Gianna Molinari: Hier ist noch alles möglich

  • Gianna Molinari: Hier ist noch alles möglich

    Aufbau Verlag 2018. 192 Seiten

    ISBN-13: 978-3351037390. 18€


    Verlagstext

    Eine junge Frau wird als Nachtwächterin in einer Verpackungsfabrik eingestellt. Abend für Abend macht sie ihren Rundgang, kontrolliert die Zäune. Ein Wolf soll in das Gelände eingedrungen sein. Mit jeder Nachtschicht wird die Suche nach dem Wolf mehr zu einer Suche nach sich selbst und zur Frage nach den Grenzen, die wir ziehen, um das zu schützen, woran wir glauben.


    Die Autorin

    Gianna Molinari, geboren 1988 in Basel, lebt in Zürich. Sie studierte von 2009 bis 2012 Literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut Biel und danach Neuere Deutsche Literatur an der Universität Lausanne. Sie ist Mitgründerin der Kunstaktionsgruppe „Literatur für das, was passiert“. Molinari liest beim Bachmann-Preis auf Einladung von Hildegard E. Keller. (Quelle: Bachmannpreis)


    Inhalt

    Die namenlose Icherzählerin bewacht als Nachtwächterin im Schichtwechsel mit einem Kollegen eine Karton-Verpackungs-Fabrik. Ein Einschub berichtet in neutralem Ton von mehreren Wölfen, die hungrig aus den Bergen ins Tal herabkommen. Unsere Nachtwächterin wird gewarnt, dass der Zaun um die Fabrik nicht mehr intakt ist und ganz in der Nähe ein Wolf gesichtet wurde. Im Leben der jungen Frau gab es ein „Früher“, in dem sie Wohnung und Arbeit hatte. Das ist jetzt vorbei und sie haust mit Erlaubnis des Besitzers in der Fabrik. Sie selbst und auch die Leser fragen sich, warum überhaupt für eine Fabrik, die nicht mehr im Betrieb ist, Nachtwächter eingestellt werden und sogar noch ein Koch zur Arbeit kommt. Wie Steine, auf die man über eine Wasserfläche hinweg springen muss, weil ein Steg fehlt, bewegt sich die Handlung in Sprüngen zu Astronauten-Nahrung, die der Koch entwickeln will, und zu einem toten Afrikaner, der vom Himmel fiel, vermutlich erfroren aus dem Triebwerkschacht eines Flugzeugs. Die Nachtwächterin legt ein Tellereisen als Falle aus und beginnt eine Fallgrube für den Wolf zu graben, ohne ein Konzept zu haben, was sie tun wird, sollte sie ihn fangen. Der Prozess des Schaufelns wirkt völlig absurd, meine Gedanken wanderten dabei zu der Frage, ob es wirklich einen Wolf gibt und der Fabrikbesitzer mit seiner Warnung evtl. nur den Abschied von seiner Fabrik hinausschiebt.


    Fazit

    Wenn jemand „Wolf“ ruft, springe ich stets auf, egal, ob es sich um eine Reportage handelt oder einen Roman, der mit dem Wolfsmythos um Aufmerksamkeit buhlt, ohne unbedingt ein Wolfsthema zu bieten. Auch hier hat "Wolf" augenblicklich gewirkt und mich neugierig gemacht. Bei Gianna Molinari scheint alles möglich auf ihren unverknüpften Handlungs-Inselchen. Dass die grabende Nachtwächterin mich intensiv an die Grube in Donovans "Ein bitterkalter Nachmittag“ erinnert hat, dafür kann die Autorin nichts. Im Auge des Lesers liegt es, ob in Molinaris Text ein realer Wolf auftaucht oder „Wolf“ als Metapher denkbar wird für ein gescheitertes Lebenswerk, Wohnungslosigkeit oder Tod auf der Flucht.


    8 von 10 Punkten