gedanken. Ich würde echt gern besinnliche Stunden beim Schein einer Kerze verbringen, an dich denken und ein paar Weihnachtslieder vor mich hinsummen, aber es funktioniert nicht. Ich kann mich einfach nicht mehr konzentrieren.


    Diese Nur-heute-Rabatt-Aktionen führen keinesfalls dazu, dass ich hastig den zugehörigen Online-Shop durchstöbere, das eine und das andere wahllos in meinen Warenkorb werfe und dann zur Kasse eile, um mit einem Klick mein Portemonnaie zu öffnen. Sie führen dazu, dass ich dünnhäutig werde. Gestern zum Beispiel. Da fragte mein Mann freundlich und erwartungsvoll, was ich mir Schönes zu Weihnachten wünsche. Meine blitzschnelle Reaktion: Ich drückte die Esc-Taste. Und als das nicht half und diese drei Tasten gleichzeitig auch nicht, habe ich auf Ausschalten gedrückt und bin zur Sicherheit schnell unter den Schreibtisch gekrochen und habe den Netzstecker gezogen. Als ich wieder am PC Platz nehmen wollte, stand mein Mann immer noch da. Er bestand darauf, dass wir uns ernsthaft unterhalten.
    Ok, ich habe alles eingesehen, was er mir vorhielt. Wirklich. Und deshalb schreibe ich dir, liebes Christkind, meinen einzigen Weihnachtswunsch: Mach, dass diese pausenlosen Werbemails aufhören. Sag den Absendern da draußen, dass sie schlimmer als Hausierer sind, die an der Wohnungstür stehen und erst dann kehrtmachen, wenn man sie unter Gewaltandrohung mit dem Besen verjagt. Und sag es bitte heute noch!!


    Im Voraus ein herzliches Danke!


    Deine p.olli


    ..............................................................



    Von: Christkind@imHimmeloderwoauchimmerduwohnst.com
    Betreff: Re: Mein einziger Weihnachtswunsch
    An: p.olli@büchereule.de


    Liebe/r p.olli,


    vielen Dank für Ihre Mail. Wir freuen uns über Ihr Interesse an unseren Produkten. Deshalb erhalten Sie ab jetzt unseren wöchentlichen Newsletter. So verpassen Sie keine Neuigkeiten!
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    Wir freuen uns auf Sie!


    Mit weihnachtlichen Grüßen


    Ihr Team von Christkind@imHimmeloderwoauchimmerduwohnst.com


    PS Kennen Sie eigentlich schon unsere aktuelle Weihnachts-Rabatt-Aktion?
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  • 17. Dezember 2014 von nicole



