David Graeber - Schulden: Die ersten 5000 Jahre

  • Der Autor (Quelle: Amazon)
    David Graeber, geboren 1961 in den Vereinigten Staaten, unterrichtete bis zu seiner umstrittenen Entlassung 2007 als Anthropologe in Yale und lehrt seither am Goldsmith-College in London. Er ist bekennender Anarchist und Mitglied der »Industrial Workers of the World«. Sein Vater hat im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft, und er selbst hat fast zwei Jahre in einer direkte Demokratie praktizierenden Gemeinschaft auf Madagaskar gelebt. Graeber ist ein Vordenker der Occupy-Bewegung.


    Das Buch (Quelle: Amazon)
    Ein radikales Buch im doppelten Wortsinn, denn Graeber packt das Problem der Schulden an der Wurzel, indem er bis zu ihren Anfängen in der Geschichte zurückgeht. Das führt ihn mitten hinein in die Krisenherde unserer Zeit: Von der Antike bis in die Gegenwart sind revolutionäre Bewegungen immer in Schuldenkrisen entstanden. Graeber sprengt die moralischen Fesseln, die uns auf das Prinzip der Schulden verpflichten. Denn diese Moral ist eine Waffe in der Hand der Mächtigen. Die weltweite Schuldenwirtschaft ist eine Bankrotterklärung der Ökonomie. Der Autor enttarnt Geld- und Kredittheorien als Mythen, die die Ökonomisierung aller sozialen Beziehungen vorantreiben. Im Kern ist dieses Buch ein hohes Lied auf die Freiheit: Das sumerische Wort »amargi«, das Synonym für Schuldenfreiheit, ist Graeber zufolge das erste Wort für Freiheit in menschlicher Sprache überhaupt. David Graeber ist einer der Begründer der Occupy-Bewegung.


    Meinung
    Beim Lesen hatte ich dasselbe Gefühl wie beim Betrachten einer Oper, die zu modern aufgeführt wird. Also, schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf die Musik. Die Musik, das war die Geschichte des Geldes und der Schulden in den letzten 5.000 Jahren. Dieses Kapitel hat David Graeber hervorragend erzählt. Man erfährt viel darüber, wie Menschen in Schuldknechtschaft und Sklaverei gepresst wurden und in Minen schuften mussten, um die Silberlinge für den Adel zu produzieren, damit er seine Kriege finanzieren konnte.


    Dieses Elend allerdings heute auf die „Machenschaften“ der USA zu übertragen, ist schon sehr gewagt. Doch die Aufführung dieser „Oper“ ist nun mal so, wie man sie von einem Anarchisten erwarten kann. Er hat die Wirtschaft auf den Kopf gestellt. Davon sollte der Leser sich aber nicht beeindrucken lassen. Mit ein wenig Mut zum Wissen kann er sie lässig wieder auf den Fuß stellen:


    Wenn ich heute einen Autokredit benötige, dann bekomme ich ihn bei einer Laufzeit von 60 Monaten zu 3% Zinsen. Das ist durchaus fair, denn der Geldgeber könnte mit einem Alternativgeschäft dieselbe oder gar eine höhere Rendite erzielen. Ich bezahle einen fairen Preis für eine Leistung, die ich mir sonst nicht leisten könnte und erziele eine Win-Win-Situation. Von Ausbeutung und Zinswucher kann wohl keine Rede sein.


    Entlarvend ist folgender Satz auf S. 410:


    „Was sind Schulden denn überhaupt? Sie sind nichts weiter als die Perversion eines Versprechens, das von der Mathematik und der Gewalt verfälscht wurde.“


    Das mag für eine lange Phase in den letzten 5000 Jahren gegolten haben und auch heute noch in vielen Entwicklungsländern so sein. Das gilt aber wohl kaum für die modernen Gesellschaften des Westens. Dort sind Wucher und Schuldknechtschaft längst überwunden. So spielt bei meinem Autokredit die Mathematik eine Rolle, aber Perversion und Gewalt fehlen vollkommen. Da hätte der Autor unbedingt differenzieren müssen. Der Anthropologe wäre besser beraten gewesen, wenn er das Buch gemeinsam mit einem Ökonomen geschrieben hätte. Dann hätte ich beim Genießen dieser „Oper“ auch meine Augen öffnen können.


    Filtert man also die „Anarchie-und Occupy-Elemente“ heraus, dann ist es ein durchaus gutes Geschichtsbuch.