Beiträge von Glockenblume

    Das siehst Du absolut richtig, Jeanne! Letzten Sommer war ich übrigens wirklich im Nolde-Museum und in dem traumhaften Garten. Habe für mich den Eindruck mitgenommen, dass ich die Beschreibungen der Bilder in der "Deutschstunde" faszinierender finde als die meisten der ausgestellten Nolde-Bilder. :zwinker


    Liebe Grüße von der Glockenblume

    Ein Trostpflaster für die von verständnislosen Deutschlehrern geplagten Schüler und Schülerinnen: Bald werdet ihr bei der Lektüre von "Homo Faber" dahinter kommen, dass Max Frisch genau die Erwachsenen im Visier hat, die glauben, ihr Leben im Griff zu haben (und alles besser zu wissen ;-) ). Ebenso wie Walter Faber zieht Hanna in ihrem Leben eine recht armselige Zwischenbilanz. Das Schlimmste dabei ist meiner Meinung nach, dass sie beide an ihrer Tochter schuldig werden - aus Stolz, aus Dummheit, aus Egoismus - das kann man unterschiedlich sehen. Glücklicherweise lässt sich Faber noch von Sabeths Lebensfreude anstecken, nur leider ein bisschen spät.


    "Homo Faber" gehört auch zu meinen TOP TEN!


    Gute Nacht


    Glockenblume

    Ich habe zuerst den Film gesehen, den ich ziemlich gut fand - es sind ja auch wesentliche Dinge darin verändert im Vergleich zum Buch. Als ich dann den Roman in die Hände bekam, habe ich mich gefragt, wie man einen solchen Stoff auf 200 Seiten gestalten kann. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Schneider setzt seinen Lesern permanent Ergebnisse vor, deren Entstehungsgeschichte man überhaupt nicht miterleben darf. Er informiert, statt zu schildern. Streckenweise kam es mir so vor, als habe er keine Lust gehabt, sein Exposé auszuarbeiten. Andererseits kommt er dann unablässig mit dem Motiv des bösen, strafenden Gottes. Man würde sein Anliegen auch kapieren, wenn er es weniger dick auftragen würde. Das Verhältnis von "Verbergen" und "Enthüllen" stimmt in diesem Roman überhaupt nicht, auch wenn sich der Autor zugegebenermaßen an verschiedenen Stellen zu echten sprachlichen Höhenflügen aufschwingt. - Was die emotionale Seite betrifft: Keine Ahnung, was das Buch mit mir zu tun hat, ich hab' keine Identifikationsmöglichkeit gefunden.


    X( Das musste mal 'raus. :-)


    Glockenblume

    Ja, ich komm' auch noch hinterhergeschneckt. In diesem letzten Abschnitt haben mir besonders gefallen: der kleine Fuchs, der wirklich knuffig geschildert ist, dann die Beschreibung der weltlichen Kleider in der Kleiderkammer des Klosters; auch den Einblick in Christians spannungsgeladenes Seelenleben fand ich sehr realistisch und nachvollziehbar, und das Happy End mit bitterem Beigeschmack gefällt mir auch sehr gut. - Überrascht war ich über Saphiras ziemlich abgeklärte, emotionslose Reaktion auf den Anblick des verschütteten Christian. Beim Kuss auf seine Stirn könnten zumindest ihre Lippen zittern oder irgendsowas in der Art. Denn kurz darauf "fleht" sie ja immerhin (nicht ganz so abgeklärt) die zurückkehrenden Bewohner Basels an, der Stadt fern zu bleiben. Und - obwohl handlungstragend, fand ich das Motiv des außerehelichen Nachwuchses durch die Person der kleinen Comtesse Ninon dann doch etwas überstrapaziert. -


    Mir werden von diesem Roman vor allem die unvergleichlich schönen Beschreibungen in Erinnerung bleiben. Danke, Titus!


    :wave Glockenblume

    Abgesehen von dem spannungsgeladenen Handlungsverlauf waren für mich in diesem Leseabschnitt die Seiten 247 -249 das erzählerische Highlight! In Christians Abbitte vor dem Haus des Henkers kommt seine fehlende Standfestigkeit wunderbar zum Ausdruck. Er wird zwar lächerlich gemacht, aber der mitschwingende Humor nimmt der Kritik die Schärfe, zumal sich Christian angesichts des Henkers in einen kleinen Jungen vor dem Weihnachtsmann zu verwandeln scheint: "Ja, ich will brav sein ..." (O.K., der Weihnachtsmann wurde, glaube ich, erst später erfunden!)


    Dann auf Seite 248 trägt sich Saphira mit Selbstmordgedanken. Plötzlich herrscht eine völlig andere Stimmung, und ich finde, Titus gelingt es hier sehr gut, große Überlegungen (Leben oder Tod?) in schlichte Sätze zu verpacken. Sehr anrührend. Ähnliches gilt für die darauf folgende wohltuende Begegnung mit Tam.


    Das Auftauchen dieses Schotten mit dem unaussprechlichen Namen hat mich überhaupt nicht gestört, im Gegenteil: Man fragt sich beständig, wie denn die Handlungsstränge wohl zusammengeführt werden. Das erhöht die Neugier.


    Sehr spannende Passagen waren für mich Christians "dämonisches Erlebnis" mit dem Prior unter der Pestmaske und Ramsteins nächtlicher Auftritt in dieser Absteige in Kolmar.


    Ach so, als Christian im Siechenhaus auf seinen Vater trifft, habe ich mich gefragt, ob der Prior da wohl mehr wusste als der Leser (der natürlich auch die Chance bekommt es zu ahnen!) und diese Begegnung absichtlich eingefädelt hat.