    Déjà-vu


    Grau zog die Stadt vorbei. Trotz der Lichterketten an Hausfassaden und in den kahlen Bäumen eintönig. Fahl. Wie die Gesichter der Menschen, die sich in der Scheibe der Straßenbahn spiegelten.
    Keine Spur vom Zauber der Weihnacht.
    Noch eine Woche bis Heiligabend, hatte Elisabeth erschrocken festgestellt. Wie jedes Jahr all die Wochen vorher irgendwo untergegangen. Nur am Rand des Blickfelds wahrgenommen und nun überraschend schnell vor der Tür.
    Geradezu unwillkommen.
    In Gedanken ging sie die Liste durch, die es noch abzuarbeiten gab.
    Geschenke besorgen, einpacken und einen Teil zur Post bringen. Muffins für den Umtrunk in der Abteilung backen. Oder vielleicht doch lieber kaufen, um Zeit zu sparen. Bloß nicht auf den Weihnachtsmarkt, dort herrschte immer so furchtbares Gedränge.
    „Hallo.“
    Das alljährliche Ringen darum, bei wem in der Familie man an den Feiertagen mittags und abends beisammen saß. Weihnachtsschmuck aus dem Keller holen; wobei, sicher ging es auch mal ein Jahr ohne Baum, kostete nur und nadelte gleich nach den Feiertagen schon, lohnte ja weder Geld noch Mühe. Einkaufen, jedes Jahr diese lästige Planerei mit den Feiertagen, vor allem, wenn sich gleich ein Wochenende daran anschloss, da ging es ja im Supermarkt immer zu wie …
    „Hallo!“
    Nur widerwillig löste Elisabeth ihren Blick von der Scheibe.
    Ein Mädchen, vielleicht sieben oder acht Jahre alt, stand vor ihr und starrte sie an. Aufmerksamkeitsheischend, fast fordernd.
    Elisabeth rang sich ein verkniffenes Lächeln ab und richtete den Blick wieder nach draußen; sie mochte keine aufdringlichen Kinder.
    „Kennst du mich nicht mehr?“
    Irritiert musterte Elisabeth das Mädchen. Der rosafarbene Anorak stand ihm nicht, ließ es stämmig wirken, und die stramm geflochtenen Zöpfe unter der roten Mütze machten das pausbäckige Gesicht noch runder.
    Die Augen des Mädchens weiteten sich erstaunt. „Du kennst mich wirklich nicht mehr.“
    Die Mütze sah aus, als ob sie nach einiger Zeit juckte. Unwillkürlich hob Elisabeth die Hand, um sich am Kopf zu kratzen; sie hatte diese Mütze gehasst.
    „Wie kannst du mich vergessen haben?“ Die Augen des Mädchens wurden schmal, blickten streng.
    Strafend beinahe.
    Etwas an diesen Augen kam Elisabeth bekannt vor. Am energisch vorgeschobenen Kinderkinn, den auf eine bestimmte Art zusammengezogenen Brauen.
    Von den gelbstichigen Kinderbildern. Deren Echo auf den Fotos jüngerer Jahre, die in ihren Alben im Regal verstaubten. In dem einen oder anderen Zug, der sich über die Zeit tief und unschön in das Gesicht gegraben hatte, das ihr aus dem Spiegel entgegenblickte.
    Hastig wandte sie sich ab. Niemand konnte sich selbst wiederbegegnen, das war unmöglich.
    Elisabeth atmete tief ein und aus, um sich wieder in den Griff zu bekommen.
    Sie zuckte zusammen, als die Straßenbahn ruckelnd anhielt.
    „Wir müssen aussteigen!“ Das Mädchen zerrte am Ärmel ihres Mantels.
    „Lass mich in Ruhe“, fauchte Elisabeth. „Verschwinde!“
    Die Mädchenstimme wurde schrill. „Du musst mitkommen!“
    Elisabeth fing den fragenden Blick einer älteren Frau mit vollgestopften Einkaufstaschen auf und wurde rot.
    Widerstrebend ließ sie sich aus der Straßenbahn ziehen.


    Elisabeths Finger fest von der Kinderhand umklammert, führte das Mädchen sie an den Buden des Weihnachtsmarkts vorbei, durch die Menschen hindurch.
    „Schau.“
    Ein Strahlen auf dem Gesicht, zeigte das Mädchen auf die geschmückte und von Lichterketten umwundene Tanne.
    „Ja. Hübsch.“
    Elisabeth konnte gerade noch ein Schulterzucken unterdrücken.
    „Du guckst doch gar nicht! Nicht wirklich! Du musst richtig hinschauen!“
    Lichter. Überall Lichter, in deren Schein Weihnachtskugeln und Glasornamente glitzerten.
    Der Nachhall von Weihnachtsliedern und Glockengeläut.
    Der Duft von Tannengrün und Punsch, von Bratwurst und Lebkuchen, selbstgebackenen Plätzchen und gebrannten Mandeln. Ein Hauch von Schnee und Frost.
    Ein behagliches, warmes Gefühl im Bauch.
    Ein Lächeln in der Seele.
    Alles, was Weihnachten einmal für sie ausgemacht hatte.
    Damals, als sie noch das kleine Mädchen gewesen war, das ihre Hand hielt.
    „Das darfst du nicht einfach wieder so vergessen“, flüsterte es neben ihr. „Versprochen?“

  • 18. Dezember 2014 von Heike



    Was ist Weihnachten?


