'Schlaf der Vernunft' - Seiten 247 - 302

  • Die fallanlaytikerin scheint die Tochter eines RAF Mitgliedes zu sein...oder bringe ich den Namen Liebig durcheinander? Auf jeden Fall sehr überraschend.


    Die Szene am Strand fand ich berührend und das erste mal hatte ich das Gefühl, dass sich Tochter und Mutter annähern, weil beide es wollen. Martina reflektiert das erste mal bewusst ihre taten. Und sie hat eine Art Geständnis abgelegt. Erstaunlich.


    Renate wird mir immer unsympathischer. Sie stellt sich als große stütze hin, hat aber in meinen Augen sehr wenig für die beiden getan.

  • Den Abschnitt mit der Fahrt von Staatssekretär Werder, Steffen, Hans und Sascha Gschwindner fand ich ausgesprochen gut gemacht. Ihre Gespräche umkreisen verschiedene Blickwinkel, wie sie von der anderen Seite wahrgenommen werden und auch die Fragestellung, ob man selbst unter bestimmten Bedingungen zur RAF hätte gehören können.

  • Logan-Lady, den Namen Liebig hast du schon richtig identifiziert.


    Herr Palomar, was mir sowohl Hans de With als auch Klaus Kinkel (nicht verwandt) über ihr Verhältnis zu ihren Personenschützern erzählten, stand mir immer vor Augen. Ich wollte sie in dem Roman als Individuen mit unterschiedlichen Standpunkten rüberkommen lassen, und natürlich war die Szene auch eine gute Möglichkeit, eine typische 70er-Jahre Debatte auf der staatlichen Seite einzubinden.

  • Zitat

    Original von logan-lady
    Die fallanlaytikerin scheint die Tochter eines RAF Mitgliedes zu sein...oder bringe ich den Namen Liebig durcheinander? Auf jeden Fall sehr überraschend.


    Das ist mir gar nicht aufgefallen, wirklich ein interessanter Aspekt.


    Zitat

    Renate wird mir immer unsympathischer. Sie stellt sich als große stütze hin, hat aber in meinen Augen sehr wenig für die beiden getan.


    Renate finde ich gar nicht so unsympathisch, auch wenn sie sich selbst zu wichtig nimmt, finde ich schon, dass sie versucht hat den beiden zu helfen.


    Schon ein bisschen zum Schmunzeln fand ich Martinas Meinung zu den Grünen.

  • Zwergin, Martinas Meinung zu den Grünen reflektiert die von Brigitte Mohnhaupt in den Gesprächsprotokollen, die mir von Klaus Kinkel zur Verfügung gestellt wurden. Ein wenig vermute ich da natürlich einen sauren-Trauben-Effekt - die RAF hat nicht eine ihrer ursprünglichen politischen Ziele erreicht, eben weil sie, anders als z.B. die IRA in Irland, keine eigene politische Partei hatte. (Die IRA hatte Sinn Fein.) Die politische Bewegung der 70er Jahre, die tatsächlich später etwas bewegen konnte und Einfluß auf die Politik gewann, waren die Grünen.


    Wie auch immer: laut den Gesprächsprotokollen mußte man Antje Vollmer, die mit Brigitte Mohnhaupt sprechen wollte, nur erwähnen, um ein paar äußerst scharfe Bemerkungen zu hören. Das inspirierte Martinas Haltung.

  • Mich verwundert, dass Angelika so reflektiert sein kann im Umgang mit ihrer Mutter. Sie kann die eigene Verletztheit ruhen lassen, um die Türen zu ihr offenzuhalten.


    In der Situation auf Sylt war Renates Auftauchen ganz betimmt nicht hilfreich. Was immer sie für Gründe gehabt haben mag, es waren wohl eher egoistische.


    edit ergänzt: Die Mitglieder der RAF und auch die Sympathisanten haben sich immer Illusionen über die Unterstützung ihrer Ziele in der Bevölkerung gemacht. Es gab keine breite Unterstützung. Noch nicht einmal für die Ziele - von den Methoden einmal völlig abgesehen. Vielen war damals bewusst, dass sich etwas ändern muss. Aber eine Revolution wollte kaum jemand. Das war ein großer Unterschied zur IRA in Irland. Die hatte nun wirklich Unterstützung in der Bevölkerung.
    Eine politische Partei hätte nach meiner Meinung der RAF gar nichts genützt.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Mich verwundert, dass Angelika so reflektiert sein kann im Umgang mit ihrer Mutter. Sie kann die eigene Verletztheit ruhen lassen, um die Türen zu ihr offenzuhalten.


