Kai Wieland - Amerika

  • Titel: Amerika

    Autor: Kai Wieland

    Verlag: Klett-Cotta

    Erschienen: September 2018

    Seitenzahl: 240

    ISBN-10: 3608962611

    ISBN-13: 978-3608962611

    Preis: 20.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:

    In Rillingsbach geht es gemächlich zu. Das weiß keiner besser als Wirtin Martha, die im örtlichen Gasthaus das Zepter fest in der Hand hält. Doch als sich ein junger Chronist unter die Stammgäste mischt und die Ordnung im Dorf auf den Kopf stellt, drängen tief vergrabene Erinnerungen an die Oberfläche, die bis zur amerikanischen Besatzungszeit zurückreichen.


    Der Autor:

    Kai Wieland, geboren 1989 in Backnang. Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Medienkaufmann, studierte anschließend Buchwissenschaft an der LMU in München und arbeitet seit 2016 für ein Verlagsbüro in Stuttgart. Mit seinem Debüt Amerika wurde er Finalist beim Blogbuster, dem Preis der Literaturblogger.


    Meine Leseeindrücke:

    Interessant, durchaus auch lesenswert – aber ganz sicher kein überragendes Lesehighlight. Ein Roman im Bereich des gehobenen Durchschnitts.

    Ich kann mir vorstellen, dass die erzählte Geschichte nicht endlos im Gedächtnis hängen bleibt, dafür mischt sich dort zu viel Alltägliches mit dem Banalen. Trotzdem aber absolut keine Enttäuschung. Auch solche Geschichten haben das Recht darauf erzählt zu werden – und es ist ganz sicher auch nicht so einfach, diese Alltäglichkeiten so zu erzählen, dass der Leser eben das Buch nicht beiseite packt.

    Stilistisch gut, lesenswert – freundliche 6 Eulenpunkte.


    Btw.: Und hier noch ein Statement aus der Kiste des Literaturschwätzers Denis Scheck. Der Mann ist einfach immer für einen Lacher gut.

    Scheck schreibt:

    Ein eigener Ton, eine eigene Weltsicht, ein schwäbischer William Faulkner, der zur Entdeckung einlädt.“

    Mit diesem Satz tritt Scheck den unumstößlichen Beweis an, dass er niemals etwas von William Faulkner gelesen hat und es drängt sich die Frage auf: Was für ein Kraut mag der Scheck nur bloß rauchen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Eigentlich schätze ich das Denis Scheck-Bashing nicht, aber hier muss man sich schon fragen: was sind das für Vergleiche?


    Geht das nicht ein paar Nummern kleiner?


    Kai Wieland hat einen guten Ansatz, ist aber auch sehr bieder. Ich fand den Roman durchschnittlich.

    Ein so komplexes Werk wie von Faulkner wird es von ihm nie geben.

  • Verlagstext

    In Rillingsbach geht es gemächlich zu. Das weiß keiner besser als Wirtin Martha, die im örtlichen Gasthaus das Zepter fest in der Hand hält. Doch als sich ein junger Chronist unter die Stammgäste mischt und die Ordnung im Dorf auf den Kopf stellt, drängen tief vergrabene Erinnerungen an die Oberfläche, die bis zur amerikanischen Besatzungszeit zurückreichen. Im Schippen, dem einzigen Gasthaus im schwäbischen Rillingsbach, hocken sie beisammen und lassen sich von Boiznerin Martha die Krüge füllen. Neben Martha, die den heruntergewirtschafteten Familienbetrieb mit Grazie dem Untergang entgegenführt, ist da noch Hilde, die Wilde, die einst auszog, um die Männer zu studieren. Außerdem Alfred mit seiner Leidenschaft für tote amerikanische Politiker und Frieder, den zwar keiner mag, mit dem aber jeder gern gesehen wird. An diesem Tag geht alles anders zu, denn ein junger Chronist sitzt mit den Alten im Schippen. Im gleichen Maß, wie das Misstrauen gegenüber dem Eindringling schwindet, brechen Erinnerungen auf und nehmen im Gastraum Gestalt an. Übles tritt zutage, Verdecktes wird enthüllt, und die sonst so friedlichen Gemüter geraten in Rage. Und der Chronist? Der sitzt mit am Tisch und notiert, was notiert werden muss.