    Es war ein sonniger Spätsommertag, als Diogenes beschloss herauszufinden, was Weihnachten bedeutet. Diogenes lebte in einem kleinen Haus am Waldrand, fernab der geteerten Straßen und bunten Schilder. Diogenes war natürlich nicht sein richtiger Name, aber niemand erinnerte sich daran, wie er wirklich hieß. Diogenes wusste es selbst nicht mehr, doch das war nicht schlimm. Er lebte gerne in dem kleinen Haus, wo er seine Zeit damit verbrachte nachzudenken. Philosophen nennt man solche Leute, und auch wenn Diogenes nie eine Universität besucht und auch keine gelehrten Bücher gelesen hat und weder einen Doktortitel trug noch kluge Artikel verfasste, hielten ihn die Menschen aus dem Dorf für den weisesten Mann, den sie kannten.


    Wie alle Philosophen fragte sich Diogenes, wie man ein glückliches Leben führen könne. Lange Jahre hat er auf der Bank vor seinem Haus gesessen und nachgedacht, bis ihm eines Tages ein Prospekt aus einem Supermarkt in die Hände gefallen war. Es war ein heißer Tag, einer der letzten Tage im August, und auf den glänzenden Prospektseiten lachten Schokoweihnachtsmännern und Marzipankartoffeln und dazu strahlende Kindergesichter vor rotem Christbaumschmuck. Diogenes wunderte sich zuerst, denn er hatte zuletzt als Kind Weihnachten gefeiert, und er meinte sich zu erinnern, dass es damals Winter gewesen war. Doch jetzt lachten die Weihnachtsmänner bereits im Sommer. Er saß auf der Bank vor dem Haus und dachte nach. Wenn man sich ein halbes Jahr vorher schon auf Weihnachten vorbereitete, war die Vorfreude wohl groß. Wenn man sich aber auf etwas so sehr freute, war man offensichtlich glücklich. Und wenn Weihnachten die Menschen glücklich machte, war es gut, denn wer glücklich war, führte ein gutes Leben. Er beschloss zu erfahren, warum Weihnachten die Menschen glücklich machte.


    Also verließ Diogenes das Haus am Waldrand und zog aus, um in die große Stadt zu fahren, wo man die bunten Prospekte druckte. „Was ist Weihnachten?“, fragte er eine junge Frau mit offenen Schuhen und Sonnenbrille, die neben ihm auf dem Bahnsteig stand. Sie schaute ihn verwundert an, dann lachte sie und wedelte mit ihrem Fahrschein. „Weihnachten komme ich endlich nach Hause“, sagte sie. „Wissen Sie, ich studiere in der Stadt, und meine Familie lebt weit weg. Einmal im Jahr schicken Sie mir Geld, damit ich heimfahren kann.“ „Und dann bist du froh, wenn du wieder fortkannst“, sagte ein junger Mann, der einen Arm um die Frau legte. „Familie kann man nicht lange aushalten.“ „Aber ich freue mich trotzdem darauf, sie zu sehen. Wenigstens einmal im Jahr, zu Weihnachten“, sagte die junge Frau und gab dem jungen Mann einen Kuss.


