Die Asylentscheider

  • Ein ganz hervorragender Film von Sandra Natalie Budesheim und Sabine Zimmer, packend vor allem durch seine Eindringlichkeit, die auch aus dem Verzicht auf Außenkommentare entsteht. Sorgfältige, überaus einfühlsame Bildführung, erstklassig gewählte Hintergrundmusik und professionelle Schnitte. Diese Dokumentation lässt beides, die Irrationalität des deutschen Asylrechts UND die psychische Belastung der Entscheider mit Händen greifen. Und ganz nebenbei ist der Film ein flammendes Plädoyer für das längst überfällige kluge Einwanderungsgesetz, das wir so dringend brauchen. Für mich ist das ein heißer Kandidat für den Deutschen Fernsehpreis. Chapeau! :anbet


    http://www.arte.tv/de/videos/0…sylentscheider?autoplay=1

  • Ich stimme Dieter zu, was die Qualität des Films anbelangt und bedanke mich für den Tipp. Ich habe die Doku gerade gesehen.


    Was den Inhalt anbelangt, kann ich mich Dieters Äußerungen nicht anschließen.


    Erstens zeigt der Film, dass unser Rechtsstaat hervorragend funktioniert. Die Frage: "Was ist Gerechtigkeit?", des Mitarbeiters illustriert die halbschlächtige Bedeutung des Begriffs Gerechtigkeit und führt zur Erkenntnis, dass unsere Rechtsnormen hinsichtlich der Asylfrage sehr modern sind und der Ruf nach mehr "Gerechtigkeit", was auch immer das sein soll und leisten könnte, schlicht scheitern muss.


    Zweitens verstehe ich nicht, wie man aus der Asyl-, Flüchtlings - und subsidiären Schutzfrage ableiten kann, dass wir ein längst überfälliges Einwanderungsgesetz brauchen, wobei ich mich seiner Forderung gerne anschließe. Dennoch sind Asyl und Einwanderung zunächst einmal zwei Paar Schuhe.

  • Zitat

    Original von beisswenger
    ,,,
    Zweitens verstehe ich nicht, wie man aus der Asyl-, Flüchtlings - und subsidiären Schutzfrage ableiten kann, dass wir ein längst überfälliges Einwanderungsgesetz brauchen, wobei ich mich seiner Forderung gerne anschließe. Dennoch sind Asyl und Einwanderung zunächst einmal zwei Paar Schuhe.


    Weil mit den Flüchtlingen normale Arbeitsemigranten kommen, die hier arbeiten wollen und Geld nachhause schicken. Wenn sie legal Einwanderungsanträge stellen könnten, würde zumindest an der Stelle das Schlepperunwesen dezimiert und die Zahl von Asylanträgen dezimiert, die vermutlich keine Chance haben.
    Beispiel u. a. Bangladesh

  • Meines Erachtens sollten wir diese Dinge nicht vermischen. Ein Einwanderungsgesetz legte fest, wer einwandern sollte, was man bedarfsgerecht festlegen würde und was bestimmt nicht einfach zu entscheiden wäre, weil man womöglich nicht sehr flexibel reagieren könnte. Nun gut, darüber sollte man beraten, auch wenn eine politische Einigung derzeit fast unmöglich erscheint.


    Auf der anderen Seite stünde immer noch das Asylrecht einschließlich des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung. Nochmal, das sind zunächst zwei unterschiedliche Bereiche.


    Dennoch könnte man sie so verbinden, wie du das gemacht hast, Buchdoktor. Dann kommt aber wieder die Frage ins Spiel, warum wir eine Person aus einem sicheren Herkunftsstaat, die gemäß Asylrecht zur Ausreise aufgefordert wird, anders behandeln sollten als eine Person, die ebenfalls abgeschoben werden soll, weil sie aus einem teilweise sicheren Herkunftsland stammt. Soll heißen, wer entscheidet nach welchen Kriterien? Das dürfte schwierig werden.


    Die Verschmelzung von Migrations- und Asylpolitik würde viele Probleme aufwerfen. Ich halte es für besser, weiterhin beides zu trennen, allerdings beide Bereiche aufeinander abzustimmen. Und auch das wird nicht leicht sein, weil es schwierig wird, einen Kompromiss zu finden. Die Vorstellungen zwischen rotgrün und schwarzgelb auf der anderen Seite weichen erheblich voneinander ab.

