Stefan Thome: Gott der Barbaren

  • Stefan Thome: Gott der Barbaren

    Verlag: Griot Hörbuch 2018.

    Auflage: 18 CDs, 1330 Minuten, im Schuber mit Booklet

    ISBN-10: 3959980221

    ISBN-13: 978-3959980227. 29,95€

    Sprecher: Johannes Steck


    Verlagstext

    China, Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine christliche Aufstandsbewegung überzieht das Kaiserreich mit Terror und Zerstörung. Ein junger deutscher Missionar, der bei der Modernisierung des riesigen Reiches helfen will, reist voller Idealismus nach Nanking, um sich ein Bild von der Rebellion zu machen. Dabei gerät er zwischen die Fronten eines Krieges, in dem er am Ende alles zu verlieren droht, was ihm wichtig ist. An den Brennpunkten des Konflikts – in Hongkong, Shanghai, Peking – begegnen wir einem Ensemble so zerrissener wie faszinierender Persönlichkeiten: darunter der britische Sonderbotschafter, der seine inneren Abgründe erst erkennt, als er ihnen nicht mehr entgehen kann, und ein zum Kriegsherrn berufener chinesischer Gelehrter, der so mächtig wird, dass selbst der Kaiser ihn fürchten muss.

    In seinem packenden neuen Buch erzählt Stephan Thome eine Vorgeschichte unserer krisengeschüttelten Gegenwart. Angeführt von einem christlichen Konvertiten, der sich für Gottes zweiten Sohn hält, errichten Rebellen in China einen Gottesstaat, der in verstörender Weise auf die Terrorbewegungen unserer Zeit vorausdeutet. Ein großer und weitblickender Roman über religiösen Fanatismus, über unsere Verführbarkeit und den Verlust an Orientierung in einer sich radikal verändernden Welt.


    Der Autor

    Stephan Thome wurde am 23. Juli 1972 in Biedenkopf, Hessen geboren. Nach dem Zivildienst in einer sozialpsychiatrischen Einrichtung in Marburg studierte er Philosophie, Religionswissenschaft und Sinologie in Berlin, Nanking, Taipeh und Tokio. 2005 erschien unter dem Titel »Die Herausforderung des Fremden: Interkulturelle Hermeneutik und konfuzianisches Denken« seine Dissertationsschrift. Zur selben Zeit begann er als DFG-Stipendiat am Institut für Chinesische Literatur und Philosophie der Academia Sinica zu arbeiten, wo er über konfuzianische Philosophie des 20. Jahrhunderts forschte. Bis 2011 betätigte er sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an verschiedenen Forschungseinrichtungen in Taipeh und übersetzte unter anderem Chun-chieh Huangs Werk »Konfuzianismus: Kontinuität und Entwicklung« ins Deutsche. Sein Roman »Grenzgang« gewann 2009 den aspekte-Literaturpreis für das beste Debüt des Jahres und stand – wie auch sein zweiter Roman »Fliehkräfte« – auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis. 2014 wurde Thome von der Akademie der Künste Berlin mit dem Kunstpreis Literatur ausgezeichnet. Im gleichen Jahr erhielt die Verfilmung des Romans »Grenzgang« den Grimme-Preis. Seit 2011 lebt und arbeitet Stephan Thome als freier Schriftsteller; derzeit lebt er in Taipeh.


    Der Sprecher

    Schauspieler und Erzähler Johannes Steck studierte an der Schauspielschule in Wien. Als Schauspieler war er u.a. an Theatern in Wien, Chemnitz, Würzburg und Darmstadt engagiert. Seit 1999 ist er auch in der Hörspiel- und Buchwelt zu Hause. Über 80 Hörbuchproduktionen, darunter den aktuellen Bestsellern von Simon Beckett „Die Chemie des Todes" und „Kalte Asche", aber auch Klassikern von Balzac bis Wilde und „Die Drei Fragezeichen", Krimis und Fantasy verlieh Johannes Steck durch seine warme, klangvolle Stimme eine ganz eigene Note.