    Diogenes verabschiedete sich freundlich und fuhr mit dem Zug in die Stadt. Unterwegs kam ein Schaffner in sein Abteil und bat ihn, seinen Fahrschein vorzuzeigen. „Was ist Weihnachten?“, fragte Diogenes, nachdem er dem Wunsch nachgekommen war. Der Schaffner zuckte mit den Schultern. „Arbeit“, sagte er. „Ich muss immer arbeiten. Jemand muss die Fahrscheine kontrollieren, schließlich fahren die Züge auch an den Weihnachtstagen. Ich habe keine Familie und keine Kinder, also trifft es meistens mich.“ Er zuckte noch einmal mit den Schultern. „Weihnachten gibt es viel zu tun, daher gehen die Tage schnell vorbei. Nur Heiligabend ist es etwas weniger, also am Abend, wenn überall die Geschenke ausgepackt werden. Dann reisen nur die Leute, die keine Familie haben. Aber wir machen es uns schon gemütlich dann. Es ist ja schließlich Weihnachten.“


    Diogenes dankte ihm, schließlich wollte er ihn nicht so lange aufhalten, und der Schaffner hatte noch eine Menge Fahrscheine zu kontrollieren. Als der Zug die Stadt erreichte, verließ Diogenes den Bahnhof und ging zunächst ziellos umher, bis er das Lachen von Kindern hörte, die auf einem nahen Spielplatz tobten. Zwei Mütter saßen auf einer Bank und unterhielten sich, die Finger um Pappbecher mit kaltem Kaffee gelegt. Diogenes stellte sich vor und bat, sich dazusetzen zu dürfen. „Was ist Weihnachten?“, fragte er die ältere der beiden Frauen. Diese seufzte tief. „Weihnachten ist Stress“, sagte sie. „Dann muss ich das ganze Haus putzen, weil meine Schwiegermutter kommt, und dann muss ich einkaufen und kochen und dafür sorgen, dass die Kinder alle sauber und gewaschen sind, wenn sie unterm Christbaum stehen. Ich stehe die meiste Zeit in der Küche, und anschließend muss ich alles abwaschen und wegräumen. Von mir aus könnte Weihnachten dieses Jahr ausfallen.“ „Nein, bitte nicht“, rief die Jüngere aus. „Die Kinder freuen sich doch so. Noch vor ein paar Jahren, als mein Mann und ich alleine waren, sind wir immer über Weihnachten weggefahren, weil wir glaubten, dass wir den ganzen Rummel nicht brauchen. Aber seit die Kinder da sind, feiern wir jedes Jahr. Mir wird das Herz ganz warm, wenn ich das Strahlen in ihren Augen sehe und die Vorfreude, wenn sie die Tage zählen, bis das Christkind kommt. Und wir haben Zeit füreinander. Das ist die Arbeit und die Mühe wert.“ Sie lächelte in Erinnerung daran.


    Diogenes bedankte sich und ging weiter. Sein Weg führte ihn an einem großen Kaufhaus vorbei, wo ein dicklicher Mann im Anzug zwei Arbeiter anwies, Reklametafeln anzubringen. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte Diogenes, denn es schien ihm angemessen, bei einem so wichtigen Mann Höflichkeit walten zu lassen. „Was ist Weihnachten?“ Der Mann sah ihn an und rückte seine Brille zurecht. Dann holte er ein silbernes Etui hervor und zog ein Zigarillo daraus hervor. „Weihnachten ist die beste Zeit des Jahres“, sagte er und grinste. „Die meisten Leute kommen kurz vor Heiligabend und kaufen irgendwas, weil sie keine Zeit haben, sich darüber Gedanken zu machen.“ Der Mann lachte und klappte ein silbernes Feuerzeug auf. „Am schönsten sind die, die ein schlechtes Gewissen haben und sich mit einem Geschenk freikaufen wollen. Ich sage ja, die beste Zeit des Jahres.“


