Titel: Das blindgeweinte Jahrhundert
Autor: Marcel Beyer
Verlag: Suhrkamp
Erschienen: April 2017
Seitenzahl: 271
ISBN-10: 3518425781
ISBN-13: 978-3518425787
Preis: 22.95 EUR
Es gibt sicher einfachere Dinge – als diesen Roman von Marcel Beyer zu beschreiben und seine Meinung dazu zu äußern.
Aber – einen Versuch ist es wert.
Dieses ist sicher kein Roman im herkömmlichen Sinne. Ganz und gar nicht.
Es ist mehr eine Aneinanderreihung von Sequenzen, unterlegt mit mehr oder wenigen prominenten Zeitzeugen, die oftmals nicht beim Namen genannt werden – die man aber zumeist trotzdem unschwer erkennen kann.
Es geht dabei um ihre geweinten und nicht geweinten Tränen.
Marcel Beyer erzählt essayistisch und durchaus auch verklärt poetisch. Er analysiert, stellt auf den Prüfstand und vermeidet klare Urteile. Das überlässt er seinen Lesern. Leser, an die er sich sehr hohe Anforderungen stellt.
Denn nicht immer wurde mit klar, worauf der Autor hinaus wollte, welche Ziele er verfolgte. Es war wohl auch sein Ansinnen, den Leser zu zwingen, hier eine eigene Gedankenwelt zu schaffen – seine (Marcel Beyers Versatzstücke) waren ggf. vielleicht nur als Einstieg zum eigenen Nachdenken gedacht.
Aber vielleicht irre ich mich auch hier. Keine Ahnung.
In jedem Falle ist dieses Buch, dieser Roman, ein Beweis für die unglaubliche Vielschichtigkeit von Literatur, ein Beweis dafür, was Literatur alles zu leisten vermag ohne sich selbst dabei vors Schienbein zu treten.
Im Klappentext ist zu lesen:
„Ist Literatur im exterministischen 20. Jahrhundert, in dem Tod ein Meister aus Deutschland geworden ist, noch möglich? Ist ihre Daseinsberechtigung entfallen, da nach Auschwitz jede kulturelle Produktion nur Ausdruck der Barbarei sein kann? Ist Literatur gerade wegen der Gräueltaten notwendig, gar unumgänglich? Welcher Verfahren hat sich solche Literatur zu bedienen? Diese Fragen verfolgt der Georg-Büchner-Preisträger des Jahres 2016 in seinen poetischen Untersuchungen und hat eine ebenso knappe wie weitreichende Antwort parat: durch Detailarbeit am Material der Realität wie der Literatur.“
Diese Einschätzung habe ich offengestanden nicht nachvollziehen können.
Denn in meinen Augen ist Literatur immer notwendig und unverzichtbar, egal welche geschichtlichen und zeitgeschichtlichen Ereignisse auch stattgefunden haben. Gerade auch Auschwitz wäre ohne Literatur und das literarische Befassen damit ins Unerklärliche abgedriftet. Unfassbar ist es aber trotz Literatur nach wie vor.
Ein sehr lesenswertes Buch – ein Buch sicher nicht geeignet als Einschlaflektüre und man sollte wissen, dass man einige Seiten mehrmals lesen muss um ihren ganzen Wesensgehalt gedanklich einfangen zu können. 9 Punkte.