    Überblick

    Taiping-Aufstand (1851–1864)

    Opium-Kriege (1839–1842), (1856–1860)

    James Bruce, 8. Earl of Elgin und 12. Earl of Kincardine (* 20. Juli 1811 in London; † 20. November 1863 in Indien), britischer Kolonialbeamter und Diplomat

    Zeng Guofan (曾國藩, Zēng Guófān (* 21. November 1811 in Hunan, † 12. März 1872 in Nanjing), hoher chinesischer Beamter der Qing-Dynastie

    Hong Xiuquan (洪秀全), (1814–64) Anführer des Taiping-Aufstands

    Philipp Johann Neukamp/Fei Lipu, fiktive Figur, Teilnehmer der Revolution von 1848


    Inhalt

    Philipp Johann Neukamp will dort leben, wo keine Fürsten herrschen. Als robuster Kerl mit einem Talent für fremde Sprachen wird er in Deutschland von Karl Gützlaff als Missionar angeworben. Die Missionsgesellschaft hat nur 15 Mitglieder, so dass sich ein vorsichtiger Zeitgenosse fragen würde, ob man Gützlaff Spendengelder anvertrauen sollte. 1850 bricht Philipp per Schiff nach China auf. Englisch lernt er durch Zuhören an Bord, Chinesisch-Unterricht erhält er in Singapur, zumindest glaubt er das, bis er auf seinen sonderbaren Dialekt angesprochen wird. Als Philipp in Hongkong ankommt, ist Gützlaff tot und der junge Deutsche braucht einen neuen Job. Aus Philipp wird Fei Lipu, die fiktive Figur eines durchtriebenen Abenteurers, neben den historischen Figuren Lord Elgin (James Bruce) und General Zeng Guofan. Anpassungsfähig wie er ist, weiß Fei zwar noch nicht, wie er zwischen den verschiedenen chinesischen Dialekten Menschen zum Christentum missionieren soll, ihm ist allerdings klar, dass sie bereits Götter und eine Religion haben und es besser ist, nichts zu kritisieren, was sie wertschätzen.


    1837 nimmt der junger Chinese Hong Xiuquan an der landesweiten Beamtenprüfung teil, dem einzigen Weg, auf dem er durch Bildung und Fleiß Karriere machen könnte. Hong scheitert, erleidet einen Zusammenbruch und anschließend eine Vision, er wäre ein Bruder Jesu. Unter Einfluss eines Missionars und von christlichen Traktaten soll er eine Sekte mit über 20 000 Mitgliedern gegründet haben. Ursache des Taiping-Aufstands (1851–1864) und sein Antrieb waren u. a. ethnische Konflikte um die Yao und die Hakka.


    Lord Elgin wurde nach mehreren anderen Stationen 1857 zum Sonderkommissar in China ernannt, kurz nach Beginn des Zweiten Opiumkrieges. Als Vergeltung für die Hinrichtung englischer und französischer Gesandter befiehlt Elgin eine Strafexpedition, bei der der Sommerpalast des Chinesischen Kaisers ausgeraubt und niedergebrannt wird. Als Sohn des wegen seiner Kunstraubzüge schon zu Lebzeiten umstrittenen 7. Lords Elgin (1766-1841) muss der 8. Lord Elgin sich von seinen Landsleuten Hohn und Spott wegen seiner barbarischen Aktion gefallen lassen. Elgins Vorfahr ist als Kunsträuber bis heute so verrufen, dass es mir schwer fiel, seinen Sohn nicht ebenfalls als gierigen Ignoranten zu sehen. Wie historische Ereignisse die Einstellung späterer Generationen prägen, lässt sich hier wunderbar studieren.


    Im Umfeld von General Zeng Guofan entwickelte sich aus meiner Sicht das interessante Thema, wie Zeng strategisches Denken lernte und wie er selbst seine Fähigkeiten weitergeben wird.