    Diogenes war verwirrt, aber er bedankte sich beim dem Dicken und ging weiter. Er war in Gedanken, und so bemerkte er erst, dass er eine Kirche betreten hatte, als der Pfarrer ihn ansprach. „Suchen Sie etwas?“, fragte der Pfarrer freundlich. Diogenes wollte den Kopf schütteln, nickte aber doch. „Was ist Weihnachten?“, fragte er. Der Pfarrer lächelte. „Weihnachten ist das Fest der Liebe. Das Fest von Jesu Geburt, der die Menschheit erlöst hat. Die Christmette ist das schönste Fest des Jahres, mit all den Lichtern und dem großen Baum am Altar, wenn alle Reihen besetzt sind und die Leute sogar im Gang stehen.“ Sein Lächeln wurde traurig. „Leider kommen sie danach erst einmal nicht wieder. Den meisten Menschen bedeutet Jesu Geburt nichts. Sie kommen in die Kirche, weil es dazu gehört, wie bei einer Hochzeit oder einer Taufe. Deshalb sehe ich Weihnachten immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge.“


    Diogenes verstand, was der Pfarrer meinte. Er verabschiedete sich höflich, versprach aber nicht wiederzukommen. Dafür wäre die Anreise in die Stadt zu umständlich gewesen und versprach nie, was er nicht halten konnte. Die Sonne senkte sich inzwischen über der Stadt, und er befand, dass es Zeit wurde heimzukehren. Am Bahnhof traf er einen Bettler, der vor einer Schale mit einigen kleinen Münzen saß. Diogenes gab ihm sein letztes Kleingeld, und als sich der Bettler freundlich bedankte, sprach er ihn an. „Was ist Weihnachten?“, fragte er, obwohl er keine Antwort erwartete, denn dieser Mann hatte sicher weder Geld, das er ausgeben konnte, noch eine Familie, mit der er zusammen sein konnte, noch eine Arbeit, der er nachgehen konnte, und wahrscheinlich auch keinen Gott, der ihn erleuchten konnte. Aber der Bettler lächelte sacht und griff in seine Jackentasche, um einen schmutzigen Kerzenstummel hervorzuziehen. Er stellte ihn vor sich auf. „Das ist Weihnachten“, sagte er, und als er Diogenes‘ Verwirrung bemerkte, fügte er hinzu: „Ich zünde sie jedes Jahr an Heiligabend an, und dann kaufe ich einen Glühwein und suche mir eine warme Ecke. Manchmal singe ich mir selbst ein paar Weihnachtslieder vor, aber meistens sitze ich nur da und schaue das Licht an. Haben Sie schon einmal zugehört, wie still es in dieser Nacht ist?“ Diogenes verneinte, schließlich lebte er am Wald, wo es immer still war. Der Bettler nickte nur und nahm die Kerze, um sie Diogenes zu geben. „Ich schenke sie Ihnen. Zünden Sie sie Weihnachten an und lauschen ein paar Minuten in die Stille. Versuchen Sie es.“


    Diogenes dankte ihm verwirrt und stieg in den Zug, der ihn zurück zu seinem Haus am Waldrand brachte. Lange saß er an diesem Abend auf der Bank, und auch am nächsten Tag und am übernächsten. Dann nahm er schließlich den Prospekt und legte ihn in die Mülltonne. den Kerzenstummel aber stellte er ins Fenster und sah ihn an, sooft er hinaus auf die Felder blickte. Er hatte nicht erfahren, was Weihnachten war, aber je dunkler das Jahr wurde, desto mehr freute er sich auf das Licht, das er entzünden würde. Als er schließlich voll freudiger Erwartung aus dem Bett sprang und einen Kienspan an die Kerze hielt, leuchtete die kleine Flamme in die Dunkelheit, unscheinbar und vielleicht eins unter tausend Lichtern, die an diesem Tag entzündet wurden, aber kaum eins mit so viel hoffnungsvoller Erwartung. Und Diogenes verstand, was Weihnachten war.