    Noch etwa 60 Seiten bis zum Schluss - bin sehr gespannt!


    Glockenblume :-)

    Habe ich mich inzwischen mehr in den Roman hineingelesen, oder kann es sein, dass es im zweiten Leseabschnitt noch mal eine deutliche Qualitätssteigerung gibt?? Ab Kapitel 9 kommen mir die Verhaltensweisen der Personen - äh, deutlicher motiviert vor. (Ich wollte nicht sagen "nachvollziehbarer", denn diesen ungeheuerlichen, menschenverachtenden Ego-Trip des Herrn Bürgermeisters kann man wohl kaum nachvollziehen.)


    Mittlerweile frage ich mich auch, was Saphira eigentlich an Tam findet. Wie wenig sensibel er ist, zeigt ihre ärgerliche Reaktion während des Gesprächs mit ihm (S. 118 ). Er kommt mir zunehmend durchschnittlich vor, während Christian auch bei mir ein paar Sympathiepunkte gewonnen hat, wahrscheinlich durch seine Opferrolle (Bedrohung durch Tam, Prügel durch den Vater), die die Mitleidshormone der Leser und vor allem der Leserinnen aktiviert ... Kurzum, ich nehme es Saphira nicht wirklich ab, dass sie sich vor Liebe zu Tam verzehrt, aber Christian eher notgedrungen heiraten würde (S. 170). Ich glaube, Saphira wird, obwohl Christians Charakterschwäche auf der Hand liegt, aufgrund ihrer ersten Liebeserfahrung und aufgrund des Kindes, das sie von ihm erwartet, irgendwie innerlich mit ihm verbandelt bleiben.


    Am besten, sie schickt beide Männer in die Wüste - bin gespannt, wie die Love-Story weitergeht!


    Sehr angerührt hat mich diese ganze Jom-Kippur-Szenerie (S. 173). Erstens fand ich den Übergang zwischen der Romanhandlung und den Erklärungen zum Großen Versöhnungstag äußerst gelungen: gewissermaßen nahtlos-elegant, ganz klasse! Und wie Saphira ihre persönliche Vergebung erlebt, das hat nicht nur über Saphiras Arme einen Schauer geschickt, sondern über meine auch.


    Eine Kleinigkeit, die ich vermisst habe: Saphira bedeutet doch dem kleinen Mädchen des Henkers so viel, jedenfalls wird das mehrfach betont. Ich hätte gerne eine Bemerkung dazu, dass Saphira daran zurückdenkt, wie sehr die Kleine beim Abschied geweint hat - oder dass Saphira das Mädchen auch vermisst - oder so ähnlich. Aber vielleicht kommt das ja noch.

    Zitat

    Original von Wolke



    Die Leserunden werden ja nicht geschlossen und so kann auch in Jahren noch hier geschrieben werden. :wave


    Da bin ich ja froh, dann trau ich mich auch noch hinterherzuhinken. Ich lese mich auch gerne in dem Roman fest, habe aber leider viel zu wenig Zeit dazu. Am liebsten habe ich die Passagen, in denen Titus Landschaften, Straßenszenen, das Wetter oder irgendwelche Kleinigkeiten schildert, um Atmosphäre zu schaffen. Die sind wirklich stark! - Womit ich nicht so gut zurechtkomme, sind die Begegnungen, in denen Menschen, die einander bis vor 10 Minuten völlig fremd waren, ihr Privatleben offenbaren, z.B. Saphira dem Christian gegenüber (S. 51), dann unterbreitet der Henker Saphira seine komplette Verdienstlage (S. 66), oder Simon vertraut seine Verzweiflung dem ihm fremden Tam an (S. 100). Vielleicht würde es helfen, wenn man stärker an der Seelenlage der Betroffenen Anteil nehmen könnte wie dann z.B. ab S. 52, wo man Einblicke in Saphiras Empfindungen erhält.


    Nichts für ungut, Titus, ich lese trotzdem sehr gerne weiter!


    :wave Glockenblume

    Ich hab' die "Deutschstunde" in diesem Oktober innerhalb einer Woche gelesen - allerdings zum zweiten Mal. Auf jeden Fall habe ich diesen komprimierten Gesamteindruck sehr genossen, zumal meine Taschenbuchversion vom ersten Lesedurchgang her schon mit Querverweisen etc. versehen war. Abgesehen von der Kernhandlung des Romans habe ich mich diesmal auch besonders von den genialen Schilderungen der Nolde-Bilder mitreißen lassen und mir vorgenommen, nächstes Jahr mal einen Kurzurlaub in Seebüll einzuplanen. Da gibt's ja eine Homepage von der Nolde-Stiftung, soweit ich weiß. Falls jemand noch einen praktischen Tipp hat, z.B. welche Jahreszeit die lohnendste ist, wo man gut wohnen kann oder was auch immer, würde mich das sehr freuen.


    Grüße von Glockenblume :-)

    Also, in der "Emilia Galotti" wird ja schon einiges über die himmelschreiende Ungerechtigkeit deutlich, mit denen die Fürsten ihre Untertanen zu behandeln pflegten. Aber was findet ihr Fans an einer "Lösung" so begeisternd, die den freiwilligen Tod eines gefährdeten Mädchens - und das auch noch durch die Hand des liebenden Vaters - als tragisch "verkauft"? Wieso dürfen die Schurken ohne ernsthafte Blessuren davonkommen?


    (Ich hoffe, das erscheint jetzt an der richtigen Stelle. Ist mein erster Versuch ...) :-)


    Glockenblume