    Inhalt

    Erwin war traumatisiert aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt, würde man aus heutiger Sicht sagen. 1949 im fiktiven (damals amerikanisch besetzten) Rillingsbach sahen die Dorfbewohner den großen, kräftigen Kerl schlicht als durchgeknallt an und als eine Gefahr für andere Menschen. Als Erwin ein Kind bedroht, findet man ihn anschließend tot im Schuppen. Die alarmierten Polizisten waren gerade erst von den amerikanischen Besatzern in ihr Amt eingesetzt worden und reichlich ahnungslos, wie in einem ungeklärten Todesfall zu ermitteln ist. Jahre später wird Erwins Tochter bei den Behörden mit ihrem Wiederaufnahmeantrag abblitzen. Geschichten wie Erwins erzählt man sich in Rillingsbach im „Schippen“, wo Martha bedient, die damals schon dabei war. Ein Chronist saugt die Dorfgeschichten auf und notiert sie. Von ihm wissen die Leser lange nur, dass er zur jüngeren YouTube-Generation gehört. Ein Chronist kann sich raushalten, sich mit der präsentierten Fassade und mit den Lebenslügen der Anwesenden zufriedengeben.


    Der Fremde erfährt, wie Frieders Vater, der Oberscharführer, nach dem Krieg von den Amis gedrängt wurde, „freiwillig“ die Dorfbücherei zu entnazifizieren, wie Lehrer Mangelhardt noch schnell die Werke des einzigen (NS-)Autors aus dem Dorf vor der Vernichtung gerettet und einen verdächtigen Autor in die Schule eingeladen haben soll. Mangelhardt hätte in den letzten Kriegstagen noch Kinder in die Schlacht geschickt, sagt man, wenn ihm nicht eine vernünftigere Person entgegengetreten wäre. Die Amis bringen Comics und amerikanische Romane in den Ort. Für Elisabeth, Hildes Mutter, hält das Amerika-Haus in der nahen Stadt einen sicheren Job bereit und ermöglicht ihr, sich ihrem Laster Literatur hinzugeben. Als Hilde sich immer weiter von ihrer Mutter distanziert, lässt sich nicht mehr übersehen, dass die Kriegs- und die Nachkriegsgeneration längst miteinander hätten reden müssten. Alfred wiederum hat einen Narren am Reiseland USA gefressen und bereist mit Erna dort alle Orte, an denen in den 60ern ein Prominenter ermordet wurde.


    Fazit

    Kai Wieland spinnt seinen Roman um das Thema Erinnern und zwingt mit klug gewählten Zitaten an jedem Kapitelanfang zum Nachdenken, wie zuverlässig unsere eigenen Erinnerungen wohl sind. Mit seinem Chronisten schafft er Distanz, grenzt sich als Autor aber auch ab von der Beziehungsebene, auf der in Rillingsbachs Familien eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus hätte stattfinden müssen. Schließlich sind dort nach 1945 Schüler einer ganzen Generation von einem Alt-Nazi unterrichtet worden, ohne dass es jemanden geschert hätte. Im „Schippen“ führen Männer das Wort, so dass es nicht verwundert, wenn Elisabeths, Hildes und Marthas Sicht der Dinge vom Chronisten nur kurz abgehandelt werden. Diese Knappheit fand ich etwas unbefriedigend. Ihm „mangele es an Phantasie“, stellt er zum Ende seines Manuskripts fest. Als die Handlung sich den 60ern und 70ern und damit den Enkeln der Kriegs-Generation näherte, konnte ich mich sehr viel leichter als zu Beginn des Romans in die Figuren hineinversetzen. Ob der Chronist doch nicht so neutral ist, wie er vorgibt?


    Als unterschätztes Manuskript, das erst durch den Blogbuster-Wettbewerb entdeckt wurde, entfaltet „Amerika“ das Thema Erinnern erst allmählich, jedoch lange nachwirkend.


    8 von 10 Punkten