    Ich glaube daran, dass Angelika ihrer Mutter so offen entgegen treten kann, hat auch Justus seinen Anteil, dadurch, dass er Martina von vorneherein als Monster abstempelt (der Goebbels-Vergleich war ja echt allerunterste Schublade), bringt er Angelika dazu, ihre Mutter verteidigen zu wollen, so dass sie ihre eigenenverletzten Gefühle hintenanstellt.

  • In der Vergangenheit ist mir Renate deutlich sympathischer als in der Gegenwart.
    Mit ihrer Einschätzung der RAF hat sie auf jeden Fall recht, finde ich. Es dreht sich ja wirklich alles nur noch um die Befreiung der "Ersten Generation" von den ursprünglichen zielen ist keine Rede mehr.
    Baader und Co scheinen aber nicht bereit, ihre Hoffnung auf Befreiung für die ursprünglichen Ziele aufzugeben.


    Die haftbebingungen für Ulrike Meinhof halte ich wirklich für unerträglich, so darf in einem Rechtsstaat kein Verbrecher behandelt werden.

  • Zwergin: Wie gehen wir in einem Rechtsstaat mit Verbrechern um? war damals eine der wichtigsten Fragen - Jahre vor Guantanamo, Abu Ghraib etc.


    Ich hoffe angesichts der derzeitigen Ereignisse nur, daß unsere vielbeschworenen "Werte" sich auch bewähren, und wir uns nicht nach jüngeren Vorbildern orientieren, was die Behandlung von (aucn noch so mörderischen) Gefangenen betrifft...

  • Die Dialoge erscheinen so authentisch als würde es sich bei "Schlaf der Vernunft" um ein Sachbuch handeln. Ich fühle mich wirklich in die 70er Jahre zurückversetzt. Zumindest soweit, wie ich das aus Artikeln und Berichten aus dieser Zeit kenne.


    Gespannt bin ich noch auf die Aufklärung von der Geheimnisse um Liebig, Renate und auch Justus. Der tauchte in diesem Abschnitt ja nun gar nicht mehr auf. Hat Angelika aufgehört, zu Hause anzurufen? Bei Martina scheint sich wirklich ein gedanklicher Wechsel anzubahnen. In der Realität hat ja meines Wissens nur Peter-Jürgen Boock von der Ideologie abgeschworen.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Nicht zu vergessen, dass Angelika auch gute Erinnerungen an ihre Mutter hatte, die nicht verdrängt sind!


    Ich glaube tatsächlich, dass dies der glaubwürdigste Grund dafür ist, dass Angelika ihrer Mutter überhaupt eine Chance geben möchte und kann. Ich denke, dass die beiden ein sehr inniges Verhältnis hatten und Angelika von ihrer Mutter geliebt wurde. Wäre das nicht so gewesen, wäre diese erneute Annäherung gar nicht möglich und die Geschichte unglaubwürdig. So wirkt es von Anfang bis Ende authentisch.

  • Zitat

    Original von xexos
    Die Dialoge erscheinen so authentisch als würde es sich bei "Schlaf der Vernunft" um ein Sachbuch handeln. Ich fühle mich wirklich in die 70er Jahre zurückversetzt. Zumindest soweit, wie ich das aus Artikeln und Berichten aus dieser Zeit kenne.


    Das habe ich genauso empfunden. Teilweise wirkte die Stimmung und die Erinnerungen der Figuren an diese Zeit wirklich "betongrau".

  • Saiya, ja, die frühe Kindheit von Angelika und ihre Erinnerungen daran, an die Liebe ihrer Mutter damals, sind der tiefste Grund, warum sie ihrer Mutter noch eine Chance gibt.


    Re: betongrau - na ja, Margarethe von Trotta nannte es "die bleierne Zeit". :-( So lange sich der Roman nicht wie Beton oder Blei liest... :-]

  • Zitat

    Original von Tanja Kinkel
    Saiya, ja, die frühe Kindheit von Angelika und ihre Erinnerungen daran, an die Liebe ihrer Mutter damals, sind der tiefste Grund, warum sie ihrer Mutter noch eine Chance gibt.


    Vielleicht steckt auch noch ein wenig Sehnsucht dahinter, endlich die Beziehung zu haben, auf die sie beide verzichten mussten. Dem jahrelangen Leiden nun endlich doch noch einen Sinn zu geben und damit die Verletzungen der Vergangenheit ein wenig heilen zu können.


    Und Angelika ist ja auch in ihrem Urvertrauen stark geschwächt. Wenn nun endlich eine lang ersehnte Vertrauensbeziehung zu ihrer Mutter entsteht, hat sie wohl unterbewusst den Eindruck, dass ihr das hilft. Irgendwie der Wunsch, nach Hause zu kommen und eine Heimat zu haben.