  • Zitat

    Original von beisswenger ... Dennoch könnte man sie so verbinden, wie du das gemacht hast, Buchdoktor. Dann kommt aber wieder die Frage ins Spiel, warum wir eine Person aus einem sicheren Herkunftsstaat, die gemäß Asylrecht zur Ausreise aufgefordert wird, anders behandeln sollten als eine Person, die ebenfalls abgeschoben werden soll, weil sie aus einem teilweise sicheren Herkunftsland stammt. Soll heißen, wer entscheidet nach welchen Kriterien? Das dürfte schwierig werden.


    Die Verschmelzung von Migrations- und Asylpolitik würde viele Probleme aufwerfen. Ich halte es für besser, weiterhin beides zu trennen, allerdings beide Bereiche aufeinander abzustimmen. Und auch das wird nicht leicht sein, weil es schwierig wird, einen Kompromiss zu finden. Die Vorstellungen zwischen rotgrün und schwarzgelb auf der anderen Seite weichen erheblich voneinander ab.


    Die Verschmelzung entsteht ja gerade durch das Fehlen einer Einwanderungspolitik. Die Person aus dem angeblich sicheren Herkunftsland (eine sehr subjektive Bewertung, wie wir wissen), stellt den wenig chancenreichen Asylantrag ja evtl. weil sie keine andere Möglichkeit sieht oder ein Schlepper ihr diesen Weg als narrensicher verkauft. Gäbe es ein Einwanderungssystem, das die Anforderung an Bildung und Sprachkenntnisse klar definiert, könnten die Behörden sich mit den reinen Asylanträgen befassen.

  • Nein, so einfach ist es nicht.


    Nehmen wir an, ein Asylantrag wird abgelehnt. Soll nun automatisch eine Prüfung nach den Kriterien des "Einwanderungsgesetzes" vorgenommen werden? Gehen wir davon aus, dass man so verfahren würde, dann werden trotzdem viele Antragsteller abgelehnt, weil sie auch den Kriterien "klar definierte Anforderungen" nicht entsprechen.


    Nächste Frage: Welchen Antrag soll ein Bewerber stellen? Den Antrag auf Asyl oder den Antrag auf Integration? Oder beides? Wer koordiniert die Anträge? Wie will man die Bürokratie bewältigen?


    Apropos klar definierte Anforderungen. Das Beispiel Kanada zeigt, dass die Anforderungen sich ständig ändern und dass das kanadische Punktesystem die nötige Flexibilität gar nicht abbilden kann - und nicht konnte, denn es wurde bereits mehrmals geändert.


    Wenn man sich intensiv damit beschäftigt, dann bemerkt man, wie so oft in einem konfliktären System, dass der Teufel im Detail liegt und aus "gut gemeint" nicht automatisch "gut gemacht" folgt.

  • Ein Arbeitsuchender soll erst gar keinen Asylantrag stellen, seinen Pass nicht vernichten, keinem Schlepper Geld in den Rachen werfen und keinen Platz in einer Flüchtlings-Unterkunft belegen, sondern eine Arbeitserlaubnis beantragen. Es ist doch völlig uneffektiv pro forma Asylverfahren durchzuziehen, wenn die Beteiligten wissen, dass Arbeitssuchende keine Asylsuchenden sind.


    Das kanadische System sagt zumindest deutlich & ehrlich, dass Arbeitskräfte für den Arbeitsmarkt gesucht werden und dass Sprachkenntnisse die Chancen verbessern. Hinter dieser Ehrlichkeit bleibt Deutschland meilenweit zurück. Es gibt im kanadischen Öffentlichen Dienst nun viele Arbeitskräfte, die Chinesisch sprechen ... In den francokanadischen Provinzen wird trotzdem von ihnen erwartet, dass Französischkenntnisse erworben werden.


    :chen

  • Zitat

    Original von Buchdoktor
    Ein Arbeitsuchender soll erst gar keinen Asylantrag stellen, seinen Pass nicht vernichten, keinem Schlepper Geld in den Rachen werfen und keinen Platz in einer Flüchtlings-Unterkunft belegen, sondern eine Arbeitserlaubnis beantragen. Es ist doch völlig uneffektiv pro forma Asylverfahren durchzuziehen, wenn die Beteiligten wissen, dass Arbeitssuchende keine Asylsuchenden sind.


    Das kanadische System sagt zumindest deutlich & ehrlich, dass Arbeitskräfte für den Arbeitsmarkt gesucht werden und dass Sprachkenntnisse die Chancen verbessern. Hinter dieser Ehrlichkeit bleibt Deutschland meilenweit zurück. Es gibt im kanadischen Öffentlichen Dienst nun viele Arbeitskräfte, die Chinesisch sprechen ... In den francokanadischen Provinzen wird trotzdem von ihnen erwartet, dass Französischkenntnisse erworben werden.


