Das Evangelium nach Pilatus - Eric-Emmanuel Schmitt

  • Kurzbeschreibung:
    Ein Mann im Garten am Ölberg, allein, am Vorabend seiner Verhaftung. Die Worte der Mutter klingen ihm noch im Ohr: »Jemand, der liebt wie du, wird leiden müssen.« Ein schlechter Jude, ein schlechter Zimmermann. Er wartet auf die Soldaten, die ihn holen und abführen werden. Er wartet auf seine Hinrichtung.
    Ein anderer Mann, ein anderer Ort. Vielleicht fünfzehn Verhaftungen, nur drei Kreuzigungen, es hätten geruhsame Feiertage für ihn werden können. Doch dann verschwindet die Leiche eines der gekreuzigten Männer. Ganz Jerusalem ist erschüttert, die Menschen sprechen von Wunder und Auferstehung, manche sagen, der Gekreuzigte sei ihnen erschienen, oder man habe zumindest davon gehört. Pilatus hat wenig Verständnis für die jüdischen Verrücktheiten, die Lage muß beruhigt, der Tote muß gefunden werden, die Ermittlungen beginnen.
    Judas, der Verräter, Pilatus, der Henker, und Jesus das Opferlamm? – vergessen wir diese Rollenfestschreibung. Schmitt befreit die Protagonisten der Passionsgeschichte von jeder Überhöhung oder Vorverurteilung, haucht ihnen mit frischer Feder neues Leben ein und erzählt uns eine sehr vertraute Geschichte so spannend und neu, als hörten wir sie zum ersten Mal.



    Über den Autor:
    Eric-Emmanuel Schmitt, geboren 1960 in Sainte-Foy-lès-Lyons, studierte Klavier in Lyon und Philosophie in Paris. Anfang der 90er Jahre begann er als Autor für Theater, Film und Fernsehen zu arbeiten. Er lebt heute in Brüssel. Mit seinen kleinen Erzählungen über die großen Religionen der Welt wurde er international berühmt und gehört zu den erfolgreichsten Gegenwartsautoren in Frankreich. Seine Werke wurden in 40 Sprachen übersetzt und haben sich mehr als zehn Millionen Mal verkauft. Mit einem eigenen Theater in Paris, das er 2012 erwarb, erfüllte sich Eric-Emmanuel Schmitt einen langersehnten Traum.



    Über den Sprecher:
    Burghart Klaußner (geb. 1949 in Berlin), der auch als Schauspieler, Theaterregisseur und Sänger bekannt ist, liefert Wikipedia einige interessante Informationen.



    Meine Meinung:
    Mit seinem "Evangelium nach Pilatus" bietet Eric-Emmanuel Schmitt seinen Lesern eine neue Sichtweise der Passionsgeschichte Jesu an. In zwei großen Teilen erfährt der Hörer zunächst die Geschichte Jesu aus dessen eigener Sicht, in Rückblenden, die bis zurück in seine Kindheit reichen, erzählt, während er auf seine Hinrichtung am Kreuz wartet. Es ist ebenso seltsam wie schön, wie menschlich sich dieser Jesus oder besser gesagt Jeschua, wie er hier (ebenso wie alle anderen Figuren) mit seinem hebräischen Namen genannt wird, hier darstellt. Schmitt füllt die "leeren Zeiten" in Jeschuas Leben in der Bibel, lässt ihn von Kindheitserinnerungen berichten und große Zweifel ausdrücken, die er an seiner Person und Aufgabe hat. Auch Jehuda, den wir meist unter dem Namen Judas kennen, erfährt von Schmitt eine andere Deutung, die nicht nur versöhnlich, sondern durchaus auch glaubwürdig erscheint.


    Im zweiten Teil schließlich kommt Pilatus zu Wort, eben jener Pilatus, der das Todesurteil Jeschuas ausgesprochen hat - auf Druck des Volkes und gegen seinen Willen, wie er hier betont. Er erzählt seine Sicht der Ereignisse rund um und vor allem nach dem Tod dieses merkwürdigen Nazareners in Briefen an seinen Bruder Titus. Darin wird deutlich, wie wichtig diesem Pilatus die lückenlose Aufklärung von mysteriösen Ereignissen ist und dass nur Beweise und logische Schlussfolgerungen in seinem Weltbild Platz haben. Gleichzeitig ist er ein Mann, der sich nicht zuletzt aus Liebe zu seiner Frau gegenüber alternativen Erklärungen öffnet und so eine innere Wandlung vollzieht, die viele seiner Zeitgenossen ergriffen hat.


    Mit dieser neuen Sicht aus zwei besonderen Blickwinkeln lädt Schmitt den Hörer dazu ein, selbst über den Tellerrand der eigenen Vorstellungen zu schauen, sich auf alternative Sichtweisen einzulassen und vielleicht das ein oder andere Element des christlichen Glaubens neu zu betrachten. Diese Einladung erfolgt an Hörer allen und auch ohne Glaubens, sie drängt sich nicht auf und kommt ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit viel Respekt daher. Sprecher Burghart Klaußner greift diese Haltung auch in seiner Stimme und Sprecherleistung auf und unterstreicht damit die Botschaft, die dieses Hörbuch vermitteln kann, wenn man denn mag.


    Übrigens: Die in der Buchversion enthaltene "Chronik eines gestohlenen Romans", in der Schmitt ausführlich über die Entstehungsgeschichte des Romans berichtet, fehlt in der Hörbuchversion komplett. Für das "Evangelium nach Pilatus" selbst ist sie zwar nicht wichtig, bietet aber sozusagen einen "Blick hinter die Kulissen" und damit auch einen sehr persönlichen Einblick in die Gedankenwelt des Autors. Schade, dass dieser Einblick in der Hörbuchversion vollständig gestrichen wurde - ich bin sicher, dass auch einige Hörer des Romans daran interessiert gewesen wären.*


    9 Punkte von mir!


    * In diesem Zusammenhang stellt sich mir auch - mal wieder - die damit verbundene Frage: Warum wird eigentlich das Nachwort eines Romans, das meist sehr interessante Informationen enthält, nie (!) in der Hörbuchversion berücksichtigt?! Völlig unverständlich und sehr schade.