  • 19. Dezember 2014 von Tom



    Das Jesus-Selfie


    Nach Motiven von Andreas Eschbach


    Am 17. Februar 2016 wird ein holländischer Erfinder eine Apparatur zusammenbauen, von der er zu diesem Zeitpunkt hoffen wird, dass sie dazu in der Lage ist, Akkus von Smartphones in Sekundenbruchteilen aufzuladen. Tatsächlich aber wird er zufällig eine Zeitmaschine erfinden, die das Smartphone, das in der Apparatur hängt, in das Geburtsjahr Christi zurückbefördert. Viele weitere Zufälle werden dafür sorgen, dass das Telefon nicht in der entsprechenden Zeit in den Niederlanden ankommt, sondern in Bethlehem, und dort in einer Art Scheune. Vierzig Minuten nach dem Verschwinden wird das Gerät wieder auftauchen.
    Der Erfinder wird das Wiederauftauchen erst zwei Tage später bemerken, aber das tut nichts zur Sache. Er wird das Telefon in die Hand nehmen und untersuchen, und dabei wird er auf ein Video stoßen.
    Das Bild wird stark verwackelt sein. Es wird ... nein. Wechseln wir in den Präsens.
    Wackel, wackel.
    Ein Esel.
    Noch ein Esel.
    Wackel, wackel.
    Ein Huhn.
    Schließlich ein schlanker, hohlwangiger Mann in den Dreißigern, bärtig, in armseliger, zerschlissener, dunkelbrauner Kleidung. Die Hand des Mannes. Wieder der Mann selbst. Der Autofokus reagiert. Die Augen des Mannes sind stark gerötet. Er schnauft und schimpft in einer fremden Sprache. Vor allem aber ist er erstaunt. Es ist zu erkennen, dass er das Gerät, das er in den Händen hält, neugierig untersucht und zugleich geängstigt ist. Ein Geräusch ist zu hören - jenes Geräusch, durch das das Gerät verkündet, dass es kein Netz hat. Das Telefon fällt zu Boden, bleibt aber so liegen, dass zu erkennen ist, was in der Scheune geschieht. Der Mann sinkt auf die Knie und schaut zur Scheunendecke. Im Hintergrund ist jetzt eine junge, schwarzhaarige Frau zu erkennen, eine hochschwangere Frau, die auf einem Haufen Stroh liegt. Sie schreit. Der Mann reagiert, geht zur Frau, kniet abermals nieder. Es ist nicht zu erkennen, was er macht. Wieder Geschrei. Die Frau hat offenkundig Schmerzen.
    Es poltert, im Hintergrund öffnet sich eine Tür. Drei ältere Männer betreten die Scheune, obskur gekleidete Männer, die sich erst vorsichtig umschauen und dann mit dem Mann sprechen, der vor der Frau kniet. Es wird wild hin- und hergestikuliert. Das Geschrei der Frau wird lauter. Aber die drei Besucher schreien noch energischer. Sie weisen zur Decke, auf die Tür, stampfen wütend auf, heben seltsame Gegenstände über ihre Köpfe. Der Bärtige schüttelt heftig den Kopf. Die Frau brüllt.
    Dann wird es mit einem Mal still, bis auf leises Gewimmer, das von der Frau kommt. Plötzlich keucht sie laut, brüllt schließlich wieder, verstummt vorübergehend, bis ein neues Geräusch zu hören ist: Ein leises Husten, fast ein Krächzen. Und endlich schreit das Baby. Der Mann hält es kurz in den Händen, legt es dann der Frau in die Arme.
    Die drei Besucher sinken auf die Knie, heben aber die Hände zum Himmel. Der Bärtige protestiert offenbar, ist jedoch abgelenkt, weil das Kind schreit. Ein Esel läuft durchs Bild. Das Video endet.


    Der Erfinder wird nicht wissen, dass sein Telefon - übrigens ein iPhone 8 - in die Vergangenheit gereist ist. Er wird nicht ahnen, was es zeigen wird. Er wird denken, dass es ihm bei den Tests der Apparatur heruntergefallen ist, dass es von jemandem gefunden wurde (bzw. sein wird), dass das Video Aufnahmen von einem Laienschauspiel zeigt, irgendwelches Youtube-Zeugs oder ähnliches. Er wird den Film löschen und seine Apparatur reparieren, so dass sie endlich Akkus auflädt. Sie wird auf ewig die einzige Apparatur bleiben, die je Zeitreisen ermöglicht hat oder haben wird.