    :chen


    Dem ist wiederum nichts hinzuzufügen.
    Im verlinkten Film "Die Asylentscheider" kommt der klassische Fall eines akademisch gebildeten Menschen aus Afghanistan vor, der sehr gute Deutschkenntnisse erworben, und - auch nach Einschätzung der Sachbearbeiterin - eine hervorragende Sozialperspektive in Deutschland hätte, ganz abgesehen davon, dass er auf dem Arbeitsmarkt gebraucht würde. Dennoch wird er nach Afghanistan zurückgeschickt, weil er eben nach dem geltenden Asylrecht keine Bleibeperspektive hat. Dieser Mann wäre nach den Regeln eines sinnvollen Einwanderungsgesetzes ein Gewinn als Bürger dieses Landes gewesen.

  • Ich glaube, wir drehen uns ein wenig im Kreise. Ihr redet über Moral, während ich mir Gedanken über die pragmatische Umsetzung eines Einwanderungsgesetzes mache.


    Um ein solches Einwanderungs-Gesetz zu verabschieden, müssten auch Verfassungshürden übersprungen werden. Mal eben so ein Gesetz machen, damit ist es nicht getan. Zudem sind Emotionen oder Moralfragen nie eine tragbare und gute Grundlage für eine Rechtsvorschrift. Schade, dass unser allseits geschätzter Kollege Jan Voltaire sich nicht an unserer Diskussion beteiligt, denn er als Jurist könnte uns sicherlich mehr dazu sagen.


    Kommen wir zum Einzelfall. Ob der Mann gemäß Einwanderungsgesetz ein Bleiberecht erhielte, ist doch noch gar nicht gesagt, weil wir die Kriterien noch gar nicht genau festgelegt haben. Vielleicht kommen zu den Anforderungen "Sprachkenntnisse", "Bildung" auch noch "Berufskenntnisse" hinzu. Was machen wir, wenn der Beruf in Deutschland nicht nachgefragt wird und ein Entscheider hinsichtlich der Sprachkenntnisse und der Bildung anders entscheidet als ein Buchdoktor oder ein Dieter Neumann?


    Ihr seht also, dass wir schon ein wenig tiefer in die Materie einsteigen müssen.

  • Zitat

    Original von beisswenger
    Ich glaube, wir drehen uns ein wenig im Kreise. Ihr redet über Moral, während ich mir Gedanken über die pragmatische Umsetzung eines Einwanderungsgesetzes mache. ...


    Ich glaube, wir schreiben aneinander vorbei. Ich hatte es als bekannt vorausgesetzt, dass die langen Wartezeiten auf den Asylbescheid - die ich für die Betroffenen schwer zumutbar finde - u. a. Folgen der Überlastung der Ämter durch "Asylanträge" von Arbeitssuchenden und Armutsflüchtlingen sind. Ehrenamtliche Helfer betreuen prozentual teils mehr Arbeitssuchende als Asylbewerber. Im Film wird deutlich gesagt, dass eine Weile hauptsächlich die Absagen an Migranten aus dem Kosovo bearbeitet wurden und deshalb z. B. Afghanen auf ihre Bescheide länger warten mussten. Gäbe es für Arbeitssuchende aus dem Kosovo ein ehrliches Einwandungerungsverfahren, dann müssten die Antragsteller aus dem Filmbericht nicht so lange auf hre Bescheide warten. Darum geht es mir, das hat nichts mit Moral zu tun, sondern mit der Schieflage, dass Deutschland Arbeitskräfte sucht und keine Einwanderungsregelung zustandebringt.

  • Da ich hier gerade zufällig über diese Diskussion gestolpert bin, während ich zwei Minuten zuvor mein neues Buch zug enau diesem Thema im anderen Thread vorgestellt habe, möchte hier noch mal kurz darauf hinweisen.


    Was macht es eigentlich mit den Betroffenen beider Seiten (den Asylsuchenden genauso wie den Asylentscheider*innen), wenn völlig fachfremde Menschen in einem Crash-Kurs angelernt und nach wenigen Wochen ins kalte Wasser geworfen werden, um über menschliche Schicksale zu entscheiden?


    Dieser Frage gehe ich in meinem neuen Roman nach. Die Asylentscheiderin