    Die Begegnung dieser Männer führt immer wieder zur Frage, ob eine Kultur einer anderen überlegen sein kann und welcher Weg moralisch akzeptabel wäre, für die eigene Kultur oder Religion zu werben. Auch wenn ich mich anfangs gefragt habe, wie ich im 21. Jahrhundert von einem historischen Roman (mit fiktivem Anteil) über den Taiping-Aufstand profitieren könnte, fand ich die Begegnung der Figuren von Beginn an faszinierend. Eine wichtige Rolle spielen die Dolmetscher, die beide Sprachen beherrschen und deren Aufgabe die Vermittlung zwischen den Kulturen wäre. Niemand erkannte, dass Kulturen einen Weg finden müssen, um über Dinge zu sprechen, die im jeweils anderen Land nicht existieren. Die Europäer jedenfalls konnten bei aller Gier auf Chinas Reichtümer nicht erkennen, dass sie selbst – wie sie aussehen, wie sie sprechen, wie sie riechen - von den Chinesen für rothaarige Teufel und Barbaren gehalten werden. Wie eine Missionierung funktionieren soll, wenn einer Kultur das Konzept eines einzigen Gottes unbekannt ist, konnte Philipp/Fei Lipu sich wegen dieser Sprachlosigkeit vermutlich kaum vorstellen. Während die Figuren sich kluge Gedanken darüber machen, was einen Barbaren ausmacht, kann man als Leser dabei seinen eigenen Gedanken nachhängen. „Die schlimmsten Barbaren sind die, die sich irrtümlich für Chinesen halten“ stellt jemand im Roman weise fest. Vielleicht macht es einen ja zum Barbaren, wenn man nicht bemerkt, dass man allgemein menschlich betrachtet oder aus der Perspektive einer anderen Kultur barbarisch handelt.


    Mit der Nüchternheit eines Europäers wirft Stefan Thome zeitlose Fragen auf nach Wertschätzung fremder Kulturen, kultureller Überheblichkeit, Assimilierungsdruck oder Religion als Antrieb für internationale Konflikte. Ein Icherzähler spricht den Zuhörer direkt an, zahlreiche Briefe und Dokumente geben zusätzlich Einblick in die Denkweise jener Zeit.


    Zum Hörbuch (18 CDs), 1330 Minuten

    Das Booklet mit historischen Fotos, Karten, Zeittafel, Personenliste in Chinesisch und Umschrift und Inhaltsverzeichnis des Buches hat mir den den Zugang zum Hörbuch erheblich erleichtert. Mit sonorer Stimme zeigt Johannes Steck sich hier als klug gewählte Besetzung für einen anspruchsvollen historischen Text mit zahlreichen chinesischen Orts- und Personennamen.


    10 von 10 Punkten

  • Danke Dir für die ausführliche Rezi.


    Seine Begeisterung für das Thema war bei den Veranstaltungen in Frankfurt deutlich spürbar und ich freue mich schon auf das Hören. :-)


    Zum Thema Barbaren merkte er an, dass immer die Anderen die Barbaren gewesen seien, jedoch nie man selbst oder das eigene Volk.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Jetzt habe ich das Buch seit ca. 2 Wochen zu Ende gelesen und bin mir auch jetzt nicht ganz sicher wie ich es bewerten soll. Ich habe mindestens 6 Wochen für dieses Buch benötigt und zwischen Wow und "ich ertrage es nicht mehr", waren alle Gefühlsrichtungen dabei.


    Ein junger Missionar aus Deutschland reist nach Asien, um dort die Menschen zu bekehren. Interessant fand ich die Länder, die bereist wurden. Außerdem begegnet er einigen Leuten auf dieser missionarischen Reise, deren Erlebnisse der Autor ebenfalls erzählen lässt.


    Und da war mein erstes Problem: Es gab mehrere Ich-Erzähler und ich brauchte immer eine Weile, bis ich erkannte, wer denn gerade an der Reihe ist. Dies förderte meinen Lesegenuss nicht unbedingt. Außerdem schockierte mich die Härte, mit der der Autor die Erlebnisse schildert, auch wenn mich eigentlich der Titel vorwarnen hätte müssen. Gott der Barbaren, es geht wirklich barbarisch zu in dem Buch. Ich will gar nicht daran zweifeln, dass hier nicht die Realität abgebildet wurde, aber für mich war es einfach des Guten zu viel.


    Es war allerdings nicht alles schlecht. Der Autor kann erzählen, hat sicherlich gut recherchiert, kennt sich auf dem Gebiet aus und schafft es gut zu beschreiben. Leider konnten mich die Beschreibungen nicht 500+ Seiten lang begeistern, da hätte mir ein Bruchteil davon gereicht.


    Das Buch wird mir trotzdem lange in Erinnerung bleiben, auf Grund der Härte und der Menge an barbarischen Handlungen in der asiatischen Welt.


    6/10 Eulenpunkte