    Und die Firma Apple wird nie erfahren, dass selbst Leute, die noch nie ein Smartphone oder ein ähnliches Gerät gesehen haben, geschweige denn ahnen, dass es jemals solche Dinge geben wird, mit einem iPhone Videos machen können. Und dass einer der ersten Menschen, die mit einem iPhone aufgenommen wurden, Jesus war.
    Schade, denn das hätte das Weihnachtsgeschäft 2016 für Apple ordentlich angekurbelt.

  • 20. Dezember 2014 von Johanna



    Piratenschicksal


    Einige werden sich gefragt habe, wie es dem ehemals stolzen und gefürchteten Piraten Le Rouge ergangen ist. Nun, da er schmählich festgesetzt auf seinem eigenen Schiff dem Untergang entgegen segelte.
    Der Büchereulen-Adventskalender 2010


    14 Tage war es jetzt schon her, daß er dem Schiff das ihn an den Galgen hätte bringen sollen, entkommen war. Es war einfach gewesen, wenn man wie er, die Gewässer dieser Gegend so gut kannte, wie sonst kaum jemand.


    Er hatte sich des Nachts in einem unbeobachteten Moment das Beiboot genommen, es mit Wasservorrat, Nahrung und einem gestohlenen Sextanten beladen und sein ehemaliges Schiff, das jetzt unter feindlicher Flagge seinen Feinden und dem Galgen entgegen fuhr, verlassen.


    Mittlerweile war er seit zwei Wochen auf See um einen sicheren Hafen zu erreichen.
    Seine Vorräte – obwohl sehr sparsam verwendet – neigten sich langsam dem Ende zu und ihn drohte die Entkräftung zu übermannen.
    Hatte er sich so verrechnet? Sich so verfahren?
    Auf dem kleinen Boot war das Navigieren schwer, ja fast unmöglich, aber doch so weit ab vom Kurs der Fahrroute?


    Er fiel in einen tiefen Erschöpfungsschlaf und konnte nicht verhindern, daß ihn seine Vergangenheit einholte.
    Er, Philippe de Monignac, gefangen in seiner Rolle des Erben des alten Adelsgeschlechts, seine ihm vorherbestimmte Zukunft. Das ewige gleichförmige Leben, ein verwöhntes Adelspüppchen zu ehelichen, wie es von ihm verlangt wurde, die Dynastie weiterzuführen.
    Auf Geheiß Henry Quatres sollte er noch dazu die englische protestantische Elisabeth of Huntington heiraten, damit Katholiken und Protestanten endlich in Frieden zusammen leben könnten.
    Er floh damals aus diesem so ungeliebten Leben, überließ seinem jüngeren Bruder sich mit der Last des Erbes herumzuschlagen und suchte das Abenteuer.
    So war er schließlich zum gefürchteten Piraten Le Rouge geworden.



    Plötzlich, er glaubte bereits zu halluzinieren – man möge es mir gestatten diesen für die damalige Zeit doch unbekannten Ausdruck zu verwenden.
    Zumindest traute er seinen Augen nicht, als er in der Ferne Segel entdeckte und vermeinte Umrisse eines Schiffes zu erkennen.
    Sofort holte er seine neueste Errungenschaft hervor, die er natürlich auch nicht auf der Battre Gagnant gelassen hatte. Ein Fernrohr, eine seit diesem Jahr ganz neue Erfindung eines Holländers, der er sich natürlich nicht hatte entziehen können und sich sofort hatte anschaffen müssen.
    Anhand dieser wunderbaren Erfindung sah er nun, daß es sich um ein englisches Schiff handelte, dessen Flagge, er erschrak leicht, einen Totenkopf zierte, der mit einem geschwungen Schriftzug gezeichnet war.
    Die gefürchteten englischen Piraten – ebenso gefürchtet, wie einst er.
    Immerhin, kein englisches Kriegsschiff.


    Der Schriftzug, das konnte doch nur....
    Bell. Die einzig weibliche Piratin, die in diesen Meeren herumsegelte. Und weithin bekannt für ihre Raffinesse.
    Es konnte nur ihr Schiff sein. Gehört hatte er schon einiges von Bell, genannt Bravely Bell, aber daß er ihr einmal begegnen würde, hätte er nicht gedacht. Daß es nun ausgerechnet ihr Schiff sein würde, das ihn auflesen sollte


    So kam es, daß er an Bord gehievt wurde und sogleich der Kapitänin vorgestellt wurde.
    Diese machte nicht viele Worte, meinte zu ihm, wenn er mit segeln wolle, dann solle er die Mannschaft unterstützen.
    Er dürfe sich einen Tag von seinen Strapazen erholen, dann aber ab mit ihm in die Wanten.
    Würde er sich an der Beute vergreifen, dann würden ihn die Haie fressen.


    So vergingen die Tage auf See und abends, wenn er an der Reling stand, sich den Sternen zuwandte, bemerkte er neugierige Blicke von Bell.


    Nach vier Tagen erreichten sie endlich Tortuga.
    Sie löschten die Ladung, erbeuteten Schätze und die meisten der Piraten verschwanden mit ihrem Anteil der Beute sofort in den am Hafen liegenden Kaschemmen


    Bevor Le Rouge von Bord gehen konnte, meinte Bell zu ihm, er solle sie in ihr Haus begleiten.
    Immerhin sei Weihnachten und auch wenn sie sonst weniger sentimental sei, am Weihnachtsabend hätte sie doch gerne etwas Abwechslung und anregende Gespräche zur Erbauung.
    Sie kenne ihn zwar noch nicht näher, aber bei ihm könne sie sich vorstellen, eine gepflegte Unterhaltung führen zu können.


    Sie kamen im Inneren der Insel an ein Haus, das vage an ein englisches Herrenhaus erinnerte.


    Durch das opulente Mahl, den Rum und die doch leicht feierlich anmutende Atmosphäre angeregt, erzählte er ihr in groben Zügen seine Geschichte, wie er sein altes Leben satt hatte, ein ungeliebtes Anwesen führen sollte, auf ewig dort eingeengt sein und als er dann noch gezwungen werden sollte, eine verwöhnte englische Adelige zu ehelichen, da habe er die Flucht ergriffen und wurde so letztlich zum gefürchteten Piraten Le Rouge.


    Plötzlich brach Bell lauthals in Gelächter aus, die Tränen liefen ihr über die Wangen und sie war kurz davor, vom Stuhl zu kippen.
    Erschrocken sah Le Rouge sie an, wollte schon helfend eingreifen, sie vor dem Sturz bewahren, da sagte sie:“ und das ausgerechnet heute. IHR seid Philippe de Monignac?“
    Entgeistert starrte er sie an:“Woher wißt Ihr meinen tatsächlichen Namen?“
    Mühsam das Lachen unterdrückend meinte sie:“ Das, mein lieber Philippe, hätten wir auch alles leichter haben können.
    „Mein richtiger Name ist Elisabeth of Huntington.
    Ich wollte dem gleichen Schicksal entfliehen, wie Ihr, dem mich meine Eltern und die Königin aussetzen wollten.
    Bevor ich mich mit einem arroganten, französischen, sich für eine Herrscher über alles haltenden Despoten verheiraten lasse, wollte ich lieber frei sein und die Welt entdecken.“


    Le Rouge starrte sie ungläubig an und fiel dann ihr unbändiges Gelächter mit ein,


    Fortan befuhren sie gemeinsam die Meere unter der Flagge zweier sich überkreuzender Totenköpfe.